Räumung

4,10 Stern(e) 15 Bewertungen

anbas

Mitglied
Räumung

Betretene Gesichter
Eingedrungen
in fremde Gefilde

65 Jahre Leben
30 Jahre diese Wohnung

Selbstgemalte Bilder
Picasso kopiert
Unvollendetes auf der Staffelei

Nippes in Setzkästen
Vergilbte Fotos
Ein Autoreifen im Flur
Benutztes Geschirr in der Spüle
Der Staubsauger neben dem Bett
Papiere verstreut auf den Tischen
Antike Möbel aus besseren Zeiten

Die Wohnung verlassen
scheinbar nur für kurze Zeit

Jemand tauscht das Türschloss aus
Der prüfende Blick des Gerichtsvollziehers
Ein Spediteur kalkuliert den Aufwand
Der Vermieter ringt um Fassung
- man habe doch alles versucht, kannte sich seit Jahren

Nur das Auto sei fort,
sagt der Hausmeister

Auf dem Wohnzimmertisch ein kleiner Zettel
Eine Telefonnummer
Darunter geschrieben
"Bitte informieren Sie meine Tochter Jasmin!"
 

Joh

Mitglied
Hallo Anbas

Der aufzählende Stil paßt zu dieser einerseits profesionnelen und auch hilflosen Situation. Das fremde Leid kann nicht nachempfunden nur fortgeräumt werden. Es macht nachdenklich und ich finde es gut geschrieben.


ein Gruß an Dich, Johanna
 
M

mirami

Gast
hallo anbas,

fesselnd der kontast zwischen rührung und realien. das ungewollte eindringen müssen in die privatsphäre anderer hast du schmerzlich gekonnt in worte gefasst.

viele grüße
mirami
 
B

Beba

Gast
Die Situation hast du wunderbar ausgemalt, mit lebendigen Bildern wie etwa Ein Autoreifen im Flur. Damit kann der Leser etwas anfangen. Wenn mir das Ende verständnismäßig auch noch etwas im Verborgenen bleibt, so finde ich auch das interessant. Und dass der Vermieter um Fassung ringt, ist für mich hier nicht unerheblich, weil sonst schnell der Schuldige gefunden ist (was leider häufig auch der Realtität entspreicht). Hier bleiben viele Varianten. ;)

Gefällt mir sehr,
Bernd
 
H

Hakan Tezkan

Gast
wirklich tolle knallhart nüchterne lyrik, aus der ab und an zynik und emotion hervorbricht...
gelungen!

lg,
hakan
 

anbas

Mitglied
Hallo und vielen Dank für die Rückmeldungen :).

Dieser Text beruht auf einer wahren Begebenheit, die ich vor ein paar Tagen so erlebt und auf diese Art und Weise für mich - zumindest teilweise - verabreitet habe.

Liebe Grüße

Andreas
 

Retep

Mitglied
Wie allen anderen gefällt mir der Text sehr gut,
das ist Lyrik mit Anspruch.
Habe nichts zu meckern, habe auch so bewertet.

Chapeau!

Gruß

Retep
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Anbas,

für mich erzählst du nur als Momentaufnahme eine Geschichte, die noch nicht zu Ende geschrieben ist.

Die Momentaufnahme ist allerdings gut :)

LG

Herbert
 

anbas

Mitglied
Vielen Dank Herbert,

ja, es ist eine Momentaufnahme. Manchmal sagen die mehr aus, als die eigentliche Geschichte - finde ich zumindest.

Liebe Grüße

Andreas
 

Sommerwind

Mitglied
Hallo Andreas

bin durch Deine Geschichte "Protokoll einer Misshandlung" auf Dich und dieses ausdrucksstarke Gedicht aufmerksam geworden.
Auch hier kann (und möchte) ich keine Note vergeben,weil mich als Leser der Inhalt zu betroffen macht und tief berührt .



Herzliche Grüße an Dich von der beeindruckten Martina
 

Jeanny

Mitglied
Ohne Geschnörkel und dabei Lebensecht.
Behalte Dir Deinen Blick, Du wirst durchs Sehen noch weiter malen...
Jeanny
 

anbas

Mitglied
Vielen Dank!

Wie ich bereits schon an anderer Stelle schrieb, ist das Gedicht aus meinem beruflichen Kontext heraus entstanden. Diese Räumung hat wirklich so stattgefunden. Nur den Namen habe ich geändert.

Meine Aufgabe war es gewesen, diese Räumung zu verhindern. Ein Jahr zuvor war es mir noch gelungen. Doch dann kam es zu neuen Mietschulden, weil sein Arbeitgeber ihm - wie im Jahr zuvor - wieder über Monate kein Gehalt gezahlt hatte und er sich dagegen nicht wehren mochte. Diesmal hatte der Mann die meisten Hilfsangebote von mir und anderen Stellen nicht annehmen wollen und letztendlich sämtliche Kontakte abgebrochen.
Bei der Räumung war ich dann ausnahmsweise mit dabei gewesen. Nachdem ich den Zettel gefunden hatte, habe ich das Schlimmste befürchtet. Dies ist zum Glück nicht eingetreten. Ich habe dann noch am selben Tag wieder Kontakt zu ihm bekommen. Er wollte auf keinen Fall in ein Wohnheim für Obdachlose und hat daher etwa 6 Wochen lang in seinem Auto gelebt. Dann konnten wir ihm eine neue Bleibe organisieren. Was weiter aus ihm geworden ist, weiß ich nicht.

Das Gedicht spricht eigentlich schon für sich. Doch da ich weiß, dass es auch immer wieder Leser gibt, die sich auch für die Hintergründe interessieren, habe ich an dieser Stelle mal ein paar davon geliefert.

Liebe Grüße

Andreas
 
R

Rose

Gast
Lieber anbas,

die traurige, nackte Wirklichkeit gut ins Bild gesetzt.

Blumige Grüße
Rose
 

anbas

Mitglied
Ja Rose, das Leben liefert die besten Geschichten - nur leider haben sie längst nicht immer ein Happy End und sind nicht automatisch die schönsten oder lustigsten Begebenheiten.

Euch allen danke ich auch für die guten Bewertungen!

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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