Polen zu Besuch

Polen zu Besuch

Die Pressefritzen schrieben wat von einem furchtbaren „Tornado“, der plötzlich über Bassenhausen hinweggefegt wäre, von Schäden in Milliardenhöhe und totalem Ernteausfall. Natürlich war dat wieder voll übertrieben.

Ich fuhr am nächsten Tag mit dem Jagdhüter durch dat Revier, um die Schäden anne jagdlichen Einrichtungen inne Augen zu nehmen.
Ich machte en paar Aufnahmen vonne verwüsteten Landschaft, damit ich meiner Berta beweisen konnte, in wat für ne kolossale Gefahr ich geschwebt hab.

Für die Wiederherstellung vonne Hochsitze kalkulierte ich ma so sieben Arbeitstage ein. Aber wie sollte ich dat bei die viele Maloche in meiner Klempnerklitsche hinkriegen? Berta würde mir zu Recht die Leviten lesen, wenn ich ne ganze Woche inne Jagd abhauen würde.
Der hiesige Förster hatte inzwischen Waldarbeiter rausgeschickt, um die Wege wieder flott zu machen. Wir stießen auf eine von seine Arbeitskolonnen. Die Arbeiter redeten Polnisch. Dat waren so Gelegenheitsarbeiter, die hier für ganz „Kleinet“ schufteten.
Wir gingen auf einen der Männer zu, der wohl dat Sagen hatte. Dat erkannte ich daran, dass er als einziger die Hände inne Hosentaschen vergraben hatte. Ich haute ihn an. „Waidmannsheil, ich bin der Willi, bin hier Jäger. Hömma, Kumpel, sprichse son bissken Deutsch?“
„Tak, darzbor, kolego, (Ja, Waidmannsheil, Kollege) sachte er, „meine Eltern Deutsch. Wir aus Ostpreußen kommen. Ich bin Marek.“ Wir schüttelten uns überaus herzlich und lange die Flossen. Dabei kam mir plötzlich ne tolle Idee.
„Sach ma, Marek, wie lange macht ihr hier noch Rabotti? Ich könnte zwei, drei Männer für die Reparaturen an meine Hochsitze gebrauchen. Mit Mottek und Säge könnt Ihr ja prima umgehn. Der Sturm hat uns en paar Hochsitze zerdeppert. Habt ihr schon ma Kanzeln gebaut?“
Marek strahlte. „Willi, dobrze, wir hier, um Geld zu verdienen. In Polen wir arbeiten oft für Jagd. Ich auch Mysliwi, (Jäger). Wir in die Masuren haben große Reviere, zehn- zwanzigtausend Hektar. Mit viel Jelen kapitalny, also viel gut Hirsch und viel Dzik, schwarze Schweine. Nach Feierabend und am Wochenende wir kommen gerne für Stundenlohn acht Euro. Wenn einverstanden, wir machen Arbeit und bauen Ambona (Hochsitz).“
Dat hörte ich gerne. „Marek“, sachte ich, „ich zahl Euch 8,50 Euro die Stunde, und nach Feierabend kommze mit Deine Leute anne Jagdhütte. Kuck ma, die Hütte kannze von hier aus sehn. Dann fahren wir raus und zeig Euch die beschädigten – wie hasse gesacht? Ambonas?“
„Dobry, wir kommen nach Feierabend.“
Ich mach et kurz.
Förster Krause sagte uns, wo Stangen geschlagen werden konnten und ich besorgte im Baumarkt Ondolineplatten für die Kanzeldächer.
Um siebzehn Uhr standen drei Polen mit Kettensägen vor der Hütte. Wir fuhren direkt los. Ich brauchte den Arbeitern überhaupt nix sagen, die wussten sofort, wat Ambach war.
Ich hab se ne Weile beim Stangenschlagen beobachtet und nich schlecht gestaunt: Obwohl die Sonne noch vom Himmel knallte, hauten die rein, als hätten se den Deubel im Nacken. Die Kerle verstanden ihr Handwerk. Dat war en eingespieltet Team.
Ich versorgte sie mit alkoholfreien Getränken und lude se zum Abendessen inne Dorfpinte ein.
Vier Tage später standen unsere Leitern und Kanzeln. Die waren sogar noch besser als die alten. Und weil allet so gut geklappt hatte, hab ich die Männer für Samstagabend eingeladen. Anne Jagdhütte wollte ich mich mit polnischer Hausmannskost für ihren Fleiß bedanken. Dafür brauchte ich natürlich Unterstützung von meiner Frau Ehegattin.
