Rosebath /oder Der Junge mit dem grünen Samtshirt

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Mutter stand vor der Spüle und pellte ein hartgekochtes Ei. Die Schale zerdrückte sie immer gleich zwischen den Fingern und ließ sie dann zu kleinen Krümeln in das Waschbecken fallen. Sie liebte das Geräusch der zerbrechenden Eierschale. Zu mir sagte sie mal, falls mein Gehirn eines Tages zerplatzen sollte, höre sich das genauso an. Dann pellte sie weiter, zerbröselte die Schalen mit den Fingern. Wenn man Pech hatte, knirschte es später beim Essen zwischen den Zähnen. Dann hatte sie ein Stück der Schale übersehen und es war zu spät, man hatte es bereits mitgegessen. Ein kleines Schälchen, eine Überdosis Calcium, sagte sie. Das könne nie schaden. Aber mir jagte das Knirschen zwischen den Zähnen eine Gänsehaut über den Leib. Ich muss ein empfindsames Kind gewesen sein.

»Ich war der Junge mit dem grünen Samtshirt, der dort,« sagte ich und tippte auf das Foto. Mein Finger hinterließ einen tauben Fleck auf meinem Kindergesicht, der gleich wieder kleiner wurde und verschwand. Doch mein Gesicht blieb da, blieb das selbe.
»Du siehst glücklich aus.« Der Qualm meiner Zigarette stieg empor, und wie ich das Streichholz ausschüttelte, verteilte er sich im halben Raum. Dann sah ich noch ein Mal auf das Foto.
»Die Schule hatte gerade wieder angefangen. Es war an einem Samstag, und die Samstage mochte ich immer. Die Schule mochte ich auch.«
»Und wer ist das da? Das Mädchen neben Dir?«
»Das war meine Schwester. Lara.«
»Wieso war?«
»Heut sieht sie ganz anders aus. Hat sich sehr verändert. Lara Sahara haben sie sie in der Schule immer gehänselt. Weil sie so blass war angeblich, aber ich glaube eher weil es sich gereimt hat. Oder wissen Sie was menschliche Blässe mit der Sahara zu tun haben soll?«
»Vielleicht weil der Sand dort so weiß ist?«
»Ist er das? Waren sie schon mal in der Sahara?«
»Nein. War ich nicht.«
»Ich auch nicht. Aber ich hab sie auch mal so genannt, nur zum Spaß.« Ich zog an der Zigarette, ohne dabei die Hand auch nur ein Stück vom Mund zu nehmen. Ich mag es, so zu rauchen wie die Ermittler in alten Kriminalfilmen. »Sie hat mir eine gescheuert.«
»Hat sie das mit denen, die das in der Schule gesagt haben auch gemacht?«
»Nein. Nur mit mir. Das hat sie nur mit mir gemacht. Manchmal war ihr Leben so traurig, dass sie weinen musste. Und manchmal war es gar so traurig, dass auch ich in Tränen ausbrechen musste, weil sie mich verprügelt hat.«
»Du meinst ihr habt euch geprügelt?«
»Nein. Sie hat mich verprügelt. Regelrecht verdroschen hat sie mich.«
»Und was haben eure Eltern dazu gesagt?«
»Sie meinen Mutter. Die hat nichts gesagt. Die hat gar nichts gesagt. Die hat sich nur über den Lärm beschwert. Und wenn wir dann still waren, war das erste Geräusch das Klacken der Flasche. Kennen Sie das, wenn man so eine Flasche aufschraubt, dieses Geräusch?«
»Ja, ich weiß was Du meinst.«
»Nein, Sie wissen nicht was ich meine. Ich meine dieses hohle, metallene Schraubgeräusch einer Schnapsflasche.«
»Eure Mutter hat getrunken?«
»Getrunken? Ich weiß nicht ob man das noch trinken nennen kann. Sie hat geschluckt, die Flasche an den Mund genommen und geschluckt. Mir wurde jedes Mal schlecht, wenn sie mir einen Gutenachtkuss geben wollte. Aber das kam ohnehin nicht sehr oft vor.«
»Ihr ward von Anfang an allein? Mit eurer Mutter, meine ich.«
»Ja. Ich hatte irgendwann die Vorstellung, Mutter hätte unseren Vater verlegt, ihn irgendwie verloren. Sie hat ständig alles mögliche verlegt oder verloren. Am seltensten ihre eigenen Sachen, sondern immer die von anderen. Vor allem meine. Erst wollte sie mir bei den Hausaufgaben helfen, am nächsten Morgen hatte sie das Heft verlegt. Nachmittags war es wieder da, aber die in der Schule hatten mir kein Wort davon geglaubt.«
»Hat sie es denn vor Deinen Lehrern nicht richtig gestellt?«
»Nein. Dazu hätte ihr der Mut gefehlt. Es hat ihr an vielem gefehlt, aber vor allem an Mut, glaube ich. Bedauerlich, nicht?«
»Ja.« Und sie nickte, während ich Augenblicke lang vor mich her starrte.
