Pianders treibende Kraft

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agonius

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Pianders treibende Kraft

Plötzlich kam ein starker Windstoß, und der trennte Pianders von seiner Mutter, der Eiche, und er flog und flog, segelte im Wind hin und her, langsam herunter wie ein Schneeflöckchen.
Es war sehr schön und angenehm, Pianders kam sich so frei und ungebunden vor und malte sich zuversichtlich die herrlichsten Landeplätze aus. Irgendwo auf einer Wiese, umrandet von vielerlei blühenden Blumen und Sträuchern, wollte er sich niederlassen und gen Himmel wachsen.
Da weckte Pianders erneut eine starke Böe aus seinen Träumen und trug ihn über all seine Ziele hinweg auf einen Fußballhartplatz, den sie gerade neu asphaltieren wollten, weil einige seiner Brüder und Schwestern ihn durchbrochen hatten.
Pianders sauste direkt in die großen Greifarme eines Baggers, und niemand war da, der ihn beachtet und herausgezogen hätte, alle waren nur auf ihre Arbeit programmiert, und so ging er dem sicheren Grab entgegen. Pianders wurde abgeladen, mit Kies überschüttet und zugeteert.
Nun war alles fahl und finster, Pianders hörte nur noch das Dröhnen und Stampfen der Maschinen, aber auch das wurde immer leiser, bis es über kurz oder lang ganz verstummte.
Pianders war ganz und gar abgesackt und isoliert.- Es war etwas feucht hier unten, so suchte er sich zunächst einmal das Wasser und die Nahrung, die er brauchte und keimte, denn er wollte leben und sich entwickeln, nach oben streben und voll im Saft stehen, heraus aus seinem einsamen Kerker zum warmen Sonnenlicht.
Es erschien unmöglich, aber Pianders war jung und voller Kraft und Tatendrang, deshalb überlegte er nicht lange, sondern spreizte seine Wurzeln aus und schob sie in den Erdboden, gut verteilt. Pianders war ja ganz allein, er konnte die Nahrung, die der Boden ihm hergab, für sich voll verwerten, und so wuchs er langsam aber stetig durch die Erde nach oben, bis der Kies kam. Wie sollte Pianders sich durch diese schwere Kiesschicht einen Weg formen?
Pianders fragte erst gar nicht lange, sondern sagte sich immer wieder: "Ich mußt es wagen, ich hab ja nichts zu verlieren, wer wagt gewinnt," und kämpfte und kämpfte weiter. Es war äußerst mühselig, und oft kam Pianders tagelang überhaupt nicht voran, aber dann redete er sich immer wieder zu: "Tu es, tu es!" Und er tat es einfach, ob es etwas brachte oder nicht, Pianders mußte es auf jeden Fall ständig probieren, etwas weiter zu kommen, denn er wollte hier unbedingt heraus. Ist die Lage auch noch so aussichtslos und verzweifelt, Du darfst Dich niemals aufgeben, da hilft kein Jammern , da hilft kein Klagen, Du darfst Dich nie und nimmer aufgeben, weitermachen, durchhalten heißt die Devise. Kraft dessen stieß Pianders sein zartes Köpfchen an den ersten harten Stein. Er drückte und drängte, stupste und schubste fleißig gegen die schweren Steine und so drängelte er sich an dem ersten vorbei, biß auf die Zähne und drängelte sich an dem zweiten vorbei und an dem dritten und durch diese Erfolgserlebnisse ermuntert und bestärkt bohrte Pianders sich allmählich Stein um Stein einen Weg.

