Qi bei der Arbeit

Gleich kommt die große Rutsche. Qi freut sich jetzt schon darauf, wie er jauchzend hineingleiten wird.

Hier im Hippocampus sind im Moment eine Menge Kollegen unterwegs. Thomas, der Wirt, scheint in seinen Unterlagen zu lesen oder eine ähnlich anregende Tätigkeit auszuführen. Jedenfalls stapelt er nicht nur einen Umzugskarton auf den nächsten. Dazu ist der Verkehr zu komplex.
Qi ist vorhin an einer verödeten Hirnregion vorbeigeglitten, die ihn etwas traurig gestimmt hat. Früher, als Kind, hatte Thomas doch so gern Gedichte gelesen. Er hatte sogar selbst welche geschrieben. Doch jetzt hängen dort drüben nur einige verdorrte Dendriten herum. Die Axone sind sogar vollständig verschwunden. Qi nennt dieses Areal im Gehirn von Thomas die „Detroit Region“.
„Wie im Großen so im Kleinen“, schließt er mit dem berühmten Spruch an diesen Gedanken an. Qi schmunzelt vor sich hin. Laterales Denken ist doch immer wieder schön anregend.
Die Ionenkanäle im Frontallappen sind in Ordnung. Thomas treibt regelmäßig Sport und hält sich mit Alkohol und Tabak zurück. Das zeigt sich hier ganz deutlich. Allerdings ist die Gesamtstruktur im Stirnbereich unzureichend ausgebildet. Da geht entschieden mehr. Aber Thomas meditiert nicht. Mit der Erleuchtung gibt das nichts in diesem Leben.
Na ja, es geht immer weiter, denkt Qi. Es entsteht dieses Leben, es geht, dann kommt die nächste Runde. Das Bewusstsein von Thomas kann diese Wahrheit noch nicht reflektieren, aber er, Qi, kennt sich auf diesem Gebiet bestens aus.

Und jetzt kommt der Höhepunkt. Vor ihm baut sich der Synapsenspalt in der Zielregion auf.
Qi macht auf der rechtsseitigen Kante halt. Er späht nach gegenüber. Jawohl, der Empfänger hat sich bereits vorgestülpt, um die chemische Message zu empfangen. Brav so, gut gemacht.
Qi hüpft mit einem Freudenschrei in die Membranlücke und schießt volles Rohr die Informationen über Thomas` neue Hausnummer an das andere Ufer. Bereitwillig nimmt der Empfänger den Input entgegen, um die Information in das Langzeitgedächtnis zu transportieren. Er grüßt noch zu Qi hinunter und macht sich auf den Weg zu seinem Axon.
Qi hat jetzt erst einmal Pause. Genüsslich windet er sich in der kosmischen Leere des Synapsenspaltes. Bald hüpft er zu einer Supernova und genießt die Show. Dann nimmt er ein erquickendes Energiebad in einem schwarzen Loch. Wie herrlich ist doch dieses Superleben für einen Qi-Transponder in der Leere.
Von wegen Leere. Wenn die Menschen wüssten, was hier los ist, dann würden sie ihr Denken schleunigst ändern. Na ja, der große Spielmacher hat gewollt, dass die Leut` selbst darauf kommen.
Wehe, wenn man vor der Zeit etwas verrät. Ogottogott, Qi möchte gar nicht an die Konsequenzen für den Informanten denken.

Er lässt sich noch etwas, auf dem Rücken schaukelnd, in den Wogen des Alls gutgehen. Da sieht er ein Lämpchen im Großhirn aufleuchten. Thomas hat seine neue Festnetznummer entdeckt und lernt sie jetzt auswendig.
Mit einem flotten Sprung hievt Qi sich wieder auf die Kante und macht sich auf dem Weg zum Ursprung des Signals. Weiter geht`s, die Arbeit ruft.
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Rhondaly, eine witzige Idee, Qi zum Protagonisten eines Textes zu machen. Qi = ? Lebensenergie? Jedenfalls hab ich durch Deinen Text eine Vorstellung davon gewonnen, woher mein Tinnitus kommen könnte :) LG - herziblatti
 



 
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