Rapfunzel

Charima

Mitglied
Dieser Text, von dem ich nicht weiß, wo ich ihn sonst einordnen sollte, entstand nach einer Bemerkung von Stefanie "Steffi" B. auf der vorletzten Schreibwerkstatt im Haus Felsenkeller. Ich danke Dir hiermit für Deine Inspiration, liebe Steffi - auch wenn ich weiß, daß ich noch viel an diesem Text arbeiten muß!

Der Text paßt im übrigen nicht unter meinen Nick "Charima" -wenn ich mehrere Nicks eröffnet hätte, stände er vermutlich unter dem Teilnamen von mir, der sich "Lolla" nennt. Das nur am Rand und falls DU es lesen solltest, lieber Volkmar (in Bezug auf unsere ausgiebige Diskussion).



Rapfunzel


Vor langer, langer Zeit, als der Fernseher und das Internet modern waren und die Menschen noch keine neuen Medialtechniken kannten, lebte in einer rückständig patriarchalischen Gesellschaft ein Mädchen. Dieses Mädchen war nicht so wie die anderen. Es erschien ihren männlichen Zeitgenossen als zu "frech", weil es stets nur seine eigene Meinung äußerte. Darum wurde es auf einen ausrangierten Sendeturm ohne Mikrophon verbannt, bis es sich bereiterklären würde, Gemahlin und somit "Mädchen für alles" eines gesellschaftlich anerkannten Mannes zu werden.

Dort vegetierte es vor sich hin, jedoch nicht, ohne seine eigenen Gedanken weiterzuspinnen. Weil die Verbanner an vieles gedacht, aber die Notwendigkeit eines Friseurs außer Acht gelassen hatten, wurden die blonden Haare des Mädchens länger und länger. Das Düngemittel in den genmanipulierten Früchten der täglichen Mahlzeiten trug einen weiteren Teil dazu bei, das Wachstum zu beschleunigen, so daß schließlich eine lange, dichte Matte entstand, welche die gesamte Plattform des Sendeturms bedeckte und wie eine helle Funzel leuchtete.

Tag für Tag kamen nun stahlroßbewehrte Frösche vorbei, die das Mädchen glauben machen wollten, sie seien Prinzen. Das nützte ihnen jedoch herzlich wenig, da das Mädchen von einer Monarchie ebensowenig hielt wie von einem Wachstiegel zum Enthaaren seiner Beine.

Frech grinste es die Bewerber an und lachte lauthals über ihre vergeblichen Bemühungen, die Plattform zu erreichen. Die meisten hingen sich dazu wie besessen in ihre Haarpracht und versuchten, Tarzan in der Stadt zu spielen. Nur mit dem Unterschied, daß Tarzan selbst in der Stadt eine wesentlich bessere Figur gemacht hätte.

Allerdings erschienen dem Mädchen die Befreiungsversuche ohnehin stümperhaft. Denn es hatte beschlossen, sich nicht zur Puppe eines Möchtegernprinzen degradieren zu lassen. Das Mädchen verspürte keine Lust darauf, sich von einem solchen Versager flachlegen zu lassen und dann lebenslänglich per Trauschein an ihn gekettet zu sein, bloß um den zugewiesenen Sendeturm verlassen zu können.

Dies ahnte jedoch keiner ihrer Verehrer, da ihre blauen Augen, die auf dem Steckbrief per Retuschierung sehr vorteilhaft betont waren, auf den ersten Blick an Käthe Kruses Anna erinnerten und jedes männliche Wesen ins Träumen bringen konnten. Daher erschienen die Froschprinzen in Scharen, um ihr Glück zu versuchen.

Trotzdem bestand für das Mädchen keine Gefahr, sein Singledasein zu verlieren. Zuviel Bier und Fernsehkonsum hatte die Gehirne der Probanden aufgeweicht und sämtliche Muskeln erschlaffen lassen, so daß es niemandem gelang, auch nur die Hälfte ihres Zopfes zu erklimmen.

Da das Mädchen außerdem jedem vorbeikommenden Frosch erzählte, es liebe Dinosaurier und halte sich Raptoren - was sich durch das eigene, markerschütternde Gebrüll glaubhaft belegen ließ -, schlug es selbst die hartnäckigeren Froschprinzen in die Flucht und erlangte bald eine gewisse Berühmtheit als "Rapfunzel".

