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MIO

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„Keiner ist fehlerfrei, sei es doch wie es sei, lasst uns versprechen auf Biegen und Brechen, wir feiern die Schwächen.“
Helene Fischer, denke ich und was für ein Schwachsinn. Ich fühle mich wie eine leere Hülle. Seltsam schlaff hängen meine Arme und Beine an meinem Rumpf. Mein Kopf dröhnt, als sei er mit 80 kmh gegen eine Mauer gerammt.
Koma, denke ich, weil ich eindeutige Signale an mein kleine Zehe schicke und sie sich kein bisschen bewegt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch eine meiner Zehen habe.
Unsanft werde ich nach oben gezogen und geschüttelt wie ein schmutziger Staublappen. Eine raue Hand gleitet über meinen Körper, als suche sie etwas. Die Musik wird lauter gedreht und eine Männerstimme stimmt in den Gesang ein, falsch, schief, brummig, aber irgendwie bekannt.
Nein, will ich schreien, als ich höre wie ein Feuerzeug klickt. Zigarettenqualm schwängert die Luft.
Es gibt drei Dinge, die ich verabscheue. Helene Fischer, Zigarettenrauch und…
Bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, werde ich gepackt. Luft wird in gleichmäßigen Atemzügen in mich hinein geblasen. Ich bin an ein Sauerstoffgerät angeschlossen, denke ich und spüre, wie ich dicker und dicker werde. Ich will schreien, den verbrauchten, stickigen Atem auszuspeien. Mir ist zum Heulen und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich keine Augen habe. Dies ist ein Alptraum, denke ich und bin erleichtert. Jeden Moment werde ich erwachen.

Ich erwache nicht und suche ich in meinem Kopf nach verschütteten Erinnerungen. Wo bin ich? und Wie bin ich hierher gekommen? Das letzte Bild, an das ich mich erinnern kann, ist in Merlin´s Wohnwagen. Ich hatte einen leckeren Eintopf gekocht. Er kam spät am Abend, Hand in Hand mit Mariella. Ich war wütend, habe geschimpft und ihnen die Suppe vor die Füße gekippt. Sie taten sehr geheimnisvoll und hatten etwas dabei, einen großen Karton. Als ich Merlin fragte, wofür er den brauchte, meinte er kühl; „Für einen neuen Zaubertrick, Gabriele. Für einen Zaubertrick.“
Vor ein paar Wochen waren wir frisch verliebt. Wie froh war ich, von Dieter und dem langweiligem Leben an seiner Seite fliehen zu können. Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu veranlasst hat, Dieter zu heiraten und von Berlin in das kleine Kaff Krümelau zu ziehen. Da gibt es nicht einmal einen Bahnhof, die Dorfbäckerei war längst geschlossen und der Marktbrunnen ausgetrocknet. Linda, meine Tochter, war unterwegs. Ihr Vater war ein Hallodri. Dieter war ein netter Kollege und er hatte das Grundstück und eine stattliche Summe Geld geerbt. Wir haben ein Haus gebaut und dann kam Basti. Anfangs war Dieter als Versicherungsvertreter viel im Außendienst unterwegs und ich mit den Kindern beschäftigt. Aber nach vierundzwanzig Jahren war die Luft raus und obwohl wir unsere Silberhochzeit planten, war die Hoch-zeit vorbei. Der Mittelaltermarkt war Dieters Idee, obwohl das sonst gar nicht sein Geschmack war. Ich liebte das Mittelalter, las im Gegensatz zu Dieter, der Thriller und Horrorgeschichten bevorzugte, alles darüber. Oft versank ich tagelang in den verstaubten Geschichten und stellte mir das Leben in dieser Zeit vor. Gelangweilt betrachtete ich die Stände, an denen Ketten, Körbe, Tücher, handgezogene Kerzen oder Seife angeboten wurden. Wir aßen ein überteuertes Handbrot und waren schon auf dem Heimweg, als wir vor einem orientalisch aussehenden Zelt, mit bunt gestickten Ornamenten standen. „Kommen Sie herein Madame“, sagte der Mann, der in den Eingang trat. „Ich sage Ihre Zukunft voraus.“
„Die Zukunft“, spottete ich, griff Dieters Hand und zog ihn weg. „Dusseliger Hokuspokus.“
Kurz darauf verloren ich und Dieter uns aus den Augen. Ich wollte schon allein nach Hause, als Dieter mir atemlos entgegen kam. Er wollte unbedingt noch ein Glas Wein trinken. Ich ließ mich überreden und obwohl der Wein wie Abwaschwasser schmeckte, trank ich die halbe Flascheleer. Ich weiß nicht genau, was mich am nächsten Tag wieder zum Zelt des Magiers zog. Vielleicht war es das unwiderstehliche blau seiner Augen. Er nahm meine Hand in seine warmen Hände und sah auf meine Lebenslinie. Ich stellte mir währenddessen vor, wie seine Hände über meinen Körper gleiten, sanft meine Füße massieren, die Unterschenkel, die Oberschenkel. Ich konnte den Blick nicht von seinen Lippen lösen. Ich traute mich nicht aufzuschauen. Er könnte die Sehnsucht in meinen Augen lesen und ich wäre hoffnungslos verloren. Mein Herzschlag war außer Kontrolle.
„Geh mit mir.“, sagte Merlin und ich schaute ihm tief in die Augen und spürte eine Vertrautheit, die den eigenen Willen lähmte. Ich packte noch am gleichen Tag meine Sachen und zog zu ihm in den Wohnwagen.
Ein paar Monate ging alles gut, bis Mariella kam. Er könne nicht nur eine Frau lieben, sagte er und ich sollte etwas mehr für mein Aussehen tun. Von diesem Tag an, trank ich jeden Abend einen von Merlin gebrauten Verjüngungstrunk.

