Romanfiguren?

SCHNEPF

Mitglied
Charaktere

Hallo Brana,

dein Problem finde ich interessant und ich will einmal ganz allgemein gehalten – da ich den Stoff deines Romans nicht kenne - versuchen, einige Aspekte in die Diskussion zu werfen.

Als Autor will man dem Leser etwas nahe bringen, ein Ereignis, eine bestimmte Situation und dazu braucht man unterschiedliche Figuren, mit Ausprägungen, die der Handlung gerecht werden. Man sollte nicht zuerst die Figuren konstruieren, sondern sich zuerst über die Handlung vom Anfang bis zum Ende im Reinen sein. Lässt man die Figuren in der Handlung agieren, offenbaren sie ihre Charaktere wie von selbst. Dem Autor fällt dabei die Aufgabe zu, die einzelnen Wesenszüge der handelnden Personen herauszuarbeiten und sie dem Leser nahe zu bringen. Dabei kann er – und er wird dies tun - die Charakterzüge, auf die es ihm ankommt, überspitzt darstellen.

Aber Vorsicht: Es gibt nicht den nur guten und den nur schlechten Charakter. Man muss sich vor Schwarz-Weiß-Malerei hüten. Auch der Schurke hat gute Seiten und der Heilige auch seine schwachen. Soll ein Roman wirklichkeitsnah sein, ist dies zu berücksichtigen.

Man darf die Charaktere seiner Figuren auch nicht überladen. Sie sollen einfach, für den Leser überschaubar und nachvollziehbar sein. Es kann nicht einer alle guten oder alle schlechten Eigenschaften haben und er kann diese schon gar nicht wechseln wie das Hemd..

Haben sich die Charaktere der Figuren erst einmal herauskristallisiert und sich der Leser auf diese eingeschossen, muss es danach triftige Gründe geben, diese zu ändern. Diese Gründe müssen aus der Handlung heraus dem Leser plausibel dargestellt werden. Der Held der Handlung kann zwar seine Mitstreiter im Roman über seinen wahren Charakter täuschen - und die Spannung der Handlung kann sich daraus ergeben, ob ihm das gelingt - , aber nicht den Leser. Der weiß Bescheid. Dafür muss der Autor sorgen. Beispiel: Der Leser kennt den schlechten Charakter des Heiratsschwindlers, das momentane Opfer jedoch (noch) nicht.

Wenn man sich um die Charaktere seiner Figuren Gedanken macht, dann muss man sich über die Motivlage der handelnden Personen im Klaren sein, was wieder heißt, man muss die Handlung im Griff haben. Handeln sie aus Liebe, Hass, Rache, Habgier oder Eifersucht? Wie handeln sie dabei: normativ, (zweck)rational, affektiv, emotional? Das Bild, das vom Handelnden gemalt wird, muß das wiedergeben.

Anders ist die Situation, wenn man eine historische Figur zum Helden seines Romans macht. Da ist man nicht mehr frei in seiner Wahl. Da wird man um eine gründliche Charakterstudie nicht herum kommen. Das gilt natürlich für alle anderen vorkommenden Figuren auch. Und in so einem Fall ist es auch die Regel, dass die Handlung den Werdegang des Helden oder der Heldin beschreibt (etwa: „König Ottokars Glück und Ende“). Die Spannung liegt dann nicht in der Frage, wie geht die Handlung aus. Das Ende ist bekannt. Wer Stefan Zweigs Marie Antoinette zu lesen beginnt, der weiß bereits, wie die Geschichte endet. Aber er erlebt spannend mit, wie sich der Charakter der Heldin verändert. Die Antoinette, die im Karren zur Hinrichtung gefahren wird, ist nicht mehr die, die dereinst gesagt haben soll: „Wenn die Leute kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen essen!“

Und noch etwas: Bei vielen Handlungen gibt es eine Nebenhandlung. Infolgedessen gibt es Träger der Hauptrolle und Träger der Nebenrolle. Die Nebenhandlung ist immer die weniger tragische. Dies muss sich auch in den Charakteren der Träger der Nebenrollen ausdrücken. Die Charaktere der Nebenhandlung kontrastieren die der Hauptrolle. Mit ihnen zeigt der Autor, dass man durchaus auch durch anderes Verhalten und mit einer anderen Einstellung sein Ziel erreichen kann. Die Komtesse Stasi hat mit ihrer Liebe viel weniger Probleme als die Csardasfürstin und Papagena und Papageno kommen in der Zauberflöte mit ihrer Wesensart viel leichter über die Runden als Pamina und Tamino.

