Prolog

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Prolog

Meine Stimme ist verschollen, so lange habe ich nicht gesprochen. Ich habe überlegt, sie zu suchen. Ich bin überzeugt, dass ich sie finden könnte, aber ich glaube nicht, dass ich froh werden könnte, wenn ich sie habe. Ich könnte sie zu nichts gebrauchen und würde es trotzdem tun, aber ich fürchte mich vor dem, was ich sagen könnte. Es gibt niemanden, der sie hören wollte.
Meine Ohren hören nichts, als das immer Wiederkehrende, das Zeitlose; das, was auch erklingen mag, nachdem ich lange vergangen bin; aber auch das, was in mir ewig ist, und was mich nie verlassen wird. Das Schweigen dröhnt laut in meinen Ohren, aber es gibt auch noch andere Dinge: Stimmen. Stimmen, die nicht mehr erklingen sollten, die es aber noch immer vermögen; eine Erinnerung an die Stimmen, die sie einst waren.
Meine Augen habe ich lange schon verschlossen, aber sie sehen noch immer. Gesegnet sei jener Augenblick, indem sie mir nur noch Schwärze zeigen. Die Schwärze ist verlockender als alle Bilder, den alle Bilder führen nur rückwärts.
Meine Finger fühlen noch immer die Unendlichkeit, wenn sie sich in den heißen Sand graben. Vielleicht liegt auch sie hier begraben, tief unter dem Sand. Vielleicht ist auch sie vergangen und gestorben, vielleicht ist auch sie wahnsinnig geworden, bis sie sich Sand in den Mund stopfte um nicht mehr schreien zu müssen. Aber vielleicht ist sie darüber erhaben, vielleicht ist sie alles, was am Ende geblieben ist. Vielleicht hat sie sich nur begraben lassen und wartet jetzt, wartet tief unter dem Sand in sich selbst versunken, wartet auf ein neues Opfer, das dumm genug ist, sie herauszufordern. So wartet sie also tausend und abertausend Jahre, sie hat schließlich viel Zeit. Die Unendlichkeit kennt keine Langeweile.
In diesem Punkt ist sie der Ewigkeit nicht unähnlich. Und doch ziehe ich sie der Ewigkeit vor, denn in ihrer Endlosigkeit ist sie unbeständig und ziellos, während ihre Schwester selbst das beständige Ziel ist, das Ende unzähliger Pfade, der sinnliche Klang einer unerhörten Symphony.
Die Unendlichkeit ist nichts als eine Straße, eine Straße ohne Anfang und Ende. Steht man darauf, so kann man sie am Horizont verschwinden sehen, und unvermeidlich erwacht die Vorstellung, dass hinter dem Horizont ein Ziel läge, ein Schatz, alles, was man zu erreichen wünscht. Aber wie schnell man auch läuft, die Straße ist immer dieselbe, wo sie den Horizont berührt, und obwohl man vorwärts drängt ist es nichts als Stillstand, nur das man sich weigert, es anzuerkennen. Die Unendlichkeit ist nur eine Straße, sie ist nicht mehr und sie täuscht nicht vor, mehr zu sein. Sie ist von Grund auf ehrlich, sie betrügt dich nicht, sie beeinflusst dich nicht, sie lässt dich nur auf ihr laufen und letztlich liegt es bei dir, zu erkennen, dass auch du sie nicht täuschen kannst, dass du auf ihr das Opfer deiner eigenen Lügen bist.
 



 
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