Ich bin noch immer nicht aufgewacht. Der Mann, der eben noch Helene Fischer gesanglich begleitet hat, kommt mit seinem verqualmten Atem gefährlich nah. Ich höre, wie er ein Buch aufschlägt und liest;

„Säuerlicher Schweiß tropfte von ihrem Gesicht. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass „ER“ hinter ihr stand.
„Jetzt bist du mein“, säuselte er ihr ins Ohr, umklammerte ihren zerbrechlichen Körper und legte eine Hand auf ihre Brust. „Lassen Sie mich gehen“, wollte sie flehen, aber die Klinge an ihrer Kehle, hielt sie davon ab.
„Ich weiß, dass du das liebst“, flüsterte er und seine Hand schob sich über den Bauchnabel weiter …“

Das Buch wird zugeklappt. Der Mann macht sich an meinem Gesicht zu schaffen. „Ihr Frauen seid doch alle gleich“, sagt die Stimme, die eindeutig Dieters Stimme ist. „Ihr wisst nicht, was gut für euch ist.“
Mir ist, als würde mir unter der Stirn etwas aufgeklebt. Augen? Dieter geht und schleppt etwas heran.
„Schau, so gefällst du mir und so still, genauso, wie er es versprochen hat.“
Ich öffne die Augen und sehe in den Spiegel. Darin erblicke ich eine grauenhaft starre Gestalt. Ehe ich mich näher betrachten kann, wird der Spiegel weggetragen. Ich sehe mich um. Ich bin in unserem Wohnzimmer. Staub liegt auf der alten Kommode, die Vorhänge sind rußgeschwärzt und in der Ecke steht der gewaltige Ständer. Linda hatte die Lampe beim Toben umgeworfen. Der Schirm war auf Basti´s Kopf zerbrochen. Seitdem stottert der Junge. Deshalb hatte ich das monströse Teil, ein Erbstück von Dieters Großmutter, auf dem Dachboden verstaut.
War das ein abgekartetes Spiel? Ich hätte stutzig werden sollen, als der Zaubertrank, den Merlin mir jeden Morgen zur Verjüngung reichte, immer bitterer schmeckte, meine Haut faltiger wurde und ich mich mit jedem Tag ausgehöhlter fühlte.
Etwas verdeckt mein Gesicht. Dieter stülpt mir ein Kleid über den Kopf. Mein Kleid.
Das gelbe, mit den lila Blümchen. „Das steht dir“, sagt er zufrieden, setzt sich neben mich, zupft mir sanft das unechte Haar zurecht und beginnt zärtlich mein rechtes Ohrläppchen zu massieren.
„Komm“, flüstert er und greift meine Hand, „ab ins Bett." Eine Woge des Wiederwillens überkommt mich, denn ich weiß was jetzt folgt. Die dritte Sache, die ich abgrundtief verabscheue.
 

Wipfel

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Hi Mio, hab den Text gelesen - ...das ist Literatur. Sehr gut komponierte, anspruchsvolle. Einzig: gibt es den Merlin-Trunk nun abends oder /und morgens?

