Scharfe Küsse

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Dornrose

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Sein Mund war so sinnlich, fast ein Schmollmund und dennoch männlich. Ich klebte an seinen vollen Lippen und alles was er erzählte sog ich förmlich auf. Ich war ein wenig verliebt!

Kennen gelernt hatten wir uns eher zufällig in einer Kneipe, wo wir beide häufiger hingingen. Die Telefonnummern waren schnell ausgetauscht, weil wir unser intensives Gespräch gerne fortführen wollten.

Sein Anruf nach mehreren Wochen überraschte mich sehr, und im Laufe des Telefonats lud er mich zum Essen ein. Auf seine Kochkünste war ich schon mächtig gespannt, da er so viel davon erzählt hatte. Anscheinend kochte er leidenschaftlich gerne, wie ich selbst auch und er lud hin und wieder Gäste ein, die immer wieder Lobeshymnen auf ihn sangen.

Ich gehöre nicht zu der Sorte Mensch, die leckeres Essen mit teurem Essen gleichsetzen. Auf Spargel, Schnecken und Kaviar kann ich gut verzichten, auch Filet und Steaks muss ich nicht unbedingt auf meinem Teller vorfinden, um ein Essen genießen zu können. Es gibt nur eine einzige Bedingung: Lecker muss es sein. Hierin war ich mit Michael gleich einer Meinung, als wir damals an der Theke saßen und das Thema Essen ausführlich diskutierten. Umso interessanter erschien er mir, als er von seinen „ausgesprochen raffinierten Gerichten“ sprach.

„Raffiniert ist immer gut“, dachte ich mir.

Und nun saß ich mit ihm in seiner schlichten Küche an dem Küchentisch mit geblümter Plastiktischdecke. Der Tisch war mit Mutters ausgemustertem weißem Service mit Goldrand gedeckt, schlichte Weingläser, seitlich ein dreiarmiger goldener Kerzenleuchter, der einzigen Lichtquelle für unser Abendessen. Alles sehr einfach und bunt zusammengewürfelt, aber sauber und ordentlich. Auch bei mir sah es nicht perfekt aus. Eine Wohnung muss schließlich wachsen und mit Anfang 20, wenn man gerade die erste eigene Wohnung bezogen hatte, erwartete niemand eine festlich gedeckte Tafel wie im Hilton.

Michael, der Schöne mit den blonden schulterlangen Locken, stellte einen hohen Topf mittig auf den Tisch. Es duftete herrlich nach Bohnenkraut. Mit einer Schöpfkelle rührte er noch ein paar Mal um und verteilte anschließend die Suppe auf unsere Teller, nicht ohne noch einmal zu betonen, was für ein tolles Rezept er sich heute wieder habe einfallen lassen.

Hier kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass er vielleicht manchmal ein kleiner Angeber sei und sich gerne selbst beweihräucherte. Aber diese Idee war schnell wie weggeblasen, als er sich wieder hingesetzt hatte, mich mit seinen ausdrucksvollen braunen Augen ansah und sein Mund leise hauchte: „Lass’ dir meine neuste Kreation schmecken, Petra!“

Am liebsten hätte ich ihn geküsst, aber das wäre unter diesen Umständen und wo er sich doch so viel Mühe gegeben hatte, wahrscheinlich zu plump gewesen.

„Aufgehoben ist nicht aufgeschoben!“ pflegte Oma häufig zu sagen. Recht hatte sie und so beschloss ich, den Mund nicht aus den Augen zu verlieren und einen günstigeren Zeitpunkt zum Küssen abzupassen.

Ich blickte auf meinen Teller. Im Schein der Kerzen ließ sich nicht allzu viel erkennen. Ich tauchte den Löffel ein und kostete. Das erste, was ich ausmachte war Gries und ordentlich viel Bohnenkraut. Bohnenstücke konnte ich nicht ausmachen, er musste sie püriert haben.

„Schmeckt es dir? – Ich habe absichtlich wenig gewürzt, um den Eigengeschmack des Gemüses zu erhalten! Habe ich es nicht wundervoll hinbekommen?“

Ich nahm noch ein Löffelchen. Gries und Bohnenkraut. Welches Gemüse mochte sich dahinter verbergen? Nach Bohnen schmeckte die Suppe nicht wirklich. Etwas kam mir bekannt vor. Noch ein Löffelchen. Ich kam einfach nicht drauf, welche Gemüsesorte es war.

Michael sah mich erwartungsvoll an. Seine Stirn war bereits in Falten gelegt, woraus ich schloss, dass er sich Sorgen machen musste, er könne meinen Geschmack nicht getroffen haben.

„Ich habe noch nie Bohnencremesuppe gegessen. Es ist eine außergewöhnliche Zusammenstellung“ sagte ich forsch.

„Tomatensuppe...“ antwortete er knapp. Offenbar hatte ich etwas daneben gelegen mit meiner Vermutung und meine Bemerkung hatte ihn schwer getroffen. Er rührte wortlos in seinem Teller herum.

„Entschuldige bitte, das Bohnenkraut hat mich anscheinend ein wenig irritiert. Natürlich! Tomatensuppe!“ rief ich. „Es ist sehr gut“, versicherte ich schnell.