„Berta, übermorgen benötige ich Deine Hilfe, die polnischen Forstarbeiter wollen mit uns dat Ende vonne Arbeiten feiern. Insgesamt werden wir zwölf Leute sein. Ich hab auch en paar Leute aussem Dorf eingeladen. Kuck ma, ob Du polnische Rezepte inne Schublade rumfliegen hass.“ Da war wohl en Wort zuviel in meinem Satz .
„Willi, merk Dir dat ma, bei mir fliegt nix inne Schubladen rum! Aber Du, schreib Dir dat gut hinter die Löffel, Du biss die wandelnde Unordnung. Die Jagdhütte und Dein Schreibtisch wären ein einziger Müllhaufen, wenn Du mich nich hättest. Ordnungsliebe iss en Fremdwort für Dich! Und noch wat: Herr Püttmann lädt groß ein, und seine blöde Alte hat wieder die Arbeit. Typisch Mann!“
Musste Berta wegen sonne Bagatelle so auf mir rumhacken?
„Bertaken, sei doch nich immer gleich so kiebig, wenn ich mich ma verbellen tu, lass uns friedlich miteinander umgehn, ich lieb Dich doch, mein Rehlein.
Bertamäuschen, hömma gut zu, ich erzähl Dir jetz ma wat über den Umgang mit Osteuropäern:
Man muss bei die Einladungen von ausländischen Gästen immer deren Landessitten und Essgewohnheiten beachten. Dat iss en Akt der Höflichkeit. Dat weiß ich noch von meine polnischen Kollegen im Pütt. Die Polen sind, im Gegensatz zu uns, en äußerst gastfreundlichet Volk, und dat nich ohne Grund. Die benutzen noch heute den Spruch: ‚Gast im Haus, Gott im Haus’, wat soviel ausdrücken tut, en Gast mit dat Beste zu bewirten, wat Keller und Kühlschrank zu bieten haben.“
Berta kuckte mich fragend an: „Wat weiß ich denn, wat die Polen gerne mampfen? Ich war doch noch nie in Polen.“
„Bertalein, wat meinze wohl, wofür et Kochbücher gibt? Du hass doch jede Menge davon im Schrank stehn, peil da ma rein.“
Berta drehte sich ruckartig um und verschwand inne Küche. Nach ner Stunde kam se freudestrahlend inne Werkstatt gedüst:
„Willi!“, rief se, „ich hab wat Landesypischet im Kochbuch von unser Oma gefunden! Inne Masuren isst man den Jäger-Bigos, den mach ich Euch. Wenn ich dat bis morgen fertig haben soll, musse mir aber noch son bissken zur Hand gehn.“
„Berta, Du biss en Schatz, komm kriss Küsschen.“ Ich schnappte se mir und drückte se an mich. Sie schlug mich nich ab, sie duldete meine rührigen Hände. Die Koserei ging unerwartet schnell in leichte Erregung über. Sie schloss die Augen, und wir schnäbelten wie in alten Zeiten. Endlich kriegte ich ma wieder en echten Kuss, so mit Schmackes, also mit allem drum und dran, wenn Se dat verstehn tun. Ich kam gerade hormonell in Wallung, da trat Berta auffe Bremse:
„Willi, lass gut sein, heb Dir die Gefühle für heute Abend auf. Fahr jetz schnell zum Markt und besorg mir bis Mittag en Kilo Waldpilze. Nimm Dir besser en Zettel mit, Du behälts die vielen Teile doch nich im Kopp!
Also, noch ma zum Mitschreiben: 2 Kilo Waldpilze, 2 Pfund Speck, 2 Kilo Räucherwurst, 2 Kilo Schweinebauch ohne Schwarte und 3 Kilo Sauerkraut. Alle anderen Zutaten hab ich im Haus. Nun beeil Dich, ich will dat Essen heute Nachmittag vorbereiten. Und mach en Bogen um Deine Stammkneipe!“

Et war Samstagabend. Punkt achtzehn Uhr trudelten die Gäste ein. Als Gastgeschenk rollten die polnischen Arbeiter drei Fichtenstämme auf den Jagdbetriebshof. Ich kannte die Dinger als „Schwedenfeuer“. Kennen Se nich? Man nennt die auch „Sibirische Baumfackeln“. Die Stämme sind gut en Meter lang und sind an vier Stellen bis zur Mitte eingeschnitten. Inne Dämmerung werden die von innen angezündet und man hat ruckzuck ne romantische Lichtquelle, die auch angenehm wärmen und heimelig knistern tut.