Meinen Respekt und Glückwunsch für diese Geschichte

Grüße von wipfel
 

MIO

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„Keiner ist fehlerfrei, sei es doch wie es sei, lasst uns versprechen auf Biegen und Brechen, wir feiern die Schwächen.“
Helene Fischer, denke ich und was für ein Schwachsinn. Ich fühle mich wie eine leere Hülle. Seltsam schlaff hängen meine Arme und Beine an meinem Rumpf. Mein Kopf dröhnt, als sei er mit 80 kmh gegen eine Mauer gerammt.
Koma, denke ich, weil ich eindeutige Signale an mein kleine Zehe schicke und sie sich kein bisschen bewegt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch eine meiner Zehen habe.
Unsanft werde ich nach oben gezogen und geschüttelt wie ein schmutziger Staublappen. Eine raue Hand gleitet über meinen Körper, als suche sie etwas. Die Musik wird lauter gedreht und eine Männerstimme stimmt in den Gesang ein, falsch, schief, brummig, aber irgendwie bekannt.
Nein, will ich schreien, als ich höre wie ein Feuerzeug klickt. Zigarettenqualm schwängert die Luft.
Es gibt drei Dinge, die ich verabscheue. Helene Fischer, Zigarettenrauch und…
Bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, werde ich gepackt. Luft wird in gleichmäßigen Atemzügen in mich hinein geblasen. Ich bin an ein Sauerstoffgerät angeschlossen, denke ich und spüre, wie ich dicker und dicker werde. Ich will schreien, den verbrauchten, stickigen Atem auszuspeien. Mir ist zum Heulen und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich keine Augen habe. Dies ist ein Alptraum, denke ich und bin erleichtert. Jeden Moment werde ich erwachen.

Ich erwache nicht und suche ich in meinem Kopf nach verschütteten Erinnerungen. Wo bin ich? und Wie bin ich hierher gekommen? Das letzte Bild, an das ich mich erinnern kann, ist in Merlin´s Wohnwagen. Ich hatte einen leckeren Eintopf gekocht. Er kam spät am Abend, Hand in Hand mit Mariella. Ich war wütend, habe geschimpft und ihnen die Suppe vor die Füße gekippt. Sie taten sehr geheimnisvoll und hatten einen Karton dabei. Als ich Merlin fragte, wofür er den brauchte, meinte er kühl; „Für einen neuen Zaubertrick, Gabriele. Für einen Zaubertrick.“
Vor ein paar Wochen waren wir frisch verliebt. Wie froh war ich, von Dieter und dem langweiligem Leben an seiner Seite fliehen zu können. Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu veranlasst hat, Dieter zu heiraten und von Berlin in das kleine Kaff Krümelau zu ziehen. Da gibt es nicht einmal einen Bahnhof, die Dorfbäckerei war längst geschlossen und der Marktbrunnen ausgetrocknet. Linda, meine Tochter, war unterwegs. Ihr Vater war ein Hallodri. Dieter war ein netter Kollege. Er hatte ein Grundstück und eine stattliche Summe Geld geerbt. Wir haben ein Haus gebaut und dann kam Basti. Anfangs war Dieter als Versicherungsvertreter viel im Außendienst unterwegs und ich mit den Kindern beschäftigt. Aber nach vierundzwanzig Jahren war die Luft raus und obwohl wir unsere Silberhochzeit planten, war die Hoch-zeit vorbei. Der Mittelaltermarkt war Dieters Idee, obwohl das sonst gar nicht sein Geschmack war. Ich liebte das Mittelalter, las im Gegensatz zu Dieter, der Thriller und Horrorgeschichten bevorzugte, alles darüber. Oft versank ich tagelang in den verstaubten Geschichten und stellte mir mein Leben in dieser Zeit vor. Gelangweilt betrachtete ich die Stände, an denen Ketten, Körbe, Tücher, handgezogene Kerzen oder Seife angeboten wurden. Wir aßen ein überteuertes Handbrot und waren schon auf dem Heimweg, als wir vor einem orientalisch aussehenden Zelt, mit bunt gestickten Ornamenten standen. „Kommen Sie herein Madame“, sagte der Mann, der in den Eingang trat. „Ich sage Ihre Zukunft voraus.“
„Die Zukunft“, spottete ich, griff Dieters Hand und zog ihn weg. „Dusseliger Hokuspokus.“
Kurz darauf verloren ich und Dieter uns aus den Augen. Ich wollte schon allein nach Hause, als Dieter mir atemlos entgegen kam. Er wollte unbedingt noch ein Glas Wein trinken. Ich ließ mich überreden und obwohl der Wein wie Abwaschwasser schmeckte, trank ich die halbe Flascheleer. Ich weiß nicht genau, was mich am nächsten Tag wieder zum Zelt des Magiers zog. Vielleicht war es das unwiderstehliche blau seiner Augen. Er nahm meine Hand in seine warmen Hände und sah auf meine Lebenslinie. Ich stellte mir währenddessen vor, wie seine Hände über meinen Körper gleiten, sanft meine Füße massieren, die Unterschenkel, die Oberschenkel. Ich konnte den Blick nicht von seinen Lippen lösen. Ich traute mich nicht aufzuschauen. Er könnte die Sehnsucht in meinen Augen lesen und ich wäre hoffnungslos verloren. Mein Herzschlag war außer Kontrolle.
„Geh mit mir.“, sagte Merlin und ich schaute ihm tief in die Augen und spürte eine Vertrautheit, die den eigenen Willen lähmte. Ich packte noch am gleichen Tag meine Sachen und zog zu ihm in den Wohnwagen.
Ein paar Monate ging alles gut, bis Mariella kam. Er könne nicht nur eine Frau lieben, sagte er und ich sollte etwas mehr für mein Aussehen tun. Von diesem Tag an, trank ich jeden Morgen und jeden Abend einen von Merlin gebrauten Verjüngungstrunk.

