Als ich wieder einmal einen Rest Suppe ins Klo gießen wollte, erstarrte mein Arm mitten in der Bewegung. Was hatte mir an diesem Tag Ilse erzählt, als sie neben mir im Fitness-Studio auf ihrem Ergometer gestrampelt war? "Stell dir vor, wir mussten sogar unseren Holzschuppen im Garten wegreißen. Da, wo die Geräte stehen und der Rasenmäher. Sie hatten alles unterwandert. Die Löcher im Rasen sind faustgroß." Erst allmählich war mir klar geworden, dass es Ratten waren, von denen Ilse sprach. Und es schienen nicht nur einzelne Exemplare zu sein, wie aus ihren folgenden Worten zu entnehmen war. “Wir haben natürlich die Stadtverwaltung informiert und es war auch einer da, der die Gullideckel angehoben hat. Und was glaubst du, wie es da unten gewuselt hat. Hunderte, sag ich dir, hunderte!” Fast hatte ich vergessen, weiter in die Pedale zu treten, so schüttelte es mich bei dem Gedanken an die fiepende pelzige Masse. Doch Ilse war nicht mehr zu bremsen. “Bei dem dicken Polster aus Dreck und was weiß ich noch allem ist es ja auch kein Wunder, dass die Viecher sich wohl fühlen. Wenn die Schächte nie jemand sauber macht! Und die Kothaufen, die überall rumliegen, ekelhaft!”
Jetzt, mit dem Topf in der Hand, fiel mir ein, dass ins Klo gekippte Essensreste die Ratten anziehen, so dass sie die Rohre hinauf, bis in die Toilettenschüssel wandern. Ab sofort, beschloss ich, Überbleibsel meiner seltenen Kochversuche im Restmüll zu entsorgen.
Nachts im Schlafzimmer, das im Untergeschoss liegt, überlegte ich kurz, als ich das Fenster öffnete, um die frische Luft einzulassen, ob das Mückengitter ausreichen würde, um eventuell eindringen wollende Ratten von deren Vorhaben abzuhalten. Zunächst beschloss ich davon auszugehen, dass vorerst keine Gefahr bestand. Jedoch würde ich baldmöglichst mein kaum vorhandenes Wissen durch Internet-Recherchen vervollkommnen. Um zum Beispiel herauszufinden, ob die terrassenförmig aufeinandergestapelten Waschbetonblumentröge für die Ratten ein überwindbares Hindernis darstellten auf ihrem Weg von der Ebene meines Gartens hinunter in die Ebene meines Schlafgemachs.
War vielleicht das Rascheln in manchen der vergangenen Nächte nicht von einem Igel verursacht worden, sondern von einer Ratte? Konnte das auf der Terrasse für Jack, des Nachbarn Pferd, zwischengelagerte trockene Brot auch für Ratten interessant sein? Ich erinnerte mich an die bemalte Holzkiste zu Hause auf dem Dachboden. Einmal, als ich den schweren Deckel angehoben hatte, um neues Brot hineinzulegen, waren einige Mäuse herausgesprungen und über meine Füße gelaufen. Nie wieder war ich zu überreden gewesen, in die Nähe der Kiste zu kommen.
Nie wieder würde ich auch die Papierüte mit dem Brot für Jack auf die Terrasse stellen! Doch was war mit den offenen Komposthaufen der Nachbarn? Fanden da nicht auch Ratten Nahrung im Überfluss?
Die Nächte bei den Großeltern kamen mir in den Sinn. Wenn ich im alten Haus oben im Gästezimmer unter dem Dachboden schlafen musste. Die ganze Nacht waren die trippelnden Schritte zu hören gewesen und krampfhaft versuchte ich, mir nicht vorzustellen, sie liefen, während ich schlief, über mein Gesicht. All die Beruhigungsversuche meiner Großmutter erwiesen sich als erfolglos, wenn ich, mit durch die Angst geschärftem Verstand, fragte, warum dann im Zimmer auf dem Fußboden Fallen stünden, wenn doch die Mäuse überhaupt nicht hineinkämen.
Ich musste mich kundig machen. Herausfinden, wie hoch die Gefahr einzuschätzen war.
