Probleme familiärer Produzenten im ländlichen Raum (second flush)

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wowa

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Probleme familiärer Produzenten im ländlichen Raum (second flush)
- ein Schwank-


Am Abend

Hendrik und Lena sitzen in der warmen Stube. Der Raum hat links und rechts eine Tür. Rechts geht es ins häusliche Treppenhaus, links in eine große Diele, in der ein Pick-up steht. Im Ofen hinter der Sichtscheibe flackern die Holzscheite, die Kinder sind im Bett. In der Ferne hört man Wölfe heulen, ansonsten ist es still. Lena sitzt auf dem Sofa, neben sich einen kleinen Beistelltisch und stopft Strümpfe. Hendrik sitzt in der Nähe des Ofens und liest Zeitung. Es ist Winter.

Hendrik (legt die Zeitung beiseite): „Nächste Woche muß ich schlachten.“
Lena (ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, betont emotionslos): „Wer soll dran glauben?“
H. (Ärger ahnend): „Lena, bitte, es sind Nutztiere.“
L. (hält in ihrer Arbeit inne und schaut auf): „Nutztiere, ja, klar. Ich frage doch nur, wer sterben soll.“
H. (vorsichtig): „Ich dachte an Mara.“
L. (schockiert): „Mara!“
H. (gequält): „Sie ist alt, hat schon wieder nicht aufgenommen und gibt nur noch wenig Milch. Es ist einfach an der Zeit.“
L. (ins Leere starrend): „Mara!“
H. (einfühlsam): „Ich weiß, sie ist deine Lieblingskuh und sie ist wirklich ein schönes Tier. Ich mag sie auch, das weißt du. Mir fällt die Entscheidung nicht leicht nach all den Jahren. Trotzdem, es muß sein.“
L. (aus ihrer Erstarrung erwachend, richtet sich auf und fixiert ihren Mann): „Nein, Hendrik, muß es nicht.“
H. (verzweifelt): „Lena, bitte, sei vernünftig. Wir sind hier kein Altersheim, wir müssen uns an wirtschaftlichen Kriterien orientieren. Gefühle spielen da keine Rolle.“
L. (leise und bestimmt): „Du kennst meine Meinung, wir führen diese Auseinandersetzung ja nicht zum ersten Mal. Aber ich wiederhole mich gern noch einmal: Tiere um des Profits willen zu töten, widerstrebt mir. Ich halte es aus moralischen Gründen für nicht vertretbar. Tiere sind Lebewesen, wir sind für sie verantwortlich und sie haben Rechte. Eines dieser Rechte, Hendrik, ist das Recht auf Leben. Und gerade, was Mara betrifft...“
H. (aufbrausend, unterbricht sie): „Ach, erzähl mir doch nix. Bei Penelope, Mia und Salome` war es doch genau dasselbe. Die andern Bauern lachen schon, wenn ich diese klapprigen Viecher durchs Dorf treibe. Aber diesmal ziehe ich die Scheiße durch. Das wollen wir doch mal sehen!“
L. (entschieden): „Hendrik, diesen Ton lasse ich mir nicht bieten!“
Sie legt ihre Handarbeit auf den Beistelltisch, steht auf und macht Anstalten zu gehen.
H. (nimmt sich zusammen und unterdrückt die aufkommende Panik): „Lena, bitte, das ist mir so rausgerutscht. Es tut mir leid, ich entschuldige mich. Bitte bleib.“
L. (setzt sich wieder): „Okay:“
Beide schweigen. Leises Wolfsgeheul.
H. (erschöpft, nimmt einen neuen Anlauf): „Ich liebe dich, das weißt du. Du bist die Mutter unserer Kinder und ein Leben ohne dich kann ich mir nicht vorstellen. Du bist die Liebe meines Lebens.“
Pause, Lena schaut ihn aufmerksam an.
„Aber seit einem Jahr, seit du diese Tierrechte vertrittst und in dieser Organisation mitmachst, verstehe ich dich nicht mehr. Ich bemühe mich, dir zu folgen, lebe vegetarisch, halte die Tiere artgerecht etc.etc. Alles gut und schön, ich mache es gern und lerne dazu, durchaus. Soweit alles ok. Nur,-und das bitte ich dich einzusehen, verdammt noch mal,- zu diesem Job gehört auch das Töten, ohne das geht es nicht. Wir sind Fleischproduzenten und diesen Widerspruch mußt du aushalten.“
L. (lächelnd): „Schon lange her, daß du mir so eine Liebeserklärung gemacht hast. Ich bin ein romantischer Mensch, ich brauch sowas ab und zu. Danke.“
Sie steht auf, legt zwei Scheite nach, setzt sich.
