Rattenkönig

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KÖNIG


Der erste Gedanke, der kam aus dem Blut.
Aus dem Inneren der Erde, aus dem Verruchten, von dort hatte sich der Rattenkönig den ersten weißen Bissen Fleisch geholt. Durch das Holz und durch den Stein und dann durch ein Kinderbett hindurch und dann wie eine Säge solange, bis ihm alles vor dem blutigen Maul fortgerissen wurde.
In dem schwarzen Loch, da lauerten seine Augen und es lag ihnen ein goldener Zug inne, ein Kranz, eine goldene Korona, die die schwarze, scheinbar bodenlose Pupille mit ihrer feurigen Iris umschloss. Eine Sonnenfinsternis, so schien es, spiegelte sich darin oder die Krone eines unsichtbaren Königs.


***


Es war eine bedeutende Standuhr, die den sonnenlosen Mittag ankündigte. Der Ruß der unzähligen Feuer hatte sich wie ein Mantel des Schweigens auf die Gassen gelegt und verhinderte die Blicke des Himmels und drückte die Schreie der Wehklagenden förmlich zurück in ihre aufgerissenen Münder.
Alles was geschah blieb verborgen und die Standuhr schlug scheppernd zwölf Mal, bevor sich unter das metallische Nachklingen das Stöhnen eines Eingeschlossenen mischte. Als er aus seiner Ohnmacht ganz erwacht war, schlug er sich hastig und ängstlich die Hand vor den Mund und suchte seine Anwesenheit zu verbergen.
Über ihm arbeitete das Uhrwerk, völlig ungerührt und das Pendel ging apathisch und herzlos von einer Seite zur anderen.
Mit beiden Händen umschloss er es und brachte es endlich zum Stehen. Nun zählte nur noch sein Atem die Sekunden.
Vorsichtig öffnete er die schmale Tür der Uhr und ließ den schockierten Blick durch den offenen Spalt huschen. Seine ängstlichen Gebete waren so leise, dass nicht einmal er selbst sie hörte und auch seine Lippen sah man sich nicht bewegen, so dunkel war es in der Uhr.
Alles war wie überschattet. Der Tag schien Nacht zu sein. Das machte dem Eingeschlossenen Mut, die Tür der Uhr weiter und immer weiter zu öffnen, bis er schließlich einen Schritt hinaus machte.
Menschen und Mobiliar lagen zerschlagen auf dem Boden herum. Der Mann raffte seinen Brokatumhang über die Knie und suchte tänzelnd einen Weg durch das schreckliche Durcheinander. Es konnte sich nur um einen der Ratsherren handeln. Er hatte sich, wie noch andere, in Schränken und Truhen zu verbergen gesucht, aber nun sah er viele der anderen, die halb herausgezerrt und erschlagen auf dem Boden lagen und bekreuzigte sich.
Mit zitternden Knien schaffte er es bis zu einer der vielen, kupferbeschlagenen Truhen und ging davor in die Knie.
„Herr im Himmel“, betete er. Tat es immer wieder und stemmte dabei die Truhe mit aller Kraft von ihrer Stelle. Darunter legte er eine verborgene Öffnung im Boden frei – betete und zog endlich ein Ledersäckchen daraus hervor. Er suchte weiter und fand einige Papiere mit bedeutsamen Siegeln.
Als er sie in Händen hielt, bekreuzigte er sich abermals.
Ein kratzendes Geräusch ließ ihn zusammenfahren.
„WER??“, aber ängstlich schlug er sich schon die Hand vor den Mund. Er wollte ja gar nicht wissen, wer da dieses Geräusch gemacht hatte. Er wollte nur weg, sich verstecken und irgendwie einen Ausweg aus diesem Labyrinth aus Tod und Schrecknis finden. Er riss die Dinge, die er gefunden hatte, an sich und stürzte in eine vom Schatten fast schwarze Ecke und zog seine Knie an, damit die weißen Waden nicht vom fahlen Licht beschienen wurden.
Er hielt seinen Atem an – für Sekunden – eine Schranktür öffnete sich und dann stürzte plötzlich ein Mann mit einem Degen heraus. Aber der Degen, der steckte ihm mitten in der Brust und nachdem er einen ersten stolpernden Schritt getan hatte, trieb er ihn sich mit seinem ganzen Gewicht durch den Oberleib hindurch, als er vornüber zusammenbrach.
Der Ratsherr war von dieser Auferstehung so mitgerissen, dass er erst gar nicht bemerkte, wie sich in dem Schrank noch jemand bewegte. Zwei Hände klammerten sich an den Schrankrahmen und blutige Kleidungsstücke fielen von ihren Haken. Atemlos kämpfte sich ein Mann aus dem Schrank heraus und ging gleich davor in die Knie.
Es war einer der Kämmerer und der Ratsherr wollte auch schon auf ihn zustürzen und ihn bittend zu sich empor reißen. Flucht, das war alles, woran er dachte, denn es würde nicht lange dauern, bis die Soldateska zurück kehrte, um das zu plündern, was sie am Tage zuvor in aller Hast und allem Blutdurst übersehen hatte.
`Komm´, wollte er ihm zurufen, `wir werfen die teuren Kleider fort und wir nehmen das Geld, die Papiere und alles, was wir tragen können und werfen uns in den Fluss und lassen uns vom Strom davon tragen!´
Das konnte ja auch nicht gefährlicher sein, als sich mitten unter die Soldaten zu begeben.
In seinem schattigen Versteck aber begann der Ratsherr zu erzittern, als er ein furchtbares Geräusch durch die Wände und Mauern treiben hörte. Dieses Kratzen und Rauschen, als ob sich tausend Leiber aneinander rieben, das kam ihm so vertraut vor, als hätte er es bereits in seinen schlimmsten Albträumen vernommen. Eine Horde, schrecklicher und todeshungriger als die mörderische Soldateska, fraß sich da einen Weg durch Gestein und Mörtel und es schien ihm, als würden sich die Wände unter dem Ansturm der Nagezähne biegen und wölben. Die Schreckensangst, dass all die teuflischen Kreaturen, die sie bisher unter der Stadt nur erahnt hatten, nun da sie wehrlos und zerschunden dalag, einen Weg ans Sonnenlicht bahnten, das trieb ihm die Angst wie glühende Haken unter die Haut.
Da, der Mörtel löste sich bereits aus den Fugen und gehauene Feldsteine, die so groß wie Brote waren, begannen in ihren Verliesen zu rütteln und zu rattern und wurden aus den Fugen gedrückt. Der ohrenbetäubende Lärm schluckte die Schreie des Ratsherren. Wie erstarrt sah er den Kämmerer, der sich aufzurichten suchte. In einer Ecke polterte einer der Mauersteine plötzlich aus der Wand heraus und für einen Augenblick herrschte eine Stille, die beängstigender als alles vorherige war. Eine einzelne schwarze Kreatur purzelte aus dem freigewordenen Loch und huschte zu dem Schrank herüber. Dort verschwand sie, bis sie plötzlich aus dem Dunkel hervorstürzte und dem am Boden kauernden Kämmerer in den Nacken sprang.
„WAS?“, stieß der zitternd hervor und griff sich an den Hals. Er packte das quiekende Tier und warf es von sich fort.
Dann aber brachen zwei aus der Wand heraus, zehn, Dutzende, die sich gleich in Gruppen auf den Mann warfen, während der mit seinen beiden Händen kaum in der Lage war, sie sich nacheinander vom Leib zu zerren. Fast war es ihm gelungen, sich aufzurichten und vielleicht zu flüchten, bevor die Kreaturen ihn ganz überwältigten.
Der Ratsherr starrte ihn wie einen Ringkämpfer an, der unter dem Gewicht seines Gegners einzuknicken drohte und bemerkte nicht, dass aus den Dutzenden bereits Hunderte geworden waren, die in stetiger Flut aus dem Mauerwerk stoben. Bald schauten nur noch Kopf, Schultern und Oberarme aus der um ihn errichteten Pyramide aus schwarzen Tieren heraus. Als sie schließlich auch die Arme und Schultern unter ihrem Gewicht bewegungslos machten, hörte man nur noch die Schreie des Kämmeres, der den Hals reckte und alle Götter um Gnade anflehte.
Ein großes Tier, annähernd doppelt so groß wie die anderen, bahnte sich unterdessen einen Weg diese Pyramide empor und es schien, als würden sich die anderen Tiere unter ihm buckeln und ehrfürchtig zurück weichen.
Der Ratsherr musste sich in die geballte Faust beißen, bis Blut daraus hervor rann, um bei diesem Anblick nicht laut aufzuschreien. Nur der Teufel selbst konnte derartige Macht auf das niedere Getier ausüben – ein König unter den Ratten, ein Heerführer, der tausende und abertausende seines Geschlechts bis an die Oberfläche geführt hatte.
An der Spitze der lebendigen Pyramide angekommen, wand sich das Tier wie eine Schlange um den Hals den Kämmerers und es schien, als würde er ihm zuflüstern wollen. Und ein mahlendes Geräusch brachte den Ratsherren fast um den Verstand, als sich das riesige Tier durch den Nacken des Mannes bis in dessen Kopf fraß.

