Rüpel mit Blut

Jens Rohrer

Mitglied
"The finnish are rude." Das war wohl das wichtigste und wissenswerteste, was man also über die Finnen wissen musste. Schließlich war es das Erste, was uns die junge Dame, die uns das Zimmer in Helsinki vermietete, mitteilte. Als zweites eröffnete sie uns, das sie finnisch für eine völlig bekloppte Sprache hielte, und sie es wohl kaum gelernt hätte, wenn es nicht nun mal ihre Muttersprache wäre. Sie legte uns noch die besten Bars und Restaurants ans Herz und beschrieb uns den Weg zum Supermarkt, dann war die Dame auch schon verschwunden.
Ich bin natürlich jemand, der in einem Volk, dessen Land er bereist, grundsätzlich nur das Beste sieht. Ich war mir sicher, man würde mir zuvorkommend begegnen und was die Sprache betrifft, diese empfand ich als interessant, wenn nicht sogar putzig. Der Enthusiasmus, mit dem der Finne Umlaute in die Sprache wirft, beeindruckte mich außerordentlich. Solchen Wagemut würde höchstens ein Kleinkind an den Tag legen, das eine eigene Sprache entwirft. Was! Erst ein ä in diesem Wort? Da müssen aber noch drei bis vier hinein!
Dies sprachliche Draufgängertum wirft aber auch Probleme auf. Der Supermarkt stellte mich und meine Begleiterin ob unserer Unfähigkeit, aus den Etiketten vertraute Sprachfetzen abzuleiten, vor diverse Herausforderungen. Natürlich erkennt man ein Brot (leipä) sofort als solches, aber so manches war schwieriger zu erkennen und bot Spielraum für so manche Fehlinterpretation. So hielten wir die als "mämmi" etikettierte Ware ob ihrer braunen Färbung und ihrer Konsistenz für etwas dem Schokoladenpudding nicht unähnlichen. Dem Geschmack nach war es aber wohl mit Malz vermischter Schlamm. Das als Krapfen erkannte Gebäckstück enthielt statt der erhofften Marmelade ein Hackfleischfüllung, und dann war da noch die Packung, deren Inhalt wir als Schokoladentaler klassifizierten.
Danach beschlossen wir, uns bei einer Tasse Kaffee etwas zu erholen. Wir wählten einen hübschen, kleinen Tisch am Fenster eines Cafés. Als ich mit den zwei Tassen vom Tresen zurückkam, war meine Begleiterin schon in Kontakt mit einem Einheimischen getreten. Der Finne an einem der anderen Tische plärrte in ihre Richtung. Den schüchternen, auf englisch vorgebrachten Einwand, sie spräche seine Sprache leider nicht, ignorierte der wütende Mann, und schimpfte munter weiter. Sein Begleiter versuchte zwar hin und wieder, seinen aufgebrachten Freund zu beruhigen, scheiterte aber auf der ganzen Linie. Während wir schüchtern und etwas ängstlich an unserem Kaffee nippten, versuchte ich aus dem Geschrei etwas herauszufiltern. Immer wieder fiel das Wort "Yucca Palme", was mich zu der Annahme verleitete, das möglicherweise die neben uns stehende Yucca Palme gemeint sein könnte. Hatte meine Begleiterin etwas unsagbares mit der armen Pflanze, die sich hinter ihr befand, angestellt? "Hast du etwa an der Palme herumgerupft?", erkundigte ich mich. "Nein. Ich hab gar nichts gemacht. Hab sie nur beim hinsetzen ein bisschen gestreift. Aber möglicherweise haben wir uns in das Schaufenster gesetzt. Ich hab Angst, lass uns gehen." Wir standen auf und verließen das Lokal, während der Finne immer noch hinter uns her bellte. Diese unbedingte Liebe zu einem Ziergesträuch war mir nicht ganz geheuer. Möglicherweise war es auch nicht ganz einfach, solch exotische Pflanzen im kalten Norden am Leben zu erhalten. Und mir schwante langsam, das unsere Vermieterin nicht ganz unrecht haben könnte, was die Rüpelhaftigkeit der Einheimischen anbelangte.
Als wir später das Café abermals passierten, war der einzige Fenstertisch bereits so undekoriert worden, das sich keine ahnungslosen Gäste mehr dort platzieren konnten. Wir waren also entweder tatsächlich im Schaufenster gesessen, oder aber, der Palmen-Heini hatte ein Schutzgebiet für die Pflanze durchgesetzt.
Des Abends hatten wir einen kulinarischen Kulturaustausch mit unserer Gastgeberin vereinbart. Während uns Rentiereintopf kredenzt wurde hatten wir es geschafft, die Zutaten für einen Obatzden zusammenzusuchen, wobei ich etwas enttäuscht war, das sich in dem finnischen Wort für Kümmel (kumina) kein einziger Umlaut befand. Als Nachtisch präsentierten wir dann stolz unsere Packung mit den Schokoladentalern, die aufgrund ihres Preises wohl eine wahre Delikatesse sein mussten. Ob wir denn wüssten, was das sei, erkundigte sich die Dame etwas pikiert. Ich versuchte es mit einem schüchternen "Chocolate?", ahnte aber schon Ungemach auf uns zukommen. "This is blood." stellte sie fest. Aufgrund der Schockstarre, die der Hinweis bei uns aufgelöst hatte, erlaubte sie uns aber, nicht davon kosten zu müssen. Sie tat es im übrigen auch nicht. Deshalb war sie möglicherweise auch freundlich zu uns. Der Finne ist wohl deshalb oft so grantig, weil er so seltsame Nahrungsmittel zu sich nimmt.
