Privatsache
„Was meinst du damit?“ Die Rothaarige stieg schon mit dem Handy am Ohr in den Zug. Es war Freitagnachmittag, der Vor-Ort-Zug war gut gefüllt. Vorn bei den Klappsitzen ließ eine Frauengruppe auf Wochenendausflug die Sektflasche kreisen. Auf anderen Sitzen lümmelten sich junge Männer mit unförmigen Rucksäcken in Tarnfleck auf dem Weg von der Armee ins Wochenende. Dazwischen lasen Männer und Frauen müde von der Arbeitswoche in ihren e-Book-Readern oder schrieben Nachrichten auf dem Handy, die Aktentasche zwischen die Füße geklemmt. Statt sich auf einen der noch freien Plätze zu setzen, blieb die Rothaarige in der Ziehharmonika zwischen zwei Waggons stehen. Wohl, um ungestört und ungehört telefonieren zu können.
Längere Zeit schwieg sie, so dass die anderen Fahrgäste schon vergessen hatten, dass sie telefonierte. Aber da hatte nur der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung gesprochen. „Aber so war das doch gar nicht“, protestierte die Rothaarige nun lauthals. Die Fahrgäste im näheren Umfeld blickten auf. Wohl Krise. „Ich wollte aber unbedingt unseren ersten Sommer nach dem Abi auch mit meiner besten Freundin und meiner zweitbesten Freundin verbringen. Das war mir krass wichtig nach dem Abi und mit dem Wissen, dass ich meine beste und zweitbeste Freundin, jetzt wo wir studieren, nicht mehr so oft sehen kann.“ Sie rechtfertigte sich – wohl ernste Krise.
„Aber fandest du es denn gar nicht schön?“, wollte sie jetzt von der besten Freundin am anderen Ende der Leitung wissen. Wieder Schweigen. Dann hob sie an: „Naja, war halt blöd, dass ich die einzige war, die alle kannte. Aber ich wollte eben mit meinen beiden Freundinnen den Sommer verbringen und auch mit Nico.“
Die anderen Fahrgäste wechselten die ersten Blicke. Zickenkrieg oder Liebesdrama? Schien interessant zu werden.
„Und dann war es blöd, dass ich noch meine Semesterarbeit zu Ende schreiben musste“, plapperte die Rothaarige ins Telefon. „Da habe ich mich krass verschätzt. Dadurch hatte ich ja insgesamt kaum etwas vom Urlaub“, versuchte sie zu erklären. „Und das bisschen freie Zeit wollte ich dann maximal mit Nico verbringen. Er ist so süß... und er unterstützt mich immer und motiviert mich, dass ich meine Semesterarbeiten mache und so....“ Schweigen.
„Aber das stimmt doch gar nicht, Nico und ich, wir haben doch gar nicht die ganze Zeit aufeinandergehangen und euch beiden allein gelassen. Und wir haben auch nicht jede freie Minute rumgeknutscht.“
Schief gegangener Urlaub also. Dass die Aufarbeitung erst über ein halbes Jahr später stattfand, zeigte, wie sehr er zumindest für einige Beteiligte schief gegangen war.
Jetzt legten die ersten Fahrgäste ihre Zeitschriften weg und lauschten dem Drama nebenan. Eine Frau fing an, sich die Ohren zuzuhalten. Erstens dauerte ihr das Telefongeplapper schon viel zu lange, zweitens wurde es ihr jetzt zu intim. Doch die Rothaarige störte sich nicht daran, dass sie ihr Privatleben im Vor-Ort-Zug vor allen Fahrgästen ausbreitete.
„Hallo Rita, bist du noch da? Hallo? Hallo?“ Die Frau mit den zugehaltenen Ohren entspannte sich etwas. Ein Funkloch hatte das Gespräch abrupt beendet. Doch ehe sich bei den anderen Fahrgästen Enttäuschung breit machen konnte, dass sie das Ende des Telefondramas nicht mehr erleben würden, quatschte die Rothaarige schon wieder in ihr Telefon. „Ja hi Süßer, ich bins. Du, ich kann gerade noch nicht telefonieren, ich habe noch Rita in der Leitung... Ja, stell dir vor, das erste Mal seit dem Urlaub... Du ich glaub, die ist irgendwie genervt, dabei war der Urlaub doch voll gut.... Ich ruf dich nachher nochmal an“ ,sprach sie und küsste lauthals ins Telefon.