Als die ihn umgürtenden Tiere mit einem Mal von ihm abfielen, blieb der Kämmerer mit weit aufgerissenem Mund und starren Augen stehen. In seinem Nacken zwirbelte sich der Rattenschwanz des fressenden Tieres, das bis zur Hälfte in ihm verschwunden war. Wie eine Statue stand der Mann da, bis er mit einem Mal wie erschöpft ausatmete. Seine Lungen rasselten und es schien unmöglich, dass in seiner Brust noch das Herz zu schlagen vermochte.
Wie erwacht, reckte sich der entstellte Körper und richtete sich aus der schmerzverzerrten Pose zu voller Größe auf.
Zu seinen Füßen drängten sich die Ratten zu ihm und einige hangelten sich an ihm empor und wuselten ihm über die Schultern, über Rücken und Bauch, schlüpften in seine Kleidung und wieder heraus, so dass der Brokatumhang wie im Sturm flatterte.
Mit einem einzigen furchterregenden Schrei reckte diese Marionette von einem Menschen nun die Hände in die Höhe. Und als wäre mit dem Leben auch alles Menschliche aus ihm entschwunden, wirkten seine Gesichtszüge plötzlich nur noch wie die einer gnadenlosen Bestie.
In diesen Augenblick hinein gab der Ratsherr, der all das Unvorstellbare mit angesehen hatte, einen einzigen verzweifelten Seufzer von sich, denn seine Lungen schienen versteinert und sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Der lebendig gewordene Rattenkönig blickte ihn aus der Mitte seines Heeres unbarmherzig an.
„Aus dir will ich meine Waffen schmieden!“, dröhnte seine Stimme.
Und noch bevor alles Leben aus dem Ratsherren gewichen war und das Goldsäcklein aus seiner kraftlosen Hand glitt, waren schon die Ratten an ihm empor und wühlten sich durch seine Muskeln.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Korrekturvorschläge:

Rattenkönig
Veröffentlicht von Marcus Richter am 18. 10. 2006 14:46
KÖNIG


Der erste Gedanke, der kam aus dem Blut.
Aus dem Inneren der Erde, aus dem Verruchten, von dort hatte sich der Rattenkönig den ersten weißen Bissen Fleisch geholt. Durch das Holz und durch den Stein und dann durch ein Kinderbett hindurch und dann wie eine Säge solange, bis ihm alles vor dem blutigen Maul fortgerissen wurde.
In dem schwarzen Loch, da lauerten seine Augen und es lag ihnen ein goldener Zug inne, ein Kranz, eine goldene Korona, die die schwarze, scheinbar bodenlose Pupille mit ihrer feurigen Iris umschloss. Eine Sonnenfinsternis, so schien es, spiegelte sich darin oder die Krone eines unsichtbaren Königs.


