Ritual

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minitaurus

Mitglied
Ritual

Der kleine Junge hat ein Ritual: von einem Schoß auf den anderen klettern, ein Küsschen auf die Backe drücken und sagen: „Gut Nacht, schlaf gut – auf dass der Schlaf Dir Gutes tut“. Es ist ein sehr fröhliches Ritual, alle lachen dabei. Dann kommt ein Moment, in dem er genauer als sonst hinschaut und er sieht, dass die Geschwister nicht mit, sondern über ihn lachen. Etwas ist zerbrochen. Und etwas beginnt, nämlich die Suche nach der Antwort, warum die Großen das Schmusen nicht mögen. Eine unendlich lange Suche…
(Die wahrscheinlichste Antwort: Sie haben Angst, ausgelacht zu werden; und das macht Knoten in seinem Kopf - warum lachen sie dann selbst aus?)
 

Willibald

Mitglied
Lachen ist eine seltsame und bedenkenswerte Disposition der menschlichen Art. Eine Reaktion auf und ein Signal von Komik: Bergson und Dupréel sprechen vom Komischen als „du
mécanique plaqué sur du vivant“; sie unterscheiden einrire d‘exclusion und ein rire d‘accueil. Ich bin nicht sicher, ob in der familiären Szene wirklich ein prototypisches Aus/Verlachen stattfindet.

Es ist eher ein Mixtum: So ähnlich wie man mit einer gewissen Rührung bei Kindern den Osterhasenglauben und den Christkindglauben lächelnd betrachtet. Im konkreten Fall ist der magisch-reimende Satz und das ernst-erhabene Ritual im Kindermund gewiss ein Komikelement. Aber nix Herabwürdigendes.

Intressant ein sprachliches Muster: Bei "Warum lachen sie dann selbst aus?" erwartet man ein Akkusativobjekt, rollentheoretisch ein Patiens.

greetse
 
A

aligaga

Gast
Es gibt ein Bauchlachen und ein Kopflachen.

Das Bauchlachen entsteht dann, wenn man an empfindlichen Stellen gekitzelt wird, angerührt wird oder über sich selbst lacht. Oder über etwas, das wirklich komisch ist.

Das Kopflachen kommt nicht spontan, sondern sophisticated. Das mitleidige Lächeln oder Lachen, das schadenfrohe, das geringschätzige, das zynische. Kopflachen hat, anders als das Bauchlachen, stets einen Adressaten, dem man seinen Status mitteilen möchte, durch Grimassieren und durch Töne. Es ist deshalb meist nur gespielt.

Auslachen setzt Schadenfreude voraus, und diese speist sich nicht aus argloser Heiterkeit, sondern aus der Misanthropie. Wer schadenfroh lacht, ohne sich daraus ein Gewissen zu machen, sollte zum Psychiater und sich Pillen gegen Empathiemangel verschreiben lassen.

Hier in dem G’schichterl haben wir’s freilich nicht mit Schadenfreude, sondern ganz einfach mit Rührung zu tun, wie unser geschätzter @Willibald richtig erkannt hat - hervorgerufen bei Älteren durch die Unbeholfenheit Jüngerer. Ein hörbar gewordenes, gerührtes Lächeln, sozusagen. Kleine Jungs wollen immer groß sein, deshalb mögen sie es nicht, wenn sie bei Mami oder bei den Geschwistern Rührung erzeugen, werden rot und schämen sich blödsinniger Weis‘ dessen, wenn sie ein bisschen älter geworden sind.

Kopfgesteuert heiter

aligaga
 



 
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