Wie gesacht, ich hatte nicht nur die polnischen Waldarbeiter zum Schüsseltreiben eingeladen, nee, auch Förster Krause, den Jagdjüter, den Bürgermeister, alle mit Ehepartner und natürlich auch dat liebeshungrige Else, dat war ja Ehrensache.
Den ewig scharfen Schweinjupp hatte ich bewusst nich eingeladen von wegen meine Berta! Ich konnte seine verdammten Handküsse und die Ableckerei nich mehr ertragen.
Wodka, Bier und eingelegte polnische Gurken standen zum Vorglühn und Appetitanregen parat. Die Polen sollten sich bei uns wohlfühlen. Taten se auch.
Berta verblüffte uns alle, als se die Polen in ihrer Heimatsprache begrüßen tat. „Dzine dobry! Nazywam sie - Berta“, stellte sie sich vor. Dat war ne echte Überraschung. Ich kriegte den Äser nich mehr zu.
Berta hatte sich heimlich en Reisewörterbuch gekauft und die wichtigsten Redewendungen auswendig gelernt.
Die Polen peilten erst ungläubig, dann aber lobten sie meine Berta überschwänglich. Dat Eis war gebrochen. Als dann noch ihr Heimatgericht aufgetischt wurde, waren die Männer völlig aussem Häuschen.
Auch den deutschen Gästen schmeckte dat Essen. Et war wirklich köstlich. Der Bürgermeister schnabulierte wie en halb Verhungerter und leckte sich mehrfach die Finger ab. Berta strahlte.

Meine Verehrerin Else hatte unentwegt ihrem heißen Blick auf mich gerichtet. Dat war schon echt peinlich. Hoffentlich merkte Berta nix von die Anmache. Ich kuckte einfach weg und setzte mich demonstrativ aus ihrem direkten Blickfeld.
Als dat Else merkte, dat ich se nich beachten wollte, rutschte se dem Marek auffe Pelle
Du liebe Zeit! Die kroch dem ja fast auffen Schoß und himmelte ihn wie bekloppt an. Die war ja völlig auße Spur. Bäh, wat hatte die en fiesen Charakter. Die Frau liebte mich angeblich! Hoffentlich schielte se nich gleich wieder und kriegte Schaum vorm Mund. Glaubte dat Weib etwa, dat se mich mit so Sperensken eifersüchtig machen konnte? Da hatte se sich aber geschnitten.

Ihre plötzliche Hingabe Richtung Polen war jedoch der deutsch-polnischen Freundschaft äußerst förderlich. Dat gehörte nämlich auch zu osteuropäischer Sitte und Höflichkeit, den männlichen Gästen ne nette Tischdame anzubieten. Wir waren also auch in dieser Hinsicht perfekte Gastgeber.
Ich schaute nach ner guten Stunde noch ma zur Else rüber. Pustekuchen, sie schielte nich und hatte auch keinen Schaum geschlagen. Also war die gar nich scharf auf den Marek, die wollte mich nur piesacken. War ich etwa eifersüchtig? Nee, nich die Spur! Na ja, wenn ich ehrlich bin, doch son klein bissken.

Wie dat bei Feiern so iss, entwickelten sich im Laufe des Abends nich, wie sonst im Dorf üblich, Prügeleien, sondern ausnahmsweise ma interessante Gespräche. Dabei erfuhren wir erstaunliche Dinge:
Der Marek war überhaupt kein gelernter Waldarbeiter, der war Elektroingenieur, der andere Kumpel, der Andrezey, war Arzt, und der dritte, der Mateusz, der war von Beruf Bankkaufmann. Übrigens, der Andrezey war auch Jäger. Alle arbeiteten im Urlaub, um in Deutschland Kohle zu machen. Von Stundenlöhnen um die acht Euro konnten se in ihrem Land nur träumen.