***


Es war eine bedeutende Standuhr, die den sonnenlosen Mittag ankündigte. Der Ruß der unzähligen Feuer hatte sich wie ein Mantel des Schweigens auf die Gassen gelegt und verhinderte die Blicke des Himmels und drückte die Schreie der Wehklagenden förmlich zurück in ihre aufgerissenen Münder.
Alles was geschah blieb verborgen und die Standuhr schlug scheppernd zwölf Mal, bevor sich unter das metallische Nachklingen das Stöhnen eines Eingeschlossenen mischte. Als er aus seiner Ohnmacht ganz erwacht war, schlug er sich hastig und ängstlich die Hand vor den Mund und suchte seine Anwesenheit zu verbergen.
Über ihm arbeitete das Uhrwerk, völlig ungerührt und das Pendel ging apathisch und herzlos von einer Seite zur[red] Anderen[/red] (anderen).
Mit beiden Händen umschloss er es und brachte es endlich zum Stehen. Nun zählte nur noch sein Atem die Sekunden.
Vorsichtig öffnete er die schmale Tür der Uhr und ließ den schockierten Blick durch den offenen Spalt huschen. Seine ängstlichen Gebete waren so leise, dass nicht einmal er selbst sie hörte und auch seine Lippen sah man sich nicht bewegen, so dunkel war es in der Uhr.
Alles war wie überschattet. Der Tag schien Nacht zu sein. Das machte dem Eingeschlossenen Mut, die Tür der Uhr weiter und immer weiter zu öffnen, bis er schließlich einen Schritt hinaus machte.
Menschen und Mobiliar lagen zerschlagen auf dem Boden herum. Der Mann raffte seinen Brokatumhang über die Knie und suchte tänzelnd einen Weg durch das schreckliche Durcheinander. Es konnte sich nur um einen der Ratsherren handeln. Er hatte sich, wie noch andere, in Schränken und Truhen zu verbergen gesucht, aber nun sah er viele der anderen, die halb herausgezerrt und erschlagen auf dem Boden lagen und bekreuzigte sich.
Mit zitternden Knien schaffte er es bis zu einer der vielen, kupferbeschlagenen Truhen und ging davor in die Knie.
„Herr im Himmel“, betete er. Tat es immer wieder und stemmte dabei die Truhe mit aller Kraft von ihrer Stelle. Darunter legte er eine verborgene Öffnung im Boden frei – betete und zog endlich ein Ledersäckchen daraus hervor. Er suchte weiter und fand einige Papiere mit bedeutsamen Siegeln.
Als er sie in Händen hielt, bekreuzigte er sich abermals.
Ein kratzendes Geräusch ließ ihn zusammenfahren.
„WER??“, aber ängstlich schlug er sich schon die Hand vor den Mund. Er wollte ja gar nicht wissen, wer da dieses Geräusch gemacht hatte. Er wollte nur weg, sich verstecken und irgendwie einen Ausweg aus diesem Labyrinth aus Tod und Schrecknis finden. Er riss die Dinge, die er gefunden hatte(Komma) an sich und stürzte in eine vom Schatten fast schwarze Ecke und zog seine Knie an, damit die weißen Waden nicht vom fahlen Licht beschienen wurden.
Er hielt seinen Atem an – für Sekunden – eine Schranktür öffnete sich und dann stürzte plötzlich ein Mann mit einem Degen heraus. Aber der Degen, der steckte ihm mitten in der Brust und nachdem er einen ersten stolpernden Schritt getan hatte, trieb er ihn sich mit seinem ganzen Gewicht durch den Oberleib hindurch, als er vornüber zusammenbrach.
Der Ratsherr war von dieser Auferstehung so mitgerissen, dass er erst gar nicht bemerkte, wie sich in dem Schrank noch jemand bewegte. Zwei Hände klammerten sich an den Schrankrahmen und blutige Kleidungsstücke fielen von ihren Haken. Atemlos kämpfte sich ein Mann aus dem Schrank heraus und ging gleich davor in die Knie.
Es war einer der Kämmerer und der Ratsherr wollte auch schon auf ihn zustürzen und ihn bittend zu sich empor reißen. Flucht, das war alles, woran er dachte, denn es würde nicht lange dauern, bis die Soldateska zurück kehrte, um das zu plündern, was sie am Tage zuvor in aller Hast und allem Blutdurst übersehen hatte.
`Komm´, wollte er ihm zurufen, `wir werfen die teuren Kleider fort und wir nehmen das Geld, die Papiere und alles(Komma) was wir tragen können und werfen uns in den [red] Fluß [/red] (Fluss) und lassen uns vom Strom davon tragen!´
Das konnte ja auch nicht gefährlicher sein, als sich mitten unter die Soldaten zu begeben.
In seinem schattigen Versteck aber begann der Ratsherr zu erzittern, als er ein furchtbares Geräusch durch die Wände und Mauern treiben hörte. Dieses Kratzen und Rauschen, als ob sich tausend Leiber aneinander rieben, das kam ihm so vertraut vor, als hätte er es bereits in seinen schlimmsten Albträumen vernommen. Eine Horde, schrecklicher und todeshungriger als die mörderische Soldateska(Komma) fraß sich da einen Weg durch Gestein und Mörtel und es schien ihm, als würden sich die Wände unter dem Ansturm der Nagezähne biegen und wölben. Die Schreckensangst, dass all die teuflischen Kreaturen, die sie bisher unter der Stadt nur erahnt hatten, nun da sie wehrlos und zerschunden dalag, einen Weg ans Sonnenlicht bahnten, das trieb ihm die Angst wie glühende Haken unter die Haut.
Da, der Mörtel löste sich bereits aus den Fugen und gehauene Feldsteine, die so groß wie Brote waren, begannen in ihren [red] Verließen [/red] (Verliesen) zu rütteln und zu rattern und wurden aus den Fugen gedrückt. Der ohrenbetäubende Lärm schluckte die Schreie des Ratsherren. Wie erstarrt sah er den Kämmerer, der sich aufzurichten suchte. In einer Ecke polterte einer der Mauersteine plötzlich aus der Wand heraus und für einen Augenblick herrschte eine Stille, die beängstigender als alles vorherige war. Eine einzelne schwarze Kreatur purzelte aus dem freigewordenen Loch und huschte zu dem Schrank herüber. Dort verschwand sie, bis sie plötzlich aus dem Dunkel hervorstürzte und dem am Boden kauernden Kämmerer in den Nacken sprang.
„WAS?“, stieß der zitternd hervor und griff sich an den Hals. Er packte das Tier und warf es quiekend von sich fort.(quiekt der Kämmerer oder die Ratte?)
Dann aber brachen zwei aus der Wand heraus, zehn, [red] duzende[/red] (Dutzende) , die sich gleich in Gruppen auf den Mann warfen, während der mit seinen beiden Händen kaum in der Lage war, sie sich nacheinander vom Leib zu zerren. Fast war es ihm gelungen, sich aufzurichten und vielleicht zu flüchten, bevor die Kreaturen ihn ganz überwältigten.
Der Ratsherr starrte ihn wie einen Ringkämpfer an, der unter dem Gewicht seines Gegners einzuknicken drohte und bemerkte nicht, dass aus den [red] Duzenden [/red] (Dutzenden) bereits Hunderte geworden waren, die in stetiger Flut aus dem Mauerwerk stoben. Bald schauten nur noch Kopf, Schultern und Oberarme aus der um ihn errichteten Pyramide aus schwarzen Tieren heraus. Als sie schließlich auch die Arme und Schultern unter ihrem Gewicht bewegungslos machten, hörte man nur noch die Schreie des Kämmeres, der den Hals reckte und alle Götter um Gnade anflehte.
Ein großes Tier, annähernd doppelt so groß wie die anderen(Komma) bahnte sich unterdessen einen Weg diese Pyramide empor und es schien, als würden sich die anderen Tiere unter ihm buckeln und ehrfürchtig zurück weichen.
Der Ratsherr musste sich in die geballte Faust beißen, bis Blut daraus hervor rann, um bei diesem Anblick nicht laut aufzuschreien. Nur der Teufel selbst konnte derartige Macht auf das niedere Getier ausüben – ein König unter den Ratten, ein Heerführer, der tausende und abertausende seines Geschlechts bis an die Oberfläche geführt hatte.
An der Spitze der lebendigen Pyramide angekommen, [blue] schlang [/blue] (wand) sich das Tier wie eine Schlange um den Hals den Kämmerers und es schien, als würde er ihm (etwas) zuflüstern wollen. Und ein mahlendes Geräusch brachte den Ratsherren fast um den Verstand, als sich das riesige Tier durch den Nacken des Mannes bis in dessen Kopf fraß.