Ich bin noch immer nicht aufgewacht. Der Mann, der eben noch Helene Fischer gesanglich begleitet hat, kommt mit seinem verqualmten Atem gefährlich nah. Ich höre, wie er ein Buch aufschlägt und liest;

„Säuerlicher Schweiß tropfte von ihrem Gesicht. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass „ER“ hinter ihr stand.
„Jetzt bist du mein“, säuselte er ihr ins Ohr, umklammerte ihren zerbrechlichen Körper und legte eine Hand auf ihre Brust. „Lassen Sie mich gehen“, wollte sie flehen, aber die Klinge an ihrer Kehle, hielt sie davon ab.
„Ich weiß, dass du das liebst“, flüsterte er und seine Hand schob sich über den Bauchnabel weiter …“

Das Buch wird zugeklappt. Der Mann macht sich an meinem Gesicht zu schaffen. „Ihr Frauen seid doch alle gleich“, sagt die Stimme, die eindeutig Dieters Stimme ist. „Ihr wisst nicht, was gut für euch ist.“
Mir ist, als würde mir unter der Stirn etwas aufgeklebt. Augen? Dieter geht und kommt ächzend zurück. Er schleppt etwas heran und sagt: „Schau, so gefällst du mir und so still. Genauso, wie er es versprochen hat.“
Ich öffne die Augen und sehe in den Spiegel. Darin erblicke ich eine grauenhaft starre Gestalt. Ehe ich mich näher betrachten kann, wird der Spiegel weggetragen.
Vorsichtig sehe ich mich um. Ich bin in meinem früheren Wohnzimmer. Dichter Staub liegt auf der alten Kommode. Die Vorhänge sind rußgeschwärzt und in der Ecke steht ein gewaltiger Ständer. Linda hatte die Lampe vor Jahren beim Toben umgeworfen. Der Schirm war auf Basti´s Kopf zerbrochen. Seitdem stottert der Junge. Deshalb hatte ich das monströse Teil, ein Erbstück von Dieters Großmutter, auf dem Dachboden verstaut. Daneben liegt ein leerer Karton.
War das ein abgekartetes Spiel? Ich hätte stutzig werden sollen, als der Zaubertrank, den Merlin mir jeden Morgen und jeden Abend zur Verjüngung reichte, immer bitterer schmeckte, meine Haut faltiger wurde und ich mich mit jedem Tag ausgehöhlter und matter fühlte.
Etwas verdeckt mein Gesicht. Dieter stülpt mir ein Kleid über den Kopf. Mein Kleid. Das gelbe, mit den lila Blümchen. „Das steht dir“, sagt er zufrieden, setzt sich neben mich, zupft mir sanft das unechte Haar zurecht und beginnt zärtlich mein rechtes Ohrläppchen zu massieren.
„Komm“, flüstert er und greift meine Hand, „ab ins Bett." Eine Woge des Wiederwillens überkommt mich, denn ich weiß was jetzt folgt. Die dritte Sache, die ich abgrundtief verabscheue.
 