„Das Ding mit dem Widerspruch ist genau der Punkt und endlich kommen wir mal auf das Wesentliche zu sprechen. Deine Liebe, so schön sie ist und so sehr ich sie brauche, hat diesen grausamen Aspekt des Tötens und den bin ich immer weniger bereit zu akzeptieren. Da hast du recht. Es stimmt, am Anfang unserer Ehe sah ich das nicht so kraß. In dieser Hinsicht habe ich mich weiterentwickelt und du bist diesen Weg nur zum Teil mitgegangen.
Dieser Weg ist nun zu Ende, denn der Widerspruch, von dem du meinst, daß ich ihn aushalten muß, ist ein antagonistischer.“
H. (erstaunt): „Ein antagonistischer?“
L. (dozierend): „Ja, genau, ein antagonistischer. Einer, der unüberbrückbar ist, nicht vermittelbar, nur mit Gewalt aufzulösen.“
H. (irritiert): „Nur mit Gewalt?“
L.: „Ja.“
Sie entnimmt einer unauffällig zu ihren Füßen stehenden Tasche eine Pistole mit Schalldämpfer und legt die Waffe in ihren Schoß.
„Wenn der Konflikt wie in unserm Fall eine maximale Schärfe erreicht, quasi auf den Siedepunkt zusteuert, gibt es nur noch ein Entweder – Oder. Tut mir leid. Du bist schuldig. Ich habe es dir oft genug erklärt. Nun ist es zu spät. Außerdem ißt du heimlich Fleisch. Ich rieche das. Ich spüre das an deinen schlechten Vibrationen. Und Heuchelei geht gar nicht.“
H. (hektisch gestikulierend): „Lena, was soll das? Woher hast du die Pistole? Willst du mich etwa abknallen ? Nur weil ich ab und zu Fleisch esse? Das ist doch Wahnsinn. Ja, es stimmt, ich zieh mir gelegentlich ein Steak rein. Und sicher, unsere Ehe steckt in einer Krise, keine Frage. Seit du mit diesem verfluchten amerikanischen Tierrechteverein rummachst, haben wir uns entfremdet. Die haben dich aufgehetzt. Wenn ich einen von diesen Wixern zu fassen kriege...“
L. (kühl, die Waffe auf ihn richtend): „Ich habe dir schon mal gesagt, mäßige deinen Ton, sonst schieße ich dir ins Knie. Und was die Animal Liberation Ligue angeht, wir haben uns die Entscheidung echt nicht leichtgemacht. Erst haben wir deinen Fall hier in der Sektion diskutiert, dann vors Plenum gebracht und alle weltweit haben Stellung genommen. Der Konsens war eindeutig, hundert Prozent. Wir haben dann noch die Möglichkeit angedacht, es einen Auswärtigen machen zu lassen. Aber schließlich war klar: ich muß es selber tun. Es ist auch ein Akt der Selbstreinigung. Unser Logo ist der Kopffüßler, eine Krake. Und du warst jahrelang mit einer ihrer Tentakeln verheiratet. Die fordert jetzt Rechenschaft. Vielleicht solltest du es mal so sehen.“
H. (bleich, schwitzend): „Lena, was redest du da? Du eine Tentakel? Ich faß es nicht, das ist doch krank. Was wird aus den Tieren, dem Haus, was wird aus den Kindern? Du zerstörst das Leben von uns allen. Das darf doch nicht wahr sein, ich glaub das nicht.“
L.(beschwichtigend): „Hendrik, beruhige dich, bleib cool. Gefühle spielen jetzt keine Rolle, deine Worte. Morgen holt ein Freund der Sektion die Tiere ab, dort sind sie besser aufgehoben.
Und das Haus, entschuldige, war schon damals eine Ruine, als du es gekauft hast. Eine dieser typischen Schrottimmobilien. Ich hasse diese Bruchbude und ich hasse diese Gegend. Hast du wirklich geglaubt, ich wollte mein Leben an der polnischen Grenze verbringen? Irrtum, baby, wir gehen in die USA, nach Louisiana. Die Organisation hat dort eine Ranch, auf der werden wir leben und arbeiten, die Kinder und ich.
Swenja ist noch klein, sie wird dich vermissen, aber das verwächst sich. Adam dagegen ist für sein Alter sehr reif, durch ihn bin ich überhaupt erst zur Ligue gekommen.“
H. (fassungslos): „Adam ist auch in diesem Verein?“
L.: „Ja, natürlich, länger als ich. Ich glaube, da kommt er gerade.“
Man hört im Off einen Menschen eine Holztreppe herunterkommen, dann öffnet sich die rechte Tür und ein schlaksiger junger Mann betritt die Szene. Er ist im aktuellen Out-Fit der Zeit gekleidet, seine weichen Gesichtszüge lassen auf ein Alter zwischen zwölf und fünfzehn Jahren schließen. Er geht ein, zwei Schritte in den Raum, achtet aber darauf, nicht in die Schußlinie zu geraten.

