Reiseabenteuer

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Die gute Frau Brand, wie Hartmann sie gern nannte (Brand nur mit d, wie sie selbst betonte), unsere Vermieterin also, sie brachte uns mitsamt dem Gepäck zum Bahnhof. Wir wechselten wieder einmal die Unterkunft – erst zwei Wochen an den Seen, dann tiefer ins Gebirge hinein, das war bei uns so üblich. Sie blieb auch beim Abschied, was sie vorher durchgehend gewesen war: auf sehr konventionelle Art geschäftlich freundlich. Das könne noch nicht alles gewesen sein, sagte Hartmann, als sie weggefahren war und wir die pompöse Front des alten Kaiserbahnhofs durchschritten. - Wie meinst du das, nicht alles gewesen? – Nun, sie hat so eine Aura … Was sollte ich dazu sagen?

Die kleine Seitenbahn brachte uns bis ans Ende des Hochtales. Die Berge dort wirkten niedriger als jene weiter unten, obwohl sie tatsächlich viel höher waren. Auch die Station klein, bescheiden verziert, wenn auch alles wieder in diesem Schönbrunner Gelb; die Pension, in der wir reserviert hatten, gleich an der übernächsten Ecke der Hauptstraße. Wie wenig hier los ist, sagte ich. – Zwischensaison, meinte Hartmann, pass auf, zwei Drittel der Gasthäuser sind geschlossen.

Wir klingelten. Durch die Sprechanlage erklang zu unserem Befremden keine Stimme, nur ein Klopfen, wie es vielleicht ein Fingerknöchel auf einer Stahlplatte hervorruft. Der Türsummer dagegen summte ordnungsgemäß. - Sie hat ja gesagt, es sei im ersten Stock, gehen wir einfach rauf, entschied ich. - Die, die uns die Etagentür öffnete, grüßte mit Kopfnicken und blieb im Übrigen weiterhin stumm. Wir setzten einfach voraus, es sei Frau Matschke, mit der ich neulich telefoniert hatte, und nicht irgendeine Hilfe. Dafür sprach das Besitzergehabe ihrer Handbewegungen, sonst eher wenig. Sie war klein, mager, ältlich und wirkte klagsam allein schon durch ihre verschlossene Trauermiene. Jene Frau Brand dagegen – wie hatte sie eigentlich ausgesehen, ich wusste es schon nicht mehr. Frau Matschke, uns den Vortritt lassend, dirigierte uns in ein Zimmer. Wir erkannten es sogleich als für uns bestimmt, denn hinter der offen stehenden Verbindungstür rechts lag der versprochene zweite Raum, spiegelbildlich identisch und haargenau wie der erste möbliert: billiger Landhausstil, pseudorustikal die rotkarierte Bettwäsche.

Welches Zimmer nimmst du, fragte ich Hartmann. Er ging nicht darauf ein und wollte stattdessen wissen, wo unser Privatbad sei. – Vielleicht über den Flur? – Ich wollte die erste Zimmertür öffnen – sie war bei unserem Eintreten von Frau Matschke hinter uns geschlossen worden -, aber Hartmann rannte hinüber ins zweite Zimmer und rief von dort: Sie ist nicht mehr da, deine Frau Matschke … Ich ging nachsehen, es war so. Hartmann wollte wissen, wie ich überhaupt mit ihr hatte reden können, wenn sie doch stumm war. – Immer vorausgesetzt, entgegnete ich, diese hier ist wirklich Frau Matschke … Da bemerkten wir – und ich dachte: wie in schlechten Romanen - die kleine Tapetentür. Ich trat auf sie zu, doch bevor ich ihre Klinke herunterdrücken konnte, sprudelte Hartmann schon die Unglücksbotschaft heraus: Unser Gepäck! Wo sind die Koffer? – Wir gestanden es uns beschämt: von uns vorhin vergessen worden im Kofferraum des Brandschen Wagens. Indessen erwies sich jetzt, dass meine Tapetentürtheorie richtig war: Frau Matschke kam gerade durch jene Öffnung zu uns zurück. Meine Verlegenheitsfrage, wann Frühstückszeit sei, blieb ohne Antwort. Frau Matschke schien sogar etwas verstimmt und zog sich sogleich erneut zurück, die Tür geräuschlos hinter sich zuziehend. Hartmann, sagte ich, dieses Zimmer nimmst du.

