Rache führt direkt in den Knast

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XBLiebig

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Es ist kalt hier im Knast. Gerade jetzt im Spätherbst erscheinen die Gänge zugiger denn je, von den Zellen ganz zu schweigen. Hier im Besucherraum geht es ja noch. Dies ist nun mal kein Vorzeigeknast wie Stadelheim oder Stammheim. Baujahr 1902. Das laute Klacken der Schritte der Gefängniswärter in den Gängen ist in dieser Zeit am unerträglichsten. Jetzt ist die Zeit, wo klamme Kälte bis in die Knochen dringt. Im Winter hat man sich schon auf diese Temperaturen eingestellt. Aber Anfang November steigt die Selbstmordrate, sagen die Aufseher.

Meine Geschichte? Wenn Sie einen Moment Zeit haben, versuche ich, die Ereignisse möglichst genau und schnell zu schildern. Vielleicht kann man ja daraus lernen.

Ja, wo fange ich am besten an? Ist egal.

Also. Ich hatte ein perfektes Leben. Ein gutbezahlter Job, mein eigenes Häuschen fast abgezahlt, eine blendend schöne Frau und zwei süße Kinder. Jens und Martina. Doch dann kam der Tag, an dem meine Traumwelt zerbrach.

Mein Abteilungsleiter ging in den Ruhestand, ich bewarb mich um seinen Job - und bekam ihn nicht. Stattdessen hatte ich plötzlich den größten Idioten der Menschheit als Vorgesetzten, den Spezl eines Spezls vom Big Boss. Ich mochte ihn von Anfang an nicht, so wie er mich spontan hasste. Das ging eine Zeitlang gut. Aber an diese Situation kann man sich nicht wirklich gewöhnen. Er gab mir blödsinnige Anweisungen, die ich ignorierte und wurde prompt abgemahnt. Das nächste Mal führte ich seine Befehle aus und wurde vom Chef der Firma persönlich verwarnt, weil ich einen Auftrag gefährdet hätte. Mein Abteilungsleiter bestritt natürlich, mir diese Anweisungen gegeben zu haben und grinste mich hinter dem Rücken des Chefs an.

So ging das Tag für Tag, er wurde immer schlimmer und hinterhältiger. Anfangs ein Katz- und Mausspiel, entwickelte sich die Situation zusehends dramatischer. Darunter litt natürlich mein Familienleben. Am Abend kam ich stets müde und ausgelaugt nach Hause und erzählte meiner Frau die neuesten Schikanen. Abend für Abend. Natürlich war das schwer für sie zu ertragen. Aber irgendwo musste ich das doch los werden, oder? Kündigen kam nicht in Frage. Die finanziellen Belastungen waren zu hoch. Und wer stellt heute noch einen 45jährigen hochqualifizierten Greis ein?

So ging der Streit zuhause weiter. Tag für Tag. Tagsüber Stress, abends Stress. Kein Sex mehr, kein Lachen. Und eines Tages kam ich heim in ein leeres Haus. Alles ausgeräumt, bis auf ein paar Möbelstücke, die ohnehin längst dem Sperrmüll versprochen waren. Daneben ein knapper Abschiedsbrief meiner Frau adressiert an den „Loser an meiner Seite“, nebst einem Schreiben ihres Rechtsanwalts. Adieu, meine Idylle!

Doch es sollte noch schlimmer kommen.

Die Unterhaltszahlungen waren enorm. Gleichzeitig schaffte es mein Boss, mich auf eine neue Position zu setzen. „Special Projects Manager“ hieß mein Titel. Mein bisheriger Job war angeblich nicht mehr nötig, wurde aber gleich, nachdem ich den neuen Vertrag unterschrieben hatte, wieder enorm wichtig und mit einem smarten 25Jährigen besetzt, der zufällig einen Patenonkel in der Firma hatte. Meine Spezialaufgaben bestanden in allen Tätigkeiten, die sonst keiner machen wollte, mein Gehalt wurde halbiert. Änderungskündigung, verstehen Sie? Dann musste ich das Haus zu einem Spottpreis verkaufen und war nach Zahlung des Darlehensrestes an die Banken pleite. Später erfuhr ich, dass es meine Ex-Frau war, die unser Heim so billig zurückgekauft hatte, um mit ihrem neuen Freund wieder einzuziehen.

Ich hauste fortan in einer winzigen Dachkammer. Zugig wie hier, im Winter lausig kalt, im Sommer brütend heiß.

