Roman: Die Kinder des Chaos - Anfang. 1.Fassung

Cora Horn

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Kapitel 1
Die Chaoskinder


Der Ort war gut gewählt. Das alte Gebäude erhob sich unscheinbar und grau zwischen den hohen Häusern, die dem Hügel zu Füßen standen. Eine halbe Pipeline führte noch von einer zu einem Klumpen zusammengeschmolzenen Maschine zu der Ladefläche eines verrosteten Lkw´s. Die Fensterrahmen waren alle leer, und was einmal ein Dach gewesen sein musste, war jetzt nur noch ein Geflecht aus verbogenen Stahlträgern, die wie wimmernde Drahtfäden in den nie abebbenden Sturmböen quietschten.
Einst war dies hier eine große Stadt gewesen, aber jetzt musste man, wollte man irgendwo in den engen Straßen einen Menschen treffen, ziemlich lange und gezielt nach einem suchen. Ein paar Chaoskinder mochten noch in einigen Häusern campieren, irgendwo im Innern der bunten Fassaden mit den hohen Glasfenstern - sich ausruhen, bevor sie auf ihren endlosen Reisen weiter zogen. Ansonsten musste hier von niemandem Gesellschaft befürchtet werden.
Auf einem aufgeschütteten Sandhügel, der vor der Weltenwende wohl irgendeinen Nutzen für die Fabrik gehabt haben musste, hob der junge Mann langsam den Kopf; ein hoch stehender roter Streifen zwischen kurz geschorenen braunen Stoppelhaaren, leuchtete in der trüben Sonne auf. Er stand ganz ruhig, hatte ein Bein entspannt angewinkelt und eine Hand in der Tasche seiner rötlich- braunen Lederhosen. Doch der lange, dünne Stab, mit dem er kämpfte, lag sicher in seiner Linken. Die Frau, die unter ihm durch die Straßen und auf die Fabrik zuschritt, musste die Waffe sehen, und genau das hatte er beabsichtigt.
Sie hielt jedoch in ihrem Schritt nicht inne - das hätte ihn auch gewundert -, sondern stapfte seelenruhig und entschlossen auf ihn zu, die Augen auf ihr Ziel gerichtet. Er ließ sie bis auf drei Meter unter seinem Aussichtspunkt herankommen. Dann zuckte blitzschnell sein Kinn in die Höhe – ein paar Millimeter - und seine Waffe nach oben – ebenfalls nur ein paar Millimeter. Es war die charakteristische Drohgebärde der kinder des Chaos, die gleichzeitig eine Warnung und eine Respektbekundung war, denn einem anderen als einem Kind des Chaos gegenüber hätte es keine Warnung gegeben. Sie bedeute: `komm nicht näher, und ich lasse dich ziehen!´.
Aber die Frau in den abgenutzten schwarzen Lederhosen, an deren Gürtel ein breites Schwert baumelte, nickte nur zum Zeichen, dass sie die warnung verstanden hatte, und kam unbeirrt näher heran, bis sie am Fuß des Hügels endlich stehen blieb. Sie war noch jung, doch ihr Gesicht und Körper waren sowohl vom ständigen Wandern durch die Wetter als auch von den Kämpfen in zahlreichen Arenen und an anderen Orten gezeichnet. Sie war eine respektable kriegerin. er konnte sie nicht leiden.
“Dann seid ihr euch also einig”, sagte der Rothaarige eisig.
“Ja“, antwortete die junge Frau mit einer harten, rauen stimme, die so klang als würde sie im Hals der Kriegerin über ein Nagelbrett gezogen. „Die Antwort der Orakel ist eingetroffen. Die Vereinigung wurde beschlossen, Frey.“
Der Angesprochene ließ einen kurzen Laut hören, der sich wie ein spöttisches Auflachen anhörte, der aber, wie die Kriegerin sehr gut wusste, dem Gegenteil eines Lachens sehr viel näher kam. Trotzdem klang in seiner Stimme der gewohnte Hochmut, als er der Kriegerin antwortete. „Die Kinder des Chaos alliieren nicht. Sie sind einsam und frei. Die Orakel können mir nichts befehlen.“
