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kira

Mitglied
Ich betrete die Welt. Es ist dunkel und eng. Ich kann nichts sehen, nur riechen und hören. Es stinkt und es ist laut. Um mich herum gellende Schreie. Ich bin eines dieser schreienden Wesen.

Meine erste Empfindung ist die Angst.

Meine Mutter ist niemals für mich da. Ich kenne sie nicht. Meinen Vater habe ich nie erlebt. Ich lerne trotzdem. Lerne, dass ich um mich treten, beißen muss, um meinen Platz zu finden. Lerne, mich auf meinen Geruchsinn zu verlassen, auf mein Gehör. Die Geräusche sind mir vertraut. Schritte bringen Nahrung und mehr. Meine Augen brauche ich nicht. Sie nutzen mir nicht. Was sind schon Farben. Was sind Farben?

Meine zweite Empfindung ist der Schmerz.

Meine Haut ist entzündet. Es ist zu eng. Bisswunden eitern. Wir hassen uns, aber wir haben nur uns. Ich liege, wenn die Erschöpfung das Stehen nicht mehr zulässt. Die anderen treten auf meinen Bauch, meine Beine, meinen Kopf. Sie können nichts dafür, es ist eng. Ich hasse sie trotzdem. Ich brauche sie. Ich habe Angst.

Bei neuen Geräuschen heulen wir. Neue Geräusche bringen mehr Schmerz.
Ich blute. Dort, wo einmal ein Teil meines Körpers war, ist nun nichts mehr. Aber ich brauche den Schwanz nicht. Einige von uns haben ihn durch die Bisse anderer schon früher verloren.

Ich stehe in meinem Kot, in dem Kot der anderen. Manches fällt durch Ritzen nach unten. Aber nicht alles. Ich sehe ihn nicht, aber ich rieche ihn. Immer. Manchmal versuche ich, mich am Metall zu reiben. Dann öffnen sich verschorfte Wunden, aber meine Haut juckt eine Weile nicht mehr.

Das ständige Schnaufen und Scharren um mich herum treibt mich in den Wahnsinn. Die ständige Berührung mit den anderen lässt mich vergessen, dass meine Angriffe, mein Streben nach Platz, nur neue Wunden bringen. Ich lerne auch das. Lerne, dass möglichst wenig Bewegung die Qual mindert. Irgendwann ist die Zeit ein Fließen. Wir essen. Wir schlafen. Wir versuchen, unsere Körper voreinander zu schützen.

Als ich laufen soll, habe ich keine Kraft. Meine Beine knicken fort, ich habe Angst. Plötzlich verbrennen meine Augen. Ich habe nicht gewusst, dass diese Form des Schmerzes existiert. Etwas trifft mich. Meine Haut platzt auf. Ich versuche, mit den anderen Schritt zu halten. Ich sehe nichts. Ich bin das gewöhnt. An die neuen Schmerzen werde ich mich auch gewöhnen. Ich falle. Vor mir liegt etwas weiches. Die neue Angst, den neuen Schmerz, nicht alle von uns können das ertragen. Ich spüre wieder Schläge, weiche aus, werde durch einen Tritt gegen den Kopf in die vorgegebene Richtung gedrängt. Ein kurze Steigung, dann gibt es kein Weiterkommen.

Ich höre die anderen, rieche sie, fühle sie. Wir erzittern, als der Boden unter unseren Füßen bebt. Wind schneidet in unsere tränenden Augen. Manche von uns verlieren das Bewusstsein. Aber sie stürzen nicht. Es ist zu eng.
Die Zeit steht still. Ich habe Durst. Die weiche Seite eines Anderen reibt an meiner Schnauze. Ich beiße hinein. Er soll weggehen. Der andere rührt sich nicht, er heult. Blut läuft an meiner Kehle entlang. Er soll weggehen. Warum geht er nicht weg? Ich kann nicht atmen. Meine Augen tun weh.

Die Erde hört auf zu beben. Alles schiebt sich in eine Richtung. Es ist mühsam, über die leblosen Körper der anderen zu steigen. Wir laufen gemeinsam, bis Dunkelheit uns umfängt.

