Prosafischer

Paul

Mitglied
prosaisches Lied des Prosafischers

die Sinne des Tags justiert, fixiert, visiert wie Radar, Röntgen, wie ein Medium in einer spirituellen Sitzung, wie eine Schnecke die Antennen auf Empfang, unbefleckte Empfängnis, eine Schale im Regen - angespannt die Saite der Seele im Bogen des Seins, in dem der Pfeil der Zeit im Augenblick des Loslassens vibriert - wenn das Lied der Amsel verstummt surrt das Geschoß ins Schwarze der Mitternacht und Blut wird das weiße Laken beflecken, also die Ahnung... -
verlockt, verliebt, verleitet sammeln sich am Abend die Krähen auf dem First, das Orchester stimmt sich ein, von Ferne Hufgetrappel... -
am Abend rüstet sich die Sonne für den Untergang und schlüpft in ihre rote Badehose, bereitet sich für das lodernde Bad im Meere des Entrücktseins - Zeit für die Elegien der einsam Liebenden... -
der Funke springt rasch über, überschwemmt, überrascht die Dürre, leckt gierig den Schaft entlang, züngelt wie die Viper - keine Nacht ohne Feuer, das sich epidemisch ausdehnt, ausweitet, ausufert, ausbreitet und am Rand den Himmel küßt... -
die Burg am Horizont ist hell erleuchtet, die Zugbrücke herunter, der Graben tief, die Krokodile hungrig, Fleisch, Fleisch, Fleisch und Blut, schau lieber nach oben, sieh, wie die Krähen keckernd und hämisch im Mondenschein tanzen... -
heiliger Hort, Burg der Träume, Ort der freien Geister - wehe dem, der nicht nackt, im Verließ klirren schon die Ketten... - mitternächtlich buntes Treiben dagegen in den Säälen (...), Erquickung für die verstaubten Reiter, Labsal, Tanz und ewge Lust... -
da, ein Surren durchzuckt, durchblitzt die laue Nachtluft, der Pfeil der Zeit hat die Saite, hat die Seele überwunden, schwirrt und sirrt wie Tinitus, rast heran und trifft - das Lied der Amsel ist verstummt, Ahnung weicht dem Schmerz... -
Stille.
ein glühendroter Fisch fliegt leuchtend gen Himmel, kündet uns, die Morgenröte ist nahe, kündet uns den Wiedertag.
Zeit die Netze zu raffen, hinaus, hinaus auf hohe See!
 
G

Gerhard Kemme

Gast
Hallo Paul,
da hast du dir mit deinem neuronalen Netzwerk einen Fang an Land gezogen. Bin, wie wir Hamburger sagen,"schlichtweg von den Socken", solche doch lyrische Perfektion in der treffenden Variation von Wörtern und Metaphern schien mir zuvor kaum möglich. Flüchtig lesend über den Text huschen macht spass. Allerdings hast du hier ja bildungsbeflissene Leser, die alles haben wollen, und so will ich zumindest den Versuch machen, den ersten Absatz zu interpretieren von "die Sinne des Tages..." bis "..also die Ahnung":
Ein Subjekt der Spezies Mensch bei seinem Tageswerk. Unkonzentriert, schwammig hat es null Chance, der Geisterradler nietet ihn um, die hämische Falle fasst den Naiven. Die Sinne sind technisch vervielfacht, doch die beste Optik nützt nix, wenn sie nicht präzise eingestellt wird. Selbst Kinder besuchen Sehschulen oder Konzentrationskurse und der Anschusschütze dreht langsam den Imbusschlüssel am Visier. Der Doppelkorn stillt das Zittern der Hände. Eigentlich müsste ich oftmals Einen nehmen, aber es herrscht Massenandrang der Wahrnehmungen, die totale Reizüberflutung.
Tschüss Gerd
 



 
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