Da wir nichts auszupacken hatten, beschlossen wir, essen zu gehen – und machten noch vor dem Aufbruch die nächste erregende Entdeckung: Wir waren so gut wie ohne Mittel. Auch hier die Erklärung einfach: Wertsachen und Hauptteil der Barschaft befanden sich noch im Safe des Hotels der Frau Brand (Brand nur mit d, zum Teufel damit!). Hartmann, sagte ich, wenn wir so vergesslich geworden sind, wie konnten wir es dann wagen, überhaupt noch zu verreisen? – Müßig, das jetzt zu erörtern. Du musst die Brand sowieso wegen der Koffer anrufen. - Ich wollte mir zu meiner Befriedigung sagen, für ihn war sie nun nicht mehr die gute Frau Brand, da hielt er mir schon das kleine handliche Gerät hin, fertig eingestellt, sie herbeizitierend.

Und da war sie wieder, die mir vertraute, mäßig lebhafte, immerzu freundliche Stimme der Frau Brand. Gut, dass Sie anrufen, schnitt sie mir etwas brüsk meine Einleitung ab, wir haben da noch einen Punkt zu klären … Richtig, Frau Brand, genau genommen sind es deren zwei. Die Koffer werden sie vielleicht schon entdeckt haben, ja? – Wenigstens diese Wirtin war nicht stumm, doch ihre Rede von nun an nicht durchgehend verständlich. Zu den Koffern äußerte sie sich ungefähr so: Tzumm didirum pasta me, obscuran in effigie? Tzumm didiram, Señor Schmidt! – Ich bat sie, deutlicher zu sprechen, mit nur mäßigem Erfolg: Signore Schmidt, obscuran, obscuran! – Auf gut Glück argumentierte ich so: Verzeihung, Esperanto spreche ich nicht und verstehe es auch kaum … - Womit ich sie nun doch ein wenig verärgert zu haben schien, ihr Tonfall unverkennbar gereizt: Tem dorum avricem, Gospodin Schmidt! – Der Rest hörte sich beinahe wie Kyrie eleison an – ich hatte genug. Meine Irritation zu verbergen suchend sagte ich, die Verbindung erscheine gestört, ich würde sie morgen wieder anrufen, und beendete das Gespräch sofort.

Hartmann, kann es sein, wir befinden uns in einem aberwitzigen Traum? – Seine Antwort: Dann würde unser Erwachen erst recht fürchterlich sein. – Was er vorschlage? – Richten wir uns damit ein, sagte er und wies über die Einrichtung beider Zimmer hin, mit einer Gebärde wie segnend.
 
Die gute Frau Brand, wie Hartmann sie gern nannte (Brand nur mit d, wie sie selbst betonte), unsere Vermieterin also, sie brachte uns mitsamt dem Gepäck zum Bahnhof. Wir wechselten wieder einmal die Unterkunft – erst zwei Wochen an den Seen, dann tiefer ins Gebirge hinein, das war bei uns so üblich. Sie blieb auch beim Abschied, was sie vorher durchgehend gewesen war: auf sehr konventionelle Art geschäftsmäßig freundlich. Das könne noch nicht alles gewesen sein, sagte Hartmann, als sie weggefahren war und wir die pompöse Front des alten Kaiserbahnhofs durchschritten. - Wie meinst du das, nicht alles gewesen? – Nun, sie hat so eine Aura … Was sollte ich dazu sagen?

Die kleine Seitenbahn brachte uns bis ans Ende des Hochtales. Die Berge dort wirkten niedriger als jene weiter unten, obwohl sie tatsächlich viel höher waren. Auch die Station klein, bescheiden verziert, wenn auch alles wieder in diesem Schönbrunner Gelb; die Pension, in der wir reserviert hatten, gleich an der übernächsten Ecke der Hauptstraße. Wie wenig hier los ist, sagte ich. – Zwischensaison, meinte Hartmann, pass auf, zwei Drittel der Gasthäuser sind geschlossen.

Wir klingelten. Durch die Sprechanlage erklang zu unserem Befremden keine Stimme, nur ein Klopfen, wie es vielleicht ein Fingerknöchel auf einer Stahlplatte hervorruft. Der Türsummer dagegen summte ordnungsgemäß. - Sie hat ja gesagt, es sei im ersten Stock, gehen wir einfach rauf, entschied ich. - Die, die uns die Etagentür öffnete, grüßte mit Kopfnicken und blieb im Übrigen weiterhin stumm. Wir setzten einfach voraus, es sei Frau Matschke, mit der ich neulich telefoniert hatte, und nicht irgendeine Hilfe. Dafür sprach das Besitzergehabe ihrer Handbewegungen, sonst eher wenig. Sie war klein, mager, ältlich und wirkte klagsam allein schon durch ihre verschlossene Trauermiene. Jene Frau Brand dagegen – wie hatte sie eigentlich ausgesehen, ich wusste es schon nicht mehr. Frau Matschke, uns den Vortritt lassend, dirigierte uns in ein Zimmer. Wir erkannten es sogleich als für uns bestimmt, denn hinter der offen stehenden Verbindungstür rechts lag der versprochene zweite Raum, spiegelbildlich identisch und haargenau wie der erste möbliert: billiger Landhausstil, pseudorustikal die rotkarierte Bettwäsche.