MIO

Mitglied
Dankeschön für das Lob. Sie bekommt den Zaubertrank nun Morgens und Abends. Ja, keiner ist fehlerfrei.
LG MIO
 

MIO

Mitglied
„Keiner ist fehlerfrei, sei es doch wie es sei, lasst uns versprechen auf Biegen und Brechen, wir feiern die Schwächen.“
Helene Fischer, denke ich und was für ein Schwachsinn. Ich fühle mich wie eine leere Hülle. Seltsam schlaff hängen meine Arme und Beine an meinem Rumpf. Mein Kopf dröhnt, als sei er mit 80 kmh gegen eine Mauer gerammt.
Koma, denke ich, weil ich eindeutige Signale an mein kleine Zehe schicke und sie sich kein bisschen bewegt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch eine meiner Zehen habe.
Unsanft werde ich nach oben gezogen und geschüttelt wie ein schmutziger Staublappen. Eine raue Hand gleitet über meinen Körper, als suche sie etwas. Die Musik wird lauter gedreht und eine Männerstimme stimmt in den Gesang ein, falsch, schief, brummig, aber irgendwie bekannt.
Nein, will ich schreien, als ich höre wie ein Feuerzeug klickt. Zigarettenqualm schwängert die Luft.
Es gibt drei Dinge, die ich verabscheue. Helene Fischer, Zigarettenrauch und…
Bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, werde ich gepackt. Luft wird in gleichmäßigen Atemzügen in mich hinein geblasen. Ich bin an ein Sauerstoffgerät angeschlossen, denke ich und spüre, wie ich dicker und dicker werde. Ich will schreien, den verbrauchten, stickigen Atem auszuspeien. Mir ist zum Heulen und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich keine Augen habe. Dies ist ein Alptraum, denke ich und bin erleichtert. Jeden Moment werde ich erwachen.

Ich erwache nicht und suche ich in meinem Kopf nach verschütteten Erinnerungen. Wo bin ich? und Wie bin ich hierher gekommen? Das letzte Bild, an das ich mich erinnern kann, ist in Merlin´s Wohnwagen. Ich hatte einen leckeren Eintopf gekocht. Er kam spät am Abend, Hand in Hand mit Mariella. Ich war wütend, habe geschimpft und ihnen die Suppe vor die Füße gekippt. Sie taten sehr geheimnisvoll und hatten einen Karton dabei. Als ich Merlin fragte, wofür er den brauchte, meinte er kühl; „Für einen neuen Zaubertrick, Gabriele. Für einen Zaubertrick.“
Vor ein paar Wochen waren wir frisch verliebt. Wie froh war ich, von Dieter und dem langweiligem Leben an seiner Seite fliehen zu können. Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu veranlasst hat, Dieter zu heiraten und von Berlin in das kleine Kaff Krümelau zu ziehen. Da gibt es nicht einmal einen Bahnhof, die Dorfbäckerei war geschlossen und der Marktbrunnen ausgetrocknet. Ja, meine Tochter Linda, war unterwegs. Ihr Vater war ein Hallodri. Dieter war ein netter Kollege. Er hatte ein Grundstück und eine stattliche Summe Geld geerbt. Wir haben ein Haus gebaut und dann kam Basti. Anfangs war Dieter als Versicherungsvertreter viel im Außendienst unterwegs und ich mit den Kindern beschäftigt. Aber nach vierundzwanzig Jahren war die Luft raus und obwohl wir unsere Silberhochzeit planten, war die Hoch-zeit vorbei. Der Mittelaltermarkt war Dieters Idee, obwohl das sonst gar nicht sein Geschmack war. Ich liebte das Mittelalter, las im Gegensatz zu Dieter, der Thriller und Horrorgeschichten bevorzugte, alles darüber. Oft versank ich tagelang in den verstaubten Geschichten und stellte mir mein Leben in dieser Zeit vor. Gelangweilt betrachtete ich die Stände, an denen Ketten, Körbe, Tücher, handgezogene Kerzen oder Seife angeboten wurden. Wir aßen ein überteuertes Handbrot und waren schon auf dem Heimweg, als wir vor einem orientalisch aussehenden Zelt, mit bunt gestickten Ornamenten standen. „Kommen Sie herein Madame“, sagte der Mann, der in den Eingang trat. „Ich sage Ihre Zukunft voraus.“
„Die Zukunft“, spottete ich, griff Dieters Hand und zog ihn weg. „Dusseliger Hokuspokus.“
Kurz darauf verloren ich und Dieter uns aus den Augen. Ich wollte schon allein nach Hause gehen, als Dieter mir atemlos entgegen kam. Er wollte unbedingt noch ein Glas Wein trinken. Ich ließ mich überreden und obwohl der Wein wie Abwaschwasser schmeckte, trank ich die halbe Flasche leer. Ich weiß nicht genau, was mich am nächsten Tag wieder zum Zelt des Magiers zog. Vielleicht war es das unwiderstehliche blau seiner Augen. Er nahm meine Hand in seine warmen Hände und sah auf meine Lebenslinie. Ich stellte mir währenddessen vor, wie seine Hände über meinen Körper gleiten, sanft meine Füße massieren, die Unterschenkel, die Oberschenkel. Ich konnte den Blick nicht von seinen Lippen lösen. Mein Herzschlag war außer Kontrolle.
„Geh mit mir.“, sagte Merlin und ich schaute ihm tief in die Augen und spürte eine Vertrautheit, die den eigenen Willen lähmte. Ich packte noch am gleichen Tag meine Sachen und zog zu ihm in den Wohnwagen.
Ein paar Monate ging alles gut, bis Mariella kam. Er könne nicht nur eine Frau lieben, sagte Merlin und ich sollte etwas mehr für mein Aussehen tun. Von diesem Tag an, trank ich morgens und abends einen von Merlin gebrauten Verjüngungstrunk.