Adam (lässig, souverän): „Hi, Dad, alles klar?“
Hendrik starrt mit glasigen Augen vor sich hin. Adam wendet sich an Lena.
A.: „Jetzt nicht sentimental werden. Ich hab dich gewarnt, zu langes Gerede vorher macht einen weich.“
Hendrik springt mit einem Schrei auf, reißt einen Scheit aus dem Holzkasten neben ihm und schleudert ihn in Richtung Lena. Die, ebenfalls aufgesprungen, weicht mit katzenartiger Gewandtheit aus und schießt Hendrik ins Herz.
„Plopp!“
Hendrik bleibt einen Moment bewegungslos stehen, greift sich schmerzverzerrt an die Brust, fällt auf die Knie und dann mit einem leisen Seufzer auf das Gesicht, direkt vor Lenas Füße.
Stille.
Adam geht in die Mitte des Raumes und beugt sich über die Leiche.
A.: „Wow, voll der Blattschuß. Respekt.“
Lena steht leicht gebeugt, ein wenig zitternd, aber nicht zu sehr, mit der Pistole in der Hand. Sie richtet sich auf, legt die Waffe vorsichtig auf den kleinen Tisch neben ihre angefangene Handarbeit, setzt sich.
L.: „Meinst du, Swenja hat was gehört?“
A.: „Glaub ich nicht. Die schlief vorhin wie ein Murmeltier. Komm, wir ziehen ihn aus.“
L. (tonlos): „Ich kann nicht.“
A. (mit Nachdruck): „Werd jetzt nicht schwach, Mama. Wir machen es genau wie besprochen. Die Nacht ist super. Es schneit und die Wölfe sind in der Nähe. Der Alte wird wieder Teil der Nahrungskette. Das ist doch perfekt.“
L. (erschöpft, einsichtig): „Du hast ja recht. Aber manchmal machst du mir Angst. Du bist so ganz anders als die Kinder deines Alters.“
A. (lacht): „Das sieht nur so aus. Im Grunde spiele ich immer noch mit Bauklötzen.“
Sie ziehen den Toten aus, stopfen seine Kleidung in einen Müllsack und schleppen den nackten Leichnam zur linken Tür hinaus. Adam kommt zurück, nimmt die Pistole vom Tisch, greift mit der anderen Hand den Müllsack und macht das Licht aus. Nach links ab.
Im Off hört man einen Pick-up anspringen und sich entfernen. Wölfe heulen.
 
O

orlando

Gast
Hallo wowa,
mir gefällt diese Version weitaus besser als die erste.
Macht aber nix, so bekommst du gleich zwei gute Bewertungen. ;)
Es mundet, dass hier die Philosophie spielerisch eingebracht wird: homo hominis lupus und zwar gleich in doppelter Hinsicht.

