Pläne

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sohalt

Mitglied
Ich habe einen Plan vom Leben. Was heißt da „einen“! Ich habe sogar zwei.

Plan A:
Ich studiere Wirtschaftspädagogik fertig, sammle die vorgeschriebene Berufserfahrung in der betrieblichen Praxis und werde dann Lehrerin. Meine sinnvolle Tätigkeit, meine erfüllende Paarbeziehung, meine aufgeweckten Kinder, mein bunter Freundeskreis und meine zahlreichen Hobbies trösten mich locker darüber hinweg, dass ich dann in der Gesellschaft keine Achtung genieße, so gut wie keine Aufstiegschancen habe und so berauschend viel auch wieder nicht verdiene. Durch den ständigen Umgang mit jungen Menschen bleibe ich bis ins hohe Alter geistig rege und verscheide friedlich nach einem erfüllten Leben im Kreise meiner Lieben, betrauert auch von unzähligen Ex-Schülern, die sich in nostalgischen Stunden gerne an mich zurückerinnern. „Weißt du noch, die alte...? Ein zacher Knochen, aber gelernt hat man was bei ihr!“

Plan A scheitert vermutlich daran, dass das Lehrer-Dasein nicht annähernd so beschaulich ist wie ich mir das in holder Realitätsverleugnung gerne ausmale, des weiteren an der Utopie einer erfüllenden Paarbeziehung und daran, dass ich gar keine Hobbies habe. Der Aquarell-Kurs in der Toskana ist zwar idyllisch, erweist sich aber aufgrund meiner allzu schnell offensichtlichen Talentlosigkeit als wenig befriedigend und so treiben mich unausgelebter Geltungsdrang und verzweifelt ausgegrabene Überreste verschütteter Kreativität in die Fänge von Book on Demand und Selbstkostenzuschussverlagen. Schließlich gebe ich einen Gedichtband im Selbstverlag heraus, muss nach dem Absatz von 10 Exemplaren im Bekanntenkreis die gesamte Auflage aufkaufen, um sie vor der Zerschredderung zu retten und schenke bis zur Pension jedem meiner Schüler ein Exemplar davon zur Matura. Die Früchte meines Schoßes, als Lehrerkinder fürs Leben gezeichnet, suchen so bald wie möglich das Weite, nicht ohne sich zuvor mit 15 schwängern oder beim Drogen Dealen erwischen zu lassen. (Beides auf unserem Schulhof natürlich, damit das Konferenzzimmer auch was davon hat). Mein Mann, auch Lehrer, verlässt mich für eine Kollegin, die beiden bringen den gesamten Lehrkörper auf ihre Seite, was meinen bunten Freundeskreis schlagartig empfindlich dezimiert. Oder ich finde gleich gar keinen Mann.
Jedenfalls ende ich dann, nachdem sich die Abstände zwischen meinen Nervenzusammenbrüchen, in denen ich meine Schüler zusammenschreie und dann heulend aus der Klasse stürme, auf Wochen verringert haben und sich zu viele Eltern über mich beschwert haben, weil ich den Rechnungswesenunterricht zweckentfremde, um ihre Kinder zur Lehre meines neuen Gurus zu bekehren, in der burn-out-bedingten Frühpension und in einer schäbigen, kleinen Wohnung, in der ich nach dem finalen Herzinfarkt wochenlang unbemerkt vor mich hin rotte, bis ich schließlich von meinen Katzen gefressen werde.

Aber es gibt ja noch Plan B.

Plan B:
Ich steige im zweiten Abschnitt um auf Betriebswirtschaftslehre, reiße mir den Arsch auf für Zusatzqualifikationen und ausbeuterische Praktika, re-invente mein Ich als Marke, trage meine Haut zu Markte, bis man schließlich gar nicht anders kann, als sich um mich zu reißen. (Bisschen viel reißen in dem Plan, na ja). Jedenfalls mache ich dann irgendwo die große Karriere (dieser Teil ist zugegeben noch etwas vage, aber der Plan ist eben noch nicht so ausgereift) und verdiene ganz viel Geld. Von dem Geld halte ich mir ein vielversprechendes, aber noch sträflich verkanntes, daher bettelarmes, junges Talent, einen Künstler, Maler, Musiker, vielleicht auch Schriftsteller aus, der dann stellvertretend all die Rebellion und den Schöpfungsdrang ausleben darf und auch sonst noch so einiges, zu dem ich beim Erklimmen der Karriere-Leiter nicht gekommen bin. Auf diese Art habe ich nicht nur im fortgeschrittenem Alter (denn bis man an die wirklich große Kohle rankommt, dauert das natürlich ein wenig) einen jugendlichen Liebhaber, sondern auch das schöne Gefühl, die Künste zu fördern und der Welt auf diese Weise etwas Wertvolles zu schenken. Ich kriege also Geld, Macht und Sex und über Umwege auch noch Ruhm, zumindest den Abglanz davon.

Plan B scheitert daran, dass ich einfach nicht tough genug bin für das Haifischbecken der High-Potentials (Ob ich dann allerdings tough genug wäre für eine Klasse pubertierender Handelschüler ist die andere Frage) und nie genug Geld verdienen werde, um dem vielversprechenden jungen Talent ein Leben in Luxus zu bieten. Aber vielleicht findet sich auch irgendwo ein junges Talent in der Gosse; da reicht es dann, wenn ich ein Dach über dem Kopf und Verpflegung biete und das geht sich dann eventuell sogar mit dem Lehrerinnen-Gehalt aus.

Mein junger Künstler wird mich selbstredend nur wegen des Geldes nehmen, worüber ich mir keinen Augenblick der Täuschung hingegeben werde. (Oder doch? Ich sollte vielleicht auf Schauspieler umschwenken.) Er wird mich verachten, weil ich mich darauf einlasse, und weil ich alt und beschränkt sein werde, ich werde ihn verachten, weil er von mir abhängig sein wird. Wir werden so die wunderschönste Hassliebe heranzüchten und schließlich wird er mich in einem leidenschaftlichen Befreiungsschlag ermorden. Oder ich ihn. Ich ende dann wahlweise mit 20 Messerstichen in der Brust oder nach dem gescheiterten Versuch, meine lästige Zellengenossin zu erdrosseln, in Einzelhaft und geistiger Umnachtung.

Plan B ist nicht nur bei aller Erbärmlichkeit doch einen Tick glamouröser, sondern hat auch den unstreitbaren Vorteil, dass ich daran gehindert werde, im Selbstverlag meine Gedichte herauszugeben.
 

petrasmiles

Mitglied
Ich liebe diesen Text. Ich habe Tränen gelacht. Auweia. Eigentlich sollte ich ja hier keine einfachen nichtlektorischen Gefall-Äußerungen machen, aber bitte, bitte, lass Dir Plan C einfallen :) (Geht das als den Text fördernde Kritik durch ;-) ich hoffe, ja.)
P., hingerissen
 



 
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