Rezept für eine Ü30-Party

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MacKeith

Mitglied
Man nehme einen DJ: Abwechselnd DJ Andi, DJ Wolfi oder DJ Willy genannt. Die kein Schwein kennt und die neben ihrem Job als Blechbüchsenbieger bei BMW im Schichtbetrieb und „Profi-DJ“ auf Billighochzeiten und Fussballvereinsfeiern als Alleinunterhalter und Stimmungskanonen ihrer Hitmaschine die stets gleichdumpfenden Vierteltakte entlocken, dem Keyboard.

Man nehme Musik: Aus der Mottenkiste. Die sogenannten Hits der 80er. Aus der ohrenverstopfendsten Dekade des Mainstreams, dem Jahrzehnt, in dem das Wort „One-Hit-Wonder“ erfunden wurde, weil die meisten Bands so schlecht waren, dass es selbst zu dieser Zeit zu keinem weiteren „Hit“ gereicht hat. Aus den Jahren, in denen ein Michael Jackson den Grundstein seiner Grabstätte gelegt hat. Einer Dekade, an deren Anfang John Lennon erschossen wurde und an deren Endpunkt Freddie Mercury an AIDS verreckte.

Man nehme Männer: vorwiegend aus dem Milieu der abgelegten Ehegatten. Mit geschickt verkämmtem Glatzen- und nicht übersehbarem Bauchansatz, der über dünnen Beinen in ALDI-Jeans schwappt. Oder als Mittelklasse-Streifenhemd-Träger, mit saloppen City-Slippers beschuht, die aus dem krausen Brusthaar nach jenem Armani riechen, das ihnen die Verflossene zum vorvorletzten Weihnachtsfest unter den Baum gelegt hat, im letzten Versuch, den Alten nochmal aufzupeppen, ehe er mit frisch verbrauchtem Bausparer ad acta gelegt wurde. Der Schaum aus den obligatorischen 0,3l-Weissbiergläsern sabbert ihnen aus den Mundwinkeln. Mit angesoffen schalem Blick gieren sie schilddrüsenfehlfunktionsfroschäugig den anwesenden Frauen auf die wabbelnden Titten. Manche, vornehmlich die absoluten Ataktiker und Rhythmusspasmaten ruckeln über die Tanzfläche, genau wie damals als sie noch die Könige der Dorfdisco waren.

Man nehme Frauen: Die es mit ihren herausgewachsenen Dauerwellenfrisuren und im platzengen H&M-Minirock noch einmal wissen wollen. Die in der Hoffnung, eine neue, endlich belebende Liebe zu finden, genau dort wieder hingehen, wo sie schon beim ersten Mal jenen Dumpfbeutel von Mann zum Vater ihrer Kinder gemacht haben, den sie eigentlich nie mehr haben wollten. Frauen, denen mit jedem Blick in den Spiegel ein Kilo Reiterspeck mehr an die Oberschenkel springt. Denen bei jedem Lachversuch die Makulatur aus dem Gesicht bröckelt wie gelbstöckelnder Joghurt aus dem Plastikbecher von penny. Die sich auf ihrem Endlich-Glücklich-Selbstverwirklichungstrip zum wöchentlichen Workshop „Bauchtanz“ begeben – passend zur fortgeschrittenen Figur. Oder, im Glauben daran, Erotik zu lernen, im „Salsa mit Consuela“, Kurs A, stockpuppengleich mit den Hintern wackeln, weil alles Latino so schick ist.

Man nehme desweiteren Cocktails. Oder eigentlich nur einen: Caipiiiiii, bestellt und ausgerufen mit spitzem Schrei über den speckigen Tresen mit den Alkoholpfützen hinweg. Diese Mixtur aus brackigem Grosshandels-Rum, braun gefärbtem Südzucker-Abfall, gecrashtem Eis aus der Brauchwasser-Leitung und garniert mit einer Plantagen-Limone, garantiert pestizidedurchtränkt. Das ganze schütte man, neben der abgestandenden 0,3l-Weizenbiere in die Anwesenden bis zum Überlauf der glasigen Augen. Bis der Morgen graut und der Aushilfskellner vom Studentenwerk das Mensasauerkraut kotzt, weil die Damen des Abends ihm mit galligem Atem Küsse verpassen.

Man nehme zuletzt: Einen heruntergekommenen Lagerschuppen, alternativ eine verplüschte Kellerdisco mit erhöhtem Rotlichtanteil in der Toiletten-Installation. Darin mixe man das ganze zu einer Menge Spass für alle Ü30 – die Power-Party für alle Junggebliebenen!
 
G

Gues

Gast
Antwort auf die Über30Party

Ja, so ist es. Gut beobachtet, lustig wiedergegeben. Ein paar kleine Tippfehler (Weisssier, statt Weissbier). Aber eine treffende Schilderung. Leider weis ich bei solchen Geschichten nie, ob ich lachen oder weinen soll.

Weiter so, Ciao..Gues..
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo MacKeith

schon galliger Humor, der mich da aus deinem Rezept anspringt, aber punktgenau getroffen. Meine Idee: schick es an alle Veranstalter solcher Parties und sichere dir die Rechte; du wirst von den Tantiemen leben können.

lieber Gruß

maerchenhexe
 

MacKeith

Mitglied
du meinst:

"negativwerbung"? ;-)

zieht nicht, weiss ich,
ich bin texter, reklame en gros

@flammarion:
soll ichs ins forum "Horror und Psycho" verschieben lassen?
 

Acroma

Mitglied
Sehr schön^^

meine letzte Ü30-Party hab ich in der Hoffnung mitgemacht, n bisl tanzen zu können, also so richtig Paartanz (ich bin 22)
WEIT gefehlt..und exakt so, wie du es beschrieben hast, bis auf den Schuppen, der war ganz okay;)
 

MacKeith

Mitglied
hui, na sowas! da hast du aber tief gegraben im archiv. ist ja ewig her, dass ich hier war. wenn da die benachrichtigung nicht gewesen wäre... ;-)

ja, meine letzte Ü30 party is länger her *g
 

Hagen

Mitglied
Hallo Mac!
Boooh Ehj!
Dieser Beitrag ist echt genial!
Er traf mich wie der Flügelschlag eines Engels -
aber eines Engels mit Besoffenheit, der relativ unbeschadet einer derartigen Veranstaltung entkommen ist.
Gib mir mehr davon, etwas mehr, das vertrag' ich schon!

See you on the next Ü30-Party!
Wir trinken dann einen gepflegten Caipirinha zusammen.
In diesem Sinne
Hagen

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Zubereitung für einen gepflegten Caipirinha: Die Limette in Achtelstücke schneiden, in ein Longdrinkglas geben und den braunen Zucker darüber streuen. (In Brasilien wird allerdings weißer Zucker verwendet.)

Die Limettenstücke sodann mit einem Holzmörser gut zerdrücken und mit dem Zucker vermischen; anschließend den Zuckerrohrschnaps drübergießen und das Glas mit gecrushtem Eis auffüllen.

Gut mischen und mit einem Trinkhalm servieren.
 



 
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