Ritual des Todes

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Josef Knecht

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Als Aylin den dunkelhäutigen Mann mit den unruhigen Händen sah, wusste sie, das ihr bisheriges Leben wie ein Puppenhaus aus Papier in sich zusammenbrechen würde. Er durfte sie auf keinen Fall sehen. Mit klopfenden Herzen versuchte sie sich zwischen den Häuserblocks zu verbergen. Ihre 5jährige Tochter Marina war bei Katrin, einer guten Freundin. Das war gut, denn so hatte sie etwas mehr Zeit, ihre Flucht vorzubereiten.
Aylin lief nach Hause. Sie brauchte länger als sonst, denn sie benützte dunkle, wenig benutzte Seitenstraßen, die einen Umweg bedeuteten.
Als sie schließlich ihre Wohnung erreicht hatte und sich die Tür hinter ihr schloss, atmete sie erst einmal einen Augenblick durch.
Oft war Aylin diese Situation in Gedanken durchgegangen. Wie in Trance wusste sie, was für Kleidungsstücke sie am besten mitnehmen sollte. Sie hatten nicht viel Zeit. Das war ihr klar.
Plötzlich das metallische läuten der Glocke. Oh, mein Gott. Er hatte sie gefunden! Was sollte sie jetzt nur tun? Es gab nur noch eine Möglichkeit. Sie lief zu einem Hochschrank und holte eine Beretta M9 hervor. Sie war plötzlich vollkommen ruhig. Sie wusste, sie würde in wenigen Sekunden Abdullah Erdogan, ihren Vater, erschießen. Dies war ihre einzige Rettung, zumindest für den Augenblick.
„Hallo Aylin, ich weiß doch das du da bist. Warum öffnest du nicht? Ich muss mit dir reden!“ Es war die Stimme von Konstantin, ihrem Freund. Ihn hatte sie in der Hektik vollkommen vergessen. Ihre Aufregung kehrte zurück. Sie liebte ihn, doch sie durfte Konstantin unmöglich in diese Ereignisse hineinziehen. Das konnte seinen Tod bedeuten. Aylin wartete und hoffte er würde wieder gehen. Doch Konstantin hatte einen Schlüssel und öffnete damit die Tür.
Als er Aylin sah verfärbte sich sein Gesicht und nahm eine milchig-grüne Tönung an.
„Aylin, was ist denn los? Was machst du mit der Waffe in deiner Hand?“
„Abdullah treibt sich draußen zwischen den Häusern herum.“ Sie hatte sich angewöhnt, ihren Vater nur mit seinem Vornamen zu bezeichnen.
„Aber du kannst doch deinen Vater nicht erschießen. Versuch doch erst einmal mit ihm zu reden!“
Sie war fast wütend wegen seiner Verständnislosigkeit.
„In einer solchen Situation kann man nicht reden. Ich habe mich geweigert Serkan zu heiraten, habe von einem deutschen Mann ein Kind. Ich habe die Familie entehrt, Abdullah will diese Ehre wieder herstellen. Dazu ist er hier und das geht nur, indem er mich tötet.“
„Ihr könnt doch nicht euer ganzes Leben auf der Flucht sein.“
„Doch, das ist mein Los. Selbst wenn ich Abdullah erschieße kommt ein anderes Mitglied der Familie und beendet seine Tat.“ Aylin schluckte und Tränen erschienen in ihren braunen Augen. „Das Beste ist, du gehst jetzt und vergisst uns!“
Konstantin schien den letzten Satz nicht gehört zu haben.
„Aylin, du packst jetzt schnell das wichtigste zusammen. Ich fahre dich zu meiner Schwester. Dort bist du erst einmal sicher. Danach sehen wir weiter.“
Kurze Zeit später verließen sie eilig die Wohnung. Es hatte mittlerweile die Dämmerung eingesetzt und es wurde rasch dunkel. Sie fuhren mit Konstantins dunkelblauen Peugeot zu Katrin um Marina zu holen. Aylin hatte das Gefühl, ihre Tochter Jahre nicht gesehen zu haben. Sie schloss sie in die Arme, einfach dafür dankbar noch am leben zu sein.
Danach fuhr der Wagen aus der Stadt und die Dunkelheit verschluckte ihn.
Nach etwa 20 Minuten, Marina schlief friedlich in ihrem Kindersitz, berührte Aylin Konstanin leicht am Arm.
„Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, wir werden verfolgt.“
„Das vermute ich auch. Hinter uns fährt ein Fahrzeug, das immer dann langsamer wird, wenn auch ich langsamer fahre.“