»Meine Schwester war so blass, und hatte so empfindliche Haut, dass sie sich meistens sogar von Wasser fernhielt. Als Kind hat sie oft ein bisschen gestunken, was meine Mutter nie gestört hat. Mich schon, denn wenn sie mich verprügelte, musste ich oft an ihr riechen. Doch irgendwann kam sie in dieses Alter, Sie wissen schon, dieses Alter wo Mädchen nicht gern stinken.«
»Du meinst ...«
»Nein, das meine ich nicht«, unterbrach ich sie. »Ich meine, als sie anfing den Jungs hinterher zu sehen und so. Da begann die Zeit des Wohlgeruchs. Und wissen Sie was sie ein Mal gemacht hat, als ihre Haut gerade so besonders empfindlich war und sie trotzdem gut riechen wollte?«
»Nein. Was?«
»Ich glaube sie hatte eine Verabredung mit einem der Jungs, denen sie sonst immer nur nachgesehen hat. Und da hat sie für gebadet, aber nicht in Wasser, sondern in etwas Milch und etwas Öl und einem riesigen Haufen von Rosenblüten. Sie hat – Entschuldigung«, ich musste lachen, doch sie winkte nur ab, »sie hat vom Nachbarn, dem Rosenstrauch des Nachbarn, alle Blätter abgepflückt. Hier draußen, direkt hinter dem Haus. Ich kann ihnen die Stelle zeigen.«
»Später vielleicht.«
Ich nahm einen tiefen Zug von der Zigarette.
»Ihr Rosenbad, ja. Das roch himmlisch.«
»Warst Du denn etwa dabei?«
»Ja. Ich hab sie heimlich beobachtet. Als sie es später raus bekam, hat sie mich wieder dafür verdroschen. Aber das war mir egal. Denn es roch himmlisch. Und sie sah richtig schön aus in ihrem Rosenbad. Richtig schön, wissen Sie. Dabei hätte ich sonst nie so über meine Schwester gedacht, weil sie mich ja auch immer verprügelt hat und so weiter. Aber da sah sie schön aus, in ihrem Rosenbad. Mögen sie Rosen?«
»Ja. Sehr.« Sie nickte, ganz sanft, beinahe mitfühlend.
»Ich auch. Aber was ich an Rosen nie verstanden hab, ist weshalb sie so schön sind und gleichzeitig so schmerzhaft, solche stechenden Dornen haben. Das ist mit allem Schönen so, nicht? Alles was schön ist im Leben tut weh. Und ich bin noch nicht dahinter gekommen, ob es nun wehtun muss, damit es schön bleibt, oder ob es vielleicht nur schön ist, weil es wehtut.«
Ich blickte über meine Schulter quer durch den Raum, hinüber ins Wohnzimmer, wo die Männer auf die Terrasse traten. Das Licht war herbstlich mild und die Bäume darin voller goldroter Blätter. Aber wie ich so dorthin sah, hatte ich aufgehört an die Frau neben mir auch nur zu denken. Und als ich mich wieder zu ihr wandte, hatte sie das längst bemerkt und schaute mich abwartend an.
»Wo ist Deine Schwester jetzt?« fragte sie mich.
»Ich weiß es nicht. Sie wird wohl bei der Arbeit sein, nehme ich an.«
»Kann man sie telefonisch erreichen?«
»Ja, aber wozu?« Ich legte das Abgeglühte der Zigarette ganz sacht in den Aschenbecher.
»Meinst Du nicht, dass wir sie informieren sollten?«
»Nein. Ich werd’ ihr schon sagen was passiert ist, und vielleicht kommt sie dann auch bald mal vorbei.«
»Heißt das, Du willst allein hier bleiben?«
»Nein. Oder doch? Was meinen Sie? Vielleicht ist es nicht gut.«
»Ich denke nicht, dass es gut ist wenn Du jetzt allein hier bleibst.« Die Tür im Wohnzimmer schlug und lenkte die Frau ab. Als ich mich selbst dort herum drehte, war sie jedoch wieder zu und ich sah nur noch die Rücken der Männer, die gewiss den schwarzen Sack hinaus schafften. Dann sah ich die Frau wieder an.
»Wissen Sie was mich gewundert hat?« Sie hob den Kopf. »Ich war doch dabei als es passiert ist, ich meine wie sie umgefallen ist. Da stand ich daneben.« Plötzlich wurden die Augen der Frau immer größer und sie setzte sich wieder gerade auf. »Und als ihr Kopf auf die Kaminkante schlug, als also ihr Schädel, ihr Gehirn zerplatzte, da gab es nur so ein ganz dumpfes Geräusch. Das hörte sich kein bisschen an wie das Zerbrechen einer Eierschale.« Die Frau starrte mich noch immer an.
»Du warst dabei?«
»Ja. Sie streckte ihre Hand nach mir aus. Aber ich – ich weiß nicht, mir war so schlecht. Dass sie mich anfassen wollte, das war als ob sie mir einen Kuss geben wollte. Da wurde mir schlecht. Und ich wollte das nicht. Soll ich Ihnen mal die Nummer meiner Schwester raussuchen?«
 