“Sei nicht so dumm, Frey”, antwortete die Kriegerin. Ich bin auch ein Kind des Chaos und möchte nicht hier sein. Aber ich kenne die Verpflichtung, die wir übernommen haben, als die Kinder des Chaos die Seiten wechselten. Genau wie du. Ich bin gerufen worden, und wir beide wissen, dass wir uns damit abzufinden haben. Wir werden von nun an zur gegenseitigen Gesellschaft gezwungen sein.”
Frey begann mit seinen Zähnen herumzumahlen und schwieg eine weile. Sicher, er kannte das Versprechen, das die Kinder des Chaos vor einem Jahrhundert abgegeben hatten, um ihre Unabhängigkeit von jeder Gesellschaftsform zu legitimieren. Und natürlich hatte er den Ruf gehört - eine leichte Brise in den Bäumen, das Rascheln der Blätter, das ihm zugeflüstert hatte und das die Chaoskinder zu verstehen wussten, wie niemand sonst auf der Welt. Es hatte ihn hierher geführt, das Wasser, dass seinen Namen gesprudelt hatte, während er dem Fluss gefolgt war - scheinbar willenlos -, der unterhalb des Hügels, auf dem er jetzt stand, dreckig durch die Stadt floss. Hier hatte er den Auftrag vernommen, in einem Traum, der mehr als Schlafen war und weniger als Eingebung. er hatte das Gefühl gekannt - sie alle kannten es -, wenn die Natur, die Welt oder die Götter ihre Pläne hatten und durchzusetzen gedachten.
Aber er war Frey, ein Mensch der sich von niemandem etwas aufzwingen lassen konnte. Kind des Chaos! Geborener Außenseiter und stolzer Krieger. Seinen Namen kannte man in allen Arenen als einen der besten – und stolzesten – seiner Art. Er schnaubte kräftig und hob wieder das Kinn, sodass er der kriegerin von oben herab in die dunklen Augen sah.
„Ich hatte nicht gedacht, dass gerade du dich von diesem Schicksalsgeschwätz beeindrucken lassen würdest, Briss. Ich bin enttäuscht von dir. Du redest wie einer von diesen Mönchen!”
“Sprich nicht so respektlos von mir, Bursche!”
Frey knurrte leise. Die Schritte hatte er nicht gehört. León, Mönch der einzigen Religion, die mächtig genug gewesen war, um vor über hundert jahren die Weltenwende zu überstehen, kam langsam auf den Sandhügel zu und ließ dabei die überlangen Ärmel seiner grauen Kutte wirkungsvoll im Wind wehen.
Frey besaß praktisch keine Anlagen, die ihn zur Freundschaft mit einem Menschen oder Gott befähigten, doch die gebieterische Erscheinung des Mönches, der einige verstrichene Jahre zählte, das verschlossene dunkelbraune, fast schwarze Gesicht, aus dem unter der Kapuze die weißen Augäpfel hervorstachen, die nach dem Brauch der Geistlichen der Iris und der Pupille beraubt worden waren, flößte selbst Frey eine Spur von Respekt ein. Er senkte den Blick und nahm die Hand aus der Tasche. Doch der Versuch, sein Gesicht zu einer höflich-aufmerksamen Miene zu entspannen, schlug fehl und verhärtete seine Züge noch mehr, sodass er grimmig in die milchigen augen des alten mannes starrte.
„Dann sind wir ja alle versammelt“, kommentierte er spöttisch, jedoch nicht so überheblich, wie er es der Kriegerin gegenüber getan hatte. Bei den Worten des Mönches waren auch die letzten drei Gefährten der Vereinigung aus den Schatten hervorgetreten. Die hoch gewachsene, zierliche Skirrh mit dem hellblonden, fast weiß schimmernden Haar - die Schwester der ein wenig rundlichen brünetten Kriegerin, die Briss hieß. Die blutjunge Leyka, ein unscheinbares Mädchen mit aschefarbenem kurzen Haar, und Rhom, der stumme Jüngling, der zum Sterben auserkoren war.
“Ja, wir sind alle versammelt, und du solltest dankbar dafür sein, Kind des Chaos“, erwiderte León zornig, „und dem ruf ebenfalls folgen!“