Welches Zimmer nimmst du, fragte ich Hartmann. Er ging nicht darauf ein und wollte stattdessen wissen, wo unser Privatbad sei. – Vielleicht über den Flur? – Ich wollte die erste Zimmertür öffnen – sie war bei unserem Eintreten von Frau Matschke hinter uns geschlossen worden -, aber Hartmann rannte hinüber ins zweite Zimmer und rief von dort: Sie ist nicht mehr da, deine Frau Matschke … Ich ging nachsehen, es war so. Hartmann wollte wissen, wie ich überhaupt mit ihr hatte reden können, wenn sie doch stumm war. – Immer vorausgesetzt, entgegnete ich, diese hier ist wirklich Frau Matschke … Da bemerkten wir – und ich dachte: wie in schlechten Romanen - die kleine Tapetentür. Ich trat auf sie zu, doch bevor ich ihre Klinke herunterdrücken konnte, sprudelte Hartmann schon die Unglücksbotschaft heraus: Unser Gepäck! Wo sind die Koffer? – Wir gestanden es uns beschämt: von uns vorhin vergessen worden im Kofferraum des Brandschen Wagens. Indessen erwies sich jetzt, dass die Tapetentürtheorie richtig war: Frau Matschke kam gerade durch jene Öffnung zu uns zurück. Meine Verlegenheitsfrage, wann Frühstückszeit sei, blieb ohne Antwort. Frau Matschke schien sogar etwas verstimmt und zog sich sogleich erneut zurück, die Tür geräuschlos hinter sich zuziehend. Hartmann, sagte ich, dieses Zimmer nimmst du.

Da wir nichts auszupacken hatten, beschlossen wir, essen zu gehen – und machten noch vor dem Aufbruch die nächste erregende Entdeckung: Wir waren so gut wie ohne Mittel. Auch hier die Erklärung einfach: Wertsachen und Hauptteil der Barschaft befanden sich noch im Safe des Hotels der Frau Brand (Brand nur mit d, zum Teufel damit!). Hartmann, sagte ich, wenn wir so vergesslich geworden sind, wie konnten wir es dann wagen, überhaupt noch zu verreisen? – Müßig, das jetzt zu erörtern. Du musst die Brand sowieso wegen der Koffer anrufen. - Ich wollte mir zu meiner Befriedigung sagen, für ihn sei sie nun nicht mehr die gute Frau Brand, da hielt er mir schon das kleine handliche Gerät hin, fertig eingestellt, sie herbeizitierend.

Und da war sie wieder, die mir vertraute, mäßig lebhafte, immerzu freundliche Stimme der Frau Brand. Gut, dass Sie anrufen, schnitt sie mir etwas brüsk meine Einleitung ab, wir haben da noch einen Punkt zu klären … Richtig, Frau Brand, genau genommen sind es deren zwei. Die Koffer werden sie vielleicht schon entdeckt haben, ja? – Wenigstens diese Wirtin war nicht stumm, doch ihre Rede von nun an nicht durchgehend verständlich. Zu den Koffern äußerte sie sich ungefähr so: Tzumm didirum pasta me, obscuran in effigie? Tzumm didiram, Señor Schmidt! – Ich bat sie, deutlicher zu sprechen, mit nur mäßigem Erfolg: Signore Schmidt, obscuran, obscuran! – Auf gut Glück argumentierte ich so: Verzeihung, Esperanto spreche ich nicht und verstehe es auch kaum … - Womit ich sie nun doch ein wenig verärgert zu haben schien, ihr Tonfall unverkennbar gereizt: Tem dorum avricem, Gospodin Schmidt! – Der Rest hörte sich beinahe wie Kyrie eleison an – ich hatte genug. Meine Irritation zu verbergen suchend sagte ich, die Verbindung scheine gestört, ich würde sie morgen wieder anrufen, und beendete das Gespräch sofort.

Hartmann, kann es sein, wir befinden uns in einem aberwitzigen Traum? – Seine Antwort: Dann würde unser Erwachen erst recht fürchterlich sein. – Was er vorschlage? – Richten wir uns damit ein, sagte er und wies über die Einrichtung beider Zimmer hin, mit einer Gebärde wie segnend.
 
