Pitsch und Plumps

Kayl

Mitglied
Für Kinder von 6 bis 12.
Pitsch und Plumps


Weit oben, wo der himmlische Maler den breiten Pinsel mit viel blauer Farbe geschwungen hat, wo fleißige Engel weiße Flockenberge so weit schieben wie du sehen kannst, dort oben sieh einmal ganz genau hin. In so einer Wolke, wo es aussieht wie an einem nebligen Herbstmorgen, entdeckst du einen winzigen Punkt. Bist du sicher, ihn im Flockenberg nicht mehr aus den Augen zu verlieren, findest du einen zweiten Punkt. Das sind Pitsch und Plumps, zwei Regentropfen, die fest entschlossen sind, die Erde zu besuchen, auf Entdeckungsreise zu gehen und als Krönung ihrer Abenteuer in einem lieblichen Tal ein murmelnder Bach zu werden und schließlich ein See.
„Wie sollen wir aber zur Erde kommen?“, fragte Pitsch, „sieh mal die winzigen Häuschen da unten, die Straßen, die Felder und Wälder. Wir schweben doch himmelhoch darüber.“
„Nichts einfacher als das!“, entgegnete Plumps. „Wir machen es wie alle anderen Regentropfen und lassen uns einfach fallen.“
„Nun gut“, sagte Pitsch, „wenn es so einfach geht, ab in die Tiefe!“ Und damit sausten sie immer tiefer, durchquerten einige Wolken und freuten sich, dass sie der Erde immer näher kamen und die Häuschen da unten allmählich größer wurden.
„Warum wird es plötzlich so kalt?“, fragte Pitsch. „Das ist ja nicht zum Aushalten! Ich habe doch nichts Warmes zum Anziehen.“ Sie fielen durch eine dunkle Wolke. Auch Plumps merkte, dass es immer kälter wurde. „Das gefällt mir garnicht!“ rief er Pitsch zu. „Das habe ich mir ganz anders vorgestellt.
Du, Pitsch, ich nehme einen anderen Weg!“
„Das kannst du doch nicht machen!“, rief Pitsch erschreckt. „Wir wollen doch ein Bach werden und dann ein See. Wie sollen wir das anstellen, wenn wir uns verlieren und uns nicht gegenseitig helfen können?“
Aber Plumps ließ sich nicht beirren. „Auf Wiedersehen, Pitsch.“ Ihm wurde es zu kalt, und er verschwand in einem milden Wirbelwind, der ihn weit davontrug.
Pitschelchen, nun bist du allein. Und dazu noch die Kälte, die immer schlimmer wurde. Brrrr, Pitsch konnte gar nicht so schnell zittern wie er fror. Doch schließlich konnte er sich nicht mehr rühren, wurde steif und steifer, bis er zu einer kleinen Eiskugel wurde.
Als Hagelkorn fiel Pitsch auf die Erde herunter und schlug hart auf einen Dachziegel, dass er fast auseinander gebrochen wäre. Er hüpfte das Dach hinunter, machte einen gewaltigen Satz und landete in ... Wo Pitsch landete, konnte er nicht erkennen, er sah nichts mehr. Es war aber angenehm warm und weich.
Eine Familie war bei einer Wanderung im Schwarzwald vom Hagelschauer überrascht worden. Gerade noch rechtzeitig erreichten die Eltern mit zwei Mädchen eine Schutzhütte. Einem Mädchen aber, das als letztes unters Dach schlüpfte, prasselten die Hagelkörner noch ordentlich auf Haare und Anorak. „Warum hast du die Kapuze nicht aufgesetzt?“, schimpfte die Mutter, „jetzt ist sie voller Hagelkörner!“ Das Kind musste zurück zum Eingang, wo es den Anorak auszog, um die Hagelkörner auszuschütteln. Aber vorher wollte es doch eine dieser schimmernden Kugeln genauer betrachten. Es nahm eine in die Hand und besah sie von allen Seiten, bevor das Mädchen sie zu den anderen ins Gras warf.
Es konnte ja nicht ahnen, dass es auch umgekehrt aufmerksam von Pitsch beäugt wurde. Hätte er sich nicht gemütlich in diesen wuscheligen Haaren wärmen können? Wie gern hätte er in einem dieser zwei goldenen Ringe geschaukelt, die rechts und links unter den Haaren hervorsahen. Ein Ring für mich, einer für Plumps, dachte er noch, aber sein Freund war vielleicht schon über alle Berge. Ja, und dieser kuschelige Anorak, wo wir uns hätten verstecken können! Aber da lag Pitsch schon im Gras. Armer Pitsch, nichts war’s mit Wärmen, Schaukeln oder Verstecken.
Draußen vor der Hütte blieb er in den Grashalmen hängen. Zum Glück schien später die Sonne. Ihm wurde angenehm warm. Je länger sie aber schien, umso heißer wurde ihm. Er geriet so ins Schwitzen, dass er sich ganz auflöste, als Tropfen den Halm hinunter kroch, und mit anderen geschmolzenen Hagelkörnern in einem kleinen Rinnsal im Zickzack durch die Grasbüschel bergab floss, bis er einen Bach erreichte.
Hinein ging’s in den Bach, und weiter durch Wiesen und Weiden das Tal hinab, vorbei an einem Gasthof, wo auch ein Steg über den Bach führte. Die kleine Brücke kam immer näher. Sieh einmal!, auf der Brücke standen die zwei Mädchen und warfen Steinchen in den Bach. „Wer am weitesten wirft, hat gewonnen.“ „Nein, wer am lautesten plumpst, hat gewonnen.“ Pitsch aber war nur besorgt, von einem Stein getroffen zu werden. Er tauchte deshalb etwas tiefer, und ehe die Schwestern sich geeinigt hatten, war er unter der Brücke hindurch.
Hier unten am Grund des Bachs traf er Papa Krebs, der still zwischen den Steinen saß und seine langen Fühler schwenkte. „Papa Krebs, hast du vielleicht Plumps gesehen?“ Pitsch hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, Plumps doch noch wiederzufinden. „Liebes kleines Tröpfchen“, murmelte Papa Krebs, „ich sehe täglich viele viele andere Tropfen, da kann ich unmöglich auf deinen Freund Plumps achten.“ Pitsch fragte Mama Forelle: „Mama Forelle, hast du Plumps gesehen?“ Mama Forelle machte ein rundes Mäulchen und überlegte. „Nein, soweit ich mich recht entsinne, habe ich Plumps nicht gesehen.“ Er fragte die Ententante, die kopfüber am Grund Wasserpflanzen erntete: „Ententante, hast du Plumps gesehen?“ Ententante wackelte mit dem Schwanz und antwortete: „Ich habe doch meistens meine Augen über Wasser, da würde ich deinen Freund kaum entdecken.“ Schließlich blieb noch Opa Frosch. „Opa Frosch, hast du Plumps gesehen?“ Opa Frosch machte abwechselnd seine großen Kulleraugen auf und zu und antwortete: „Auf was was was was soll ich denn noch noch noch auf auf aufpassen?“
Pitsch war traurig und ließ sich lustlos treiben.