Der Wille zur Verwirklichung seines Lebens ward die treibende Kraft, deshalb regte und bewegte Pianders sich unaufhaltsam voran, bis er an der Asphaltdecke ankam. War das die Endstation?
Nein, das durfte einfach nicht sein, denn nun spürte Pianders schon die Wärme der Sonne und das steigerte seine Antriebskräfte nochmals ungeheuerlich, nun war es nicht mehr weit zum Licht, und so viel hatte er schon hinter sich gebracht, da wird er jetzt auch das letzte Stück noch meistern.
Und Pianders ballte seine gesamten Kräfte abermals zusammen und drückte und drückte mit brennendem Eifer unaufhörlich, Sekunde um Sekunde, Stunde um Stunde, Tag um Tag ein winzig kleines bißchen, aber stetig und unaufhaltsam, denn sein Ziel war es, in der Sonne zu blühen!
Pianders hörte und spürte am Tage immer das Getrampel der Fußballspieler, aber er ließ sich durch nichts mehr einschüchtern, er wollte unbedingt nach oben, da gab es kein wenn und aber, da war sein imposanter instinktiver Trieb, sein gewaltiger in den Wurzeln vorgegebener Drang einer jeden Zelle zur optimalen Lebensentfaltung zu gelangen. So hämmerte Pianders mit seinem zarten Köpfchen immer und immer wieder so lange gegen den harten Asphalt, bis dieser aufsplitterte und zerbrach.
Jetzt konnte Pianders durch ihn hindurchwachsen, um seine Blätter und Blüten zu entfalten, so streckte er allmählich seine Knospe aus dem Asphalt heraus. Das war der schönste Glücksmoment seines bisherigen Existenzkampfes, das war nach so viel Anstrengung nun ein großartiger Lohn. Als Pianders zum ersten Mal die warmen, wonniglichen Sonnenstrahlen auf seinem Haupt und seiner Blätterhaut spürte, fühlte er sich wie neu geboren, alle Mühen und Entbehrungen waren vergessen, es war eine unsagbare Freude, er konnte sich so richtig entspannen und träumte vor sich hin....

Doch der Standort ist äußerst schlecht, Pianders ist inmitten eines Fußballhartplatzes, folglich rollt der Ball und trippeln die Spieler immer wieder über ihn hinweg. Pianders leidet kolossal, es ist nicht mit Worten zu beschreiben, es ist die Hölle. Immer wieder tappen sie über Pianders hinweg oder kicken ihre lederne Kugel über ihn hinüber, sie nehmen keinerlei Rücksicht, sie machen mit ihm, was sie wollen. Sie knicken Pianders so häufig um, dass er nur noch des Nachts, wenn die Sterne freundlich blinzeln, seine Ruhe und Freiheit hat. Dann träumt er von der Fee, die ihn hier herausholt und wegträgt zu seinesgleichen in einen von der Natur für ihn vorgesehenen Lebensbereich, in dem die vollkommene Harmonie durch das verständnisvolle Zartgefühl in der Einigkeit und Sympathie unter der uneingeschränkten Machtfülle unsterblicher Liebe regiert. Dort will er sein, wo man ihn liebt und braucht um aufzublühen und gen Himmel zu sprießen, als Augenschmaus und Seelenoase für Generationen von Menschen, den Eichhörnchen, Eichelhähern und Schmetterlingen als ideales Wirtshaus untervermietet, und seinen Blütenstaub verstreuen über das ganze Land.
Sie wird kommen, sie wird kommen, die Vögel zwitschern es Pianders eifrig zu, sein Glaube macht ihn stark, er läßt ihn hoffen, und dadurch bekommt er die Kraft, die Unerträglichkeiten des harten Alltags auf dem für alle Pflanzen unangebrachten Terrain, wo sie ihn rücksichtslos zertrampeln und umknicken, zu überleben.

Die Spieler kommen seltener, Einsamkeit umkreist Pianders, Herbststürme ziehen auf, nur die Regentropfen leisten ihm noch Gesellschaft. Es wird kälter, Schneeflocken bedecken Pianders bis es ganz dunkel wird um ihn herum, "Ist da noch jemand," denkt Pianders und schwebt hinüber in Morpheus Regenbogentraumgefilde.