Ich bin noch immer nicht aufgewacht. Der Mann, der eben noch Helene Fischer gesanglich begleitet hat, kommt mit seinem verqualmten Atem gefährlich nah. Ich höre, wie er ein Buch aufschlägt und liest;

„Säuerlicher Schweiß tropfte von ihrem Gesicht. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass „ER“ hinter ihr stand.
„Jetzt bist du mein“, säuselte er ihr ins Ohr, umklammerte ihren zerbrechlichen Körper und legte eine Hand auf ihre Brust. „Lassen Sie mich gehen“, wollte sie flehen, aber die Klinge an ihrer Kehle, hielt sie davon ab.
„Ich weiß, dass du das liebst“, flüsterte er und seine Hand schob sich über den Bauchnabel weiter …“

Das Buch wird zugeklappt. Der Mann macht sich an meinem Gesicht zu schaffen. „Ihr Frauen seid doch alle gleich“, sagt die Stimme, die, da bin ich mir jetzt sicher, Dieters Stimme ist. „Ihr wisst nicht, was gut für euch ist.“
Mir ist, als würde mir unter der Stirn etwas aufgeklebt. Augen? Dieter geht und kommt ächzend zurück. Er schleppt etwas heran und sagt: „Schau, so gefällst du mir und so still. Genauso, wie er es versprochen hat.“
Ich öffne die Augen und sehe in den Spiegel. Darin erblicke ich eine grauenhaft starre Gestalt. Ehe ich mich näher betrachten kann, wird der Spiegel weggetragen.
Vorsichtig sehe ich mich um. Ich bin in meinem früheren Wohnzimmer. Dichter Staub liegt auf der alten Kommode. Die Vorhänge sind rußgeschwärzt und in der Ecke steht ein gewaltiger Ständer. Linda hatte die Lampe vor Jahren beim Toben umgeworfen. Der Schirm war auf Basti´s Kopf zerbrochen. Seitdem stottert der Junge. Deshalb hatte ich das monströse Teil, ein Erbstück von Dieters Großmutter, auf dem Dachboden verstaut. Daneben liegt ein leerer Karton.
War das ein abgekartetes Spiel? Ich hätte stutzig werden sollen, als der Zaubertrank, den Merlin mir jeden Morgen und jeden Abend zur Verjüngung reichte, immer bitterer schmeckte, meine Haut faltiger wurde und ich mich mit jedem Tag ausgehöhlter und matter fühlte.
Etwas verdeckt mein Gesicht. Dieter stülpt mir ein Kleid über den Kopf. Mein Kleid. Das gelbe, mit den lila Blümchen. „Das steht dir“, sagt er zufrieden, setzt sich neben mich, zupft mir sanft das unechte Haar zurecht und beginnt zärtlich mein rechtes Ohrläppchen zu massieren.
„Komm“, flüstert er und greift meine Hand, „ab ins Bett." Eine Woge des Wiederwillens überkommt mich, denn ich weiß was jetzt folgt. Die dritte Sache, die ich abgrundtief verabscheue.
 

