Raupenfahrt

Dancingdet

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Langsam schiebt sich sein Arm hinter ihren Rücken. Jetzt nur locker bleiben ! Cool bleiben und sich mit der Hand vorsichtig an ihre Schulter tasten. Die Chicks stehen auf coole Jungs. Er kann ihr Gesicht aus dem Winkel nicht sehen, weil ihm der Schirm seiner Kappe und die über die Kappe gezogene Kapuze die Sicht versperren. Hoffentlich spürt sie sein innerliches Zittern nicht. Wenn die Wahrsagerin Recht hat, dann wird es gleich passieren !
Er hat sich schon in der Schule verabredet...; also er und Niklas. Niklas, den alle bewundern und als Vorbild nehmen. Niklas, der die Zigaretten seines Vaters raucht und es als Einziger wagt, Bier zu trinken. Nicht dieses gepanschte Zeug mit Cola oder Limo, nein, richtiges Bier, das nach Malz und bitterem Hopfen schmeckt. Niklas ist auch der Einzige, der schon eine Freundin hat, die Vanessa. Die Vanessa zieht auf dem Schulhof immer mit einer Horde kichernder und tuschelnder Mädchen ihre Kreise. Alle immer geschminkt und unheimlich cool. „Ey, gehsse Kirmes ?“ hatte Niklas gefragt. Unter dem Schirm seiner Baseballkappe über die er die Kapuze seines Sweats gezogen hat blitzt ein Blechpickel in seiner Oberlippe. Niklas fragt IHN ! Er spürt förmlich, wie seine Klassenspezis zusammenzucken. Er wächst ein kleines Stück. „Klar, Mann kommsse mit ?“ „Klar, trifft sich gut datte hingehss. Ich bin mitte Vanessa da und die nimmt ihre Freundin Nina mit.“ Niklas grient ihm verschwörerisch zu: „Zwei Tussis sind selbst mir zu viel.“ „Sechs Uhr anne Raupe, okay ?“ „Klaro, sechs Uhr anne Raupe.“ Niklas schlendert zur Bushaltestelle. Dabei sieht es so aus, als stütze er sich mit dem linken Bein immer etwas stärker ab, als mit dem rechten. Cooler Rappergang.
Es hupt, seine Mutter fährt mit dem Passat vor. Er wehrt einen Begrüßungskuss gerade noch so ab und sagt dann: „Ich gehe heute abend um sechs Uhr mal kurz auf die Kirmes. Bin aber um Neun wieder zu Hause.“ Ha, mit Niklas auf die Kirmes ! Er wird um Einiges auf der Beliebtheitsskala steigen.
Zu Hause kann er seine Ungeduld kaum im Zaum halten. Er macht zunächst seine Hausaufgaben und isst dann eine Kleinigkeit. Schließlich geht er um halb fünf ins Bad. Er duscht und reinigt sein bestes Stück ausgiebig, schließlich ist die Nina heute mit dabei. Wie sieht die noch mal aus ? Er versucht, sich zu erinnern. Ist das die dunkelhaarige ? Ach, die sind ja alle dunkelhaarig. Na, egal. Er verlässt die Dusche und greift zum Rasierer seines Vaters. Zuerst einseifen, dann in langsamen Zügen die Dreifach-Klinge über die Stoppeln gleiten lassen. Ein Knistern wie bei seinem Vater ist nicht zu hören, aber er fühlt sich nach der Rasur richtig glatt an. Jetzt noch ein Rasierwasser. Er wählt „Hugo Boss- separates the men from the boys“ und stöhnt qualvoll auf. Daher der Werbeslogan ! Aber es riecht erotisch. Dann schlüpft er in seine Calvin Klein Unterhose, zieht sich seine Levis-Jeans an, ein T-Shirt und darüber seinen Sweat mit Kapuze. Barfuß in die Reebock Turnschuhe und schließlich die Baseballkappe; Kapuze drüber und los geht’s.
Schon sechs Uhr durch und noch keiner zu sehen. Um ihn herum herrscht ein Chaos von moderner Musik, Kinderliedern, Karusselgeschepper und ein Meer von Bratwurst-, Fisch- und Mandeldüften. Sein Handy bemerkt er nur, weil es auf Vibrationsalarm steht. Eine dünne Stimme meldet sich: „He Mann, hier iss Niklas. Wir waren grad noch \'n bissken vorglühen. Sind inne Viertelstunde da, Alter!“ Aus den Boxen der Raupe dröhnt es. Da fällt sein Blick auf eine unscheinbare Bude „Madame Mantika“ Wahrsagerin. Unbewusst macht er ein paar Schritte auf den kitschig wirkenden Wagen zu. In diesem Moment öffnet sich die Tür und eine bunt gekleidete dicke Frau erscheint. „Na, mein Junge. Möchtest du dir die Zukunft voraussagen lassen ?“ Er schüttelt heftig den Kopf, aber sein energisches „Nein“ geht im Gedröhne der Raupe unter. Die Frau im orientalischen Bauchtanzkostüm packt in bei den Schultern und schiebt ihn in den Wagen. „Es tut nicht weh. Und weil du so jung bist, ist es auch kostenlos.“ Er hat eine Viertelstunde Zeit, was hat er zu verlieren. Die Dicke zieht ein dünnes Tuch von einer Kristallkugel. Sie sieht in an und macht ein wichtiges Gesicht. Dann rollt sie mit den Augen und – er zuckt vor Überraschung zurück – es bildet sich ein farbiger Nebel innerhalb der Kugel. Die Frau hält ihre geöffneten Hände darüber und murmelt etwas in einer fremden Sprache. Unvermittelt reißt sie die Augen auf und starrt ihn an. „Mein lieber Junge, du bist 15 Jahre alt und du gehst auf die örtliche Gesamtschule. Du liebst deine Eltern und deine Schwester. Deine Noten sind überall sehr gut, aber dein Sehnen ist es, Bewunderung und Liebe zu erheischen! Ich sehe, dass du dem einen Teil näher kommst und dass der heutige Abend für dich unvergesslich wird !“ Er bekommt bei dem Gedanken eine Erektion und sein Gesicht wird fiebrig. Hätte er doch nur Kondome mitgenommen ! „Doch hüte dich, wenn die Liebe ihre Kreise zieht !“