Ohne Vorwarnung bog Konstantin plötzlich in einen Feldweg ein. Unbeeindruckt folgte ihm das fremde Fahrzeug. Konstantin gelang es nicht, ihn abzuschütteln.
Er warf einen kurzen Blick auf Aylin.
„Wo hast du die Waffe?“
Aylin holte sie aus ihrer Tasche hervor.
„Ich denke, es gibt keine andere Lösung mehr!“
Konstantin nahm die Waffe und steckte sie ein. Er hielt das Fahrzeug an und wartete, bis die Lichter des anderen Fahrzeuges sich näherten. Schließlich hielt der Wagen etwa 20 Meter hinter Konstantins Fahrzeug. Beide Fahrer steigen gleichzeitig aus. Abdullah ließ die Lichter brennen, so wurde die nun folgende Szene in ein gespenstisches Licht getaucht. Abdullahs Schatten wurde in Richtung von Konstantin geworfen und die Person wirkte dadurch noch bedrohlicher.
„Lassen Sie mich zu meiner Tochter!“ Seine Stimme klang ruhig, so als redete er über das Wetter.
„Ich weiß darüber Bescheid, was sie vorhaben. Lassen Sie Aylin in Ruhe und ihr eigenes Leben führen.“
„Was wissen Sie denn. Aylin hat die Familie entehrt und ich bin hier, um diese Schande zu tilgen.“
„Indem Sie sie töten!“
„Wenn sie uneinsichtig ist, auch das.“
Abdullah setzte sich in bewegte sich auf Konstantin zu, so als würde ihm bewusst, dass er sich schon viel zu lange mit diesem unnützen Gerede aufgehalten hatte.
Konstantin hatte keine andere Wahl. Er musste ihn aufhalten. Er war vier Jahre bei den Feldjägern und galt als der beste Schütze. Er griff in die Tasche und fühlte den kalten, glatten Stahl zwischen seinen Fingern. Er zog die Pistole hervor und zielte mit ausgestrecktem Arm auf Abdullah. Dieser stoppte sofort, so als läge plötzlich eine giftige Viper vor ihm.
„Sie können mich ruhig erschießen, doch das wird ihnen gar nichts nützen. Es geht hier nicht um mich, sondern um die Familie. Es werden andere kommen.“
„Gehen Sie zurück zu ihrem Wagen. Ich meine es ernst, ich drücke ab. Und ich verfehle selten ein Ziel.“
Einen Augenblick lang schien es, als wolle Abdullah selber zur Waffe greifen um zuerst Konstantin und danach Aylin zu erschießen. Doch schließlich ging er doch langsam rückwärts zu seinen Wagen. Langsam, ohne Konstantin auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen stieg er ein, wendete und fuhr davon. Langsam sah Konstantin die roten Lichter im Wald verschwinden. Erst dann ging er zurück zu Aylin. Als er wieder im Wagen war wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
„Ich denke, den sind wir für heute Abend sicher los.“
„Das denke ich auch. Doch wie soll es jetzt weitergehen?“ Sie drehte sich um und sah die schlafende Marina lange an.
Konstantin startete den Wagen und fuhr los, so als fürchtete er, Abdullah könnte noch auftauchen.
„Ich weiß vielleicht eine Lösung,“ nahm Konstantin nach einiger Zeit den verlorenen Faden des Gesprächs wieder auf. „Heute hat mir mein Chef das Angebot gemacht die Leitung unserer Vertriebsabteilung in China zu übernehmen. Wenn ich, wenn du einverstanden bist, könnten wir in 4 Wochen nach China fliegen.“
Zum ersten Mal an diesem verhängnisvollen Abend zeigte sich in Aylins Gesicht ein Lächeln.
„Ist das wirklich wahr? Und du würdest uns mitnehmen?“
„Ich wüsste nicht, wen ich lieber dabei hätte.“
„Wir müssen aber auf jeden Fall zuvor heiraten.“
Konstantin stoppte den Wagen und sah in ihr schönes, dunkelhäutiges Gesicht.
„Nein, das ist keine Bedingung.“
Aylin nahm Konstantin wortlos in den Arm. Ihr war plötzlich klar geworden, dass sie als seine Frau mit ihm nach China gehen würde.
 

nachts

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Hallo Josef

Natürlich gibts Ehrenmorde - aber in deiner Erzählung fehlt mir irgendwie eine Dimension, das ist mir zu sehr Klischee
alles Gute Nachts
 



 
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