Sag niemals nie

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Estrella

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Sag niemals nie
Ich hatte mich um halb zwei mit meiner Schwester zum Mittagessen in einer Pizzeria in der Innenstadt verabredet. Schon von weitem sah ich Dani am Eingang des Restaurants stehen. Ihr kugelrunder Schwangerschaftsbauch unter dem gelben Fleece-Sweatshirt ragte unübersehbar zwischen ihren offenen Mantelhälften hervor. Die Arme erwartete Zwillinge und man konnte förmlich zusehen, wie sie von Tag zu Tag mehr wurde. Ungeduldig trat sie von einem Fuß auf den anderen und rieb die Handflächen aneinander. Obwohl heute schon der erste April war, war es noch immer bitterkalt.
„Hallo Schwesterherz“, begrüßte ich sie und gab ihr einen dicken Schmatzer auf die Wange.
„Du hast aber schon wieder ganz schön zugelegt“, stellte ich fest, während ich mit der linken Hand zärtlich über ihren Bauch fuhr, und mit der Rechten die Eingangstür der Pizzeria aufzog.
„Findest du, Carina? Mir selber fällt das gar nicht so auf“, sagte sie und betrat das Restaurant.
„Obwohl ich das Theaterspielen in unserer Laiengruppe vorerst wohl vergessen kann. Im Moment kommen in unseren Stücken leider keine schwangeren Frauen vor.“

In der Pizzeria mussten wir zunächst einen Augenblick warten, da alle Tische besetzt waren. Doch wir hatten Glück, eine der Kellnerinnen winkte und deutete uns an, ihr nach oben in die erste Etage zu folgen. Sie führte uns an einen Tisch in einer hinteren Ecke, wo gerade ein Mann seiner Begleiterin ganz kavaliersmäßig in den Mantel half.
„Na diese schnelle Bedienung haben wir jetzt bestimmt deiner Figur zu verdanken.“ Ich deutete auf Danis vorstehenden Bauch und ließ mich auf einen Stuhl plumpsen.
„Ja, manchmal hat es eben Vorteile schwanger zu sein“, sagte sie, während sie ihren Schal abwickelte und hinter sich über die Lehne hing.
„Ich hätte aber auch nicht mehr lange auf meinen Füssen stehen können, immerhin bin ich schon zwei Stunden in der Stadt herumgelaufen.“ Sie entsorgte ihren gebrauchten Kaugummi im Aschenbecher.
„Na, wie viele Leute haben dich heute schon in den April geschickt?“ fragte sie und warf dabei einen Blick in die Speisekarte, welche die flinke Kellnerin bereits vor uns hingelegt hatte.
„Ach stimmt ja, heute ist der erste April.“ Den hatte ich natürlich wieder einmal vollkommen vergessen.
„Du, bei mir hat es bisher noch nie jemand geschafft.“ Nicht ohne Stolz klopfte ich mir auf die Schultern.
„So schnell legt mich keiner rein. Was essen wir denn, einen Salat vom Büfett?“
„O.k., aber ich bestelle mir danach noch eine Pizza und zwar die mit dem Käse im Rand, ich habe nämlich richtig Kohldampf."
„Denk an Dr. Hansens Ernährungsbroschüre“, neckte ich sie.
„Der nächste Vorsorgetermin kommt bestimmt.“
Dr. Hansen war der Frauenarzt meiner Schwester und hatte ihr bei der letzten Untersuchung einen langen Vortrag über gesunde Ernährung während der Schwangerschaft gehalten, da meine Schwester schon erheblich an Gewicht zugenommen hatte
„Ja, ja“, winkte Dani ab. „Ich habe aber trotzdem Hunger.“
„Sie sollen aber nicht für drei essen, sondern sich ausgewogen und vitaminreich ernähren“, imitierte ich den Arzt.
„Also, jetzt spiel hier nicht den Moralapostel“, rief Dani und warf mir ihre Serviette an den Kopf. Die Kellnerin bewahrte mich Gott sei Dank vor schlimmeren Verletzungen. Sie nahm unsere Bestellung auf und Dani verzog sich daraufhin sofort zum Salatbüfett. Sie kam mit einem riesigen Salatteller zurück. Meiner fiel natürlich erheblich bescheidener aus. Gerade als ich den ersten Bissen in den Mund stecken wollte, klingelte mein Handy. Wie immer dauerte es eine Zeitlang, bis ich es aus dem chaotischen Innenleben meiner Handtasche herausgefischt hatte. Ein kurzer Blick auf das Display sagte mir, dass es sich um eine unbekannte Nummer handelte.
„Hallo“, meldete ich mich. Eine aufgeregte Männerstimme bedachte mich mit einem sehr undeutlichen Wortschwall, der wohl so etwas wie: „ Das ist jetzt das letzte Mal, dass ich Sie anrufe, wenn die Lieferung heute nicht rausgeht, werde ich Ihre Firma verklagen“, bedeuten sollte.
„Jetzt aber mal langsam“, versuchte ich den aufgebrachten Menschen zu beruhigen, wen wollen Sie denn überhaupt sprechen?“
„Kommen Sie mir bloß nicht auf die Tour. Ich lasse mich nicht wieder von Ihnen abwimmeln“, schrie mir der Choleriker ins Ohr.
„Sie sollten sich mal eine Brille anschaffen, damit Sie auch sehen, was für eine Nummer sie eintippen. Vielleicht würden Sie dann nicht unschuldige Mitmenschen am Telefon anbrüllen,“ gab ich zurück und brach das Gespräch ab.
„Was war das denn für ein Idiot?“, wollte meine Schwester wissen.
„Den konnte man fast bis hierhin verstehen, so ein lautes Organ hatte der.“
„Ich weiß auch nicht, er scheint die falsche Nummer gewählt zu haben.“
Wir wandten uns wieder unseren Salattellern zu und erzählten uns alle Neuigkeiten, während wir mit geraspelten Möhren, Maiskörnern und sonstigem gesunden Grünzeug kämpften.