So, so, ein unvergesslicher Abend. Vielleicht hat Niklas ja ein paar Verhüterlis dabei, schließlich geht er schon drei Monate mit Vanessa. Wenn er sich nur daran erinnern könnte wie Nina aussieht. Madame Mantika schiebt ihn nach draußen, wo schon ein junges Liebespaar wartet. Er begibt sich wieder in den Wirbel von Musik und Geruch. Endlich entdeckt er Niklas mit den zwei Mädels. „He Alter, komm lass uns ma schnell watt essen.“ Und damit schiebt er ihn zu Nina. Also doch dunkelhaarig. Über der schwarzen Leggins trägt sie ein Jeansröckchen, ein rosa T-Shirt und darüber eine zu kurze Jeansweste. Sie ist stark geschminkt und trägt Kreolen in den Ohrläppchen. „Hi du,“ haucht sie und schnappt sich seinen Arm. „Lädst du mich ein ?“ Ein verführerisches Lächeln lässt ihn dahinschmelzen. Die Geruchslawine der Kirmes weicht ihrem herrlichen Parfumduft und dem leicht verruchten Geruch von einigen Alkopos. Sie begeben sich an die nächste Bratwurstbude. „Mach ma vier Phosphatstangen,“ ruft Niklas der Bedienung zu. Nina beugt sich vor, um ihre Wurst in Empfang zu nehmen und er kann den Hauch eines Blickes auf ihren BH werfen. Kaum hat er alles bezahlt, macht sich die Gruppe auf zum nächsten Bierstand. Niklas ist auch hier ganz im Bilde. „Ein Pils, zwei Krefelder und...watt nimms du ? Eine Cola.“ Die Mädchen stehen zusammen und tuscheln, während er die Runde bezahlt.
Kirmes, Rummel, Jahrmarkt: das verspricht Vergnügen ! Der Teddy vom Schießstand wandert in Ninas Arm, weiter an das Bierkarussel, dann Zuckerwatte naschen und wieder vorbei an einen Getränkestand. Niklas und Vanessa bleiben immer wieder stehen, um zu knutschen. Irgendwann muss er sich Nina schnappen. Seine Gedanken rotieren. Noch eine Wurst für alle mit etwas Pils und Krefelder herunter gespült. Dann hat er die Idee. Die Raupe! Eigentlich ein langweiliges Gerät, aber die Mucke hier ist immer auf dem neuesten Stand und wenn sich die Stoffplane über die Sitzplätze legt die beste Gelegenheit, um ihr die Zunge in den Mund zu stecken.
Er bekommt seine nächste Erektion. Er zahlt, drückt Vanessa den Teddy in den Arm und zieht Nina zur Raupe. Niklas grinst schmierig. Er bugsiert sie in einen freien Sitz und dann geht es auch schon los.
Seine Hand liegt jetzt auf ihrer Schulter und sie neigt den Kopf auf seine Brust. Seine Unruhe wird stärker als er bemerkt, dass er ihr in den Ausschnitt sehen kann. Schwarze Spitze ! Ihr Kopf rollt zur Seite, rosige Lippen locken. Nun hat die Raupe ihre größte Geschwindigkeit erreicht, die Sirene heult und kündigt an, dass nun die grüne Plane über den Sitzplätzen schließt. Es wir dunkler und dunkler, er nähert sich ihrem Mund. Die Lippen treffen sich und er beginnt langsam, seine Zunge in Ihren Mund zu schieben. Sie schiebt ihre Zunge ein Stück vor; der Genuss, die Erregung, die ihn erfasst ist unbeschreiblich. In seinem Kopf wird ein Feuerwerk gezündet, das keinen klaren Gedanken mehr zulässt, ein unglaubliches Verlangen in ihm erzeugt und in einer weiteren Erektion mündet. Er spürt, dass es in Nina ebenso aussehen muss, spürt ihr Unruhe, fühlt, wie ein Zittern durch ihren Körper geht, wie sie heiß und fiebrig wird und unruhig auf ihrem Sitz hin und her rutscht.
Dann bricht es aus ihr heraus: Alkopos, Bratwurst, Zuckerwatte, Krefelder, Bratwurst, Krefelder, kleiner Feigling !
Er kann sich vor dem schier unendlichen Schwall an Erbrochenem nicht ganz in Sicherheit bringen und beginnt nun selbst, sich zu übergeben. Die Plane öffnet sich und er springt aus dem Fahrgerät. Er rennt nach Hause, während in seinem Kopf die Worte von Madame Mantika nachklingen:
„Der heutige Abend wir für dich unvergesslich werden. Doch hüte dich, wenn die Liebe ihre Kreise zieht !“
 



 
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