Für die Festlegung der Charaktere gibt es leider kein wirkliches Kochrezept oder Strickmuster. Ich hoffe aber, es ist mir gelungen, die Dinge aufzuzeigen, worauf es ankommt und worauf man achten muss. Mein Rat: Schreib erst einmal richtig drauf los, lass die Figuren handeln, so wie sie handeln müssen, damit du deine Geschichte rüber bringst und besehe dir dann die Typen, die dabei heraus gekommen sind. Du wirst staunen!

Viel Spaß beim Schreiben wünscht
SCHNEPF
 

poppins

Mitglied
Hallo Brana,

also ich gehe so ein Projekt anders als Schnepf von den Figuren her an: ich habe eine grobe Idee für den Handlungsverlauf und über die beteiligten Personen, und kümmere mich dann erst einmal SEHR intensiv um die Figuren, die die Geschichte tragen sollen. Ich schreibe meinen Hauptpersonen richtige Biographien und Psychogramme – das ist auch äußerst hilfreich, wenn man nachher beim Roman immer wieder Details aus dem Vorleben der Personen einbringen kann, ohne sich zu verzetteln oder Widersprüchliches zu verbocken.

Das Biographieschreiben bewirkt außerdem, dass die Figuren durch ihre Geschichte ‚lebendig’ werden – richtige, echte Charaktere eben. Und wenn es sehr starke Charaktere sind, übernehmen die es ab einem bestimmten Punkt selbst, die Geschichte, den Roman zu erzählen ;).

Nebenbei: Woran erinnern wir uns vor allem bei guten Büchern? An die Personen vor allem! Die Handlung fesselt nur, wenn uns die agierenden Personen interessieren. Man denke nur einmal an z.B. Sherlock Holmes – ich habe ein genaues Bild von dieser Figur vor Augen, und von seinem Charakter, kann mich aber im Moment an keinen konkreten Plot erinnern ;) – na, liegt vielleicht an mir ...?
 

SCHNEPF

Mitglied
Romanfiguren: Charaktere oder Handlungskometenzen

Hallo poppins!

Endlich doch noch einer! Ich dachte schon zu diesem doch so hochinteressanten Thema gibt es gar keine Resonanz. Ich schreibe hier nun eigentlich nur wegen der Freude über diese Resonanz und weniger deshalb, um Gemeinsamkeiten oder Differenzen zwischen uns heraus zu stellen.

Ein Unterschied in unserer Meinung kann evtl. aus dem pragmatischen Rat, den ich Brana gegeben habe, abgeleitet werden. Aus meinen Ausführungen davor geht ja doch auch hervor, dass man sich mit dem „Charakter“ der handelnden Personen im einzelnen auseinandersetzen muss und um dies systematisch zu tun, ist dann wohl auch eine ordnende Methode unumgänglich.

Aber – by the way – zu etwas anderem in diesem Zusammenhang. Ich habe eigentlich erwartet, dass Widerspruch aus einem anderen Grunde kommt. Ich habe Charakter oben in „ “ gesetzt, weil ich mir nicht sicher bin, ob das der richtige Ausdruck ist, für das, worüber wir sprechen. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn man mir geschrieben hätte: “Du sagst zwar Charakter, aber schreiben tust du über etwas ganz anderes.“

Charakter ist zwar in aller Munde und jeder geht wohl auch davon aus, zu wissen, was das ist. Man weiß ja schließlich was ein Charakterdarsteller ist – oder etwa nicht? Man spricht davon, das jemand charakterfest ist. Wenn man sagt, jemand hat Charakter, dann unterstellt man dabei stillschweigend, das er einen guten Charakter hat. Aber auch jemand mit schlechtem Charakter hat schließlich Charakter, halt einen schlechten.