wondering

Mitglied
Dialog

Hallo David,

fantastisch, wie lebendig du die Geschichte im Dialog geschrieben hast! Das ist nicht so einfach und es ist dir gut gelungen. Es hätte mich noch interessiert, wie alt der Junge/Mann ist.. seine Sprache, sein Denken ist recht kindlich...wahrscheinlich aber eher zurückgeblieben, oder?

"Der Qualm meiner Zigarette stieg empor, und wie ich das Streichholz ausschüttelte, verteilte er sich im halben Raum."
Dies ist der einzige Satz, der mir nicht ganz klar ist...bzw. der ein wenig umständlich ausgedrückt ist. Sonst gibt es für mich nichts zu meckern.
Eine ergreifende und super wiedergegebene Geschichte!
Gruß
wondering
 

Zefira

Mitglied
Es müßte wohl heißen: "als ich das Streichholz ausschüttelte ..."
Ach ja, und:
>>Ihr ward von Anfang an allein? Mit eurer Mutter, meine ich.<<
... müßte heißen: wart allein. "ward" ist Futur (er ward an einen Baum gehängt :D )

Feine Geschichte, Glückwunsch!
Zefira
 
mit bestem Dank.
Dem "wart" stimme ich zu - da hat sich meine Grammatikschwäche mal wieder bemerkbar gemacht.
Wenn ich den Satz mit dem Qualm so einzeln lese, stört mich daran am ehesten der halbe Raum. Das "wie" hingegen würde ich als induviduelle Redensart dem "als" nachwievor vorziehen.
Achso, und zum Zurückgeblieben sein: Über das genaue Alter des jungen Mannes liegen mir keine Informationen vor, aber er hatte in der Tat zumindest einen leicht verstörten Tonfall an sich. Wer weiß in welche Welt er sich zurückgezogen hat, bei der Kindheit.
 



 
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