Die gute Frau Brand, wie Hartmann sie gern nannte (Brand nur mit d, wie sie selbst betonte), unsere Vermieterin also, sie brachte uns mitsamt dem Gepäck zum Bahnhof. Wir wechselten wieder einmal die Unterkunft – erst zwei Wochen an den Seen, dann tiefer ins Gebirge hinein, das war bei uns so üblich. Sie blieb auch beim Abschied, was sie vorher durchgehend gewesen war: auf sehr konventionelle Art geschäftsmäßig freundlich. Das könne noch nicht alles gewesen sein, sagte Hartmann, als sie weggefahren war und wir die pompöse Front des alten Kaiserbahnhofs durchschritten. - Wie meinst du das, nicht alles gewesen? – Nun, sie hat so eine Aura … Was sollte ich dazu sagen?

Die kleine Seitenbahn brachte uns bis ans Ende des Hochtales. Die Berge dort wirkten niedriger als jene weiter unten, obwohl sie tatsächlich viel höher waren. Auch die Station klein, bescheiden verziert, wenn auch alles wieder in diesem Schönbrunner Gelb; die Pension, in der wir reserviert hatten, gleich an der übernächsten Ecke der Hauptstraße. Wie wenig hier los ist, sagte ich. – Zwischensaison, meinte Hartmann, pass auf, zwei Drittel der Gasthäuser sind geschlossen.

Wir klingelten. Durch die Sprechanlage erklang zu unserem Befremden keine Stimme, nur ein Klopfen, wie es vielleicht ein Fingerknöchel auf einer Stahlplatte hervorruft. Der Türsummer dagegen summte ordnungsgemäß. - Sie hat ja gesagt, es sei im ersten Stock, gehen wir einfach rauf, entschied ich. - Die, die uns die Etagentür öffnete, grüßte mit Kopfnicken und blieb im Übrigen weiterhin stumm. Wir setzten einfach voraus, es sei Frau Matschke, mit der ich neulich telefoniert hatte, und nicht irgendeine Hilfe. Dafür sprach das Besitzergehabe ihrer Handbewegungen, sonst eher wenig. Sie war klein, mager, ältlich und wirkte klagsam allein schon durch ihre verschlossene Trauermiene. Jene Frau Brand dagegen – wie hatte sie eigentlich ausgesehen, ich wusste es schon nicht mehr. Frau Matschke, uns den Vortritt lassend, dirigierte uns in ein Zimmer. Wir erkannten es sogleich als für uns bestimmt, denn hinter der offen stehenden Verbindungstür rechts lag der versprochene zweite Raum, spiegelbildlich identisch und haargenau wie der erste möbliert: billiger Landhausstil, pseudorustikal die rotkarierte Bettwäsche.

Welches Zimmer nimmst du, fragte ich Hartmann. Er ging nicht darauf ein und wollte stattdessen wissen, wo unser Privatbad sei. – Vielleicht über den Flur? – Ich wollte die erste Zimmertür öffnen – sie war bei unserem Eintreten von Frau Matschke hinter uns geschlossen worden -, aber Hartmann rannte hinüber ins zweite Zimmer und rief von dort: Sie ist nicht mehr da, deine Frau Matschke … Ich ging nachsehen, es war so. Hartmann wollte wissen, wie ich überhaupt mit ihr hatte reden können, wenn sie doch stumm war. – Immer vorausgesetzt, entgegnete ich, diese hier ist wirklich Frau Matschke … Da bemerkten wir – und ich dachte: wie in schlechten Romanen - die kleine Tapetentür. Ich trat auf sie zu, doch bevor ich ihre Klinke herunterdrücken konnte, sprudelte Hartmann schon die Unglücksbotschaft heraus: Unser Gepäck! Wo sind die Koffer? – Wir gestanden es uns beschämt ein: von uns vorhin vergessen worden im Kofferraum des Brandschen Wagens. Indessen erwies sich jetzt, dass die Tapetentürtheorie richtig war: Frau Matschke kam gerade durch jene Öffnung zu uns zurück. Meine Verlegenheitsfrage, wann Frühstückszeit sei, blieb ohne Antwort. Frau Matschke schien sogar etwas verstimmt und zog sich sogleich erneut zurück, die Tür geräuschlos hinter sich zuziehend. Hartmann, sagte ich, dieses Zimmer nimmst du.

Da wir nichts auszupacken hatten, beschlossen wir, essen zu gehen – und machten noch vor dem Aufbruch die nächste erregende Entdeckung: Wir waren so gut wie ohne Mittel. Auch hier die Erklärung einfach: Wertsachen und Hauptteil der Barschaft befanden sich noch im Safe des Hotels der Frau Brand (Brand nur mit d, zum Teufel damit!). Hartmann, sagte ich, wenn wir so vergesslich geworden sind, wie konnten wir es dann wagen, überhaupt noch zu verreisen? – Müßig, das jetzt zu erörtern. Du musst die Brand sowieso wegen der Koffer anrufen. - Ich wollte mir zu meiner Befriedigung sagen, für ihn sei sie nun nicht mehr die gute Frau Brand, da hielt er mir schon das kleine handliche Gerät hin, fertig eingestellt, sie herbeizitierend.