Was heißt Charakter? Gibt es wirklich mehr als zwei Charaktere: Mehr als einen guten und einen schlechten? Oder was meinen wir wirklich, wenn wir mehrere Spielarten unterstellen?
Wovon reden wir eigentlich?

Bourdieu spricht vom Habitus des Menschen. Kurz gesagt, er umreißt mit diesem Begriff u. a. das, was ein Individuum in seinem Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata ausmacht.

Was den Menschen ausmacht ist das Ergebnis seiner Sozialisation. Auf deinen Hinweis, die Biographie der Romanhelden zu entwickeln, sei hier zurückverwiesen. Marx kann man hierzu auf die Formel reduzieren: Die Dinge bestimmen unser Bewusstsein.

In anderen Gesellschaftstheorien wird darauf verwiesen, dass die Strukturen in denen wir Leben unser Handeln bedingen, dass wir aber auf Grund unseres Handeln wiederum die Strukturen verändern, die dann wieder das Handeln beeinflussen usw. Hier wird auf einen sehr dynamischen Prozess verwiesen, was es wiederum fraglich erscheinen lässt, ob es der Wirklichkeit entspricht, den „Charakter“ vorneweg festzulegen.

Ob es wirklich möglich ist, den Charakter des anderen zu erkennen ist strittig. Mead spricht davon, dass wir uns selbst nur an der Reflexion an anderen erkennen. Und das gilt auch für jeden anderen „Anderen“. Indem wir Handeln, versetzen wir uns in die Position des Anderen und handeln in der Erwartungshaltung, dass der andere eine bestimmte Reaktion auf unser Handeln folgen lässt. Und in erster Näherung gehen wir davon aus, dass er so handeln wird wie wir es an seiner Stelle auch tun würden. Menschen können in diesem Perspektivewechsel das Handeln des Anderen vorwegnehmen. Diese Eigenschaften muss man wohl auch den Romanhelden zugestehen und wenn man ihnen auch einen „festen Charakter“ von Anfang bis zum Ende - einen guten oder schlechten - zugesteht, so wird doch ihr Verhalten jeweils der Situation angemessen sein, das heißt auch vom jeweiligen Handeln der anderen.

Um den Anderen zu verstehen, müssen wir sein Handeln in uns selbst wiedererkennen können. Um dies bewerkstelligen zu können schreibt Mead uns drei Facetten zu: Das „I“, das spontane, kreative Ich, das „Me“, das „soziale „Selbst“, in dem sich das Umfeld (Bezugspersonen, Gruppen) niederschlägt und das „Self“, in dem sich die eigene Identität verbirgt.

Mead fragt in diesem Zusammenhang auch nicht nach Charakter, sondern was die Identität des Menschen ausmacht und wie weit sie erkennbar ist.

Im Leben wie im Roman werden die Akteure in der oben erwähnten Struktur an einen bestimmten Platz gestellt und müssen die Rolle übernehmen, die diesem Platz entspricht. Wie nun einer diese Rolle annimmt - freudig oder mit Widerwillen - ist in ihm verankert. Wie er dann aber tatsächlich handelt, wie er sich entscheidet, hängt von vielen Faktoren ab. Vielfach handeln wir fremdbestimmt und gar nicht so wie wir gerne möchten, nämlich gar nicht so wie es uns unserem „Charakter“ eigentlich entspräche.

Dies kommt vor allem daher, weil wir mehrere Rollen am „Buckel“ haben. Da ist einer Politiker, Vorstandsmitglied im Sportverein, Firmenbesitzer, Vater, Ehemann, Angler usw. zugleich. Da kommt es nicht selten zu Rollenkonflikten. In dem wir in eienr Rolle „charakterkonform“ handeln, verstoßen wir in eineranderen Rolle gegen ihn. Diese Konflikte muss das Individuum nach außen mit den anderen und nach innen mit sich selbst austragen. Diese Konflikte sind der Stoff, aus dem Romane sind. Im Roman wie im täglichen Leben ringt der Held um die Bewältigung dieser Konflikte.