Im Büro klickte ich mich im ersten unbeobachteten Moment ins Netz ein. Neben Größe (ca. 25 cm groß ohne den etwa 20 cm langen, geringelt-nackten Schwanz) und Farbe (auf dem Rücken graubraun-rötlich, auf der Unterseite hellgrau) erfuhr ich, dass die Wanderratten, um die es sich laut Ilse handelte, in Abwassersystemen in Rudeln leben und sich durch Duftstoffe erkennen. Obwohl sie soziale Tiere sind, kommt Kannibalismus zwischen den unterschiedlichen Rudeln vor, las ich schaudernd.
Angesichts ihrer ungeheuren Fruchtbarkeit (jährlich 2 - 7 Würfe mit je 8 - 12 Jungen), fragte ich mich, warum etwas so Verabscheuungswürdiges sich so mühelos vermehren konnte. Im Gegensatz zu mir, der es nicht einmal gelungen war, unter Anwendung jeglichen medizinischen Fortschritts einen einzigen Nachkommen in die Welt zu setzen! Darüber war meine Ehe zerbrochen, mein Alter würde freudlos und einsam sein. Warum verschwendete die Natur auf der einen Seite sich selbst, um durch Versagung auf der anderen Seite Schmerz zu bereiten?
Im Zusammenhang mit der wichtigsten Frage, woran man Rattenbefall erkennt, las ich von der Möglichkeit, einen geglätteten Sandstreifen anzulegen, auf dem man dann die Trittsiegel (Vorderfuß 4 Tatzen, Hinterfuß 5 Tatzen) erkennen würde. Sogleich vermerkte ich mir im Geiste, auf dem Rückweg aus dem Gartenmarkt Spielsand mitzubringen und am gleichen Abend zur Tat zu schreiten. Abschließend wurde auf Rattenbaue, d.h. Rattenlöcher, Nagerspuren sowie Schleifspuren, die durch den Fett absondernden langen Schwanz erzeugt wurden, hingewiesen.
Am Abend schüttete ich den gekauften Sand auf die Steinplatten der Terrasse und kehrte ihn mit dem Besen glatt, so dass eine ganz ebene Oberfläche entstand. Nun würde ich zwar, um in den Garten oder auf die Terrasse zu gelangen, den Weg außen herum, an der Garage vorbei, nehmen müssen, aber diesen Umstand war ich gern bereit, in Kauf zu nehmen.
Der Sand war auch am dritten Morgen noch unberührt.
Die Frage, ob eine Ratte es schaffen würde, einen geschlossenen Klodeckel anzuheben, verursachte mir zunehmend Bauchschmerzen. Längst konnte ich nur noch mit Schlaftabletten einschlafen. Das, was früher nur ab und zu nötig gewesen war, entwickelte sich nun zu einer allnächtlichen Notwendigkeit. Schon längst setzte ich mich beim Pinkeln nicht mehr hin, brachte das andere "Geschäft", sofern ich es nicht überhaupt auf die Bürozeit auslagern konnte, noch schneller als ohnehin üblich, hinter mich. Doch nachts, wenn ich mich trotz Schlaftabletten, von einer auf die andere Seite wälzte, sah ich Heere von nassen Nagern aus dem Klo klettern und sich im Bad verstecken. Natürlich hätten sie das genausogut tagsüber tun können, aber tags begnügte ich mich damit, die Badtür stets geschlossen zu halten und nach Betreten des Bades zunächst überall nachzusehen, wo sich ein Tier dieser Größe versteckt haben könnte. Für nachts wollte ich auf Nummer sicher gehen. Den Gedanken, den Deckel mit einem schweren Gegenstand zu sichern, verwarf ich nach kurzer Prüfung. Dem wären bei meiner Schussligkeit sicherlich einige der teuren Feinsteinzeugfliesen zum Opfer gefallen. Stattdessen klebte ich den Deckel an beiden Seiten mit Paketklebeband an die Porzellanschüssel. Nun hatte ich bloß das Problem, wenn ich schlaftrunken mitten in der Nacht ein Bedürfnis verspürte, die Kühle des Plastikdeckels unter meinem warmen Fleisch zu spüren, weil ich vergessen hatte, dass das Klo nicht nur nicht mehr wie bisher offen war, sondern auch noch verklebt. Aber ich war zuversichtlich, dass ich diese Änderung nach und nach internalisieren würde.