Ausgelassene Kinderschreie, fröhliches Vogelgezwitscher, warme Sonnenstrahlen, ein farbenprächtig schillerndes Pflanzenmeer, Frieden herrscht über dem Land. “Träume ich?”, überlegt Pianders überrascht und voller Freude. Ein alter Mann lächelt als er zu seiner Frau spricht:"Schau mal Schatz, dieses wunderschöne Bäumchen, wer hat uns das hierhergepflanzt?
Pianders hat es geschafft, all seine Visionen, die er nie aufgeben hat, sind nun in Erfüllung gegangen. Er wiegt sich frohgesinnt und zufrieden in den sanften Sommerwinden seiner wahren Heimstätte hin und her. Das Gefühl der Unendlichkeit des klaren, blauen Himmelmeeres umschließt ihn. “Oh, sie ist so tadellos, diese idylische Welt meiner Blütengeschwister!” jubelt Pianders, in einen jungen Baum verwandelt, überglücklich. Seine Wurzeln suchen sich ihren Weg durch den frischen Erdboden und seine Blätter treiben zahllos der goldenen Sonne entgegen, die ihren Lauf über ihm vollendet, während er sich in die Höhe reckt. Seine Äste und Zweige sind voller Leben, Käfer, Schmetterlinge, Vögel fühlen sich in und auf ihnen gänzlich zu Hause. Verliebte Paare finden in seinem Schatten einen gönnerhaften Ankerort und nuscheln und kuscheln in Gefühlen voller Hochstimmung und Heiterkeit.

In der Abenddämmerung scheint der Mann im Mond,
mit der Sphärenmusik aller Sterne und sämtlicher Lichtgeister der Nacht, uns allen ein liebliches Schlummerlied zu singen:

“Dies ist das Wundermärchen über die treibende Kraft,
durch unbeugsamen Willen hat Pianders es geschafft,
und ist Dein Los auch noch so schwer
gib niemals auf, setz' Dich zur Wehr,
ja, glaub an Dich, kämpf wie ein Stier,
verzweifle keinesfalls an Dir,
dann bewahrheitet sich der alte Spruch,
den man liest in so manchem Märchenbuch:
- Immer wenn Du meinst es geht nicht mehr,
kommt von irgendwo ein Lichtlein her! -
Das Licht kommt aus der Dunkelheit
Und wandelt sich zum Zauberkleid,
ja selbst in finstrer, toter Nacht
ist da ein Stern, der Dich anlacht,
so laß den lichten Sternenschein
auch in Dein Menschenherz hinein
und das Geheimnis, das dahinter steckt,
wird mittels eines Traumes Wunsch erweckt.”
 
N

nachtlichter

Gast
Niemals aufgeben

Salve agonius,

das ist eine sehr schöne, mutmachende Geschichte.

"Und trotzdem weiter, nicht resignieren, das Gras sprengt den Beton, wir werden nicht verlieren ..."
Das kam mir gerade in den Sinn, ist ein Stück Lied, bestimmt schon über 25 Jahre alt...

nachtlichter
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(Solange noch eine kleine Kerze brennt, ein Stern funkelt, ein Glühwürmchen leuchtet, der Mond sich nicht ganz hinter Wolken versteckt, ist die Nacht nicht völlig finster ...)
 

agonius

Mitglied
Vielen Dank Regina fürs Lesen und Lob!
Was für einen wunderschönen Namen Du hast mit dem muß man ja geradezu erlesen versen können!
Das Lied kenne ich leider nicht, von wem ist es?

Mit Herzensgruß
agonius
 
N

nachtlichter

Gast
Hallo Jürgen,

Nomen ist nicht immer Omen, aber manchmal paßt es,
zumal mir das Schmieden von Versen Freude bereitet.

"Und trotzdem weiter..." ist von Ape, Beck und Brinkmann - die Jungs habe ich Anfang der 80er Jahre ein paar Mal live erlebt, sie waren sehr friedensbewegt und setzten sich für den Tier- und Umweltschutz ein.

Dir wünsche ich einen sonnigen Donnerstag - nicht zu viel Hitze von außen, dafür aber um so mehr Sonne von innen.

Liebe Grüße

Regina
 



 
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