MIO

Mitglied
„Keiner ist fehlerfrei, sei es doch wie es sei, lasst uns versprechen auf Biegen und Brechen, wir feiern die Schwächen.“
Helene Fischer, denke ich und was für ein Schwachsinn. Ich fühle mich wie eine leere Hülle. Seltsam schlaff hängen meine Arme und Beine an meinem Rumpf. Mein Kopf dröhnt, als sei er mit 80 kmh gegen eine Mauer gerammt. Ich muss einen Unfall gehabt haben und liege im Koma, denke ich, weil ich eindeutige Signale an mein kleine Zehe schicke und sie sich kein bisschen bewegt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch Zehen habe.
Unsanft werde ich nach oben gezogen und geschüttelt wie ein schmutziger Staublappen. Eine raue Hand gleitet über meinen knisternden Körper, als suche sie etwas. Die Musik wird lauter. Eine Männerstimme stimmt in den Gesang ein, schief, brummig, aber irgendwie bekannt.
Nein, will ich schreien, als ich ein Feuerzeug klicken höre. Zigarettenqualm schwängert die Luft.
Es gibt drei Dinge, die ich verabscheue. Helene Fischer, Zigarettenrauch und…
Bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, werde ich gepackt. Luft wird in gleichmäßigen Atemzügen in mich hinein geblasen. Ich bin an ein Sauerstoffgerät angeschlossen, denke ich und spüre, wie ich dicker und dicker werde. Ich will schreien, den verbrauchten, stickigen Atem auszuspeien. Mir ist zum Heulen und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich keine Augen habe. Das ist ein Alptraum, denke ich und hoffe inständig, dass ich jeden Moment aufwache.

Ich erwache nicht und suche ich in meinem Kopf nach verschütteten Erinnerungen. Wo bin ich? Wie bin ich hierher gekommen? Das letzte Bild, an das ich mich erinnern kann, ist in Merlin´s Wohnwagen. Ich hatte einen leckeren Eintopf gekocht. Er kam spät am Abend, Hand in Hand mit Mariella. Ich war wütend, habe geschimpft und ihnen die Suppe vor die Füße gekippt. Sie grinsten und taten sehr geheimnisvoll. Sie hatten etwas dabei, einen großen Karton. Als ich Merlin fragte, wofür er den brauchte, meinte er kühl; „Für einen neuen Zaubertrick, Gabriele. Für einen Zaubertrick.“
Vor ein paar Wochen noch, waren ich und Merlin innig verliebt. Wie froh war ich, von Dieter und dem langweiligem Leben an seiner Seite fliehen zu können. Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu veranlasst hat, Dieter zu heiraten und von Berlin in das kleine Kaff Krümelau zu ziehen. Da gibt es nicht einmal einen Bahnhof, die Dorfbäckerei war längst geschlossen und der Marktbrunnen ausgetrocknet. Linda, meine Tochter, war unterwegs. Dieter war ein netter Kollege. Er hatte das Grundstück und eine stattliche Summe Geld von den Großeltern geerbt. Wir haben ein Haus gebaut und als Basti sich ankündigte, haben wir geheiratet .
Anfangs war Dieter als Versicherungsvertreter viel im Außendienst unterwegs und ich mit den Kindern beschäftigt. Nach vierundzwanzig Jahren war die Luft raus. Obwohl wir unsere Silberhochzeit planten, war die Hoch-zeit längst vorbei. Der Besuch des Mittelaltermarktes war Dieters Idee, auch wenn das sonst gar nicht sein Geschmack war. Ich liebte das Mittelalter, las im Gegensatz zu Dieter, der Thriller und Horrorgeschichten bevorzugte, alles darüber. Oft versank ich tagelang in den verstaubten Geschichten und stellte mir mein Leben in dieser Zeit vor. Interessiert betrachtete ich die Stände, an denen Ketten, Körbe, Tücher, handgezogene Kerzen oder Seife angeboten wurden. Wir aßen ein überteuertes Handbrot und waren schon auf dem Heimweg, als wir vor einem orientalisch aussehenden Zelt, mit bunt gestickten Ornamenten standen.
„Kommen Sie herein Madame“, sagte der Mann, der in den Eingang trat. „Ich sage Ihre Zukunft voraus.“
„Die Zukunft“, spottete ich, griff Dieters Hand und zog ihn weg. „Dusseliger Hokuspokus.“
Kurz darauf verloren Dieter und ich uns aus den Augen. Ich wollte schon allein nach Hause, als Dieter mir entgegen kam. Er wollte unbedingt noch ein Glas Wein trinken und ich ließ mich überreden. Obwohl der Wein wie Abwaschwasser schmeckte, trank ich die halbe Flasche leer. Ich weiß nicht genau, was mich am nächsten Tag wieder zum Zelt des Magiers zog. Vielleicht war es das unwiderstehliche blau seiner Augen. Er nahm meine Hand in seine warmen Hände und sah auf meine Lebenslinie. Ich stellte mir währenddessen vor, wie seine Hände über meinen Körper glitten, sanft meine Füße massierten, die Unterschenkel, die Oberschenkel. Ich konnte den Blick nicht von seinen Lippen lösen.
„Geh mit mir“, sagte Merlin. Ich schaute ihm tief in die Augen und spürte eine Vertrautheit, die den eigenen Willen lähmte. Ich packte noch am gleichen Tag meine Sachen und zog zu ihm in den Wohnwagen.
Ein paar Monate ging alles gut, bis Mariella kam. Er könne nicht nur eine Frau lieben, sagte Merlin und ich sollte das verstehen und etwas mehr für mein Aussehen tun. Von diesem Tag an, trank ich jeden Abend einen von Merlin gebrauten Verjüngungstrunk.