Der Punkt der Beweisführung war allerdings immer noch offen. Ich erinnerte mich, wie wir als Kinder mit Bindfaden ein Zimmer von einer Ecke zur anderen verkreuzt hatten, so dass kaum noch einer darin gehen konnte. Sehr effektvoll war das nachts, um ungebetene Besucher, wie Gespenster und Untote zu erschrecken. Dasselbe Prinzip wollte ich wieder anwenden. In die unterste Holzlatte der Absperrung rechts und links des Übergangs zur Terrasse, die verhindern sollte, dass jemand in die tiefen Lichtschächte stürzte, schlug ich in unterschiedlicher Höhe Nägel ein. An ihnen befestigte ich Angelschnur, an die ich kleine Messingglöckchen hängte. Würde nun eine Ratte versuchen, in Richtung Terrassentür zu kommen, würde sie unweigerlich die Glöckchen zum Klingen bringen und ich wüsste sofort, dass mein Verdacht zu Recht bestünde.
Doch so sehr ich auch nach draußen lauschte, stets darauf gefasst, dass ein Glöckchen bimmeln würde, blieb alles ruhig. Da mir das Mückengitter nicht mehr als ausreichender Schutz erschien, hatte ich in den letzten Tagen den Rollladen bis nach unten zugezogen, so dass es im Zimmer nicht nur dunkel, sondern auch sehr stickig war.
Im Büro unterliefen mir auch am kommenden Morgen wieder mehr Fehler, als toleriert wurden; seit Wochen konnte ich nichts mehr anfassen, ohne dass meine Kollegin oder mein Chef einen Rechenfehler, eine falsche Buchung oder Tippfehler in einem wichtigen Brief fanden. Das veranlasste mich, beim Arzt um eine Krankschreibung zu bitten, was sonst nicht meine Art war, aber er schrieb den gelben Zettel ohne Nachfragen aus. Außerdem erzählte ich ihm von meinen Schlafstörungen und bat ihn um ein stärkeres Schlafmittel. Auch das bekam ich ohne Probleme.
Das Gefühl, draußen balle sich etwas zusammen, Unheil oder ähnliches, trieb mich aus dem Bett, hinauf durch das Wohnzimmer auf die Terrasse. Da saßen sie, eine dunkle, wogende Masse unzähliger Rattenleiber, die bei meinem Erscheinen ihre winzigen Knopfaugen auf mich richteten, als überlegten sie, wie sie sich am effektivsten über mich hermachen könnten. Nur der Mond und eine etwas entfernt stehende Straßenlaterne beleuchteten dieses gespenstische Szenario, das mich an ein sanft bewegtes, sternenbeschienenes Meer denken ließ. Ein entschieden zu friedlicher Gedanke, fand ich. Woher ich den Mut nahm, auf die amorphe Masse zuzugehen, weiß ich nicht. Ich spürte einen brennenden Schmerz in meinen Füßen, fühlte in mir das Blut durch die Adern rauschen wie ein Wildbach bei Schneeschmelze und ging doch weiter, wie unter Drogen. Ein Blick nach unten gab mir die Erklärung: statt der Glöckchen hingen Rasierklingen an den Schnüren. Ungeachtet dessen ging ich weiter. Wie das Rote Meer teilte sich der Teppich der Ratten und ich hatte einen freien Zugang zum Apfelbaum in der Mitte des Gartens. Nur noch ein einziger Apfel hing an den Ästen. Den pflückte ich. Als ich mich umdrehte, waren die Ratten verschwunden.
Ich erwachte schreiend. Sofort hob ich die nassgeschwitzte Decke an und untersuchte meine Füße auf Blutspuren. Doch sie sahen aus wie immer: leicht gebräunt mit schlanken Fesseln, zu vielen zu schwarzen Haaren und Krampfadern und Besenreisern, die sich über die Haut zogen wie geheimnisvolle krakelige Zeichen. Erschöpft sank ich wieder in mein Kissen und sann über den Sinn des Traumes nach.
Die Toilette verklebe ich jetzt auch am Tag. Auf dem Sand sind noch immer keinerlei Spuren zu sehen. Seit ich abends zwei Tabletten nehme, träume ich nicht mehr.