Als eines Tages wieder ein Frosch in seinem Kadett bei einer übereilten Flucht außer einem Totalschaden eine noch weniger funktionale Hirnmasse heimwärts trug, entdeckte Rapfunzel ein altes Auspuffrohr. Dieses war aufgrund einer Detonation bei einem übereilten Fluchtversuch den Turm hinauf geschleudert worden, unter ihren Locken bisher jedoch unentdeckt geblieben.

Sofort nahm das freche Mädchen sich einen Hammer, plättete damit ein Ende des Rohres und benutzte die Turmwand als Schleifstein. Anschließend betätigte sich Rapfunzel als Friseuse. Das Haareschneiden entpuppte sich zwar nicht als ihre größte Stärke, half aber immerhin, zu einem kräftigen Seil zu gelangen. Die Flucht aus dem Turm war nun ein Kinderspiel.

Endlich wieder frei, entwirrte Rapfunzel die langen Haare vom Turm und verkaufte diese auf dem chinesischen Markt, wo blondes Echthaar sehr begehrt war. Mit dem verdienten Geld zog sie in ein Kasino und zockte mit ihren Pokertricks alle Anwesenden ab, bis diese weder Geld, noch Unterwäsche oder Haare besaßen.

Der enorme Gewinn ermöglichte Rapfunzel ein Leben ohne die Belästigung durch Frösche oder genmanipulierte Tomaten, die beim Kochen in sich zusammenfielen und nach abgestandenem Mineralwasser schmeckten. Sie schaffte es sogar, alle Frösche in die hintersten Ecken sämtlicher Küchen zu verbannen. So wurden sowohl das Patriarchat, als auch das veraltete Modell des vorgeblichen Prinzen abgeschafft, und das neue Zeitalter trat seinen Siegeszug an.
 

Antaris

Mitglied
Hallo Lolla,

ich wusste garnicht, dass Du einen Hang zur Satire hast! Das ist ja eine ziemlich schräge Story, die Du fertig gekriegt hat. Stilistisch fällt mir auf, dass Deine Sprache immer stärker verdichtet wird. Das wär's für den Anfang, vielleicht fallen mir bei widerholtem Lesen noch ein paar Details auf.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 

Charima

Mitglied
Liebe Antaris!

Wuuuuuh! Mit einem solchen Lob ausgerechnet von Dir fühle ich mich natürlich sauwohl! Aber falls Dir auffällige Schnitzer bei mir ins Auge springen, scheu Dich nicht, sie mir an den Kopf zu schmeißen - Du hast schließlich einen geschulten Blick für solche Dinge.

Danke - reich die Pranke,

"Lolla"
 
R

Rote Socke

Gast
Allein dieser Name ist köstlich genug, mit Spannung den Text von A - Z zu verfolgen. Antaris hat recht: Der gelungene Text würde prima ins Satire/Ironie Forum passen. Aber der Sinn ist deutlich und die Protagonistin lehnt sich nicht nur tapfer auf, sie gewinnt auch noch. Ein kleines mutmachendes Lehrstück!!!

Aber verzeih wennn ich ein wenig bei dem Thema bleibe: Was ändert es am Text, wenn er nicht von Charima sondern von XY gepostet worden wäre? Für Dich mag es von Bedeutung sein, aber zumindest den regelmäßigen Lupenleser würde es verwirren. Nun gut, anderseits wäre es auch kein Beinbruch. Du siehst, ich komme mit diesem Thema Mehrfachuser nicht so klar. Verzeih!

LG
Volkmar
 
Liebe Charima,
deine Variante von Rapunzel gefällt mir gut. Allein die Idee ist schon spitze.
Da du ausdrücklich nach möglichen Verbesserungen fragst, wage ich hier ein paar Vorschläge. Ok?
Im 2. Absatz würde ich das Wort „Mädchen“ noch einmal benutzen.
... wurden die blonden Haare des Mädchens länger und länger.

Am Schluss des 4. Absatzes würde ich Turmspitze (statt Turm) schreiben, denn an den Turm selbst kommen die Freier ja heran.

Der 4. Absatz ist m.E. eh ein wenig unglücklich formuliert. Wenn du möchtest, mache ich mir einmal Gedanken darüber. Sage mir aber bitte Bescheid, denn aufdrängen will ich mich ja keinesfalls.