Und da war sie wieder, die mir vertraute, mäßig lebhafte, immerzu freundliche Stimme der Frau Brand. Gut, dass Sie anrufen, schnitt sie mir etwas brüsk meine Einleitung ab, wir haben da noch einen Punkt zu klären … Richtig, Frau Brand, genau genommen sind es deren zwei. Die Koffer werden sie vielleicht schon entdeckt haben, ja? – Wenigstens diese Wirtin war nicht stumm, doch ihre Rede von nun an nicht durchgehend verständlich. Zu den Koffern äußerte sie sich ungefähr so: Tzumm didirum pasta me, obscuran in effigie? Tzumm didiram, Señor Schmidt! – Ich bat sie, deutlicher zu sprechen, mit nur mäßigem Erfolg: Signore Schmidt, obscuran, obscuran! – Auf gut Glück argumentierte ich so: Verzeihung, Esperanto spreche ich nicht und verstehe es auch kaum … - Womit ich sie nun doch ein wenig verärgert zu haben schien, ihr Tonfall nun unverkennbar gereizt: Tem dorum avricem, Gospodin Schmidt! – Der Rest hörte sich beinahe wie Kyrie eleison an – ich hatte genug. Meine Irritation zu verbergen suchend sagte ich, die Verbindung scheine gestört, ich würde sie morgen wieder anrufen, und beendete das Gespräch sofort.

Hartmann, kann es sein, wir befinden uns in einem aberwitzigen Traum? – Seine Antwort: Dann würde unser Erwachen erst recht fürchterlich sein. – Was er vorschlage? – Richten wir uns damit ein, sagte er und wies über die Einrichtung beider Zimmer hin, mit einer Gebärde wie segnend.
 
Die gute Frau Brand, wie Hartmann sie gern nannte (Brand nur mit d, wie sie selbst betonte), unsere Vermieterin also, sie brachte uns mitsamt dem Gepäck zum Bahnhof. Wir wechselten wieder einmal die Unterkunft – erst zwei Wochen an den Seen, dann tiefer ins Gebirge hinein, das war bei uns so üblich. Sie blieb auch beim Abschied, was sie vorher durchgehend gewesen war: auf sehr konventionelle Art geschäftsmäßig freundlich. Das könne noch nicht alles gewesen sein, sagte Hartmann, als sie weggefahren war und wir die pompöse Front des alten Kaiserbahnhofs durchschritten. - Wie meinst du das, nicht alles gewesen? – Nun, sie hat so eine Aura … Was sollte ich dazu sagen?

Die kleine Seitenbahn brachte uns bis ans Ende des Hochtales. Die Berge dort wirkten niedriger als jene weiter unten, obwohl sie tatsächlich viel höher waren. Auch die Station klein, bescheiden verziert, wenn auch alles wieder in diesem Schönbrunner Gelb; die Pension, in der wir reserviert hatten, gleich an der übernächsten Ecke der Hauptstraße. Wie wenig hier los ist, sagte ich. – Zwischensaison, meinte Hartmann, pass auf, zwei Drittel der Gasthäuser sind geschlossen.

Wir klingelten. Durch die Sprechanlage erklang zu unserem Befremden keine Stimme, nur ein Klopfen, wie es vielleicht ein Fingerknöchel auf einer Stahlplatte hervorruft. Der Türsummer dagegen summte ordnungsgemäß. - Sie hat ja gesagt, es sei im ersten Stock, gehen wir einfach rauf, entschied ich. - Die, die uns die Etagentür öffnete, grüßte mit Kopfnicken und blieb im Übrigen weiterhin stumm. Wir setzten einfach voraus, es sei Frau Matschke, mit der ich neulich telefoniert hatte, und nicht irgendeine Hilfe. Dafür sprach das Besitzergehabe ihrer Handbewegungen, sonst eher wenig. Sie war klein, mager, ältlich und wirkte klagsam allein schon durch ihre verschlossene Trauermiene. Jene Frau Brand dagegen – wie hatte sie eigentlich ausgesehen, ich wusste es schon nicht mehr. Frau Matschke, uns den Vortritt lassend, dirigierte uns in ein Zimmer. Wir erkannten es sogleich als für uns bestimmt, denn hinter der offen stehenden Verbindungstür rechts lag der versprochene zweite Raum, spiegelbildlich identisch und haargenau wie der erste möbliert: billiger Landhausstil, pseudorustikal die rotkarierte Bettwäsche.