Als die ihn umgürtenden Tiere mit einem Mal von ihm abfielen, blieb der Kämmerer mit weit aufgerissenem Mund und starren Augen stehen. In seinem Nacken zwirbelte sich der Rattenschwanz des fressenden Tieres, das bis zur Hälfte in ihm verschwunden war. Wie eine Statue stand der Mann da, bis er mit einem Mal wie erschöpft ausatmete. Seine Lungen rasselten und es schien unmöglich, dass in seiner Brust noch das Herz zu schlagen vermochte.
Wie erwacht, reckte sich der entstellte Körper und richtete sich aus der schmerzverzerrten Pose zu voller Größe auf.
Zu seinen Füßen drängten sich die Ratten zu ihm und einige hangelten sich an ihm empor und wuselten ihm über die Schultern, über Rücken und Bauch, schlüpften in seine Kleidung und wieder heraus, so dass der Brokatumhang wie im Sturm flatterte.
Mit einem einzigen furchterregenden Schrei reckte diese Marionette von einem Menschen nun die Hände in die Höhe. Und als wäre mit dem Leben auch alles Menschliche aus ihm entschwunden, wirkten seine Gesichtszüge plötzlich nur noch wie die einer gnadenlosen Bestie.
In diesen Augenblick hinein gab der Ratsherr, der all das Unvorstellbare mit angesehen hatte, einen einzigen verzweifelten Seufzer von sich, denn seine Lungen schienen versteinert und sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Die [blue] grausame [/blue] (grauenhafte, nur Menschen können grausam sein) Gestalt des lebendig gewordenen Rattenkönigs blickte ihn aus der Mitte seines Heeres unbarmherzig an.
„Aus dir will ich meine Waffen schmieden!“, dröhnte seine Stimme.
Und noch bevor alles Leben aus dem Ratsherren gewichen war und das Goldsäcklein aus seiner kraftlosen Hand glitt, waren schon die Ratten an ihm empor und wühlten sich durch seine Muskeln.