Zur Bewältigung seiner Probleme stehen ihm dabei verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Aber die Auswahl ist nicht groß. Folgt man auch hier wieder einer Gesellschaftstheorie gibt es vier Möglichkeiten, sogenannte vier Akteurmodelle (ohne scharfe Abgrenzungen):
Normorientiertes Handeln: an sozialen Normen orientiertes Handeln. „Alles was Recht ist.“
Nutzenmaximiertes Handeln: am eigenen Nutzen orientiertes Handeln.
Emotionales Handeln: Handeln auf Grund von Neid, Hass, Wut, Liebe, Freude. Identitätsorientiertes Handeln: Handelnder will die eigene Identität darstellen und sozial bestätigt bekommen: z. B. Kriegsdienstverweigerer, Punk in der Szene Gleichgesinnter usw.

Es geht also immer um des Handeln der Individuen. Denn nur dieses können wir beobachten und uns unseren Reim darüber machen. Den Charakter – was immer das nun auch sein soll – des Helden werden wir so nicht objektiv ergründen können. Was wir von einem Menschen halten, wird eine rein subjektive Auffassung von ihm bleiben. Wie oft müssen wir erfahren, dass jemand ganz anders gehandelt hat, als wir das von ihm erwartet haben und seien wir ehrlich, wie oft handeln wir in einer Weise, wie wir es so von uns bis dahin nicht gedacht hatten. Das eigene Ich, das unbekannte Wesen! Wie wollen wir da den Charakter eines anderen kennen und uns an diesen erinnern können? Wohl nur daran, wie er in bestimmten Situationen gehandelt hat: Wir können dies als gut und nachahmenswert gefunden haben oder als schlecht und verwerflich. Das ist uns wohl im Gedächtnis geblieben; aber eben nur das.

Bei den Romanhelden handelt es sich entweder um Rekonstruktionen bei historischen Helden oder um Konstruktionen bei erfundenen. Was wir diesen Helden mit auf den Weg geben, sind – alles bisherige zusammengenommen – keine Charaktere, sondern Handlungskompetenzen mit denen sie die ihnen zugedachten Aufgaben lösen sollen. Der Edelmann wird hier vielleicht mehr von der normativen Ecke mitbekommen und der Schurke mehr von der zweckorientierten (und dabei befinden wir uns auch gleich ganz nahe der Ecke wo Max Webers Idealtypen rumstehen). Um ihr Handeln aber verstehen zu können, darf es uns nicht fremd sein; es muss ein Teil von uns ein. Es wird auf alle Fälle ein Teil des Autors sein. Deshalb erscheinen gerade historische Figur von Autor zu Autor in einem anderen Licht. Und wie unterschiedlich das bewertet wird, was Menschen tun, erleben wir heute leider fast tagtäglich heunah: Für die einen sind es Märtyrer, Helden, die besten von ihnen, für die anderen sind es Terroristen und Mörder. Und genauso unterschiedlich wird ihre „Charakterisierung“ in Romanen ausfallen, abhängig davon, welche Seite ihn schreibt. Welchen „Charakter“ hat nun ein Mensch, ein Romanheld wirklich? Oder besitzt er doch „nur“ Handlungskompetenzen, angepasst der Situation, in derer sich befindet und der Rolle, die er gerade spielt?

Ach da fällt es mir wieder ein: Man hat mir mal geraten, ich sollte einmal Goffman lesen: „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag“. Das Buch soll gut sein. Ich gebe den Tipp hier einmal unkommentiert weiter. Ich kenne die Rezensionen.

Man kann nun sagen: Grau ist alle Theorie. Einverstanden. Aber schließlich sind wir hier ja in der theoretischen Ecke. Und ich muss da immer an Umberto Eco denken. Der ist ja nicht bloß eine begnadeter Autor, sondern ein ebenso anerkannter Professor, u. a. auch der Soziologie. Der kennt all die hier nur plakativ eingebrachten Theorien und noch viele andere mehr aus dem Effeff. Er setzt ganz ohne Zweifel in seinen Werken diese Theorien um. Man sagt nicht umsonst, ein guter Schriftsteller ist auch ein guter Soziologe und - wie man sieht - auch ein guter Soziologe ein guter Schriftsteller. Wir können uns daher getrost eine Scheibe abschneiden: Vom Eco und von der Soziologie, meint
SCHNEPF.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Mal ein ganz praktischer Tipp:
Nachdem du dir dem bisher Gesagten folgend (2) die Charaktere (1) entworfen hast, solltest du selbst beim Schreiben wie eine Kamera sein: Sage nicht (nur), was passiert, sondern sieh den Figuren zu, die handeln. Lass den Film vor deinem inneren Auge ablaufen – so ungefähr, als würdest du zum dritten Mal den selben Streiufen sehen: Du weißt was passiert, deine Aufmerksamkeit gilt also ganz dem, wie die Personen agieren…