Außerdem: So sind die Weiber, wie jedermann weiß, insbesondere die Veganerinnen!

Gern mit dir gefrozzelt
orlando
 

wowa

Mitglied
Probleme familiärer Produzenten im ländlichen Raum (second flush)
- ein Schwank-


Am Abend

Hendrik und Lena sitzen in der warmen Stube. Der Raum hat links und rechts eine Tür. Rechts geht es ins häusliche Treppenhaus, links in eine große Diele, in der ein Pick-up steht. Im Ofen hinter der Sichtscheibe flackern die Holzscheite, die Kinder sind im Bett. In der Ferne hört man Wölfe heulen, ansonsten ist es still. Lena sitzt auf dem Sofa, neben sich einen kleinen Beistelltisch und stopft Strümpfe. Hendrik sitzt in der Nähe des Ofens und liest Zeitung. Es ist Winter.

Hendrik (legt die Zeitung beiseite): „Nächste Woche muß ich schlachten.“
Lena (ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, betont emotionslos): „Wer soll dran glauben?“
H. (Ärger ahnend): „Lena, bitte, es sind Nutztiere.“
L. (hält in ihrer Arbeit inne und schaut auf): „Nutztiere, ja, klar. Ich frage doch nur, wer sterben soll.“
H. (vorsichtig): „Ich dachte an Mara.“
L. (schockiert): „Mara!“
H. (gequält): „Sie ist alt, hat schon wieder nicht aufgenommen und gibt nur noch wenig Milch. Es ist einfach an der Zeit.“
L. (ins Leere starrend): „Mara!“
H. (einfühlsam): „Ich weiß, sie ist deine Lieblingskuh und sie ist wirklich ein schönes Tier. Ich mag sie auch, das weißt du. Mir fällt die Entscheidung nicht leicht nach all den Jahren. Trotzdem, es muß sein.“
L. (aus ihrer Erstarrung erwachend, richtet sich auf und fixiert ihren Mann): „Nein, Hendrik, muß es nicht.“
H. (verzweifelt): „Lena, bitte, sei vernünftig. Wir sind hier kein Altersheim, wir müssen uns an wirtschaftlichen Kriterien orientieren. Gefühle spielen da keine Rolle.“
L. (leise und bestimmt): „Du kennst meine Meinung, wir führen diese Auseinandersetzung ja nicht zum ersten Mal. Aber ich wiederhole mich gern noch einmal: Tiere um des Profits willen zu töten, widerstrebt mir. Ich halte es aus moralischen Gründen für nicht vertretbar. Tiere sind Lebewesen, wir sind für sie verantwortlich und sie haben Rechte. Eines dieser Rechte, Hendrik, ist das Recht auf Leben. Und gerade, was Mara betrifft...“
H. (aufbrausend, unterbricht sie): „Ach, erzähl mir doch nix. Bei Penelope, Mia und Salome` war es doch genau dasselbe. Die andern Bauern lachen schon, wenn ich diese klapprigen Viecher durchs Dorf treibe. Aber diesmal ziehe ich die Scheiße durch. Das wollen wir doch mal sehen!“
L. (entschieden): „Hendrik, diesen Ton lasse ich mir nicht bieten!“
Sie legt ihre Handarbeit auf den Beistelltisch, steht auf und macht Anstalten zu gehen.
H. (nimmt sich zusammen und unterdrückt die aufkommende Panik): „Lena, bitte, das ist mir so rausgerutscht. Es tut mir leid, ich entschuldige mich. Bitte bleib.“
L. (setzt sich wieder): „Okay:“
Beide schweigen. Leises Wolfsgeheul.
H. (erschöpft, nimmt einen neuen Anlauf): „Ich liebe dich, das weißt du. Du bist die Mutter unserer Kinder und ein Leben ohne dich kann ich mir nicht vorstellen. Du bist die Liebe meines Lebens.“
Pause, Lena schaut ihn aufmerksam an.
„Aber seit einem Jahr, seit du diese Tierrechte vertrittst und in dieser Organisation mitmachst, verstehe ich dich nicht mehr. Ich bemühe mich, dir zu folgen, lebe vegetarisch, halte die Tiere artgerecht etc.etc. Alles gut und schön, ich mache es gern und lerne dazu, durchaus. Soweit alles ok. Nur,-und das bitte ich dich einzusehen, verdammt noch mal,- zu diesem Job gehört auch das Töten, ohne das geht es nicht. Wir sind Fleischproduzenten und diesen Widerspruch mußt du aushalten.“
L. (lächelnd): „Schon lange her, daß du mir so eine Liebeserklärung gemacht hast. Ich bin ein romantischer Mensch, ich brauch sowas ab und zu. Danke.“
Sie steht auf, küßt Hendrik kurz,aber zärtlich auf den Mund und legt zwei Scheite nach, setzt sich.