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"...wenn einer glaubt, daß alle Früchte zur gleichen Zeit reif sind wie die Erdbeeren, versteht er nichts von den Weintrauben."

Paracelsus
Boah, was für ein Werk! Nach Behebung der Tippfehler gibt es 10 Punkte.
lg
 
Hallo Flammarion,

habe deine Korrektur weitesgehend übernommen. Ein paar Ausnahmen habe ich gemacht - auch wenn der Rattenkönig ein Tier ist, so will ich ihm doch menschliche Züge lassen; vor allem die, die die Menschen an sich selbst lieber verschweigen.
Wo sich Mensch und Bestie überschneiden wird es doch immer erst interessant und die Sprache enthält sich da oft ihrer Eindeutigkeit.

Grüsse und danke für das Lektorat,

Marcus

PS: schön, dass es dir gefallen hat; wollte hier mal diesen Auszug antesten -
Breugel und Bosch lassen grüssen
 

Felix

Mitglied
Hallo Marcus

Ja in der Tat, Breugel und Bosch lassen grüßen.
Ist ja herrlich bedrückend, deine Geschichte. Ich habe diese finstere Epoche des dreißigjährigen Krieges vor meinem inneren Auge gesehen.
Das liegt aber auch nicht zuletzt an deinem Schreibstil, der an manchen Stellen wie eine Verkündung der Apokalypse anklingt und sehr gut zu der von dir beschriebenen Zeit passt.
Habe ich das richtig verstanden, es ist nur ein Auszug? Das ist gut, weil ich gerade protestieren wollte, dass die Geschichte doch leider auf dem Höhepunkt aufhört.
Doch gefällt mir sehr gut.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
gut.

dann lass die gestalt weg, ist eh unglücklich formuliert, wenn die Gestalt des Rattenkönigs blickt. ich denke, er blickt selber und so solltest du das auch sagen.
hoffentlich bekommen wir das gesamtwerk mal zu lesen, ist so schön gruselig!
lg
 
Oh, wie wunderbar, Felix,
ich dachte, ich hätte den Dreißigjährigen Krieg garnicht erwähnt, wenn man mal von dem Begriff Soldateska absieht.
Schön, dass das bei dir so instinktiv rüber kommt.
Also, nicht protestieren - ist eben nur ein kleiner Auszug, weil die Geschichte mal wieder ziemlich lang zu werden scheint.

Grüsse, Marcus


Liebe Flammarion,
irgendwie hattest du jetzt recht und das Konstrukt der "grausamen Gestalt des lebendig gewordenen Rattenkönigs" kommt mir wie ein scheu gewordenes Pferd vor, das den Leser versucht abzuwerfen. Ich hab da mal ein wenig die Zügel angezogen.
Ansonsten hoffe ich, dass mich die Geschichte nicht in unendliche Weiten entführt und dass ich euch mal eine, vielleicht gekürzte Gesamtfassung präsentieren darf.

Bis dahin, danke nochmal und Grüsse,
Marcus
 

Felix

Mitglied
Und ob ich bei der Qualität mehr davon lesen würde.
Irgendwie bin ich sofort auf die Idee gekommen, dass es sich um eine Szene aus dem Dreißigjährigen Krieg handeln muss. Die Umgebung und die Atmosphäre passte...und ja vielleicht war es auch das Wort Soldateska.
 
G

Gelöschtes Mitglied 5196

Gast
hallo

gefällt mir auch sehr gut, liest sich wunderbar von der hand und bietet natürlich viel raum für mehr, was ja noch kommen soll... ich warte gespannt.

LG
 
lieber mye,
Deine Zurückhaltung ist gerechtfertigt; die Geschichte ist nicht fertig, bis sie auf Papier oder wie hier, im grenzenlosen Äther des Geldnetzes steht. Dann aber wird sie blutig, brutal und böse sein und durchaus den Chrakter eines Märchens aufweisen, denn ich kann die Einflüsse vom Rattenfänger und Nussknacker und Mäusekönig einfach nicht von der Hand weisen.
Die spuken mir wie Musen im Kopf herum.
Ich hoffe also, hier in einem Monat eine lange Kurzgeschichte einstellen zu dürfen, die vielen missfallen wird und manchem nicht und anderen...

Soweit so gut, dass man den Auszug gut runterlesen kann, gefällt mir. Und wie gesagt, du hast den Charakter des Textes gut erkannt; er bietet "viel Raum für mehr" - das erinnert mich irgendwie an Effi Briest.

Bis dann also,
Gruss,
Marcus
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo Marcus,

ja, ja – die kleinen, süßen Nager. Wäre die Welt des Grauens nicht unendlich fade, ohne dieses wimmelnde Getier?
Hätten die putzigen Tierchen das sinkende Schiff nicht immer als erstes verlassen, oder hätten sie keinen Pakt mit dem Schwarzen Tod geschlossen, dann wären sie dem Menschen vermutlich weitaus sympathischer. Doch so lautet der Fluch: „Ihr aber sollt für alle Zeit gefürchtet, gejagt und gemordet werden und müsst zudem für schaurig schöne Gruselgeschichten herhalten.“ Wie dieses Beispiel zeigt. :)
Dann werden wir mal abwarten, was für Überraschungen der Rattenkönig noch für uns bereit hält und wollen solange einen Blick in die verborgene Öffnung im Boden werfen.
Was war da noch gleich drin? ;-)

Gruselige Grüße von F. P.
 