Beste Grüße
Willi
 

Charima

Mitglied
Lieber Volkmar!

Vielen Dank für Deine aufbauenden Worte! Etwas tief in mir fängt an zu kribbeln bei dem Wort "Satire" - sollte mein Text tatsächlich in diese Richtung gehen? Wenn Du und Antaris diese Ansicht vertretet... Es würde mich wahnsinnig freuen, denn ich war immer der Ansicht, etwas Derartiges nie zustandebringen zu können.

Nochmal zum Thema "Mehrfachuser". Deine Ansicht ist vollkommen in Ordnung, und ich kann sie gut nachempfinden. Ich möchte schließlich auch gerne Bescheid wissen, wenn jemand, dessen Texte mir oft gefallen, einen neuen Text in die Lupe setzt.
Ich vermute, daß ich selbst in der Lupe aus oben genanntem Grund immer "Charima" bleiben werde, aber mit vielen verschiedenen "Unterkategorien". Eine davon ist eben "Lolla", denn sie ist eine vollkommen andere, eigene Identität in mir. Texte von "Lolla" würde ich auch vollkommen anders vortragen als die von "Charima", was insbesondere bei unserer Frühlingslesung der Schreibwerkstatt Bedeutung erlangen könnte.

Ich hoffe, daß Du mich verstehst und wünsche Dir ein schönes Wochenende! :)

Liebe Grüße,

Charima bzw. Lolla
 
R

Rote Socke

Gast
Hi Lolla,

klar verstehe ich was Du sagen willst. Nur ich bin halt Praktiker und im praktischen Alltag in der Lupe, wo ich viele User persönlich kenne, oh Schreck: Da müsste ich mir sooooooo viele Namen merken. Und ruckzuck geht was vertauscht und der Frust ist da. Ich weiß, dass auch Du mich verstehst.

Schönen Sonntag
Volkmar

P.S. Ist vielleicht ein ein wenig Geschmackssache. Ich sehe eben starke satirische Züge im Text. Du nicht?
 

Charima

Mitglied
Hallo, Willi!

Zuerst einmal vielen Dank für Deine Hilfe! :)
Wie Du siehst, habe ich Deinen ersten Vorschlag gut gebrauchen können. Beim Einsetzen Deiner zweiten Verbesserungsmöglichkeit hat mich das Fieber gepackt, den ganzen Text noch einmal vollkommen zu überabeiten, wozu ich unter anderem den vierten Absatz vollkommen gelöscht habe. Du hattest Recht - er war wirklich unglücklich formuliert.

Ob Dir der Text in der neuen Fassung besser gefällt, weiß ich nicht - ich jedenfalls finde ihn so gelungener. Wenn Du jedoch weitere Vorschläge zur Textverbesserung zu machen hast, würde ich mich sehr darüber freuen, da ich vorhabe, "Rapfunzel" unter Umständen auf der nächsten Frühlingslesung vorzutragen.

Vielen Dank,

Charima & Lolla

P.S.: Lieber Volkmar, gerade eben habe ich gesehen, daß Du eine neue Anmerkung gepostet hast. Sicher hast du Recht, und ich kann Dich beruhigen: Wenn Du Dir "Charima" merkst, genügt mir das ! :)

Bezüglich der Satire: Ich hatte gehofft, daß mein Text in diese Richtung geht, mich jedoch nicht getraut, ernsthaft daran zu glauben, da ich immer dachte, diese Richtung liegt mir nicht. OK?
 
Hallo Charima,
freut mich, dass du einige Vorschläge verwenden konntest. Der Text ist schon viel lesefreundlicher geworden.
Hier noch ein paar Anregungen.
1. Absatz: ... „frech“, weil es stets nur seine eigene Meinung äußerte.

5. Absatz: Allerdings erschienen dem Mädchen die Befreiungsversuche ohnehin stümperhaft.

7. Absatz: Für das Mädchen bestand trotzdem keine Gefahr, ihr Singledasein zu verlieren.

Ich melde mich noch einmal zum Absatz Nr. 10 - wenn du möchtest - denn dort könnte man m.E. noch klarer formulieren.
Beste Grüße
Willi
 

Charima

Mitglied
Hallo, Willi!