Ich bin noch immer nicht aufgewacht. Der Mann, der eben noch Helene Fischer gesanglich begleitet hat, kommt mit seinem verqualmten Atem gefährlich nah. Ich höre, wie er ein Buch aufschlägt und liest;

„Säuerlicher Schweiß tropfte von ihrem Gesicht. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass „ER“ hinter ihr stand.
„Jetzt bist du mein“, säuselte er ihr ins Ohr, umklammerte ihren zerbrechlichen Körper und legte eine Hand auf ihre Brust. „Lassen Sie mich gehen“, wollte sie flehen, aber die Klinge an ihrer Kehle, hielt sie davon ab.
„Ich weiß, dass du das liebst“, flüsterte er und seine Hand schob sich über den Bauchnabel weiter …“Das Buch wird zugeklappt. Der Mann macht sich an meinem Gesicht zu schaffen. „Ihr Frauen seid doch alle gleich. Ihr wisst nicht, was gut für euch ist.“, sagt die Stimme, die mir sehr bekannt vorkommt.
Und plötzlich wird mir klar, es ist Dieters Stimme! Oh mein Gott! Wie komme ich hier her? Was hat er vor?
Mir ist, als würde mir unter der Stirn etwas aufgeklebt. Augen? Dieter geht und schleppt etwas heran.
„Schau, so gefällst du mir und so still, genauso, wie er es versprochen hat.“
Ich öffne die Augen und sehe in den Spiegel. Darin erblicke ich eine grauenhaft starre Gestalt. Ehe ich mich näher betrachten kann, wird der Spiegel weggetragen. Ich sehe mich um. Ich bin in unserem Wohnzimmer. Staub liegt auf der alten Kommode, die Vorhänge sind rußgeschwärzt und in der Ecke steht der gewaltige Ständer. Linda hatte die Lampe beim Toben umgeworfen. Der Schirm war auf Basti´s Kopf zerbrochen. Seitdem stottert der Junge. Deshalb hatte ich das monströse Teil, ein Erbstück von Dieters Großmutter, auf dem Dachboden verstaut. Offenbar hat Dieter es wieder herunter geholt. Der Mann hatte schon immer einen fürchterlichen Geschmack. Was ist das überhaupt für ein Karton, der daneben liegt?
War das ein abgekartetes Spiel? Ich hätte stutzig werden sollen, als der Zaubertrank, den Merlin mir jeden Morgen zur Verjüngung reichte, immer bitterer schmeckte, meine Haut faltiger wurde und ich mich mit jedem Tag ausgehöhlter fühlte.
Etwas verdeckt mein Gesicht. Dieter stülpt mir ein Kleid über den Kopf. Mein Kleid.
Das gelbe, mit den lila Blümchen. „Das steht dir“, sagt er zufrieden, setzt sich neben mich, zupft mir sanft das unechte Haar zurecht und beginnt zärtlich mein rechtes Ohrläppchen zu massieren.
„Komm“, flüstert er und greift meine Hand, „ab ins Bett." Eine Woge des Wiederwillens überkommt mich, denn ich weiß was jetzt folgt. Die dritte Sache, die ich abgrundtief verabscheue.
 



 
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