Rike

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Katjuscha

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Ein wohliger Schauer fließt Rike über den Rücken, als sie den großen Zeh in das heiße Badewannenwasser taucht. Endlich mal wieder ein richtiges Vollbad nehmen, das hatte sie sich schon lange vorgenommen. Doch nie hatte sie Zeit gefunden. Aber nach einer fiesen Mathearbeit, meint sie, hat man das Recht auf ein Bad. Heute ist es eins mit Melissenduft. Bis zur Nasenspitze taucht sie ein in den wohlriechenden Schaumberg. Die Wärme durchdringt alle Glieder. Jetzt fehlt nur noch die richtige Musik, denkt Rike. Schwerfällig erhebt sie sich aus ihrer gemütlichen Lage und tapst patschnass zum Radio. Als der richtige Sender gefunden ist, steigt sie wieder in die Wanne. Mal so richtig die Seele baumeln lassen, mitten in der Schulwoche, das hatte ihr gefehlt. Rike ist mit sich und der Welt zufrieden. Vergessen sind die ewig nörgelnden Lehrer und die hektischen Klassenkameraden. Verschwunden sind all die Probleme, die ihr vorhin noch durch den Kopf spukten. Draußen ist es lausig kalt, aber das Bad ist mollig warm. Rike denkt weder an heute noch an morgen. Gedankenverloren schließt sie die Augen. Das einzige was sie spürt, ist die Wärme des Wassers.

Doch da fällt ihr Tom wieder ein. Der Tunichtgut hat sie einfach stehen lassen auf dem Schulhof. Er verabschiedete sich mit den Worten: "Es ist aus. Ich will nicht mehr! Außerdem mag ich Marika sowieso viel lieber." Einfach so hat er das gesagt und ist davongerannt zu den anderen Jungs. Zuerst war Rike total geknickt und hat sich bei ihrer Freundin ausgeheult. Ausgerechnet diese Marika aus der 5 a, die nur Markenklamotten trägt und immer diese albernen Ringe um die Handgelenke trägt, die klimpern, wenn sie läuft. Dann wurde Rike sauer auf Tom, der sich mal so eben in eine andere verknallt. Pah! Als sie zu Hause war, hat sie gleich das Foto von ihm zerknüllt von der letzten Klassenfahrt.

Umgeben von wohliger Wärme findet sie es nur noch halb so schlimm. Mit einem Schwapp Melissenwasser spült sie auch die letzt Traurigkeit davon. Dass Tom jetzt nicht mehr mit ihr geht, ist doch kein Weltuntergang. Einer Optimistin, so wie Rike, kann so etwas doch nichts anhaben. Nun taucht sie ganz ab, bis ihre Luftblasen nach oben steigen.

Plötzlich klopft es an der Tür. Es ist Henry, Rikes kleiner nervender Bruder. "Rike, Telefon für dich! Dein Tom ist dran." "Sag ihm, ich bin nicht da. Es ist außerdem nicht "mein Tom"; merk dir das!" lässt Rike aus der Wanne vernehmen. Sie hört ihren Bruder am Telefon reden. Wer weiß, was er Tom heute wieder erzählt. Einmal berichtete er ihm, dass sie kurzfristig eine Reise nach Sibirien machen musste, um die kranke Großmutter zu besuchen. Sollte er doch heute erzählen, sie sei über Alaska mit dem Flugzeug abgestürzt. Jetzt können sie jedenfalls keine zehn Pferde aus der Wanne herausholen. Genießerisch atmet sie den Melissenduft ein. Ihre Lunge wird frei; so frei wie ihre Seele. Ihr großer Zeh ragt wie eine kleine Insel aus dem Wasser. Rike träumt von Sonne, Meer und schattenspendenden Palmen. Draußen rieselt ein kalter Januarregen.

Abermals klopft Henry an der Tür. Diesmal ist es ein Anruf von Sara, ihrer Freundin. "Sag ihr, ich ruf später an!" erwidert Rike faul. Warum müssen die Leute auch immer dann anrufen, wenn man gerade schwer beschäftigt ist. Als zehn Minuten wieder jemand klopft, wird es ihr zu viel. Nicht mal im Bad hatte sie ihre Ruhe. "Beeil dich Rike, ich muss auch mal ins Bad." "Ja Mama, ich bin gleich fertig." Sie hüllt sich in ihren flauschigen Bademantel, putzt sich schnell die Zähne und will sich noch die Haare föhnen, als wieder jemand klopft. "Friederike, föhn dir die Haare gefälligst in deinem Zimmer; du hältst den ganzen Verkehr auf!" Die Tür öffnet sich und eine strahlende Rike tritt heraus. "Ja Papilein, mach ich!" sagt sie und gibt dem Vater einen Kuss. Verdutzt sieht er sie in ihrem Zimmer verschwinden. Achselzuckend geht er ins noch duftende Bad.

Rike fühlt sich wie neugeboren; gewappnet für alles, was sie morgen in der Schule erwarten wird. Die Mathehausaufgabe, die ihr vorhin als unlösbar erschien, entpuppt sich jetzt als simple Bruchgleichung. Als sie kurz darauf noch einmal mit Sara spricht, fragt sie diese: "Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du nachher noch mit ins Kino kommst, aber in deiner Verfassung weiß ich nicht, ob du das möchtest." "Du kannst mich trotzdem fragen." sagt Rike, "Was läuft denn?" "Um fünf kommt "Snow Dogs". Anne und Gesa wollen auch kommen." "Klar komme ich. Ich hole dich in einer viertel Stunde ab, okay!" Sie legt den Hörer auf und sucht sich ihre Lieblingsjeans und das rote Sweatshirt heraus. Zehn Minuten später steckt sie den Kopf ins Wohnzimmer. "Ich darf doch noch mit Sara ins Kino gehen, nicht? Ich bin um sieben wieder zu Hause." Ehe ihre Eltern irgendwelche Einwände machen können, ist Rike schon aus dem Haus gestürmt. Das Kino ist nur eine Straße weiter.

Es wird noch ein lustiger Abend. Als sie dann im Bett liegt, kommt sie zu dem Entschluss, dass ein Bad, gute Freundinnen und Kino die besten Mittel gegen Liebeskummer sind.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

eine locker und flüssig erzählte, optimistisch stimmende geschichte. kannste dir was drauf einbilden, wenn du die beiden flüchtigkeitsfehler korrigierst. "ihr kleine Bruder" und in einem satz fehlt ein "sie". ganz lieb grüßt
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja.

am besten gefällt mir der große zeh als kleine insel. das ist ein sehr schönes, fantasievolles bild. ganz lieb grüßt
 



 
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