Rhabarber
In der Nachkriegszeit war das Essen knapp und Mutter war froh, dass ich Rhabarber mochte.
Der Tag ging zur Dämmerung über und vom Rosenbeet kam der Abendduft vom Garten drüben, den Oma vor Jahren mit Geduld und Frohsinn erbaute.
Ich schritt durch die Gartentür und mein Auge fiel auf jene Pflanze die mir im Sinne ward. Majestätisch bestimmten die Auserkorenen ihr kurzes sommerliches Leben in dem sie ihre großen grünlichbraunen Blätter schützend über die nahen Beete ausbreiteten. Leuchtend rot lockten die Stängel, boten sich in geradezu unverschämter Weise an, baten darum, sie mitzunehmen als wollten sie ihren Platz dem Nachwuchs freimachen. Ein Schritt noch ums Gebüsch, so war ich dort. Mit den Händen musst ich's greifen können. Ich bückte mich, ein Schnitt mit dem Messer trennten die Stängel von der Wurzel, noch ein Schnitt und noch einer. Hörte ich da eben ein Jammern oder Lachen? Drei saftige Büschel Rhabarber hielt ich in den Händen, die eben noch mit den Wurzeln eins waren. Noch einmal blickte ich zu meinen Füßen wo sich jetzt eine kleine Schneise in der satten Fülle des Rhabarberbeetes auftat.
Sinnend verließ ich den Garten den Oma vor Jahren mit Geduld und Frohsinn erbaute, betrat das nahe gelegen Haus, begab mich in die Küche und bat meine Mutter, den Rhabarber so zubereiten wie ich ihn liebte. Lächelnd nahm sie die frischen Stauden entgegen und trennte zuerst die grünlichbraunen Blätter von den leuchtend roten Stängeln und wieder ward es mir im inneren, als hörte ich da eben ein Jammern.
Als nächstes wusch Mutter den Rest des Rhabarbers mit Wasser und zog, ein schaudern regte sich tief in mir, den Stängeln die Haut ab, teilte diese in kleine Teile. Neugierig kaute ich ein kleines Stück und ließ den Geschmack mir auf der Zunge vergehen. Schon schmolz die Butter in der eisernen Pfanne, eilig rührten fleißige Hände den Rhabarber unter und als die Zeit kam, ein Guss Wasser dazu. Nun noch eine Handvoll Zucker hinzu. Fertig war das leckere Gericht, genau so zubereitet wie ich es liebte.
Der Geruch beim schälen und kochen, das süße und bittere zugleich, stieg mir in die Nase, grub sich ein in meine Sinne. Oft denke ich an Mutter, wenn ich Rhabarber sehe.