Dann ging es einfach nicht mehr. Ich wollte nicht mehr Opfer sein und nahm die Dinge in die Hand. Ich begann zunächst, mich bei meinem Vorgesetzten einzuschleimen. Er fand es sehr amüsant, mich noch tiefer sinken zu sehen. Er bestand darauf, dass ich ihn fortan mit Massa anzureden habe, und er rief mich Bimbo. Er fühlte sich ja so sicher. Er erzählte mir abends in der Kneipe, in die er mich mitnahm, um nicht zahlen zu müssen, Geschichten aus seinem Leben. Ich erfuhr, wie toll er sei, was er alles schon gemacht hatte, wie scharf seine gegenwärtige Geliebte sei, wen er alles schon reingelegt hatte und und und. Das schien seine Achillesferse zu sein: er brauchte einen Bewunderer. Denn was nutzte ein schönes Leben, wenn es keiner bemerkte? Er war ja so eitel. Daher prägte ich mir jedes Detail ein. Irgendwann, nach vielen durchzechten Nächten, kannte ich den Namen der Geliebten und das Hotel, in dem sie immer abstiegen.

Er lud mich schließlich irgendwann zu sich nach Hause ein, und so lernte ich seine Frau kennen. Ich dir zeigen mein schönes Leben, Bimbo. Mit treusorgender Frau und heißer Geliebter. Für alle Eventualitäten gesorgt, du verstehen, Bimbo?

Natürlich ahnte sie die Eskapaden ihres Gatten. Ich handelte schnell. Eine arme, vernachlässigte Ehefrau, die sich ihre Idylle täglich selbst vorgaukeln musste, um nicht zu zerbrechen, war eine leichte Beute. Bei ihr musste ich mir die geringste Mühe machen. Als Gegenleistung für meine scheinbare Liebe und Geborgenheit, gab sie mir ihren Körper. Wir trafen uns, wann immer Massa auf Reisen war. Bimbo sich kümmern um Massas Frau. So hatte ich Zugang zu seinem Haus und - wenn sie schlief – zu seinem Arbeitszimmer.

Verstehen Sie? Mein Plan war langfristig ausgelegt. Er sollte ganz überraschend und total wirken. Ich wusste: meine Zeit würde kommen. Ich mußte nur auf meine Chance warten.

Ich nahm mir immer wieder kleine Gegenstände mit. Ein Taschentuch mit seinem Monogramm, sein Feuerzeug, das er einst, eitel wie er war, mit seinen Initialen versehen ließ, Zigarettenstummel, alles, was irgendwie mit ihm zu tun hatte. Ich besaß schließlich eine stattliche Sammlung von Dingen, die ich in eine Schachtel mit der Aufschrift Devotionalien packte. Mein Prunkstück war ein Ohrring, den ich gefunden hatte, als ich Massas Auto wieder mal putzen durfte. Ich wusste, dass es der Ohrring der Geliebten war, weil er mich immer wieder fragte, ob ich ihn gefunden hätte. Als nächstes übte ich nächtelang seine Handschrift und Unterschrift.

Wofür auch immer, das wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass ich mich rächen wollte. Und meine Rache würde groß sein. Andererseits hört man ja immer, dass sich Verbrechen nicht lohnt. Irgendwann kommt immer alles auf. Und dann landet man im Gefängnis. Aber das war mir damals vollkommen egal. Ich wusste ja nicht, wie schrecklich ein Leben im Knast sein kann.

Schließlich hatte ich bei Gesprächen mit meinem Massa immer ein elektronisches Diktiergerät bei mir. Versteckt natürlich in meiner Jackentasche, verbunden mit einem winzig kleinen Mikrofon in meinem Revers.

Ich brachte ihn dazu, bestimmte Worte zu sagen. Zum Beispiel Ruhe, bringe, Haß, hasse, Kuh, blöd, Schlüssel, dämlich... Zu diesem Zwecke gab ich ihm angebliche Kundenbeschwerden in die Hand und forderte ihn auf: „Lesen Sie mal, wie unverschämt so manche Kunden sind.“ Und da er sich immer gerne selber hörte, las er die angestrichenen Passagen laut vor. Besonders genial war die angebliche Kundenpassage: „Nach Benutzung Ihrer Produkte ist man verzweifelt. Da werde ich zum Mörder.“

Aus all diesen Schnipseln bastelte ich mit einem Spezialprogramm am PC einen Satz:

„Hallo, du blöde Kuh, ich hasse dich. Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, komme ich und bringe dich um. Ich habe dich zwar verlassen, aber den Schlüssel habe ich ja noch. Es wird aussehen, als hättest du Selbstmord begangen. Da werde ich zum Mörder.“

Ja, ich wollte seine Frau umbringen und ihn zum Täter machen. Doch im Leben geht alles oft anders als geplant.