Ich hatte den unangenehmen Anrufer schon längst wieder vergessen, als mein Handy erneut klingelte.
„Warum müssen einen die Leute eigentlich immer beim Essen stören?“ murmelte ich mit vollem Mund und kaute eine Idee schneller, während ich das Telefon herausholte. Dabei hätte ich mich fast noch an einem Stück Tomate verschluckt.
„Hallo“, sagte ich mit grimmiger Stimme.
„Auch hallo, ja also eh, ich bin der Anrufer von vorhin“, ertönte es kleinlaut.
„Ich wollte mich nur bei Ihnen entschuldigen, weil ich Sie so angeschrieen habe. Ich hatte wirklich die falsche Nummer gewählt.“ Jetzt, da in normaler Tonlage gesprochen, klang die Stimme richtig sympathisch.
„Wissen Sie, ich habe in der letzten Zeit soviel Ärger mit dieser Firma gehabt, da ist mir einfach der Kragen geplatzt.“
„Macht ja nichts“, sagte ich. „Ich habe es überlebt.“
„Könnte ich Sie vielleicht zu einem Kaffee einladen, sozusagen als Wiedergutmachung?“
„Mm,“ machte ich, „ ich weiß nicht, ich kenne Sie doch gar nicht.“
„Ich Sie auch nicht,“ war seine logische Schlussfolgerung, „ aber das könnte man ja ändern.“
Ich überlegte kurz und dachte dann, warum eigentlich nicht, schließlich war es eine harmlose Sache, sich irgendwo ganz unverbindlich auf einen Kaffee zu treffen. Außerdem war ich zur Zeit gerade Single und wer weiß, vielleicht lernte ich auf diese Weise meinen Traumprinzen kennen.
„O.k.,“ stimmte ich also zu. „Wann und wo?“
Er nannte mir eine Uhrzeit und den Namen eines Cafes in der Innenstadt.
„Gut, und wie erkenne ich Sie? Halten Sie die obligatorische rote Rose in der Hand?“ „Nein“, lachte er, „ fragen Sie einfach nach Thomas, so heiße ich nämlich.“
Meine Schwester hatte natürlich während des Gespräches schon wieder ‚Rhabarberohren’ bekommen und wollte wissen, wer denn das nun gewesen sei.
„Du wirst es nicht glauben, aber das war der verrückte Typ von vorhin“, klärte ich sie auf. „Er hat sich entschuldigt und mich auf einen Kaffee eingeladen.“
„Und mit so einem willst du dich treffen? Wer weiß, was das für ein Spinner ist.“
„Er wird schon nicht im Cafe über mich herfallen, auf jeden Fall ist es doch süß, extra noch einmal anzurufen, um sich zu entschuldigen“, verteidigte ich den netten Unbekannten.
„Das stimmt natürlich“, gab meine Schwester zu, während sie ein großes Stück von ihrer Pizza abschnitt, die Käsefäden wie Spaghettis um ihre Gabel wickelte und sich den Riesenbissen dann genüsslich in den Mund steckte.