Plumps wunderte sich, wie hoch und wie weit er getragen wurde. Tief unter sich sah er zwischen den Wolken schneebedeckte Berge, blaue Seen und tiefe Täler. So weit weg von Pitsch war ihm nicht ganz wohl, aber er konnte sich nicht mehr vorstellen, Pitsch eines Tages wiederzusehen.
Nach einer Reise, die ihm endlos schien, schwebte er auf lauer Luft aus Pinien- und Wacholderduft hinunter ins Gras, plätscherte mit tausenden anderer Tropfen einen Berg hinab, wo aus anderen Tälern mehr und mehr Bächlein zusammenkamen. Als großer Fluss durchquerten sie die alte, ehrwürdige Stadt auf den sieben Hügeln, die Rom heißt.
Am Ufer des Tiber hatte der Kunstmaler Professor Kleckerfein ein schattiges Plätzchen gefunden, von dem er einen herrlichen Blick auf Rom hatte. Er wollte ein Bild malen, ein Bild mit Wasserfarben. Er klappte Tisch und Stühlchen auseinander, spannte das Papier auf, kramte die Farben aus dem Koffer - und ärgerte sich über seine Vergesslichkeit. „Zum Donnerkeil! Seit es diese Stadt gibt, hat es wohl keinen Professor gegeben, der vergesslicher war als ich!“, schimpfte er. Er hatte vergessen, die Wasserflasche im Hotel zu füllen. Aber ein Professor kann praktisch sein. Er kraxelte mit der Flasche zum Tiber hinunter und füllte sie mit Tiberwasser.
Nein, was es doch für glückliche Zufälle gibt! Plumps fand sich in der Flasche wieder. Was musste dem armen Plumps noch alles passieren? Erst die weite Reise, dann eingeschlossen in eine Flasche, und nun tunkte Professor Kleckerfein zu allem Überfluss auch noch seine Pinsel hinein. Er schwenkte die Farben aus, dass Plumps von allen Regenbogenfarben umnebelt wurde, und der Professor rührte und rührte, dass ihm ganz schwindlig wurde.
Am Nachmittag war das Bild fertig. Professor Kleckerfein war sehr zufrieden mit seiner Ansicht Roms. Es sollte sein letztes Bild aus Italien sein. Er schraubte die Wasserflasche zu, packte seine Siebensachen und begab sich ins Hotel, wo er seine erfolgreiche Italienreise mit einer großen Pizza feierte und mit fünf Gläschen Orangensaft begoss.
Professor Kleckerfein hätte vor der Abreise die Wasserflasche ausleeren können. Aber nach der scharfen Pizza und dem Orangensaft grummelte sein Bauch so sehr, dass er nicht mehr an die Wasserflasche dachte. Außerdem war er Professor, und wie wir gesehen haben, dürfen die ab und zu was vergessen.
So kam es, dass Plumps nicht in Italien blieb, sondern zurück nach Norden reiste.
Von Rom nach Hamburg ist es zu weit für eine Tagesreise. Professor Kleckerfein übernachtete in einem Gasthof im Schwarzwald. Weil aber die Landschaft hier auch sehr schön ist wie in Italien, marschierte er am nächsten Morgen nach dem Frühstück mit Papier, Farben und Pinseln das Tal hinauf, den Bach entlang bis zu einer Schutzhütte, wo er seinen Koffer ablegen konnte und wo er einen schönen Blick ins Tal hatte. Er klappte Tisch und Stühlchen auseinander, spannte einen neuen Bogen Papier auf, kramte die Farben aus dem Koffer und stieß auf die noch immer gefüllte, von Farbresten trübe Wasserflasche.
„Zum Donnerkeil“, schimpfte er wieder, „endlich weg damit!“ Er ging zum Bach hinunter, schüttete sie aus und füllte sie aufs neue.
„Wer kommt denn da angeschwommen?“, staunte Papa Krebs, „das ist doch Plumps, und Pitsch hat ihn gesucht. He, Plumps!“, rief Papa Krebs, „Pitsch hat nach dir gefragt.“ Aber Plumps hörte es nicht mehr. Er freute sich so, der engen Flasche entronnen zu sein, dass er munter und eilig den Bach hinunter schwamm. Mama Forelle war damit beschäftigt, ihre Kinderschar beisammen zu halten, und sah Plumps nicht. Opa Frosch aber riss beide Kulleraugen auf. „Na na na na sowas, da da da da ist ja Plumps. Hallo, hallo, hier ist schon schon schon Pitsch vorbeigeschwommen.“ Opa Frosch quakte noch ein paarmal laut, aber Plumps war schon längst vorbei.