Tage später im Bad: der Anblick meines nackten Körpers im Spiegel - erschreckend. Seit ich nicht mehr ins Fitness-Studio gehe und kaum noch frisches Obst, Gemüse und Salat esse, stattdessen Fertiggerichte und Schokolade (Glückshormone!) in mich reinstopfe, scheinen sich meine Körpergrenzen aufzulösen. Alles wabbelt und wabert.
Ich verhänge den Spiegel mit einem Laken.
Wochen später hat noch immer kein Glöckchenklang die Stille der Nacht durchschnitten. Ich fühle mich wie auf einer
Insel. Treibe durch die Tage wie Schwemmholz nach einem Schiffsunglück. In den Nächten tauche ich tief hinab ins Dunkle.
Dort, wo kein Lichtstrahl mehr hinkommt, wo mich die Träume nicht mehr narren.
Die Tabletten reichen noch...
Jetzt, mit dem Topf in der Hand, fiel mir ein, dass ins Klo gekippte Essensreste die Ratten anziehen, so dass sie die Rohre hinauf, bis in die Toilettenschüssel wandern. Ab sofort, beschloss ich, Überbleibsel meiner seltenen Kochversuche im Restmüll zu entsorgen.
Nachts im Schlafzimmer, das im Untergeschoss liegt, überlegte ich kurz, als ich das Fenster öffnete, um die frische Luft einzulassen, ob das Mückengitter ausreichen würde, um eventuell eindringen wollende Ratten von deren Vorhaben abzuhalten. Zunächst beschloss ich davon auszugehen, dass vorerst keine Gefahr bestand. Jedoch würde ich baldmöglichst mein kaum vorhandenes Wissen durch Internet-Recherchen vervollkommnen. Um zum Beispiel herauszufinden, ob die terrassenförmig aufeinandergestapelten Waschbetonblumentröge für die Ratten ein überwindbares Hindernis darstellten auf ihrem Weg von der Ebene meines Gartens hinunter in die Ebene meines Schlafgemachs.
War vielleicht das Rascheln in manchen der vergangenen Nächte nicht von einem Igel verursacht worden, sondern von einer Ratte? Konnte das auf der Terrasse für Jack, des Nachbarn Pferd, zwischengelagerte trockene Brot auch für Ratten interessant sein? Ich erinnerte mich an die bemalte Holzkiste zu Hause auf dem Dachboden. Einmal, als ich den schweren Deckel angehoben hatte, um neues Brot hineinzulegen, waren einige Mäuse herausgesprungen und über meine Füße gelaufen. Nie wieder war ich zu überreden gewesen, in die Nähe der Kiste zu kommen.
Nie wieder würde ich auch die Papierüte mit dem Brot für Jack auf die Terrasse stellen! Doch was war mit den offenen Komposthaufen der Nachbarn? Fanden da nicht auch Ratten Nahrung im Überfluss?
Die Nächte bei den Großeltern kamen mir in den Sinn. Wenn ich im alten Haus oben im Gästezimmer unter dem Dachboden schlafen musste. Die ganze Nacht waren die trippelnden Schritte zu hören gewesen und krampfhaft versuchte ich, mir nicht vorzustellen, sie liefen, während ich schlief, über mein Gesicht. All die Beruhigungsversuche meiner Großmutter erwiesen sich als erfolglos, wenn ich, mit durch die Angst geschärftem Verstand, fragte, warum dann im Zimmer auf dem Fußboden Fallen stünden, wenn doch die Mäuse überhaupt nicht hineinkämen.
Ich musste mich kundig machen. Herausfinden, wie hoch die Gefahr einzuschätzen war.
Im Büro klickte ich mich im ersten unbeobachteten Moment ins Netz ein. Neben Größe (ca. 25 cm groß ohne den etwa 20 cm langen, geringelt-nackten Schwanz) und Farbe (auf dem Rücken graubraun-rötlich, auf der Unterseite hellgrau) erfuhr ich, dass die Wanderratten, um die es sich laut Ilse handelte, in Abwassersystemen in Rudeln leben und sich durch Duftstoffe erkennen. Obwohl sie soziale Tiere sind, kommt Kannibalismus zwischen den unterschiedlichen Rudeln vor, las ich schaudernd.