„Das Ding mit dem Widerspruch ist genau der Punkt und endlich kommen wir mal auf das Wesentliche zu sprechen. Deine Liebe, so schön sie ist und so sehr ich sie brauche, hat diesen grausamen Aspekt des Tötens und den bin ich immer weniger bereit zu akzeptieren. Da hast du recht. Es stimmt, am Anfang unserer Ehe sah ich das nicht so kraß. In dieser Hinsicht habe ich mich weiterentwickelt und du bist diesen Weg nur zum Teil mitgegangen.
Dieser Weg ist nun zu Ende, denn der Widerspruch, von dem du meinst, daß ich ihn aushalten muß, ist ein antagonistischer.“
H. (erstaunt): „Ein antagonistischer?“
L. (dozierend): „Ja, genau, ein antagonistischer. Einer, der unüberbrückbar ist, nicht vermittelbar, nur mit Gewalt aufzulösen.“
H. (irritiert): „Nur mit Gewalt?“
L.: „Ja.“
Sie entnimmt einer unauffällig zu ihren Füßen stehenden Tasche eine Pistole mit Schalldämpfer und legt die Waffe in ihren Schoß.
„Wenn der Konflikt wie in unserm Fall eine maximale Schärfe erreicht, quasi auf den Siedepunkt zusteuert, gibt es nur noch ein Entweder – Oder. Tut mir leid. Du bist schuldig. Ich habe es dir oft genug erklärt. Nun ist es zu spät. Außerdem ißt du heimlich Fleisch. Ich rieche das. Ich spüre das an deinen schlechten Vibrationen. Und Heuchelei geht gar nicht.“
H. (hektisch gestikulierend): „Lena, was soll das? Woher hast du die Pistole? Willst du mich etwa abknallen ? Nur weil ich ab und zu Fleisch esse? Das ist doch Wahnsinn. Ja, es stimmt, ich zieh mir gelegentlich ein Steak rein. Und sicher, unsere Ehe steckt in einer Krise, keine Frage. Seit du mit diesem verfluchten amerikanischen Tierrechteverein rummachst, haben wir uns entfremdet. Die haben dich aufgehetzt. Wenn ich einen von diesen Wixern zu fassen kriege...“
L. (kühl, die Waffe auf ihn richtend): „Ich habe dir schon mal gesagt, mäßige deinen Ton, sonst schieße ich dir ins Knie. Und was die Animal Liberation Ligue angeht, wir haben uns die Entscheidung echt nicht leichtgemacht. Erst haben wir deinen Fall hier in der Sektion diskutiert, dann vors Plenum gebracht und alle weltweit haben Stellung genommen. Der Konsens war eindeutig, hundert Prozent. Wir haben dann noch die Möglichkeit angedacht, es einen Auswärtigen machen zu lassen. Aber schließlich war klar: ich muß es selber tun. Es ist auch ein Akt der Selbstreinigung. Unser Logo ist der Kopffüßler, eine Krake. Und du warst jahrelang mit einer ihrer Tentakeln verheiratet. Die fordert jetzt Rechenschaft. Vielleicht solltest du es mal so sehen.“
H. (bleich, schwitzend): „Lena, was redest du da? Du eine Tentakel? Ich faß es nicht, das ist doch krank. Was wird aus den Tieren, dem Haus, was wird aus den Kindern? Du zerstörst das Leben von uns allen. Das darf doch nicht wahr sein, ich glaub das nicht.“
L.(beschwichtigend): „Hendrik, beruhige dich, bleib cool. Gefühle spielen jetzt keine Rolle, deine Worte. Morgen holt ein Freund der Sektion die Tiere ab, dort sind sie besser aufgehoben.
Und das Haus, entschuldige, war schon damals eine Ruine, als du es gekauft hast. Eine dieser typischen Schrottimmobilien. Ich hasse diese Bruchbude und ich hasse diese Gegend. Hast du wirklich geglaubt, ich wollte mein Leben an der polnischen Grenze verbringen? Irrtum, baby, wir gehen in die USA, nach Louisiana. Die Organisation hat dort eine Ranch, auf der werden wir leben und arbeiten, die Kinder und ich.
Swenja ist noch klein, sie wird dich vermissen, aber das verwächst sich. Adam dagegen ist für sein Alter sehr reif, durch ihn bin ich überhaupt erst zur Ligue gekommen.“
H. (fassungslos): „Adam ist auch in diesem Verein?“
L.: „Ja, natürlich, länger als ich. Ich glaube, da kommt er gerade.“
Man hört im Off einen Menschen eine Holztreppe herunterkommen, dann öffnet sich die rechte Tür und ein schlaksiger junger Mann betritt die Szene. Er ist im aktuellen Out-Fit der Zeit gekleidet, seine weichen Gesichtszüge lassen auf ein Alter zwischen zwölf und fünfzehn Jahren schließen. Er geht ein, zwei Schritte in den Raum, achtet aber darauf, nicht in die Schußlinie zu geraten.