(1) Natürlich sind es Charaktere – zumindest die Hauptfiguren und wenn man als Autor nicht ganz versagt. Zwar mag die Figur (des Wilhelm Tell meintewegen) in einem anderen Roman einen anderen Charakter haben, weil der Autor einen anderen Charakter hat und andere Werte heranzieht, aber in deinem Buch ist es deine Figur mit dem von dir hineingelegten Charakter.

(2)…oder „einfach“ schon vorhande Figuren / existierende Leute nehmend, die du interessant findest, und sie den Erfordernissen deiner Geschichte anpassend…


PS: Dass ein guter Schriftsteller ein nicht gerade lausiger Soziologe ist, da geh ich noch mit, aber ein guter Soziologe muss noch lange kein guter Schriftsteller sein – um dies zu sein, muss er dazu noch ein guter Stilistiker, ein guter Erzähler und mit einer gewissen Genügsamkeit (was das Verhältnis von Aufwand und Lohn angeht) ausgestattet sein. Mindestens.
 

SCHNEPF

Mitglied
Romanfiguren

Hallo jon,

wo ist das Problem? Nicht bei mir. Brana hat gefragt, wie man Romanfiguren anlegt. Mein Rat am Ende meines ersten Beitrages ist in etwa so gemeint, wie auch du es vorschlägst. Die Handlung „laufen“ lassen, den Akteuren dabei gewissermaßen zuschauen. Poppins hat das insofern kritisiert, als er einen anderen Vorschlag machte. Dabei liegt er doch auch auf dieser Linie: „Und wenn es sehr starke Charaktere sind, übernehmen die es ab einem bestimmten Punkt selbst, die Geschichte, den Roman zu erzählen.“ Der Autor hat also nur noch zu schreiben.

Mir liegt hier nicht daran, eine Diskussion zu führen, ob es richtig ist in diesem Zusammenhang (nur) von Charakteren zu sprechen oder nicht. Ich habe gar kein Problem damit die spezielle Eigenart eines Menschen als seinen Charakter zu verstehen, was ja auch die allgemeine Lesart ist. Ich hege nur Zweifel daran, ob damit alles gesagt ist, ob damit allein menschliches Handeln, das Handeln der Romanfiguren erklärbar ist, ob alles auf seinem Charakter abgelagert werden kann. Kann man den Begriff so breit anlegen? Wenn man sagt: „Natürlich ist das so ... “ zeugt das zwar davon, dass man selbst davon fest überzeugt ist; einem anderen erklärt hat man es damit aber noch nicht.

Im allgemeinen wirft man Soziologen vor, dass sie viel (viel zu viel) schreiben. Man sagt, man tut das gerne, was man gut kann. Eco speziell ist da trotzdem eine Ausnahme. Ich glaube er ist mehr bekannt als Autor denn als Professor. Nicht zu vergessen ist da auch Ulrich Beck. Ihn sollen – habe ich gehört – seine Berufskollegen vorgeworfen haben, dass er sich zu unwissenschaftlich ausdrückt. Er schreibt nämlich so, dass ihn die Leute verstehen. Das kann man leider nicht allen Soziologen nachsagen.

Dass wir nicht in die Schlussworte des „Literarischen Quartetts“ einstimmen müssen: „ ... und sehen wir betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen“, hofft
SCHNEPF.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Autsch, wo kommt denn diese Watsche her…

Dass es gute Schriftsteller unter den Soziologen gibt heißt noch lange nicht, dass alle guten Soziologen zwangsläufig gute Schriftseller gibt – sowenig wie die Tatsache, dass Einstein Geige spielte beweist, dass alle klug-kreativen Leute Geige spielen… Aber weder Soziologen noch Physiker sind mein Thema – mir ging es bei dem Einwurf nur darum, die (Sprach)Logik zu beachten.

