Rio

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kleinerbaer

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Feddersen lebte ein ausgesprochen wohl geordnetes Leben. Er lebte nach der Uhr. Er stand jeden Morgen um die gleiche Zeit auf, kam um die gleiche Zeit in sein Büro, aß um die gleiche Zeit zu Mittag und ging um die gleiche Zeit schlafen.
An einem Donnerstag im November verließ Feddersen, nachdem er sich mit einem Kuss von seiner Frau verabschiedet hatte, seine Wohnung in Witten pünktlich um 06.30 Uhr. Nachdem er die üblichen drei Minuten an der Haltestelle gewartet hatte, stieg Feddersen in einen Bus der Linie 60. Dabei sprach er ein paar Worte mit dem Busfahrer Willy Otremba. An der Haltestelle „Feldstrasse“ verließ Feddersen den Bus und betrat die Pforte der „Maschmeier GmbH“, wo er seit siebenundzwanzig Jahren arbeitete; ohne einen einzigen Krankentag.
„Hallo Jochen, alles klar“, fragte er den Pförtner.
„Der Ischias tut weh. Sonst könnts nicht besser sein“, antwortete er.
„Na denn machs gut“, sagte Fedderson, zögerte kurz und verließ das Gebäude wieder. Der Pförtner schaute ihm verdattert hinterher, dann griff er zum Hörer. Das bekam Fedderson allerdings schon nicht mehr mit.
Langsam schlenderte er die Feldstrasse hinunter, betrat den Stadtpark und setzte sich auf eine Bank, von der er den ganzen Park überblicken konnte. Herzhaft biss er in sein Käsebrot, lehnte sich zurück und trank schluckweise von dem heißen Kaffee aus seiner Edelstahl- Thermoskanne. Nach einer halben Stunde packte er seine Sachen wieder sorgfältig ein, stand auf und spazierte Richtung Innenstadt.
In der Bahnhofstrasse betrat er das Reisebüro „King`s Reisen“.
„Guten Morgen, Frau König.“
„Guten Morgen, Herr Feddersen. Was kann ich für sie tun?“
„Haben Sie noch eine Last Minute Reise nach Rio, Abflug heute?“
„Setzen sie sich doch. Ich schaue mal nach.“
Feddersen nahm in dem bequemen Lehnstuhl Platz und wartete.
„Hier, wir haben sogar noch drei kurzfristige Angebote. Alle ab Düsseldorf und für drei Wochen.“ Frau König nahm auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz und legte Feddersen die Angebote vor.
„Ich nehme das hier, Hotel Superior, vier Sterne für 6.700,-€. Das hört sich am besten an und den Flieger kann ich noch leicht erreichen.“
„Ja“, meinte Frau König, „ein super Angebot. Ich mache gleich alles fertig.“
Feddersen bezahlte mit seiner EC- Karte, packte die Unterlagen ein und begab sich auf den Weg zum Bahnhof. In der Bahnhofsbücherei kaufte er sich einen Reiseführer und eine Tageszeitung. Am benachbarten Kiosk bestellte er sich eine Flasche Bier. Damit machte er sich auf zu seinem Zug.
Im Abteil lehnte er sich behaglich zurück, blätterte in seinem Reiseführer und genoss dabei eine Flasche Bier. Dann machte er ein Nickerchen.
In Düsseldorf angekommen, begab sich Feddersen direkt zum Check- In. Dort legte er sein Ticket und seinen Reisepass vor.
„Kein Gepäck“, fragte die Mitarbeiterin.
„Nein, ich reise ohne“, antwortete Feddersen.
Ein Blick auf die Anzeigen verriet ihm, dass er noch eine Stunde Zeit hatte. Wieder nahm er seinen Reiseführer und machte es sich in der Wartehalle bequem. Die Stunde verging wie im Flug. Auch die nächste halbe Stunde. Und die nächste.
Lächelnd stand Feddersen auf und verließ den Flughafen Richtung Bahnhof. „Letzter Aufruf für Passagier „Feddersen“, hörte er noch.
Fedderson nahm die nächste Bahn. Auf dem Rückweg trank er eine zweite Flasche Bier und las weiter in seinem Reiseführer.
Zurück in Witten schlenderte er zu seiner üblichen Bushaltestelle in der Feldstrasse. Wie an jedem anderen Tag stieg er um 16:20h in seinen Bus. „Schöner Abend heute“, sagte Feddersen zu dem Fahrer.
„Soll aber noch regnen, Herr Feddersen“, gab der zurück.
„Macht nichts“; meinte Feddersen, „ist ein schöner Tag.“
Freundlich nickend ging Feddersen weiter und setzte sich auf den gleichen Platz wie jeden Abend. In der Mühlenstraße angekommen, stieg er aus und ging zu seiner Wohnung. Er schloss die Tür auf und ging gleich durch ins Wohnzimmer. Dort küsste er seine Frau und seine Tochter.
„Hallo Schatz. Hallo Lisa.“
„Hallo Peter. Wie war dein Tag?“
Feddersen schaute seiner Frau in die Augen. „Wir haben dreieinhalb Millionen Euro im Lotto gewonnen!“
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo kleinerbaer,

ja - warum nur macht Feddersen all das, fragt man sich, ehe am Ende dann die Auflölsung kommt.
So geht deine Geschichte quasi gut aus, wie die Märchen in alten Zeiten.
Meine Kritik ist nicht wirklich konstruktiv, da sie stark von meinem persönlichen Geschmack geprägt ist: Mir hätte es besser gefallen, wenn Feddersen aus innerem Überdruss und innerem Ekel so schwachsinniges Zeug angestellt hätte und irgendwie gänzlich übergeschnappt wäre. Aber das wäre natürlich eine ganz andere Geschichte gewesen, eine, die du gar nicht erzählen wolltest, deshalb sage ich: nicht wirklich konstruktiv.
Wie auch immer: speziell die Szene, wo Feddersen die teure Reise willentlich sausen lässt, hat mich in ihren Bann gezogen! Gespannt las ich weiter und spekulierte über die Hintergründe...

lg wüstenrose
 



 
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