Dann hatte sie offenbar nahtlos die Nummer der besten Freundin erneut gewählt. „Ja, ich nochmal... sorry, war Funkloch“, erklärte sie und ging wieder zum Thema über: „Was ich sagen wollte: Es war mir halt krass wichtig, dass Nico auch euch kennenlernt und meine beste und zweitbeste Freundin sich auch mal endlich sehen. Fandet ihr ihn nicht süß?“ Offenbar nicht, denn es folgte nach kurzem Schweigen in den Hörer der nächste Rechtfertigungsversuch. „Aber ich habe doch auch megaviel Zeit auch mit euch verbringen wollen. Nur, wenn ich dann mal Zeit hatte, weil Nico mal unterwegs war und ich nicht an der Arbeit schreiben musste, da habt ihr schon zu zweit was anderes gemacht.... Und einmal, da habe ich mir echt mega Zeit genommen, da war Isa allein im Ferienhaus … ich weiß gar nicht, wo du da warst... und ich hab mich extra zu ihr aufs Sofa gesetzt, wollte reden, so à la 'Na, beste Freundinnen, wollen wir mal reden?' ….Und was war? Sie wollte gar nicht mit mir sprechen. Aber sie hat auch keine Silbe gesagt, dass ihr sauer seid oder so.“
Offenbar kam es der Rothaarigen erst jetzt, ein gutes halbes Jahr später, zu Bewusstsein, dass der Urlaub nicht für alle vier Beteiligten gleich schön gewesen war. „Nico hat auch gesagt, dass es ihm mega gefallen hat … und dass er euch echt cool fand.“ Pause. „So kannst du das auch nicht sagen. Er hat sich gar nicht von uns bedienen lassen. Er war doch voll oft einkaufen und hat immer auch für alle etwas mitgebracht.... Ist doch egal, wer welche Aufgaben im Ferienhaus übernommen hat. Hauptsache jeder trägt etwas bei.“ Die beste Freundin am anderen Ende der Leitung sah das wohl etwas anders. „Ach komm, da kannst du doch jetzt nicht mehr sauer sein“, versuchte die Rothaarige. „Das ist doch schon voll lange her... Ich fand unseren letzten gemeinsamen Urlaub echt schön und zehre noch heute von den Erinnerungen“, schwärmte sie nun in den Hörer.
Es folgte erneut längeres Schweigen. „Naja, wir müssen ja auch nicht mehr zusammen in den Urlaub fahren, wenn es dir nicht gefallen hat“, wurde die Rothaarige jetzt etwas kleinlaut. „Wir können uns ja so mal treffen... am Wochenende“, versuchte sie offenbar die Freundschaft zu retten. „Ich bin am kommenden Wochenende zu Hause, wollen wir da zusammen ins Index gehen?... So mal wieder richtig wie früher? … Ach, da hast du schon etwas vor? Da kann ich doch mitkommen… Geht nicht? Schade. Ach, du gehst mit Isa? Na dann.“
Der Vor-Ort-Zug erreichte die Endhaltestelle. Sie legte auf und stieg aus. Auf dem Bahnsteig hatte sie das Telefon schon wieder am Ohr. „Ja hi Süßer... stell dir vor....“ hörten die Fahrgäste noch, ehe die Rothaarige in der Menschenmenge verschwand.
„Was meinst du damit?“ Die Rothaarige stieg schon mit dem Handy am Ohr in den Zug. Es war Freitagnachmittag, der Vor-Ort-Zug war gut gefüllt. Vorn bei den Klappsitzen ließ eine Frauengruppe auf Wochenendausflug die Sektflasche kreisen. Auf anderen Sitzen lümmelten sich junge Männer mit unförmigen Rucksäcken in Tarnfleck auf dem Weg von der Armee ins Wochenende. Dazwischen lasen Männer und Frauen müde von der Arbeitswoche in ihren e-Book-Readern oder schrieben Nachrichten auf dem Handy, die Aktentasche zwischen die Füße geklemmt. Statt sich auf einen der noch freien Plätze zu setzen, blieb die Rothaarige in der Ziehharmonika zwischen zwei Waggons stehen. Wohl, um ungestört und ungehört telefonieren zu können.
Längere Zeit schwieg sie, so dass die anderen Fahrgäste schon vergessen hatten, dass sie telefonierte. Aber da hatte nur der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung gesprochen. „Aber so war das doch gar nicht“, protestierte die Rothaarige nun lauthals. Die Fahrgäste im näheren Umfeld blickten auf. Wohl Krise. „Ich wollte aber unbedingt unseren ersten Sommer nach dem Abi auch mit meiner besten Freundin und meiner zweitbesten Freundin verbringen. Das war mir krass wichtig nach dem Abi und mit dem Wissen, dass ich meine beste und zweitbeste Freundin, jetzt wo wir studieren, nicht mehr so oft sehen kann.“ Sie rechtfertigte sich – wohl ernste Krise.
„Aber fandest du es denn gar nicht schön?“, wollte sie jetzt von der besten Freundin am anderen Ende der Leitung wissen. Wieder Schweigen. Dann hob sie an: „Naja, war halt blöd, dass ich die einzige war, die alle kannte. Aber ich wollte eben mit meinen beiden Freundinnen den Sommer verbringen und auch mit Nico.“
Die anderen Fahrgäste wechselten die ersten Blicke. Zickenkrieg oder Liebesdrama? Schien interessant zu werden.
„Und dann war es blöd, dass ich noch meine Semesterarbeit zu Ende schreiben musste“, plapperte die Rothaarige ins Telefon. „Da habe ich mich krass verschätzt. Dadurch hatte ich ja insgesamt kaum etwas vom Urlaub“, versuchte sie zu erklären. „Und das bisschen freie Zeit wollte ich dann maximal mit Nico verbringen. Er ist so süß... und er unterstützt mich immer und motiviert mich, dass ich meine Semesterarbeiten mache und so....“ Schweigen.