Pitsch war inzwischen missmutig den Bach hinunter getrieben, bis - was war denn das? Ging es da vorn nicht weiter? Ehe Pitsch erkannt hatte, was dort auf ihn zukam, war er mit Schwung einen Wasserfall hinunter geschossen. Unten wirbelte und sprudelte alles durcheinander, dass Pitsch nicht mehr wusste, was unten und oben war.
Im Nu hing Pitsch über dem Strudel an einem Zweig, wo er endlich zur Ruhe kam, wenn auch die Äste etwas schwankten. Die Sonne kam hinter den Wolken hervor. Er glitzerte wie ein Edelstein und funkelte in allen Farben. „Seht her“, rief Pitsch, „was aus einem unscheinbaren Wassertropfen werden kann!“ Er war mächtig stolz und hatte seinen Kummer fast vergessen.
Plötzlich hörte Pitsch eine bekannte Stimme: „Hallo, du funkelndes Etwas da oben, habe ich dich endlich wiedergefunden?“ Es war doch tatsächlich Plumps, der aus dem Strudel zu ihm empor rief. „Komm herunter und lass dich umarmen!“ Das ließ sich Pitsch nicht zweimal sagen, denn auch er freute sich riesig, seinen Freund wiederzusehen. Er ließ sich vom Zweig herunterfallen, tauchte mit einem Platsch ins Wasser, und dann umarmten sie sich so herzlich, dass die beiden Tropfen kaum mehr zu unterscheiden waren.
„Komm, wir schwimmen weiter. Ich bin doch neugierig, was noch alles kommt.“ Zu zweit machte es doch viel mehr Spaß, das Tal hinunter zu schwimmen.
Der Bach, der anfangs munter daher floss, wurde immer langsamer. Er verteilte sich im Schilf, umfloss kleine Inseln und ergoss sich am Ende in einen See. Kleine Häuschen standen am Ufer, Kähne und Segelboote schaukelten auf den Wellen.
„Weißt du noch,“ sagte Plumps zu Pitsch, „als wir noch hoch oben in den Wolken waren, haben wir uns gewünscht, ein Bach zu werden und dann ein See. Aber wir zwei sind ja so winzig, dass wir nie einen Bach zustande gebracht hätten, und erst recht keinen See! Sieh mal, um uns sind Millionen anderer Tropfen. Erst alle zusammen werden ein Bach. Und Millionen Millionen Tropfen werden ein See. Pitsch, wer hätte das gedacht, als wir noch in unserer Wolke schwebten!“
„Ja, richtig“, sagte Pitsch, „man lernt nie aus. Wir sind doch schlaue Tröpfelchen geworden.“ Beide kicherten, dass es kleine Wellen auf dem See gab.
Kinder kamen ans Ufer und sprangen in den See. Sie tobten im Wasser und lachten, dass man es am anderen Ufer noch hätte hören können. Sie spritzten mit dem Wasser, dass tausende von Perlen in der Sonne glitzerten. Wollen wir wetten? Zwei von den glitzernden Perlen waren Pitsch und Plumps.
 



 
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