Realist!

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Alex

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Überrascht sah Henry Downey von dem Morgenexemplar der European Times auf, als sich die Tür seines Büros öffnete. Eigentlich war es nicht wirklich das seine, sondern gehörte dem Geschäftführer des Süddeutschen Ablegers von Cybertech, aber das tat nichts zur Sache.
Noch immer plagten ihn Kopfschmerzen vom zweistündigen Flug mit der Orbitalrakete von der Besprechung mit dem Aufsichtsrat in Tokio, und so war er mehr als nur ein wenig ungehalten über das Unvermögen der hiesigen Sekretärin.
Kein Wunder, das die Jahresbilanz ein Dickes Minus enthielt, wenn die Führung hier so lax war.
Dicht gefolgt von einem dicklichen Mann, der sich trotz des klimatisierten Büros den Schweiß von der Stirn wischte, betrat eine rothaarige, gepflegte Frau Mitte dreißig den Raum. Einen Moment blieb sie in der Tür stehen, beschloss dann aber doch die überdimensionalen Ausmaße des Büros, die kostspielige Einrichtung zu ignorieren und kam näher.
"Herr Downey?" sprach ihn die Frau freundlich an, der Mann zog ein Tuch aus der Hosentasche, die zwanzig Meter bis zu Henrys Schreibtisch hatten ihn sichtlich erschöpft. "Kommen sie schon zur Sache!" bedeutete er ihnen schroff, sich zu setzen.
Seine Zeit war zu kostbar, um sie mit sinnlosen Fragen, deren Antwort bereits bekannt war, zu verschwenden.
"Wir kommen von Greenwar!" erklärte die Frau bestimmt, als wenn ihre Zugehörigkeit zur Weltgrößten Umweltorganisation und Bande von Verrückten ihn, Henry Downey hätte beeindrucken können.
Wenn die Frau überhaupt etwas beeindruckendes an sich hatte, dann das sie es geschafft hatte, bis zu ihm vorzudringen, eine Leistung, an der schon Staatspräsidenten gescheitert waren.
"Ich spende niemals an Firmenfremde Organisationen!" stellte Henry kategorisch klar. Und auch die wären schon längst geschlossen worden, wäre nicht die damit verbundene Publicity gewesen.
Lieber hätte er die dritte Welt mit Fabriken vollgepflastert, aber humanitäre Hilfe stand auch im 22. Jahrhundert noch immer hoch im Kurs.
"Es geht nicht um Geld, wir suchen namhafte Schirmherren aus Politik und Wirtschaft für unsere Kampagne ‚Rettet den Blauwal'! Wie sie sicher wissen, ist der Blauwal seit Jahrzehnten gefährdet und geschützt, trotzdem gilt er in Japan immer noch als Delikatesse. Wahrscheinlich gibt es auf der gesamten Welt keine hundert Exemplare mehr!" beschrieb sie langatmig, dann lehnte sie sich im Ledersessel zurück.
All dass wusste Henry auch, aber vielleicht wurde es wirklich Zeit, dass er sich der Sache annahm.
Warum musste es denn immer er sein?
"In Ordnung, ich rette die Wale!"
Überraschung zeigte sich auf dem Gesicht der Frau, so einfach hatte sie sich dass bestimmt nicht vorgestellt.

Zehn Jahre später wurde die letzte Sichtung eines Blauwals in den Weltmeeren bestätigt.
In etwa zur gleichen Zeit beobachtete Henry in Japan lächelnd, wie der erste Wal aus den Aufzuchtsbecken geholt, zerlegt und auf die Hover verladen wurde.
Ob die beiden Besucher von damals auch unter den Demonstranten vor seiner Fabrik waren, würde er wohl nie herausfinden.
Wieviel es ihn kosten würde die negativen Schlagzeilen wettzumachen hingegen schon.
 

Andrea

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5 von 10 Punkten

Der Text beginnt sehr gut: flüssig zu lesen, die Charaktere werden eingeführt (obwohl ich die vielen großgeschriebenen Adjektive klein schreiben würde ;) ), und diese Unmenge an Anglizismen läßt sich wohl mit der Multikultur der Zukunft erklären - auch wenn "Herr Downey" ein bíßchen sehr albern kingt - so wie in den alten Filmen, die ins Deutsche übersetzt wurden. (Wieso hat ein Süddeutscher eigentlich einen englischen Namen?)

Der Hammer kommt aber im letzten Drittel - stilistisch recht sicher trampelt dein Protagonist aber gleich alles nieder, was er sich vorher aufgebaut hat: ein hartherziger Scrooch-Verschnitt, der nach dem Satz "Aber es wird bald keine Wale mehr geben, ihre Enkel werden vielleicht niemals einen zu Gesicht bekommen!" plötzlich Gewissensbisse kriegt? Das ist sowas von unmotiviert, daß es deiner Glaubwürdigkeit schadet.

Schade.
 

Alex

Mitglied
Er ist kein süddeutscher, eigentlich überhaupt kein Deutscher. Er ist nur zufällig gerade in Süddeutschland, als das passiert. Anglizismen aus zwei Gründen, erstens ist er Engländer, zweitens lebt er im Vereinigten Europa, wo Englisch die Standardsprache ist.

Aber ich bin dir sehr dankbar, dass du mir das Feedback gegeben hast. Das Ende passt wirklich nicht zu ihm (Auch wenn er eigentlich überhaupt nicht hartherzig ist), die Gewissensbisse sind absolut untypisch.
Muss ich mir eben eine andere Wendung suchen, Wale zu Delikatessen zu verarbeiten passt einfach sakrisch gut zu ihm.

Also noch mals Danke,


Alex
 

Gilmon

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Hi, Alex

da gebe ich Andrea recht, die Überredung von Mr. Downey läuft doch sehr schnell. Ein Satz und er ist sofort bereit, für die Schirmherrschaft der Blauwale einzutreten.
Man könnte die Sache viel dramatischer gestalten: Downey weigert sich eine Schirmherrschaft zu übernehmen und die Leute von Greenwar verlassen sein Büro mit der unheilvollen Drohung, daß er mit seiner Weigerung das Todesurteil für die Blauwale unterschrieben hat (gut, vielleicht nicht ganz so dramatisch)und er seine Enkel um die Möglichkeit gebracht hat, einen Wal zu sehen. Vielleicht finden sie einen anderen Schirmherren und Downey bekommt die Sache mit der Fabrik im Fernsehen mit, so würde die Geschichte auch funktionieren und Downey würde seinen Stolz behalten.

Grüße, Gilmon
 

Alex

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Den Text habe ich voll vermurkst, sie haben ihn davon überzeugt, dass er die Wale retten sollte, darum gründet er die Fabrik, nicht von der Schirmherrschaft.
Und am Ende rettet er sie auch vor der Ausrottung, es ist seine Fabrik.
Eigentlich sollte es die Diskrepanz zwischen zwei konträren Sichtweisen beleuchten, aber ich hab ja voll danebengegriffen.

Alex
 



 
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