Am nächsten Tag besuchten wir dann vor unserer Abreise nochmals eine Sauna. Da es für die Finnen eine gemischte Sauna eine Ungeheuerlichkeit ist, trennten sich unsere Wege. Ein Einheimischer hatte mir anderntags in der Schwitzanstalt ein wenig stotternd berichtet, wie er einmal in Deutschland eine Sauna besuchte, und dort hätten Männer und Frauen gemeinsam geschwitzt. Und alle nackt! "Das stelle sich mal einer vor!", rief er entrüstet aus. Nun unterscheidet sich das finnische saunen auch anderweitig von unseren Gewohnheiten. Man setzt sich nicht einer unveränderlichen, von vornherein definierten Temperatur aus, sondern regelt das selbst. Da steht dann ein mit heißen Steinen gefüllter Ofen in der Ecke, und wenn man es heißer haben will, steht man eben auf, nimmt einen Schöpflöffel mit einem langen Stil, taucht ihn in einen Eimer, schiebt ihn einem Pizzabäcker gleich in den Schacht und lässt das Wasser vorsichtig über die Steine laufen. Im Idealfall. Ich saß da also um neun Uhr morgens allein, gemütlich vor mich hin schwitzend, auf den Planken, als ein weiterer Gast die Tür aufstieß, das sie nur so gegen die unteren Stufen krachte. Verwundert drehte ich mich in Richtung des schmerbäuchigen, etwa fünfzigjährigen Mannes um und machte den Fehler, einzuatmen. Dieser roch in Etwa so wie zehn Matrosen, die man nach einem halben Jahr auf See versehentlich in einer Schnapsbrennerei eingesperrt hatte und gerade eben aus ihrem Verlies befreit hatte. Er nahm sich den Eimer, der der Aufgüsse wegen unter dem Wasserhahn postiert war, schnappte sich eine kleine Kelle ließ sich auf die Bank fallen, dass das Holz nur so krachte und stellte schwer schnaubend den vollen Eimer vor sich an. Gleich darauf erfuhr ich auch den Grund seines Verhaltens. Mein Schwitzkompagnon war wohl ob seines Zustandes nicht gewillt, der Aufgüsse wegen aufzustehen sondern drosch das Wasser einfach aus zwei Meter Entfernung Richtung Ofen. Ein Zischen vermeldete hierbei, das ein Teil des Wassers tatsächlich sein Ziel erreichte. Ein paar der Spritzer trafen allerdings jedes mal mich. Zu schüchtern, um mich zu äußern, zog ich es vor, meinem Nebenmann einen tadelnden Blick zuzuwerfen. Dieser wiederum legte weniger Zurückhaltung an den Tag, sondern begann mich nach einer Weile zu beschimpfen. Während sich Angstschweiß mit dem anderen Schweiß vermischte, ich aber nicht wagte, mich zu bewege um ihn nicht unnötig zu provozieren, sann ich darüber nach, womit ich mir dieses Mal Unmut zugezogen haben könnte. Schließlich war ich diesem Irren nackt und schutzlos ausgeliefert. Ich wies ihn darauf hin, ich wäre seiner Sprache nicht mächtig und er solle mir doch bitte mitteilen, was ihm missfiele. Vorzugsweise auf englisch. Doch dieser krakeelte weiter in der Sprache mit den vielen Umlauten auf mich ein. Nur das mir diese nun nicht mehr so putzig vorkam. Schlussendlich wurde mir gewahr, das ich schon seit mehreren Minuten nicht mehr mit eiskaltem Wasser beworfen worden war. Sein Eimer war leer. Ich beschloss, dass es das war, was mir der Grobian mir sagen wollte. Ich zog also den Eimer vorsichtig mit den Fingerspitzen zu mir herüber, trug ihn zum Wasserhahn und stellte das befüllte Gefäß wieder sachte vor dem Mann ab. Dieser grunzte, stellte das Plärren ein und schmiss erleichtert einen Schwall Wasser in die Ecke. Froh, überlebt zu haben, verließ ich gleich darauf die Sauna.
Als wir Stunden später in den Flughafenbus stiegen, erkannte ich meinen Schwitzgefährten wieder. Und auch die Angst kehrte zurück. Glücklicherweise jedoch hatte er wohl den Alkohol nun erfolgreich hinaustranspiriert und wir langten lebend am Flughafen an. Und die Finnair Mitarbeiterinnen dort waren letztlich dann auch freundlich zu uns, was die Vermutung nahelegt, das sich diese nicht von hackfleischgefüllten Krapfen und Bluttalern ernährten. Das alles klingt jetzt natürlich nach einer Warnung, bloß nie Finnland bereisen zu wollen. Es ist wirklich wunderbar da, mit all dem Schnee und dem Polarlicht und den vielen Seen. Da kann man dann auch in Kauf nehmen, sich hin und wieder anbrüllen zu lassen.
 



 
Oben Unten