Angesichts ihrer ungeheuren Fruchtbarkeit (jährlich 2 - 7 Würfe mit je 8 - 12 Jungen), fragte ich mich, warum etwas so Verabscheuungswürdiges sich so mühelos vermehren konnte. Im Gegensatz zu mir, der es nicht einmal gelungen war, unter Anwendung jeglichen medizinischen Fortschritts einen einzigen Nachkommen in die Welt zu setzen! Darüber war meine Ehe zerbrochen, mein Alter würde freudlos und einsam sein. Warum verschwendete die Natur auf der einen Seite sich selbst, um durch Versagung auf der anderen Seite Schmerz zu bereiten?
Im Zusammenhang mit der wichtigsten Frage, woran man Rattenbefall erkennt, las ich von der Möglichkeit, einen geglätteten Sandstreifen anzulegen, auf dem man dann die Trittsiegel (Vorderfuß 4 Tatzen, Hinterfuß 5 Tatzen) erkennen würde. Sogleich vermerkte ich mir im Geiste, auf dem Rückweg aus dem Gartenmarkt Spielsand mitzubringen und am gleichen Abend zur Tat zu schreiten. Abschließend wurde auf Rattenbaue, d.h. Rattenlöcher, Nagerspuren sowie Schleifspuren, die durch den Fett absondernden langen Schwanz erzeugt wurden, hingewiesen.
Am Abend schüttete ich den gekauften Sand auf die Steinplatten der Terrasse und kehrte ihn mit dem Besen glatt, so dass eine ganz ebene Oberfläche entstand. Nun würde ich zwar, um in den Garten oder auf die Terrasse zu gelangen, den Weg außen herum, an der Garage vorbei, nehmen müssen, aber diesen Umstand war ich gern bereit, in Kauf zu nehmen.
Der Sand war auch am dritten Morgen noch unberührt.
Die Frage, ob eine Ratte es schaffen würde, einen geschlossenen Klodeckel anzuheben, verursachte mir zunehmend Bauchschmerzen. Längst konnte ich nur noch mit Schlaftabletten einschlafen. Das, was früher nur ab und zu nötig gewesen war, entwickelte sich nun zu einer allnächtlichen Notwendigkeit. Schon längst setzte ich mich beim Pinkeln nicht mehr hin, brachte das andere "Geschäft", sofern ich es nicht überhaupt auf die Bürozeit auslagern konnte, noch schneller als ohnehin üblich, hinter mich. Doch nachts, wenn ich mich trotz Schlaftabletten, von einer auf die andere Seite wälzte, sah ich Heere von nassen Nagern aus dem Klo klettern und sich im Bad verstecken. Natürlich hätten sie das genausogut tagsüber tun können, aber tags begnügte ich mich damit, die Badtür stets geschlossen zu halten und nach Betreten des Bades zunächst überall nachzusehen, wo sich ein Tier dieser Größe versteckt haben könnte. Für nachts wollte ich auf Nummer sicher gehen. Den Gedanken, den Deckel mit einem schweren Gegenstand zu sichern, verwarf ich nach kurzer Prüfung. Dem wären bei meiner Schussligkeit sicherlich einige der teuren Feinsteinzeugfliesen zum Opfer gefallen. Stattdessen klebte ich den Deckel an beiden Seiten mit Paketklebeband an die Porzellanschüssel. Nun hatte ich bloß das Problem, wenn ich schlaftrunken mitten in der Nacht ein Bedürfnis verspürte, die Kühle des Plastikdeckels unter meinem warmen Fleisch zu spüren, weil ich vergessen hatte, dass das Klo nicht nur nicht mehr wie bisher offen war, sondern auch noch verklebt. Aber ich war zuversichtlich, dass ich diese Änderung nach und nach internalisieren würde.
Der Punkt der Beweisführung war allerdings immer noch offen. Ich erinnerte mich, wie wir als Kinder mit Bindfaden ein Zimmer von einer Ecke zur anderen verkreuzt hatten, so dass kaum noch einer darin gehen konnte. Sehr effektvoll war das nachts, um ungebetene Besucher, wie Gespenster und Untote zu erschrecken. Dasselbe Prinzip wollte ich wieder anwenden. In die unterste Holzlatte der Absperrung rechts und links des Übergangs zur Terrasse, die verhindern sollte, dass jemand in die tiefen Lichtschächte stürzte, schlug ich in unterschiedlicher Höhe Nägel ein. An ihnen befestigte ich Angelschnur, an die ich kleine Messingglöckchen hängte. Würde nun eine Ratte versuchen, in Richtung Terrassentür zu kommen, würde sie unweigerlich die Glöckchen zum Klingen bringen und ich wüsste sofort, dass mein Verdacht zu Recht bestünde.