Welches Zimmer nimmst du, fragte ich Hartmann. Er ging nicht darauf ein und wollte stattdessen wissen, wo unser Privatbad sei. – Vielleicht über den Flur? – Ich wollte die erste Zimmertür öffnen – sie war bei unserem Eintreten von Frau Matschke hinter uns geschlossen worden -, aber Hartmann rannte hinüber ins zweite Zimmer und rief von dort: Sie ist nicht mehr da, deine Frau Matschke … Ich ging nachsehen, es war so. Hartmann wollte wissen, wie ich überhaupt mit ihr hatte reden können, wenn sie doch stumm war. – Immer vorausgesetzt, entgegnete ich, diese hier ist wirklich Frau Matschke … Da bemerkten wir – und ich dachte: wie in schlechten Romanen - die kleine Tapetentür. Ich trat auf sie zu, doch bevor ich ihre Klinke herunterdrücken konnte, sprudelte Hartmann schon die Unglücksbotschaft heraus: Unser Gepäck! Wo sind die Koffer? – Wir gestanden es uns beschämt ein: von uns vorhin vergessen worden im Kofferraum des Brandschen Wagens. Indessen erwies sich jetzt, dass die Tapetentürtheorie richtig war: Frau Matschke kam gerade durch jene Öffnung zu uns zurück. Meine Verlegenheitsfrage, wann Frühstückszeit sei, blieb ohne Antwort. Frau Matschke schien sogar etwas verstimmt und zog sich sogleich erneut zurück, die Tür geräuschlos hinter sich zuziehend. Hartmann, sagte ich, dieses Zimmer nimmst du.

Da wir nichts auszupacken hatten, beschlossen wir, essen zu gehen – und machten noch vor dem Aufbruch die nächste erregende Entdeckung: Wir waren so gut wie ohne Mittel. Auch hier die Erklärung einfach: Wertsachen und Hauptteil der Barschaft befanden sich noch im Safe des Hotels der Frau Brand (Brand nur mit d, zum Teufel damit!). Hartmann, sagte ich, wenn wir so vergesslich geworden sind, wie konnten wir es dann wagen, überhaupt noch zu verreisen? – Müßig, das jetzt zu erörtern. Du musst die Brand sowieso wegen der Koffer anrufen. - Ich wollte mir zu meiner Befriedigung sagen, für ihn sei sie nun nicht mehr die gute Frau Brand, da hielt er mir schon das kleine handliche Gerät hin, fertig eingestellt, sie herbeizitierend.

Und da war sie wieder, die mir vertraute, mäßig lebhafte, immerzu freundliche Stimme der Frau Brand. Gut, dass Sie anrufen, schnitt sie mir etwas brüsk meine Einleitung ab, wir haben da noch einen Punkt zu klären … Richtig, Frau Brand, genau genommen sind es deren zwei. Die Koffer werden sie vielleicht schon entdeckt haben, ja? – Wenigstens diese Wirtin war nicht stumm, doch ihre Rede von nun an nicht durchgehend verständlich. Zu den Koffern äußerte sie sich ungefähr so: Tzumm didirum pasta me, obscuran in effigie? Tzumm didiram, Señor Schmidt! – Ich bat sie, deutlicher zu sprechen, mit nur mäßigem Erfolg: Signore Schmidt, obscuran, obscuran! – Auf gut Glück argumentierte ich so: Verzeihung, Esperanto spreche ich nicht und verstehe es auch kaum … - Womit ich sie doch ein wenig verärgert zu haben schien, ihr Tonfall nun unverkennbar gereizt: Tem dorum avricem, Gospodin Schmidt! – Der Rest hörte sich beinahe wie Kyrie eleison an – ich hatte genug. Meine Irritation zu verbergen suchend sagte ich, die Verbindung scheine gestört, ich würde sie morgen wieder anrufen, und beendete das Gespräch sofort.

Hartmann, kann es sein, wir befinden uns in einem aberwitzigen Traum? – Seine Antwort: Dann würde unser Erwachen erst recht fürchterlich sein. – Was er vorschlage? – Richten wir uns damit ein, sagte er und wies über die Einrichtung beider Zimmer hin, mit einer Gebärde wie segnend.
 

Scorpio

Mitglied
Lieber Arno Abendschön,

welch schöner Name..... aber du heißt sicher nicht wirklich so.:)

Deine Satzkonstruktionen sind tlw. schwer zu lesen, so viele Bindestriche, Konjunktive und Einschübe.
Mir fehlt in dieser Geschichte die Substanz, samt einer (nicht vorhersehbaren) Wendung oder einer überraschenden Pointe. Zwei leicht vergessliche konfuse Freunde, die ihr Quartier wechseln, ist mir als Inhalt doch etwas zu dürftig.
Sorry, aber so meine Meinung dazu.