Schmerzen weisen meinen neuen Weg. Die Trennung von den anderen ist schlimm. Ich kann sie noch hören, aber nicht mehr berühren. Statt dessen fühle ich Metall an meinem Kopf. Eine Zange presst sich gegen meine Schläfen. Ich wehre mich, will zu den anderen. Wo sind die anderen? Die Zange rutscht ab, etwas tritt gegen meinen Bauch. Ich spüre wieder das Metall an meinem Kopf, dann einen scharfen Schmerz.
Sechs Monate, nachdem ich die Welt betreten habe, sterbe ich.
 

kira

Mitglied
Hallo Ralph

Auch ich hatte mir erst überlegt, die Szene im Schlachthof zu strecken. Wäre von den Fakten her kein Problem gewesen, schließlich versagt die Elektrozange nicht gerade selten, weil die Stromdosis zu niedrig gegeben wird, um das Fleisch nicht zu verderben. Tiere, die dann beim Ausbluten noch Schmerzen empfinden, sind nicht unbedingt die Ausnahme der Regel. Allerdings wollte ich nicht unnötig ins Splatterige gehen - und dazu wäre es zwangsläufig gekommen.

Der letzte Satz knüpft an den ersten an. Das Tier wird geboren, es wird getötet; es "betritt die Welt", es "stirbt". In meinen Augen ist er notwendig, um den Text zu schließen. Die Angabe des Zeitraums ist vielleicht nicht notwendig, ich denke darüber nach.

Viele Grüße an dich - Kira
 

Ole

Mitglied
Hallo kira,

um an den Schluß anzuknüpfen,
ich glaube der letzte Satz, und
gerade die Zeitangabe war sehr wertvoll.
Ich habe nicht viel Ahnung von der
Tierhaltung, sind es echt nur 6 Monate?!
Dein Text beschreibt so gefühlvoll
das grausame Leben der Tiere.
Da kann einem die Galle hochkommen,
was "wir" so alles anstellen, nur damit
die Regale stets voll sind! eckelhaft!
und dann wird die Hälfte doch nur
weggeschmissen, oder eben verfüttert!
Wo sind wir nur hingekommen!
Gut, daß es uns hier noch einmal sehr
deutlich vor Augen geführt wird!

Viele Grüße
Ole.
 

Kyra

Mitglied
Hallo Kira,
vielleicht solltest Du für diese aufwühlende Geschichte einen anderen Titel wählen. Zumindest in einem Forum, "Produkt" klingt so nichtssagend, obwohl ich genau verstehe was Du meinst.
Einen richtig guten Vorschlag habe ich auch nicht, höchstens dass man Tiere ja inzwischen nicht mehr tötet sondern "keult".
Keulung wäre zu direkt, ich habe nur Bedenken dass Dein toller Text so übersehen wird.
Es geht ja um Qual, ein Leben voller Qual und einen qualvollen Tod.

das ist nur eine recht unwichtiger Vorschlag.....

Liebe Grüße

Kyra
 
J

Jasmin

Gast
Sehr gut!

Hallo Kira!

Wirklich beeindruckend. Auch ich wollte zu dem Thema einen Text schreiben, allerdings ein Gedicht, habe mich aber nicht getraut.
Ich finde deinen Text wirklich gelungen, vor allem die einfache Sprache "passt" zu der eines Tieres...Den Titel wuerde ich auf jeden Fall aendern. Der gefaellt mir nicht so, obwohl er ja durchaus richtig ist.

Beeindruckte Gruesse

Jasmin
 

kira

Mitglied
Hallo Ole

Ja, das mit den sechs Monaten habe ich mir nicht ausgedacht. War einer von vielen Fakten eines sehr eindringlichen Reports, der mich letztlich auch dazu getrieben hat, diesen Text zu schreiben.
Wenn ich so etwas lese/sehe, wünsche ich mir Fotos, Plakate, Dokumente, die es wirklich jedem Fleischesser deutlich machen, was er da kauft.


Hallo Kyra

Ja (nochmal), mit deiner Anmerkung hast du vollkomen recht. Ich war auch schon etwas zerschmettert, als ich so zusehen musste, wie der Text gänzlich unbeachtet immer weiter nach unten rutschte, wohl. Bisher ist mir aber noch kein wirklich passender eingefallen - "Produkt" ist nichtssagend, aber alles, was effektheischender wäre, würde den Inhalt vorwegnehmen, glaube ich. Werde aber noch ein wenig grübeln.


Hallo Jasmin

Tja, zum Titel s.o.

Vielleicht hast du ja die Eingebung?


Danke für eure Kommentare, liebe Grüße - Kira
 

Kyra

Mitglied
Hallo Kira,

hier noch die Adresse von einem anderen Forum, was ich persönlich recht gerne mag, obwohl´man dort manchmal heftige Kritik einstecken muss. Es ist jedenfalls lebendiger als dieses andere Forum wo Du gepostet har "Junge Literatur...)
http://www.vonwolkenstein.de/ubb/Ultimate.cgi?action=intro

man muss sich da auch anmelden, wue hier. Vielleicht ist Dir ja inzwischen ein neuer Titel eingefallen.