Doch so sehr ich auch nach draußen lauschte, stets darauf gefasst, dass ein Glöckchen bimmeln würde, blieb alles ruhig. Da mir das Mückengitter nicht mehr als ausreichender Schutz erschien, hatte ich in den letzten Tagen den Rollladen bis nach unten zugezogen, so dass es im Zimmer nicht nur dunkel, sondern auch sehr stickig war.
Im Büro unterliefen mir auch am kommenden Morgen wieder mehr Fehler, als toleriert wurden; seit Wochen konnte ich nichts mehr anfassen, ohne dass meine Kollegin oder mein Chef einen Rechenfehler, eine falsche Buchung oder Tippfehler in einem wichtigen Brief fanden. Das veranlasste mich, beim Arzt um eine Krankschreibung zu bitten, was sonst nicht meine Art war, aber er schrieb den gelben Zettel ohne Nachfragen aus. Außerdem erzählte ich ihm von meinen Schlafstörungen und bat ihn um ein stärkeres Schlafmittel. Auch das bekam ich ohne Probleme.
Das Gefühl, draußen balle sich etwas zusammen, Unheil oder ähnliches, trieb mich aus dem Bett, hinauf durch das Wohnzimmer auf die Terrasse. Da saßen sie, eine dunkle, wogende Masse unzähliger Rattenleiber, die bei meinem Erscheinen ihre winzigen Knopfaugen auf mich richteten, als überlegten sie, wie sie sich am effektivsten über mich hermachen könnten. Nur der Mond und eine etwas entfernt stehende Straßenlaterne beleuchteten dieses gespenstische Szenario, das mich an ein sanft bewegtes, sternenbeschienenes Meer denken ließ. Ein entschieden zu friedlicher Gedanke, fand ich. Woher ich den Mut nahm, auf die amorphe Masse zuzugehen, weiß ich nicht. Ich spürte einen brennenden Schmerz in meinen Füßen, fühlte in mir das Blut durch die Adern rauschen wie ein Wildbach bei Schneeschmelze und ging doch weiter, wie unter Drogen. Ein Blick nach unten gab mir die Erklärung: statt der Glöckchen hingen Rasierklingen an den Schnüren. Ungeachtet dessen ging ich weiter. Wie das Rote Meer teilte sich der Teppich der Ratten und ich hatte einen freien Zugang zum Apfelbaum in der Mitte des Gartens. Nur noch ein einziger Apfel hing an den Ästen. Den pflückte ich. Als ich mich umdrehte, waren die Ratten verschwunden.
Ich erwachte schreiend. Sofort hob ich die nassgeschwitzte Decke an und untersuchte meine Füße auf Blutspuren. Doch sie sahen aus wie immer: leicht gebräunt mit schlanken Fesseln, zu vielen zu schwarzen Haaren und Krampfadern und Besenreisern, die sich über die Haut zogen wie geheimnisvolle krakelige Zeichen. Erschöpft sank ich wieder in mein Kissen und sann über den Sinn des Traumes nach.
Die Toilette verklebe ich jetzt auch am Tag. Auf dem Sand sind noch immer keinerlei Spuren zu sehen. Seit ich abends zwei Tabletten nehme, träume ich nicht mehr.
Tage später im Bad: der Anblick meines nackten Körpers im Spiegel - erschreckend. Seit ich nicht mehr ins Fitness-Studio gehe und kaum noch frisches Obst, Gemüse und Salat esse, stattdessen Fertiggerichte und Schokolade (Glückshormone!) in mich reinstopfe, scheinen sich meine Körpergrenzen aufzulösen. Alles wabbelt und wabert.
Ich verhänge den Spiegel mit einem Laken.
Wochen später hat noch immer kein Glöckchenklang die Stille der Nacht durchschnitten. Ich fühle mich wie auf einer
Insel. Treibe durch die Tage wie Schwemmholz nach einem Schiffsunglück. In den Nächten tauche ich tief hinab ins Dunkle.
Dort, wo kein Lichtstrahl mehr hinkommt, wo mich die Träume nicht mehr narren.
Die Tabletten reichen noch...