Liebe Grüße
Scorpio
 
Lieber Scorpio,

für deine offene Meinungsäußerung danke ich dir. Die Substanz? Es ist die eines Traumes. Bekanntlich kann auch der Träumer ein Bewusstsein davon entwickeln, dass er träumt. Darum geht es also: wie Traum funktioniert und was er von den Tiefen der Persönlichkeit freilegt.

Der Stil? Er sollte nach meiner Absicht dem nicht ganz scharf Akzentuierten, Definierten eines Traums entsprechen.

Ja, der Name ist ein Pseudonym. Doch gibt es ihn als Familiennamen wirklich. Es musste damals mit dem Pseudonym schnell gehen. Mir schwebte etwas mit A vor, und dann wurde ich rasch im Telefonbuch fündig.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
Die gute Frau Brand, wie Hartmann sie gern nannte (Brand nur mit d, wie sie selbst betonte), unsere Vermieterin also, sie brachte uns mitsamt dem Gepäck zum Bahnhof. Wir wechselten wieder einmal die Unterkunft – erst zwei Wochen an den Seen, dann tiefer ins Gebirge hinein, das war bei uns so üblich. Sie blieb auch beim Abschied, was sie vorher durchgehend gewesen war: auf sehr konventionelle Art geschäftsmäßig freundlich. Das könne noch nicht alles gewesen sein, sagte Hartmann, als sie weggefahren war und wir die pompöse Front des alten Kaiserbahnhofs durchschritten. - Wie meinst du das, nicht alles gewesen? – Nun, sie hat so eine Aura … Was sollte ich dazu sagen?

Die kleine Seitenbahn brachte uns bis ans Ende des Hochtales. Die Berge dort wirkten niedriger als jene weiter unten, obwohl sie tatsächlich viel höher waren. Auch die Station klein, bescheiden verziert, wenn auch alles wieder in diesem Schönbrunner Gelb; die Pension, in der wir reserviert hatten, gleich an der übernächsten Ecke der Hauptstraße. Wie wenig hier los ist, sagte ich. – Zwischensaison, meinte Hartmann, pass auf, zwei Drittel der Gasthäuser sind geschlossen.

Wir klingelten. Durch die Sprechanlage erklang zu unserem Befremden keine Stimme, nur ein Klopfen, wie es vielleicht ein Fingerknöchel auf einer Stahlplatte hervorruft. Der Türsummer dagegen summte ordnungsgemäß. - Sie hat ja gesagt, es sei im ersten Stock, gehen wir einfach rauf, entschied ich. - Die, die uns die Etagentür öffnete, grüßte mit Kopfnicken und blieb im Übrigen weiterhin stumm. Wir setzten einfach voraus, es sei Frau Matschke, mit der ich neulich telefoniert hatte, und nicht irgendeine Hilfe. Dafür sprach das Besitzergehabe ihrer Handbewegungen, sonst eher wenig. Sie war klein, mager, ältlich und wirkte klagsam allein schon durch ihre verschlossene Trauermiene. Jene Frau Brand dagegen – wie hatte sie eigentlich ausgesehen, ich wusste es schon nicht mehr. Frau Matschke, uns den Vortritt lassend, dirigierte uns in ein Zimmer. Wir erkannten es sogleich als für uns bestimmt, denn hinter der offen stehenden Verbindungstür rechts lag der versprochene zweite Raum, spiegelbildlich identisch und haargenau wie der erste möbliert: billiger Landhausstil, pseudorustikal die rotkarierte Bettwäsche.

Welches Zimmer nimmst du, fragte ich Hartmann. Er ging nicht darauf ein und wollte stattdessen wissen, wo unser Privatbad sei. – Vielleicht über den Flur? – Ich wollte die erste Zimmertür öffnen – sie war bei unserem Eintreten von Frau Matschke hinter uns geschlossen worden -, aber Hartmann rannte hinüber ins zweite Zimmer und rief von dort: Sie ist nicht mehr da, deine Frau Matschke … Ich ging nachsehen, es war so. Hartmann wollte wissen, wie ich überhaupt mit ihr hatte reden können, wenn sie doch stumm war. – Immer vorausgesetzt, entgegnete ich, diese hier ist wirklich Frau Matschke … Da bemerkten wir – und ich dachte: wie in schlechten Romanen - die kleine Tapetentür. Ich trat auf sie zu, doch bevor ich ihre Klinke herunterdrücken konnte, sprudelte Hartmann schon die Unglücksbotschaft heraus: Unser Gepäck! Wo sind die Koffer? – Wir gestanden es uns beschämt ein: von uns vorhin vergessen worden im Kofferraum des Brandschen Wagens. Indessen erwies sich jetzt, dass die Tapetentürtheorie richtig war: Frau Matschke kam gerade durch jene Öffnung zu uns zurück. Meine Verlegenheitsfrage, wann Frühstückszeit sei, blieb ohne Antwort. Frau Matschke schien sogar etwas verstimmt und verschwand sogleich erneut, die Tür geräuschlos hinter sich zuziehend. Hartmann, sagte ich, dieses Zimmer nimmst du.

