Penner

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jon

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Der Penner

Bahnhof. Imbissbude. Vor mir steht ein Mann. Klein und dürr, ein Penner halt. „Ein Bier“, sagt der Penner und ich horche auf. Auf den festen Klang der Stimme. Das stoppelbärtige Gesicht kann fünfzig Jahre alt sein. Oder jünger. Oder älter. Solche Leute sind schwer zu schätzen. Sie legen eine eigenartige Sorgfalt an den Tag; der Mann hier kaschiert mit zweifach tiefgescheiteltem dünnem Haar, dass seine charaktervoll kantige Stirn bis zum Hinterkopf reicht.
[ 3]Der Mann nimmt das Wechselgeld. Seine Hand zittert dabei und ich bin sicher, dieses Bier ist nicht sein erstes heute. Dann fasst der Mann den Becher. Von oben und ganz konzentriert, wie solche Leute eben mit kostbarem Bier umgehen.
[ 3]Am Stehtisch fragt ein junger Mann den älteren: „Haste mal ´ne Karo? Kriegste nachher wieder.“ Der Mann hat. Er gibt dem jüngeren auch Feuer, aus einer Pistole, die er aus dem Jackett fingert, und die mich lächeln macht. Weil das Feuerzeug recht echt wirkt und in seiner seltsamen Blankheit zu dem Penner passt.
[ 3]Der Mann trinkt sein Bier mit der Andacht der Bahnhofsbewohner. Ich denke plötzlich: Wo wäscht der eigentlich sein Shirt so blütenweiß? Ich stolpere über diese Frage und weiß nicht, wieso.
[ 3]Der Mann steht am Tisch, vor sich sein Bier, und ich würde gern nochmal seine Stimme hören.
[ 3]Der Jüngere begrüßt barsch seine Frau, oder Freundin, ist auch egal. Er gibt dem Älteren jedenfalls die geborgte Zigarette zurück und stellt ihm sein halb getrunkenes Bier hin. „Hier!“, sagt er, bevor er geht. „Trink, wenn du willst!“ Ich halte das für eine Dankgeste, grobschlächtig zwar, aber eben eine Dankgeste.
[ 3]Der Penner reagiert nicht darauf. Überhaupt nicht. Der Mann schaut an dem halben Bier vorbei und trinkt seinen Becher aus. Ich sehe Muskeln in seinem Gesicht sich spannen und weiß, dass er nicht widerstehen wird.
[ 3]Und dann …
[ 3]… dann geht der Mann.
[ 3]Und ich sehe das schaumlose Bier schal werden und fühle mich unwohl.
 
P

paintless

Gast
Es ist nicht wichtig, was man mitbringt, sondern was man dalässt (Profil von Jon in der Leselupe). Finde ich gerade sehr passend zu diesem Beitrag.

paintless
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Danke euch beiden.
… manchmal frag ich mich, ob er das Bier getrunken hätte, hätte ich nicht zugesehen …
 
N

no-name

Gast
Hallo Jon,

wirklich ein klasse Text, an dem ich nichts zu meckern habe. Gerade diese Selbstreflexion Deines literarischen Ichs macht Deinen Text - neben der pointiert beschriebenen Beobachtungen - für mich so besonders.

Da ertappt sich Dein Beobachter bei Vorurteilen gegenüber Pennern, ist aber immerhin noch nicht so abgestumpft, dass er sich dabei nicht unwohl fühlen würde, als er vom Penner eines Besseren belehrt wird. Ein super Ende, das mich ein wenig nachdenklich-betroffen zurückgelassen hat.

Grüße von no-name.
 
B

Burana

Gast
Hallo Jon,
das ist in jeder Hinsicht ein guter Text, an dem ich auch nichts auszusetzen habe. Nachdenklich hat er mich gemacht. Du kannst stolz darauf sein, dass Du so ein guter Beobachter bist und das in Buchstaben umsetzen kannst, was Du siehst. Du hast die Persönlichkeiten Deiner Protagonisten sehr gut umrissen. Super.
Jetzt hoffe ich, noch mehr von Dir hier zu finden, weil es wirklich Spaß macht (abgesehen natürlich von der Problematik, die hinter 'Penner' steht, klar), von Dir zu lesen.
Liebe Grüße, Burana
 
L

Law

Gast
Klasse,

toll beobachtet und gut beschrieben. Mich interessiert das Thema auch deshalb finde ich es sehr interessant beschrieben.
Ich sah vor kurzem ein Dok, in der ein promovierter Apotheker mehrere in eine Rolle des Penners schlüpfte. Das einzige Privileg was er hatte, war seine Alkoholnichtabhängigkeit, sonst aber war klar zu erkennen, dass es aus solch einer Lage kaum ein Weg hinaus führt. Auch der besondere letzte Stolz, den sich diese Menschen erhalten haben, ihre soziale Kompetenz ist sehr beeindruckend.
Dies alles hast Du toll und vor allem kurz beschrieben.

Gruß
law
 



 
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