Denn nun begann mein Plan eine Eigendynamik anzunehmen. Je mehr ich darüber nachdachte, zerflossen meine Ideen. Wie sollte ich mein perfektes Verbrechen begehen? Ich konnte ja noch nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun. Seine Frau umbringen? Geht nicht. Ich begann zu zweifeln und wollte schon meine Sammlung wegwerfen. Blöde Idee.

Ich begann aufzuräumen und fing damit an, ihr alle Fakten über ihren Mann zu stecken, zunächst mit einem Brief an seine Freundin, den natürlich ich verfaßt hatte und einer getürkten Hotelrechnung. Und ich deutete ihr an, sie verlassen zu wollen.

Als ich am nächsten Tag „heimkehrte“, war alles erledigt.

Es war dunkel im Haus, es war still. Ich ging in den ersten Stock, wo sich das Schlafzimmer befand. Ich machte das Licht an und fand sie leblos im Bett. Nackt. Bereits zerfallende Schönheit.

Ich erkannte meine Chance. Hier war sie also. Den Abschiedsbrief auf dem Nachtkästchen steckte ich geistesgegenwärtig ein.

Ich musste gar nicht selber töten! Ich stellte die Zeit am Anrufbeantworter um eine Stunde zurück. Schnell fuhr ich in meine Dachwohnung, immer in Angst, entdeckt zu werden. Ich packte meine Devotionalienschachtel und fuhr zurück. Vorher rief ich von einer Telefonzelle die Nummer meines Chefs an, wartete, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete und ließ meine vorbereitete Nachricht laufen. Als ich die Wohnung betrat, betrachtete ich mit Genugtuung das blinkende Licht, schaltete auf Wiedergabe und stellte die Zeit wieder richtig ein. Sorgsam vernichtete ich alle Spuren meiner bisherigen Anwesenheit und platzierte meine Devotionalien. Eine Pillendose mit seinen Fingerabdrücken, in die ich eine der Schlaftabletten steckte, die sie offenbar benutzt hatte. Ich verteilte Asche und Zigarettenstummel auf dem Bett. Einen Manschettenknopf unter ihrem Körper. Ich band die Leiche am Bett fest. Es sollte aussehen, als wäre sie zum Schlucken der Tabletten gezwungen worden. Ich kippte reichlich Rum in ihren Mund, auf sie und das Laken und legte die halbleere Flasche mit seinen Fingerabdrücken in den Abfalleimer unter der Küchenspüle. Das sollte genügen.

Das tat es auch. Die Polizei, die ich von einer Telefonzelle aus alarmierte, nahm die offensichtlichen „Beweise“ dankbar zur Kenntnis. Alles passte so perfekt zusammen, dass nur eine oberflächliche Autopsie zur Bestätigung der offensichtlichen Beweise durchgeführt wurde.

Massa wurde verhaftet und wegen Mordes angeklagt, obwohl Zweifel bestanden. Hatte er doch ein Alibi durch eine junge Frau.

Bis die Polizei eines Tages dann doch vor meiner Tür stand.

Die dumme Pute hatte offenbar Tagebuch über mich geführt, über unser Verhältnis und dass ich einen Schlüssel zum Haus hatte. Offenbar hatte sie mich nicht nur aus Einsamkeit in ihr Schlafzimmer gelassen. Sie hatte mich geliebt und war drauf und dran, ihren Mann zu verlassen. Das traf mich hart. Das war auch der Inhalt Ihres Abschiedsbriefes, wusste sie doch, dass ein Leben mit mir nicht zur Debatte stand.

So war es Zeit für mein Geständnis.

Ich gestand, dass ich meine Geliebte tot aufgefunden und dass ich die Polizei angerufen hatte. Ich gestand reumütig, dass ich meinen Chef schützen wollte und Beweise unterschlagen hatte – offenbar hätte ich wohl doch noch einige übersehen. Und ich präsentierte ihnen nach einigem gut gespielten Drucksen meinerseits und Drängen der eifrigen Polizisten auch den Ohrring seiner Freundin, den ich auf dem Bett gefunden hätte. Adieu Alibi!

Hin und wieder besuche ich ihn, den geschlagenen Mann, der am Leben verzweifelt, in diesem zugigen Knast. Das ist meine Genugtuung. Er hält mich für seinen Freund. Manchmal bekommt er auch Post aus dem Frauengefängnis. Sie hätte wohl besser den Respekt vor einer Ehe haben sollen.

Der Höhepunkt steht noch aus, wenn ich ihm eines Tages alles erzählen werde. Bis dahin wird er noch viele Winter in diesem zugigen Gefängnis erleben.

Dann Bimbo abholen Massa aus Knast und erzählen Wahrheit. Du aber nix haben Beweise. Massa nix büßen für Mord. Massa büßen für Bimbo.
 



 
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