F.P.,
jaja,
Ratten sind ja sowas von dankbare, kleine Geschöpfe und wie du schon richtig gesagt hast, sind sie unheimlich dankbar als Schergen in einer Gruselgeschichte. Diese kleinen Kerle sieht man so selten, dass jede Zeichnung zu einer Karikatur gerät; das trifft auf die Zeichnung mit Kohle genau so zu, wie die mit Worten - sie bereichern unsere Phantasie damit, dass sie uns soviel Raum für unsere Phantasie bieten.
Schöne, schreckliche Alpträume stelle ich mir da vor ...

mit freundl. Grüssen,
Herr Richter
 

Acroma

Mitglied
Oh Mann, das is mal gruseeliges Zeug. Ich liebe Rattenstories, die sind IMMER unheimlich, und du schreibst recht flüssig und mit viel makaberen Ausdrücken. Gefällt mir insgesamt sehr gut. Aber es wäre unheimlicher, wenn diese Stimme nicht wäre. Schließlich ist er der König der Ratten und der Herr des Untergangs für die zivilisierte Welt (wenn man so will), also braucht er sich überhaupt nicht zu erklären. Er nimmt sich nur, was er haben will.
Darüber solltest du mal nachdenken, sonst gibts ein Sehr Gut von mir ;)
 
Hallo Acroma,

danke, die Geschichte ist immer noch auf meinem Schirm - ich hatte, glaube ich, damals noch ein paar zig Seiten dazu geschrieben und dann abgebrochen, weils noch nicht an der Zeit war. Ich schau mal zwecks einer Überarbeitung dieser Passage die Tage noch drüber, ob du Recht hast mit der Stimme.
Ansonsten hast du natürlich ein uraltes Ding aus der Versenkung gezogen - was les ich hier? 2006? Man, ist das lange her, bin selbst gespannt auf den Text.

Bis dann, Marcus
 
KÖNIG


Der erste Gedanke, der kam aus dem Blut.
Aus dem Inneren der Erde, aus dem Verruchten, von dort hatte sich der Rattenkönig den ersten weißen Bissen Fleisch geholt. Durch das Holz und durch den Stein und dann durch ein Kinderbett hindurch und dann wie eine Säge solange, bis ihm alles vor dem blutigen Maul fortgerissen wurde.
In dem schwarzen Loch, da lauerten seine Augen, und es lag ihnen ein goldener Zug inne, ein Kranz, eine feurige Korona, die die schwarze, scheinbar bodenlose Pupille mit ihrer flammenden Iris umschloss. Eine Sonnenfinsternis, so schien es, spiegelte sich darin oder die Krone eines unsichtbaren Königs.