Da wir nichts auszupacken hatten, beschlossen wir, essen zu gehen – und machten noch vor dem Aufbruch die nächste erregende Entdeckung: Wir waren so gut wie ohne Mittel. Auch hier die Erklärung einfach: Wertsachen und Hauptteil der Barschaft befanden sich noch im Safe des Hotels der Frau Brand (Brand nur mit d, zum Teufel damit!). Hartmann, sagte ich, wenn wir so vergesslich geworden sind, wie konnten wir es dann wagen, überhaupt noch zu verreisen? – Müßig, das jetzt zu erörtern. Du musst die Brand sowieso wegen der Koffer anrufen. - Ich wollte mir zu meiner Befriedigung sagen, für ihn sei sie nun nicht mehr die gute Frau Brand, da hielt er mir schon das kleine handliche Gerät hin, fertig eingestellt, sie herbeizitierend.

Und da war sie wieder, die mir vertraute, mäßig lebhafte, immerzu freundliche Stimme der Frau Brand. Gut, dass Sie anrufen, schnitt sie mir etwas brüsk meine Einleitung ab, wir haben da noch einen Punkt zu klären … Richtig, Frau Brand, genau genommen sind es deren zwei. Die Koffer werden sie vielleicht schon entdeckt haben, ja? – Wenigstens diese Wirtin war nicht stumm, doch ihre Rede von nun an nicht durchgehend verständlich. Zu den Koffern äußerte sie sich ungefähr so: Tzumm didirum pasta me, obscuran in effigie? Tzumm didiram, Señor Schmidt! – Ich bat sie, deutlicher zu sprechen, mit nur mäßigem Erfolg: Signore Schmidt, obscuran, obscuran! – Auf gut Glück argumentierte ich so: Verzeihung, Esperanto spreche ich nicht und verstehe es auch kaum … - Womit ich sie doch ein wenig verärgert zu haben schien, ihr Tonfall nun unverkennbar gereizt: Tem dorum avricem, Gospodin Schmidt! – Der Rest hörte sich beinahe wie Kyrie eleison an – ich hatte genug. Meine Irritation zu verbergen suchend sagte ich, die Verbindung scheine gestört, ich würde sie morgen wieder anrufen, und beendete das Gespräch sofort.

Hartmann, kann es sein, wir befinden uns in einem aberwitzigen Traum? – Seine Antwort: Dann würde unser Erwachen erst recht fürchterlich sein. – Was er vorschlage? – Richten wir uns damit ein, sagte er und wies über die Einrichtung beider Zimmer hin, mit einer Gebärde wie segnend.
 
Bei dem Mitglied, das am 1.9.18 anonym mit "2" gewertet hat, bedanke ich mich ausdrücklich. Ich kann die Motivation dafür wohl richtig einschätzen.

Arno Abendschön
 
Bei dem Mitglied, das am 2.9.18 anonym mit "2" gewertet hat, bedanke ich mich ebenfalls ausdrücklich. Neuerdings gibt es zu Texten von mir eine auffällige Häufung stereotyp schlechter Wertungen, immer anonym, ohne jede Begründung. Konsequenzen im Sinne von Textarbeit kann ich daraus nicht ziehen.

Ich gehe davon aus, dass es sich hier jetzt nicht um sachlich begründete Beurteilungen handelt, sondern um persönliche Rachefeldzüge. Offenbar bin ich ein oder zwei Mitgliedern auf die Füße getreten - die argumentativ nichts entgegenzusetzen haben. Sie werden auch in Zukunft mit offenen Worten meinerseits zu rechnen haben.

Arno Abendschön
 
Ausdrücklichen Dank auch für die weitere anonyme Bewertung mit "9". Diese extreme Spreizung - einerseits "2", andererseits "9" und dazwischen gar nichts - habe ich in jüngster Zeit wiederholt erlebt. Bitte öfter die Gedanken dahinter mitteilen.

Arno Abendschön
 



 
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