Adam (lässig, souverän): „Hi, Dad, alles klar?“
Hendrik starrt mit glasigen Augen vor sich hin. Adam wendet sich an Lena.
A.: „Jetzt nicht sentimental werden. Ich hab dich gewarnt, zu langes Gerede vorher macht einen weich.“
Hendrik springt mit einem Schrei auf, reißt einen Scheit aus dem Holzkasten neben ihm und schleudert ihn in Richtung Lena. Die, ebenfalls aufgesprungen, weicht mit katzenartiger Gewandtheit aus und schießt Hendrik ins Herz.
„Plopp!“
Hendrik bleibt einen Moment bewegungslos stehen, greift sich schmerzverzerrt an die Brust, fällt auf die Knie und dann mit einem leisen Seufzer auf das Gesicht, direkt vor Lenas Füße.
Stille.
Adam geht in die Mitte des Raumes und beugt sich über die Leiche.
A.: „Wow, voll der Blattschuß. Respekt.“
Lena steht leicht gebeugt, ein wenig zitternd, aber nicht zu sehr, mit der Pistole in der Hand. Sie richtet sich auf, legt die Waffe vorsichtig auf den kleinen Tisch neben ihre angefangene Handarbeit, setzt sich.
L.: „Meinst du, Swenja hat was gehört?“
A.: „Glaub ich nicht. Die schlief vorhin wie ein Murmeltier. Komm, wir ziehen ihn aus.“
L. (tonlos): „Ich kann nicht.“
A. (mit Nachdruck): „Werd jetzt nicht schwach, Mama. Wir machen es genau wie besprochen. Die Nacht ist super. Es schneit und die Wölfe sind in der Nähe. Der Alte wird wieder Teil der Nahrungskette. Das ist doch perfekt.“
L. (erschöpft, einsichtig): „Du hast ja recht. Aber manchmal machst du mir Angst. Du bist so ganz anders als die Kinder deines Alters.“
A. (lacht): „Das sieht nur so aus. Im Grunde spiele ich immer noch mit Bauklötzen.“
Sie ziehen den Toten aus, stopfen seine Kleidung in einen Müllsack und schleppen den nackten Leichnam zur linken Tür hinaus. Adam kommt zurück, nimmt die Pistole vom Tisch, greift mit der anderen Hand den Müllsack und macht das Licht aus. Nach links ab.
Im Off hört man einen Pick-up anspringen und sich entfernen. Wölfe heulen.
 



 
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