Für ein Forum solltest Du den Titel nich so feinfühlig wählen, wie für ein Kapitel eines Buches ;-))

Wie wäre es mit "Agonie" oder "Marter" oder "Marthyruim", das klingt auch etwas bilblisch.

Viele Grüße

Kyra
 

kira

Mitglied
Kyra, vielen Dank, werde ich mir beides mal ansehen.

Was den Titel betrifft: Du hast ja Recht. Der Titel ist zu - wie sagtest du so schön - feinfühlig. Böse Zungen könnten da auch "nichtssagend" rufen. Trotzdem scheint mir "Marter" oder "Marthyrium" zu deutlich... glaube ich... Mann, so unschlüssig fühle ich mich selten (Gott sei Dank) - vielleicht "Fleisch"?
Hmhmhm....
 

Kyra

Mitglied
Hi Kira

Fleisch finde ich gut!! Es sagt das gleiche wie Produkt und idt sinnlicher..

Liebe Grüße

kyra
 

kira

Mitglied
So. Was muss ich nun feststellen, nach langem Hin und Her?
Man kann den Títel nicht verändern.


Okay, das dazu.
 

Kyra

Mitglied
Liebe Kira

Du kannst den Beitrag einfach unter dem anderen Titel posten und den Admin bitten diesen zu löschen.
Aber ich habe Dir ja schon vorsorglich 2 weitere Foren genannt ;-))

Kyra
 
I

innergetic

Gast
Gib das Kind ein Name...

Hi. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass du den Namen unbedingt ändern musst. "Fleisch" ist zwar ansprechender, aber "Produkt" trifft meiner Meinung nach deine Aussage mehr.
Außerdem: Um ehrlich zu sein: Ich lese vorwiegend nach Autoren, nicht nach den Titeln der Texte. Es ist eigentlich schade, weil die Titel einem viel von dem sagen, was der Autor im Sinn hatte, zumindest mache ich mir immer sehr viele Gedanken um den Titel. Bei mir soll er möglichst treffend sein, nicht reißerisch, mit einem kleinen Wortwitz oder einem Hintergedanken oder einer Assoziation.(vgl. "Katharsis")...
Übrigens ist mir gerade der Appetit auf Fleisch vergangen, muss nachher noch los und mir ein wenig Gemüse kaufen.
 

kira

Mitglied
Hi Thomas

Habe mittlerweile auch nicht mehr vor, den Text unter einem anderen Titel neu zu posten - zum einen, weil ich mit "Produkt" doch ein kleines bißchen glücklicher bin , als ich es mit "Fleisch" wäre, zum anderen weil der Beitrag nicht wirklich untergegangen ist - trotz des Titels, wohl.

Grüße an dich von - Kira

(Kyra, habe mir deine Anregung aber trotzdem zu Herzen genommen, wie du weißt... :)
 

axel

Mitglied
Hallo Kira.

Ich habe unwillkürlich an Hühner in einer Legebatterie gedacht und das Bild ziemlich plastisch vor Augen gehabt.

Wirklich gut geschrieben.
Gruß,
axel
 

kira

Mitglied
Hi

Hühner in einer Legebatterie?
Das ist interessant.
Muss mir den Text unter diesem Blickwinkel noch einmal durchlesen, oder - du hast aber schon rauslesen können, dass es hier nicht um Hühner geht?
Ja, klar, hast du.


Oder?
Hm.

Nachdenkliche Grüße von - Kira
 

axel

Mitglied
Hallo kira.
Mach dir keine Sorgen.
Irgendwann im Laufe des Textes habe ich dann schon gemerkt, dass es nicht um Hühner gehen kann, obwohl ich keine Ahnung von Landwirtschaft habe.
Aber am Anfang hatte ich eben gleich dieses Bild vor Augen.
Warum?
Keine Ahnung.
Gruß,
axel
 

Rainer Heiß

Mitglied
zunächst verwirrt

Hallo kira,

mit deiner story über das kurze Leben eines Nahrungsmittels hast du mich zunächst ganz schön verwirrt; erst nach und nach ist klar geworden, worum es überhaupt geht. Dann aber war die ganze Sache plötzlich deutlich vor mir. Du schreibst angemessen unerbittlich, so muss es sein!

Grüße, Rainer
 



 
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