„Aber das stimmt doch gar nicht, Nico und ich, wir haben doch gar nicht die ganze Zeit aufeinandergehangen und euch beiden allein gelassen. Und wir haben auch nicht jede freie Minute rumgeknutscht.“
Schief gegangener Urlaub also. Dass die Aufarbeitung erst über ein halbes Jahr später stattfand, zeigte, wie sehr er zumindest für einige Beteiligte schief gegangen war.
Jetzt legten die ersten Fahrgäste ihre Zeitschriften weg und lauschten dem Drama nebenan. Eine Frau fing an, sich die Ohren zuzuhalten. Erstens dauerte ihr das Telefongeplapper schon viel zu lange, zweitens wurde es ihr jetzt zu intim. Doch die Rothaarige störte sich nicht daran, dass sie ihr Privatleben im Vor-Ort-Zug vor allen Fahrgästen ausbreitete.
„Hallo Rita, bist du noch da? Hallo? Hallo?“ Die Frau mit den zugehaltenen Ohren entspannte sich etwas. Ein Funkloch hatte das Gespräch abrupt beendet. Doch ehe sich bei den anderen Fahrgästen Enttäuschung breit machen konnte, dass sie das Ende des Telefondramas nicht mehr erleben würden, quatschte die Rothaarige schon wieder in ihr Telefon. „Ja hi Süßer, ich bins. Du, ich kann gerade noch nicht telefonieren, ich habe noch Rita in der Leitung... Ja, stell dir vor, das erste Mal seit dem Urlaub... Du ich glaub, die ist irgendwie genervt, dabei war der Urlaub doch voll gut.... Ich ruf dich nachher nochmal an“ ,sprach sie und küsste lauthals ins Telefon.
Dann hatte sie offenbar nahtlos die Nummer der besten Freundin erneut gewählt. „Ja, ich nochmal... sorry, war Funkloch“, erklärte sie und ging wieder zum Thema über: „Was ich sagen wollte: Es war mir halt krass wichtig, dass Nico auch euch kennenlernt und meine beste und zweitbeste Freundin sich auch mal endlich sehen. Fandet ihr ihn nicht süß?“ Offenbar nicht, denn es folgte nach kurzem Schweigen in den Hörer der nächste Rechtfertigungsversuch. „Aber ich habe doch auch megaviel Zeit auch mit euch verbringen wollen. Nur, wenn ich dann mal Zeit hatte, weil Nico mal unterwegs war und ich nicht an der Arbeit schreiben musste, da habt ihr schon zu zweit was anderes gemacht.... Und einmal, da habe ich mir echt mega Zeit genommen, da war Isa allein im Ferienhaus … ich weiß gar nicht, wo du da warst... und ich hab mich extra zu ihr aufs Sofa gesetzt, wollte reden, so à la 'Na, beste Freundinnen, wollen wir mal reden?' ….Und was war? Sie wollte gar nicht mit mir sprechen. Aber sie hat auch keine Silbe gesagt, dass ihr sauer seid oder so.“
Offenbar kam es der Rothaarigen erst jetzt, ein gutes halbes Jahr später, zu Bewusstsein, dass der Urlaub nicht für alle vier Beteiligten gleich schön gewesen war. „Nico hat auch gesagt, dass es ihm mega gefallen hat … und dass er euch echt cool fand.“ Pause. „So kannst du das auch nicht sagen. Er hat sich gar nicht von uns bedienen lassen. Er war doch voll oft einkaufen und hat immer auch für alle etwas mitgebracht.... Ist doch egal, wer welche Aufgaben im Ferienhaus übernommen hat. Hauptsache jeder trägt etwas bei.“ Die beste Freundin am anderen Ende der Leitung sah das wohl etwas anders. „Ach komm, da kannst du doch jetzt nicht mehr sauer sein“, versuchte die Rothaarige. „Das ist doch schon voll lange her... Ich fand unseren letzten gemeinsamen Urlaub echt schön und zehre noch heute von den Erinnerungen“, schwärmte sie nun in den Hörer.
Es folgte erneut längeres Schweigen. „Naja, wir müssen ja auch nicht mehr zusammen in den Urlaub fahren, wenn es dir nicht gefallen hat“, wurde die Rothaarige jetzt etwas kleinlaut. „Wir können uns ja so mal treffen... am Wochenende“, versuchte sie offenbar die Freundschaft zu retten. „Ich bin am kommenden Wochenende zu Hause, wollen wir da zusammen ins Index gehen?... So mal wieder richtig wie früher? … Ach, da hast du schon etwas vor? Da kann ich doch mitkommen… Geht nicht? Schade. Ach, du gehst mit Isa? Na dann.“
Der Vor-Ort-Zug erreichte die Endhaltestelle. Sie legte auf und stieg aus. Auf dem Bahnsteig hatte sie das Telefon schon wieder am Ohr. „Ja hi Süßer... stell dir vor....“ hörten die Fahrgäste noch, ehe die Rothaarige in der Menschenmenge verschwand.