Drei Stunden später betrat ich das besagte Cafe. Neugierig schaute ich mich um, ob vielleicht an einem der Tische ein blonder Adonis bereits sehnsüchtig auf mich wartete, aber es saßen nur ein älteres Ehepaar und zwei junge Mädchen im Cafe.
Also erkundigte ich mich bei der Kellnerin und wurde prompt an einen der hinteren Tische verwiesen. Der junge Mann sei wohl gerade auf die Toilette gegangen.
Ich setzte mich und harrte gespannt der Dinge, die noch folgen sollten. Da, ein Mann kam soeben zur Tür heraus und ging auf den Tisch zu.
„Hallo, ich bin Thomas“, er streckte mir seine Hand entgegen, „und sie müssen meine Telefonbekanntschaft von heute mittag sein, nett, dass Sie gekommen sind.“ „ „Carina,“ stellte auch ich mich vor und dachte so bei mir, der sieht ja gar nicht schlecht aus. Er war relativ groß und hatte eine athletische Figur.
„Also, ich möchte mich nochmals bei Ihnen entschuldigen“, begann er, „das Ganze ist mir wirklich sehr peinlich.“
„Das macht doch nichts, jeder kann sich doch mal verwählen“, verzieh ich ihm gnädig. „Ich war nur im ersten Moment etwas geschockt, weil ich es nicht gewohnt bin, dass man mich am Telefon so anschreit.“
„Auf jeden Fall haben wir uns dadurch kennen gelernt“, er fixierte mich mit seinen Augen und verweilte dabei ziemlich lange auf meinem Busen, „ das ist schließlich etwas Positives.“ Dessen war ich mir allerdings nicht so sicher, und im Laufe unserer Unterhaltung wurde mir eigentlich immer klarer, dass ich diesen Herrn wohl nicht wiedersehen wollte. Er wohnte noch bei seiner Mutter und das mit schätzungsweise mindestens Anfang vierzig. Also, musste man ihn bestimmt in die Kategorie „verwöhnte Muttersöhnchen“ einstufen. Außerdem war es mir sehr unangenehm, wie er ständig auf meine Figur starrte, so als ob er mich mit seinen Augen ausziehen wollte. Als er dann allzu persönlich zu werden begann, indem er meinte: „Eine Frau wie du ist doch bestimmt einem kleinen Abenteuer nicht abgeneigt“, da warf ich einen provokativen Blick auf meine Uhr und sagte: „Oh Gott, schon so spät, ich muss leider gehen. Vielen Dank für den Kaffee, war nett, Sie kennen gelernt zu haben.“ Ich nahm meine Jacke von der Stuhllehne und wollte Richtung Ausgang marschieren. Aber so einfach konnte ich mich natürlich nicht aus der Affäre ziehen. „Halt, nicht so schnell“, er griff nach meinem Arm. „Du gefällst mir wahnsinnig gut, ich möchte dich unbedingt wiedersehen. Wann hast du Zeit?“
„Das sieht schlecht aus, im Moment habe ich wirklich furchtbar viel zu tun“, versuchte ich abzublocken. „Und außerdem fahre ich jetzt erst mal für drei Monate ins Ausland“, fügte ich noch hinzu und hoffte, ihm damit den Wind aus den Segeln genommen zu haben.
„Dann müssen wir uns vorher unbedingt noch einmal sehen“, ließ er nicht locker. Also, jetzt musste ich wohl doch einmal etwas deutlicher werden.
„Sie scheinen es anscheinend nicht zu verstehen“, sagte ich in forschem Ton.
„Ich möchte Sie nicht wiedersehen, vielen Dank für den Kaffee, aber das war’s.“
In dem Moment tauchte plötzlich meine Schwester auf und rief mit schadenfroher Miene: „April, April.“
Ich schaute nur ungläubig von einem zum anderen und schnallte erst einmal gar nichts.
„April, April“, sagte Dani noch einmal. „ Das Ganze war ein Scherz. Thomas ist ein Theaterkollege von mir.“
Dieser schaute mich grinsend an und sagte: „Sorry, aber eigentlich bin ich ganz nett.“
„Nein, das glaube ich jetzt nicht“, lachend stürzte ich mich auf meine Schwester und bedachte sie mit den erstbesten Schimpfwörtern, die mir in den Sinn kamen.
„Tja“, meinte sie nur, „man sollte eben niemals nie sagen.“
 
D

Daktari

Gast
Witzig

Hi, Estrella!

Ich finde den Text originell und witzig. Die Auflösung kommt mir etwas zu schnell vor. Man hätte es ein wenig spannender machen können, beispielsweise, daß der Mann erzählt, seine Mutter würde ihn seit Monaten nerven, daß er doch endlich mal ein nettes Mädchen kennen lernen solle. Man könnte die Komik noch etwas karikieren. Er sieht auf, sieht seine vermeintliche Mutter kommen und sagt zu Carina: Da kommt ja meine Mutter, endlich kann ich ihr die Frau vorstellen, die ich heiraten werde. Wenn Carina dann entsetzt aufspringt und wenglaufen will, sieht sie ihre Schwester: April April.

Das wäre mein Tip, auf jeden Fall die Auflösung ein wenig spannender machen.

Ciao
Tim
 

Estrella

Mitglied
Hallo Daktari,

vielen Dank fürs Lesen meiner Geschichte. Es freut mich, dass sie Dir gefallen hat. Deinen Tipp finde ich gut, mal schauen, vielleicht schreibe ich sie mal dementsprechend um.

Liebe Grüsse
Estrella
 



 
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