Nein, sollte er nicht, verdammt! Er musste es nicht! Die ganze Situation, der Auftrag, der die sechs unfreiwillig zu der ersten Gemeinschaft in der Geschichte der Kinder des Chaos berufen hatte und der in ein Abenteuer führte, von dessen Nutzen Frey zu dieser Zeit kein bisschen überzeugt war, war ihm zuwider. Die alte Magie! Wer glaubte denn noch daran? Einige sehr eigentümliche Personen hatten hin und wieder über sie gesprochen und eine Zeit heraufbeschworen, in der sie einmal eine große Rolle gespielt haben sollte. Aber kein Gelehrter auf der ganzen Welt war in der Lage zu erklären, was für eine Art Magie gemeint war. Es gab nur Vermutungen - eine phantastischer als die andere.
„Die alte Magie ist nur eine Legende, Mönch!“, spuckte er aus, denn mittlerweile fühlte er sich nicht nur durch mehr Menschen bedrängt, als er in den letzten drei Monaten getroffen hatte, sondern wütend. „Die alte magie kann nicht so alt sein, wie das Märchen, das von ihr erzählt wird. Das ist etwas für Kinder und Mönche, die in ihren Klausen nach Märchen und Wundern suchen, für die Enttäuschten und die vom Glauben Verlassenen, die sich ein ganz neues Paradies in einer ganz anderen Zeit erschaffen wollen!“
„Warum diskutierst du eigentlich noch mit León? Du hast deine Entscheidung doch schon längst getroffen“, erhob sich eine zweite, eine Männerstimme aus der Richtung hinter dem Mönch. Frey wandte den Kopf, ohne seine Körperhaltung sonst irgendwie zu ändern, und sendete einen eisigen Blick in Richtung des Mannes. Seine Gesichtsmuskeln verhärteten sich augenblicklich und zeigten nun, dass unter seiner glatten, makellosen Haut ein erfahrener Kämpfer steckte.
Unter ihm auf dem Hang des Hügels war ein junger Mann aufgetaucht, der in allen Teilen der lebenden Welt eine legende war. Ein dunkler Krieger, eingehüllt in einen langen Umhang, unter dem er, wie Frey und jeder Mensch, der die alten Geschichten kannte, wusste, sowohl seine Identität als auch ein halbes Dutzend verschiedenartigster Waffen verbarg. Kein Mensch kannte sein Alter oder seinen wahren Namen. Sein gesicht wirkte sehr jung, trug aber tiefe Narben und einige ungewöhnliche Falten um seine Mundwinkel, was sein Gesicht auf seltsame Weise zugleich jung und erfahren aussehen ließ, sodass der Mann irgendwie zeitlos wirkte. Zeitlos, wie sein schlichter Name: bry.
„Du hast recht mit deiner Beschreibung der alten Magie“, sagte der Mann gelassen, ohne von dem wutverzerrten Gesicht seines Gegenübers Notiz zu nehmen.“ „Allerdings ist der Schattenwanderer ebenfalls ein Mythos. Aber dieser steht jetzt, lebendig, atmend und sehr gelangweilt vor dir.“
Du Komiker! Dachte frey bitter. Der Mensch kannte seinen eigenen Mythos. Allein die ruhige Stimme des Kriegers, den Frey aus den alten Geschichten kannte und von dem er nie gedacht hatte ihn einmal persönlich kennen zu lernen, reizte ihn. Er selbst war ein bekannter Kämpfer, galt in vielen Arenen als unbesiegbar, und doch war er ein unbedeutender Junge, kamen die Erzählungen an den Feuern auf den Schattenwanderer.
„Ich werde dir nur eine Frage stellen, Kind des Chaos. Denn ich weiß ja schon, dass du mitkommen wirst. Wenn schon nicht, um dein und unser Schicksal zu erfüllen, dann wenigstens, um deine Langeweile zu ersticken. Ist es nicht - mit welch noch so fragwürdigem Ziel - in jedem Falle lohnenswert, sich der Vereinigung anzuschließen, allein, um die Gelegenheit zu haben, die Pläne der Seelenverkäufer zu zerstören?”
Der Schwarze blickte Frey mit einem sanften lächeln fragend an, das Frey sagte, dass sein Gegenüber gefährlich war. Und er hatte Recht. In seinem jungen Alter hatte Frey, der jahrelang von Ort zu Ort gewandert war und sich durch Schaukämpfe bei den Chaosspielen und Gelegenheitsarbeiten für einige sesshafte Chaoskinder-Gruppen in den Wüsten ernährt hatte, nach einiger Zeit eine tückische Langeweile überkommen, die ihn, obwohl er weiterhin einer der besten Kämpfer in den Arenen der Kinder des Chaos war, allmählich mehr und mehr des Lebens müde werden lassen. Wenn Frey es sich jetzt selbst richtig bedachte, so war der Ruf, der ihn zu diesem Treffpunkt befohlen hatte, gerade rechtzeitig gekommen. Erst vor ein paar Tagen hatte die Monotonie seines Daseins seine Brust so überladen, dass er kurz davor gewesen war, ihr mit seinem Schwert Luft zu verschaffen. Bei diesem rückblickenden Gedanken fröstelte Frey. So durfte es nicht enden, nicht für ihn, und wenn es jedes andere Chaoskind traf!