Was den Tipp angeht: Es ist schon in eine etwas andere Nuance in dem, den ich gegeben habe. Während du vorschlägst, erstmal zu schreiben und zu sehen, was passiert (was ich auch empfehle), habe ich (außerdem) vorgeschlagen, sich dabei bewusst auf die Personen zu konzentrieren. Denn so wie ich die Frage verstanden habe, fragte Brana nicht, wie man die Figuren anlegt, sondern wie man sie "lebendig" schreibt – wobei das Letztere vom Ersteren zwar abhängt, aber nicht eben doch noch was anderes ist. (Oder wie der Mathematiker sagen würde: Das Anlegen/Konzipieren der Figuren ist notwendig aber nicht hinreichend für "lebendige" Figuren im Roman.)

Die meisten "flachen Geschichten" entstehen meines Erachtens dadurch, dass der Schreiber sich auf den Plot konzentriert. Das bewirkt, dass das Potential, das man (eventuell) durch den Vorabentwurf der Charaktere geschaffen hat, nicht genutzt wird – man denkt dann (ausschließlich) nach dem Schema „Was muss der Typen sagen/machen, damit die Story weitergeht und/oder damit der Leser alle nötigen Hintergrund-Infos bekommt." Das mag bei einer Kurzgeschichte noch sehr gut gutgehen, bei einer Erzählung gerade noch funktionieren – bei einem Roman geht das nach hinten los. Im Übrigen würde bei diesem Vorgehen auch nie passieren, dass die Figuren die "Kontrolle" übernehmen, was einen der faszinierendsten Aspekte des Schreibens ausschließen würde…
 

SCHNEPF

Mitglied
Romanfiguren

Hallo jon,

deine Antwort habe ich mit Freuden gelesen – mir war nämlich schon einwenig die Freude am Diskutieren vergangen – aber wie heißt es so schön in Wien: „Mir wern sich net streiten; mir wern sich einigen.“ Und auch vertragen.

Ich dachte auch, arme Brana, alle Klarheiten nun restlos beseitigt? Dabei habe ich mir nochmals ihre Zeilen gelesen und dabei gestern – vielleicht gleichzeitig mit dir – mir nochmals das vergegenwärtigt, was du angesprochen hast. Mea culpa dass ich auf ihr Anliegen nicht spezieller eingegangen bin.

Ja, leider ... heute geht es vielfach nur um Action. Da fliegen in den Fernsehfilmen überall nur die Fetzen, alles explodiert, es kracht und brennt. Der Mensch ist da nicht mehr so wichtig. Liegt am Zeitgeist. Eco – ich darf doch noch mal? – hat sich ja über diesen in „Apokalyptiker und Integrierte“ schon ausgelassen. Aber wir können uns trösten, denn „wir beide, du und ich, - die einzigen die verstanden haben und gerettet sind; die einzigen die nicht Masse sind“.

Da fällt mir noch einer ein – den darf ich doch bestimmt noch; war ja ein Berufskollege von dir: Robert Ezra Park. Der machte alles von der Gerichtsreportage über Lokalberichte bis zu Theaterkritiken – vornehmlich in Chikago („Why go to the North Pole or climb Everest for adventure when we have Chicago?“). Und dieser exzellente Zeitungsmann fand über seinen Beruf zu seiner Berufung: Er wurde ein anerkannter Soziologe.

Aber ich will mich hier wirklich nicht weiter über die schriftstellerischen Fähigkeiten von Soziologen auslassen. Es gibt auch in anderen Bereichen Leute, die gut schreiben und leider – wie überall - auch solche, die es nicht können. Ich will das auch schon deshalb nicht weiter auswalzen, weil wir ja Textarbeit machen sollen. Sonst droht von anderer Seite Ärger.

Ich habe das nun nicht geschrieben um evtl. das letztre Wort haben. Das wäre nicht meine Welt. Ich will es dir überlassen. Schön wär’s ja auch, wenn es von Brana käme. Oder denkt sie sich schon lange: „Da streiten se de Leit herum ... am End weiß kana nix!“

So, Freunde, das war’s von mir und „blase meinen Hobl aus und sage euch ade“.

SCHNEPF
 



 
Oben Unten