***


Es war eine bedeutende Standuhr, die den sonnenlosen Mittag ankündigte. Der Ruß der unzähligen Feuer hatte sich wie ein Mantel des Schweigens auf die Gassen gelegt und verhinderte die Blicke des Himmels und drückte die Schreie der Wehklagenden förmlich zurück in ihre aufgerissenen Münder.
Alles was geschah blieb verborgen, und die Standuhr schlug scheppernd zwölf Mal, bevor sich unter das metallische Nachklingen das Stöhnen eines Eingeschlossenen mischte. Als er aus seiner Ohnmacht ganz erwacht war, schlug er sich hastig und ängstlich die Hand vor den Mund.
Über ihm arbeitete das Uhrwerk völlig ungerührt, und das Pendel ging apathisch und herzlos von einer Seite zur anderen.
Mit beiden Händen umschloss er es und brachte es endlich zum Stehen. Nun zählte nur noch sein Atem die Sekunden.
Vorsichtig öffnete er die schmale Tür der Uhr und ließ den schockierten Blick durch den offenen Spalt huschen. Seine ängstlichen Gebete waren so leise, dass nicht einmal er selbst sie hörte, und auch seine Lippen sah man sich nicht bewegen, so dunkel war es in der Uhr.
Alles war wie überschattet. Der Tag schien Nacht zu sein. Das machte dem Eingeschlossenen Mut, die Tür der Uhr weiter und immer weiter zu öffnen, bis er schließlich einen Schritt hinaus machte.
Menschen und Mobiliar lagen zerschlagen auf dem Boden. Der Mann raffte seinen Brokatumhang über die Knie und suchte tänzelnd einen Weg durch das schreckliche Durcheinander. Es konnte sich nur um einen der Ratsherren handeln. Er hatte sich, wie noch andere, in Schränken und Truhen zu verbergen gesucht, aber nun sah er viele der anderen, die halb herausgezerrt und erschlagen im Zimmer lagen und bekreuzigte sich.
Mit zitternden Knien schaffte er es bis zu einer der vielen, kupferbeschlagenen Truhen und ging davor in die Knie.
„Herr im Himmel“, betete er. Tat es immer wieder und stemmte dabei die Truhe mit aller Kraft von ihrer Stelle. Darunter legte er eine verborgene Öffnung im Boden frei – betete und zog endlich ein Ledersäckchen daraus hervor. Er suchte weiter und fand einige Papiere mit bedeutsamen Siegeln.
Als er sie in Händen hielt, bekreuzigte er sich abermals.
Ein kratzendes Geräusch ließ ihn zusammenfahren.
„WER??“, aber ängstlich schlug er sich schon die Hand vor den Mund. Er wollte ja gar nicht wissen, wer da dieses Geräusch gemacht hatte. Er wollte nur weg, sich verstecken und irgendwie einen Ausweg aus diesem Labyrinth aus Tod und Schrecknis finden. Er riss die Dinge, die er gefunden hatte, an sich und stürzte in eine vom Schatten fast schwarze Ecke und zog seine Knie an, damit die weißen Waden nicht vom fahlen Licht beschienen wurden.
Zitternd hielt er den Atem an – für Sekunden – eine Schranktür öffnete sich und dann stürzte plötzlich ein Mann mit einem Degen heraus. Aber der Degen, der steckte ihm mitten in der Brust, und nachdem er einen ersten stolpernden Schritt getan hatte, trieb er ihn sich mit seinem ganzen Gewicht durch den Oberleib hindurch, als er vornüber zusammenbrach.
Der Ratsherr war von dieser Auferstehung so mitgerissen, dass er erst gar nicht bemerkte, wie sich in dem Schrank noch jemand bewegte. Zwei Hände klammerten sich an den Schrankrahmen und blutige Kleidungsstücke fielen von ihren Haken. Atemlos kämpfte sich ein Mann aus dem Schrank heraus und ging gleich davor in die Knie.
Es war einer der Kämmere. Der Ratsherr wollte schon auf ihn zustürzen und ihn bittend zu sich empor reißen - Flucht, Freund, wollte er rufen, denn es würde nicht lange dauern, bis die Soldateska zurück kehrte, um das zu plündern, was sie am Tage zuvor in aller Hast und allem Blutdurst übersehen hatte.
`Komm´, flüsterte sein Verstand, `wir werfen die teuren Kleider fort, und wir nehmen das Geld, die Papiere und alles, was wir tragen können und werfen uns in den Fluss und lassen uns vom Strom davon tragen!´ Dieser Gedanke war bedrohlich und hoffnungsvoll zugleich. Und fast wäre der Ratsherr darüber aus seinem Versteck hervor gekrochen, als er ein furchtbares Geräusch durch die Wände und Mauern treiben hörte. Dieses Kratzen und Rauschen, als ob sich tausend Leiber aneinander rieben, kam ihm so vertraut vor, als hätte er es bereits in seinen schlimmsten Albträumen vernommen. Eine Horde, schrecklicher und todeshungriger als die mörderische Soldateska, fraß sich da einen Weg durch Gestein und Mörtel, und es schien ihm, als würden sich die Wände unter dem Ansturm der Nagezähne biegen und wölben. Die Schreckensangst, dass all die teuflischen Kreaturen, die sie bisher unter der Stadt nur erahnt hatten, nun, da sie wehrlos und zerschunden dalag, einen Weg ans Sonnenlicht bahnten, trieb ihm die Angst wie glühende Haken unter die Haut.
Da, der Mörtel löste sich bereits aus den Fugen und gehauene Feldsteine, die so groß wie Brote waren, begannen in ihren Verliesen zu rütteln und zu rattern und wurden aus den Fugen gedrückt. Der ohrenbetäubende Lärm schluckte die Schreie des Ratsherren, der sich vor Angst in die dunkle Ecke drängte. Wie erstarrt sah er von dort den Kämmerer, der sich aufzurichten suchte. Ihm gegenüber polterte einer der Mauersteine plötzlich aus der Wand heraus, und für einen Augenblick herrschte eine Stille, die beängstigender als alles vorherige war. Eine einzelne schwarze Kreatur purzelte aus dem freigewordenen Loch und huschte zu dem Schrank herüber. Dort verschwand sie, bis sie plötzlich aus dem Dunkel hervor stürzte und dem am Boden kauernden Kämmerer in den Nacken sprang.
„Was ist das?“, stieß der zitternd hervor und griff sich an den Hals. Er packte das quiekende Tier und warf es angeekelt von sich fort.
Dann aber brachen zwei weitere aus der Wand heraus, dann zehn, dann Dutzende, die sich gleich in Gruppen auf den Mann warfen, während der mit seinen beiden Händen kaum in der Lage war, sie sich nacheinander vom Leib zu zerren. Fast war es ihm gelungen, sich aufzurichten und vielleicht zu flüchten, bevor die Kreaturen ihn ganz überwältigten.
Der Ratsherr starrte den Mann wie einen Ringkämpfer an, der unter dem Gewicht seines Gegners einzuknicken drohte und bemerkte dabei nicht, dass aus den Dutzenden bereits Hunderte geworden waren, die in stetiger Flut aus dem Mauerwerk stoben und heraus gewürgt wurden wie aus einem überquellenden Magen. Bald schauten nur noch Kopf, Schultern und Oberarme des Kämmerers aus der um ihn errichteten Pyramide aus schwarzen Tieren heraus. Und als sie schließlich auch die Arme und Schultern unter ihrem Gewicht bewegungslos machten, hörte man nur noch die Schreie des Mannes, der den Hals reckte und alle Götter um Gnade anflehte.
Ein großes Tier, annähernd doppelt so groß wie die anderen, bahnte sich unterdessen einen Weg diese Pyramide empor, und es schien, als würden sich die anderen Tiere unter ihm buckeln und ehrfürchtig zurück weichen.
Der Ratsherr musste sich bei dem Anblick des Tieres in die geballte Faust beißen, bis Blut daraus hervor ran, um bei dabei nicht lauthals aufzuschreien. Nur der Teufel selbst, kam es ihm in den Sinn, konnte derartige Macht auf das niedere Getier ausüben, dass es ihm zu solchen Diensten war – ein König, ein Heerführer unter den Ratten, der tausende und abertausende seines Geschlechts bis an die Oberfläche geführt hatte.
An der Spitze der lebendigen Pyramide angekommen, wand sich dieser Generalissimus wie eine Schlange um den Hals den Kämmerers, und es schien, als würde er ihm zuflüstern wollen. Und ein mahlendes Geräusch brachte den Ratsherren fast um den Verstand, als sich das riesige Tier durch den Nacken des Mannes bis in dessen Kopf fraß.