Ja. Auch die Existenz von Bry wurde von nicht wenigen, und zwar von der Art Menschen, gegen die zu kämpfen er ausgeschickt werden sollte und die von jedem Chaoskind wie die eigenen Eltern gehasst wurden, geleugnet. Tatsächlich setzten die Gilderer alles daran, Geschichten von der alten Magie, Heldenkriegern wie Bry und sonstigen Dingen, die von der Freiheit des Menschen und von der Unkontrollierbarkeit des Universums kündeten, auszumerzen, zu ersticken.
´Ist es nicht - mit welch noch so fragwürdigem Ziel - in jedem Falle lohnenswert, sich der Vereinigung anzuschließen, allein, um die Gelegenheit zu haben, die Pläne der Seelenverkäufer zu zerstören?´, hatte Bry gefragt. Darauf gab es nur eine logische Antwort für ein Kind des Chaos. Und der schwarze Krieger hatte Frey eine Ausrede gegeben, sich der Vereinigung anzuschließen, ohne zugeben zu müssen, dass seine Sturheit besiegt worden war. Er würde den Schattenwanderer kennen lernen, denn so wie es aussah, hatte dieser sich ihnen soeben ungebeten angeschlossen. Und es würde wieder Kämpfe geben, Schlachten, wie sie ein Kind des Chaos brauchte, um sich lebendig zu fühlen!
Sein linker Mundwinkel zog sich bei dem Gedanken in die Höhe. Er nickte dem Mönch zu. “Ich habe ja nichts zu verlieren. Ich stimme zu.”
Ein leichtes Lächeln huschte über die Lippen von León. “Das habe ich gewusst. Wie ist der Plan?”.
Frey blickte skeptisch zu dem schwarzen Krieger. Dieser nickte, wieder mit diesem gefährlichen Lächeln. „Ich bin der Schattenwanderer. Ich wandele in deinem Schatten. Aber erwarte nicht von mir, dass ich immer dort bleibe”, fügte er hinzu.
“Wohin gehen wir?”, fragte Briss.
“Wie uns der Ruf geraten hat”, antwortete Frey, ”nach Norden, zum Orakel. Aber vorher in die namenlose Stadt, damit León den Tempel der alten Mächte aufsuchen kann, wie er es gewünscht hat.”
Die anderen nickten und nahmen ihre Waffen auf. Dann setzte die Vereinigung sich in Bewegung - Frey mit großen, ausladenden Schritten voran, das Schwert in seiner Scheide locker an der Hüfte baumelnd, den Stab immer noch kampfbereit in der linken Hand. Er hatte ihn während des ganzen Gespräches kampfbereit gehalten, und von nun an würde er diese Haltung auch nicht mehr ändern. Bry hielt das unnatürlich zeitlose Gesicht vollständig hinter der langen Kapuze seines Umhanges verborgen und ging mit eleganten, leichten Schritten einige Meter hinter der Gruppe her, zur Stadt hinaus.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
der

text könnte mich neugierig machen, wenn er nicht so viele tippfehler hätte. warum schreibst du substantive klein?
lg
 

Cora Horn

Mitglied
hallo flammarion

ich bin ein ungeduldiger schreiber; meistens geht mir das tippen nicht schnell genug, deshalb schreibe ich in erstfassungen meistens alles klein.und dann geht es mir erstmal um den inhalt - die optik kommt später. Tut mir leid, dass dich das beim lesen gestört hat.
Ist dir vielleicht noch etwas anderes aufgefallen, das dir nicht gefällt: Einführung der figuren, Beschreibungen zu detailliert oder zu ungenau, Erklärungen undeutlich oder überflüssig, andeutungen schlecht etc.?

danke für´s Lesen!

Cora
 



 
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