Danke für Deine Kritik! Wie Du siehst, habe ich all Deine Vorschläge eingeflochten, außerdem den 10. Absatz und noch einige weitere Feinheiten überarbeitet. Falls Du weitere Vorschläge zur Verbesserung hast, würde ich mich sehr freuen.

Liebe Grüße,

Charima
 
Liebe Charima,
ich hatte dich ungewollt in die Irre geführt, weil ich vom 10. statt vom 9. Absatz sprach. Meine Schuld. Aber egal, denn deine neue Formulierung dort ist auch besser so. Vielleicht schreibst du nur noch:
... verhalf ihr aber immerhin zu einem kräftigen Seil.

Was ich aber ursprünglich meinte (also 9. Absatz) ist folgendes:
Als eines Tages wieder ein Frosch mit seinem Kadett abgezogen war, und neben einem Blechschaden eine nun noch weniger funktionale Hirnmasse heimwärts trug, entdeckte Rufunzel unter ihrer Haarmatte ein altes Auspuffrohr.
(hier würde ich einen Punkt setzen, weil die Aussage sonst zu verwirrend wird, und dann fortfahren): Es war bei der übereilten Flucht wohl detoniert und hinauf in den Turm geschleudert worden.

Klingt schöner, oder?
Was aber nie heißt, dass du die Vorschläge nun verwenden musst. Es ist und bleibt ja dein Text, ok?
Lieb grüß dich
Willi

PS. Ganz zum Schluss lese ich alles noch einmal aufmerksam durch und schreibe dir meine ehrliche Meinung dazu.
 

Charima

Mitglied
Lieber Willi!

Du darfst mich gerne weiter "in die Irre" führen, wenn dabei solche Resultate herumkommen (sonst natürlich auch, da Umwege die Ortskenntnis erweitern)! ;)

Jetzt zu Deiner Verbesserung: Den ersten Vorschlag habe ich so angenommen. Auf Deinen Rat hin habe ich den neunten Absatz nochmal überarbeitet. Er gefällt mir so noch nicht richtig, aber ich finde ihn besser als vorher. Was meinst Du? Hast Du einen Tip für weitere Verbesserungen???

Es bedankt sich glücklich

Charima mit Lolla
 
Liebe Charima,
du bist mit Recht nicht ganz zufrieden mit dem 9. Absatz, wie er jetzt da steht, denn klarer formuliert ist diese Passage auch nicht. Vielleicht denkst du doch noch einmal über meinen Vorschlag nach.
Ich lese mir die Texte immer halblaut vor, dann merkt man am Besten, welche Fassung besser klingt.
Ist natürlich deine Entscheidung, aber mir sind da zu viele Aussagen drin, die nur Verwirrung stiften. Der Leser verliert den Überblick.
Es grüßt dich lieb
Willi
 

Charima

Mitglied
Lieber Willi!

Den neunten Absatz habe ich ein weiteres Mal unter die Lupe genommen. Da mir die übereilte Flucht wichtig ist, habe ich sie jedoch stehenlassen, sonst aber viele Ideen Deines Vorschlages übernommen. Was meinst Du dazu? Und wo wäre es noch ratsam, daran zu arbeiten?

Über Deine konstruktive Kritk freut sich bereits im voraus

Charima mit Lolla

P.S.: Mit den Verwirrung stiftenden Aussagen hattest Du vollkommen Recht! Das war es auch, was mich störte. Ich wußte es nur nicht genau zu benennen.
 
Liebe Charima,
ich habe den Text noch einmal sorgsam gelesen. Er gefällt mir jetzt sehr gut. Damit wirst Du bestimmt auf der Frühlingslesung viel Erfolg haben. Ich drücke Dir fest die Daumen.
Wenn Du noch einmal mögliche Anregungen suchst, dann melde Dich bitte. Manchmal übersehe ich nämlich einen Text, weil ich aus Zeitmangel nicht immer durch alle Foren surfe.
Es grüßt Dich ganz lieb
Willi
 

Charima

Mitglied
Lieber Willi!

Vielen Dank für Deine Hilfe, denn ohne diese würde der Text nicht so dastehen, wei er es jetzt tut! Manchmal brauche ich jemanden, der mir einen gehörigen Schubs gibt... Merci! :)

Auf Dein Angebot werde ich bei Bedarf SEHR GERNE zurückgreifen!

Den Gruß der strahlenden Morgensonne wünscht Dir

Charima in Eintracht mit Lolla
 



 
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