Als die ihn umgürtenden Tiere mit einem Mal von ihm abfielen, blieb der Kämmerer mit weit aufgerissenem Mund und starren Augen stehen. In seinem Nacken zwirbelte sich der Rattenschwanz des fressenden Tieres, das bis zur Hälfte in ihm verschwunden war. Wie eine Statue stand der Mann da, bis er mit einem Mal wie erschöpft ausatmete. Seine Lungen rasselten, und es schien unmöglich, dass in seiner Brust noch das Herz zu schlagen vermochte.
Wie erwacht reckte sich der entstellte Körper und richtete sich aus der schmerzverzerrten Pose zu voller Größe auf.
Zu seinen Füßen drängten sich die Ratten zu ihm, und einige hangelten sich an ihm empor und wuselten ihm über die Schultern, über Rücken und Bauch, schlüpften in seine Kleidung und wieder heraus, so dass der Brokatumhang wie im Sturm flatterte.
Mit einem einzigen furchterregenden Schrei reckte diese Marionette von einem Menschen nun die Hände in die Höhe. Und als wäre mit dem Leben auch alles Menschliche aus ihm entschwunden, wirkten seine Gesichtszüge plötzlich nur noch wie die einer gnadenlosen Bestie.
In diesen Augenblick hinein gab der Ratsherr, der all das Unvorstellbare mit angesehen hatte, einen leisen, verzweifelten Seufzer von sich, denn seine Lungen schienen versteinert und sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Der lebendig gewordene Rattenkönig blickte ihn aus der Mitte seines Heeres unbarmherzig an.
„Aus dir will ich meine Waffen schmieden!“, flüsterte er und führte seine Armee mit einem Handstreich in seine Richtung.
Und noch bevor alles Leben aus dem Ratsherren gewichen war und das Goldsäcklein aus seiner kraftlosen Hand glitt, der sich der Tod mit seiner leblosen Blässe bereits angenommen hatte, waren auch schon die Ratten an ihm empor und wühlten sich durch seine Muskeln, um seine Knochen wie Schmiedeeisen aus dem zuckenden Fleisch zu schälen.
 
OK, leichte Überarbeitung - keine "Stimme" mehr, aber der Satz bleibt, denn woraus sollte der König sich sonst seine Waffen schmieden, und woher wüßten wir davon?

Grüsse, Marcus
 
Hi

Alleine der Einstieg...(der ist wirklich ausgesprochen stimmungsvoll - wenn auch eher mit negativen Gefühlen und Assoziationen behaftet; aber so soll es sein bei einer Geschichte in diesem Forum!

Also:

Sprachlich: Sehr gut
Inhaltlich: Gut
Intensität: Gut
Idee: Befriedigend (weil nicht ganz so innovativ, ist aber auch schwierig heute etwas gänzlich Neues zu kreieren)



Alles zusammen: ECHT GUT...

LG

Markus

PS: Ich weiß man sollte hier etwas mehr schreiben, aber bin gerade etwas kurz angebunden.

Bis dann...
 
Danke, Markus für das echt gut. Hab mal noch ein altes Fragment aus gleicher Feder ausgegraben. Vielleicht ist das ja von Interesse.

Grüsse Marcus
 

Bad Rabbit

Mitglied
Hallo Marcus!

Ich finde deinen Rattenkönig gut.
Der erste Absatz ist sprachlich nahezu perfekt und jagt einem einen kalten Schauer über den Rücken.

Du hast später wohl versucht, in diesem Stil weiterzumachen, aber bist da imo etwas übers Ziel hinausgeschossen.
Es liest sich zwar Lovecraft-mäßig, aber für meinen Geschmacht sind da zu viele Adjektive und überhaupt hast du da etwas dick aufgetragen.

Das einzige, was mich wirklich stört, ist das "WAS??", denn dieses Kapitalisieren und dann zwei Fragezeichen, das sieht aus wie in einem Chat, das hat so ein toller Text nicht nötig.

Wirklich gut, sprachlich toll, aber manchmal zu viel des Guten.
Dafür sehr atmosphärisch. Gern gelesen!

MfG
Tim
 
Ja, Tim,

aber das ist ja immer das Schöne an einem Text, der schon sechs Jahre alt ist. Das, was dir oder jedem anderen Leser ganz instinktiv auffällt, weil er relativ obektiv dem Text begegnet, wird dem Autor erst nach einer bestimmten Zeit oder manchmal auch nie!! bewußt. Den Rattenkönig halte ich immer noch für eine gute Idee, der ich mich emotional noch verbunden fühle - aber das Projekt existiert bei mir nur so im Hinterkopf, als ob ich ahnte, dass ich noch Zeit brauche, um das Unternehmen so anzugehen, dass etwas Sinnvolles dabei heraus kommt. Deshalb mag der Text hier schmoren, bis er gut durch gezogen ist. Dann wird irgendwann der Tag kommen, wo die Figuren mich rufen werden - aus der Tiefe der Verdammnis. Dann werde ich mich wie ein alter Mann von meinem Stuhl erheben und ihre Namen rufen.

Naja, oder so ähnlich...

Grüße. Der Text hat auf jeden Fall Potential, aber ich habe gerade nicht genügend Platz, um den Roman hier in allen Einzelheiten aufzuschreiben,

Marcus
 



 
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