Es dauerte nich lange, dann erzählte Marek von seiner schönen Heimat – den Masuren: Vom Wildreichtum in riesigen Wäldern, von Seen und Alleen, natürlich auch von ihren Familien und Sorgen.
Wir prosteten uns in immer schnellerer Folge mit „na zdrowie“ zu und kamen uns menschlich näher und näher.
Zu vorgerückter Stunde luden die Männer uns für die erwiesene Gastfreundschaft in ihre Heimat ein – alle, ohne Ausnahme. Hoffentlich war dat nich der Wodka, der sie so mutig machte.
Der Marek stand plötzlich auf. Er wollte entweder einen schmettern oder wat Wichtiget sagen:
„Willi und Uli, ich Euch lade ein, eine Woche für Hirschjagd Anfang Oktober – wenn Hirsche rufen, dann Ihr kommen. Ihr schon Jelen schreien gehört? Ich gute Beziehungen in gute Reviere. Für Euch keine Unterkunft kosten, wir haben kleine Datscha am See. Nur kleine Abschussgebühr, wir alles machen ganz privat. Ihr unsere szabla nehmen, Eure Gewehre, bitteschön, zu Hause lassen. Was Ihr dazu sagen? Na zdrowie.“
Dat war natürlich en Angebot, wat ich in meinen kühnsten Träumen nich erwartet hatte. Unsicher peilte ich zu meiner Berta rüber. Die verstand meinen flehenden Dackelblick und nickte mir zu.
Mensch, dat hieße ja, dat ich ihre Einwilligung besaß! Wat hatte ich doch ein Glück mit dieser Frau! Ich drückte dem Marek die Hand. „Marek, wat heißt ‚Danke’ auf Polnisch?“
„’Dziekuje’, Willi!“
„Marek, dat iss en verdammt schweret Wort, also, viel Dziekuje, Marek, ich komme.“ Jagdaufseher Uli sagte auch spontan zu, gab ihm die Hand und strahlte, denn auch er hatte im Leben noch keinen Hirsch erlegt.
Et dämmerte. Wir stellten die drei Schwedenfeuer vor der Hütte auf und ratzfatz war „Flamme empor“. Dat Feuerchen spendete wohlige Wärme und erzeugte ne tolle Stimmung. Wat sahen denn da meine glasigen Augen?
Kuck an, der Marek umschlang dat Else, küsste se auffe Backe und flüsterte ihr wat int Ohr, allerdings so laut, dat wir allet mitkriegten sollten: Er wäre sehr glücklich verheiratet und hätte drei Kinder. Er würde als frommer Katholik Jahr für Jahr ne Wallfahrt mitmachen. Letztet Jahr wäre er zu Ostern als Kreuzträger in Bethlehem den Berg auf Golgatha raufgepilgert. Dat saß!
Dat war hammerharten Liebesmobbing. Schwupp, dat Else setzte sich einen Meter von ihm weg. Sie kuckte wie en verwirrtet Eichhörnchen, goss sich fünf Wodka hinter die Binde, lallte kurz darauf nur noch dummet Zeug, legte sich auf die Hüttenbank und schnarchte. Dat störte niemanden, scheinbar kannte man auch in Polen sowat.
Ich fand ihre Macke abscheulich. Hatte dat Else denn überhaupt keine Alarmanlagen? War dat Liebeskummer oder soff sie aus Gewohnheit?

Wenn die Stimmung steigt, pflegen die Menschen zu singen. So war dat auch an diesem Abend.
Unsere polnischen Gäste sangen mit Wodka geschwängerten Stimmen Heimatlieder von Herz und Schmerz. Na ja, dat versteht unsereins sehr gut. Wenn wir Germanen so weit von zu Hause weg sind und beispielsweise auf Mallorca weilen, dann singen wir doch auch fröhliche Rheinlieder oder mit Fuseltränen inne Augen: „Im grünen Wald …“
Gegen Mitternacht waren alle Gäste verschwunden – auch Else, sie wurde von Uli und seiner Frau int Auto gelotst und nach Hause kutschiert.

Vom Wodka und Bier war ich todmüde und wollte nur noch pennen. Berta war leider noch putzmunter und wurde augenblicklich sinnlich:
„Willi, dat war ma en wirklich gelungenen Abend, jetz kannze Deine Gefühle von heute Mittag freien Lauf lassen.“
 



 
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