Sofort hellte sich sein Gesicht wieder auf: „Ich hatte die Petersilie vergessen beim Einkauf und deshalb ein wenig Bohnenkraut genommen. Macht doch nix, oder? “

Ach so, ...nein, es machte nichts. Dennoch war ich froh, als mein Teller leer war.

Unser Gespräch verlief recht harmonisch. Wir plauderten über Gott und die Welt, Kindererziehung, Lebensziele und Musikgeschmack. Währenddessen köchelte auf dem Herd ein weiterer Topf.

„Indisch – ein Curry“, verriet er.

Gerade die indische Küche liebe ich sehr mit ihren pikanten Würzmischungen. Nach der Gries-Tomatensuppe mit Bohnenkraut freute ich mich schon sehr auf dieses Gericht. Michael warf noch ein paar Gewürze in den Topf, rührte einige Male um, schmeckte immer wieder ab...

„Es fehlt noch ein wenig Zimt und dann ist es fertig“, vermeldete er. Ich war froh, dass Zimt nicht im Haus fehlte und er statt dessen Anis hätte nehmen müssen.

Michael schaufelte das Essen auf unsere Teller. Diesmal konnte ich im Kerzenschein ein Linsengericht mit Fleischstücken ausmachen, so dass mir ein weiterer unverzeihlicher Fehler nicht mehr passieren konnte, was die Zutaten anbelangte.

„Das ist die Krönung meiner Kochkunst“, hörte ich Michael sagen, während ich ein Stück Fleisch aufspießte und langsam in den Mund schob.

„Ich liebe indisches Curry. Hast du es geahnt?“

Als Antwort lächelte er nur wissend, als hätte er schon vor langer Zeit einen meiner größten Wünsche erkannt und nun erfüllt.

Diesmal runzelte ich die Stirn. Das Fleisch war wundervoll zart, das unverkennbare Kurkuma-Aroma sofort auszumachen. Für meinen Geschmack hatte er jedoch bei dem Zimt ein bisschen zu sehr hingelangt. Und noch etwas stimmte nicht. Ich wusste nur wieder nicht, was es war. Besser, ich würde nicht fragen und statt dessen versuchen es selbst herauszufinden.

Mit dem zweiten Happen Linsen wurde mir zunehmend heißer. Die Schweißperlen traten auf die Stirn... Chili!

„Scharf genug?“ fragte Michael

„Ja, perfekt! Sehr gut das Curry,“ röchelte ich

Ich bemerkte, wie auch er sich verstohlen die Stirn wischte.

Mit jedem Bissen brannte es mehr im Mund, Tränen traten mir in die Augen und die Nase lief. Keine gute Vorstellung, um einen Mann anzugraben. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich nach dem Genuss des Linsengerichts verrotzt und verheult, mit völlig verwischtem Make-up, dem Mann gegenüber sitzend, den ich doch im Anschluss an unser Candle-Light-Dinner plante, zu küssen. Und mit jeder Gabel wurde es nicht nur schärfer, sondern auch hier passte irgendein Gewürz überhaupt nicht und auch hier konnten es nur die Kräuter sein, die den Geschmack des Essens völlig verdarben.

Ich wurde schnell aufgeklärt, nämlich als mein Prinz erklärte, auf Thymian und Salbei könne er beim Kochen kaum verzichten. Diese beiden Kräuter seien für ihn mit die wichtigsten in der Küche.

Der Teller schien nicht leerer zu werden. Mit jeder Gabel, die ich mir in den Mund schob, wischte ich mir die Wimperntusche durchs Gesicht: „Ich hätte doch besser die wasserfeste nehmen sollen“, schoss es mir durch den Kopf.

Unser Essen zog sich lange hin, denn auch Michael aß sehr langsam. Immer wieder sah ich, wie er Linsen auf die Gabel häufte und pustete, als kämen sie gerade frisch vom Herd. Dabei musste auch seine Portion längst kalt sein. Und zwischendurch trank er immer wieder mehrere Schluck Wein, um den Brand zu löschen. Darauf hatte ich verzichtet, denn aus Erfahrung wusste ich, dass dies die Schärfe nicht nimmt. Mir wäre ein Stück Brot lieb gewesen, das Michael jedoch bei seinem Einkauf ebenfalls vergessen hatte.

So aß ich still und verzweifelt weiter; Gabel um Gabel leerte sich der Teller, und irgendwann war es geschafft. Wir hatten die letzte Stunde kaum gesprochen, sosehr war jeder von uns beschäftigt, das Brennen im Mund möglichst schnell hinter sich zu bringen. Die Menge Chili konnte nur ein Irrtum gewesen sein. An seinen Mund, der mir bis vor kurzer Zeit noch so sinnlich und küssenswert erschien, verschwendete ich keinen Gedanken mehr. Mir war in Windeseile die Lust am Küssen vergangen und auch auf ein Wiedersehen.

Unter einem Vorwand verabschiedete ich mich schnell. Höflich lehnte ich sein Angebot ab, etwas von dem Curry mitzunehmen. Ich könnte wetten, dass ich ihn zum glücklichsten Menschen gemacht hätte, wäre ich seiner Aufforderung nachgekommen. Zum Dessert hätte es übrigens Obstsalat mit Kräutersoße gegeben. Ich konnte nur ahnen, welche Gaumenfreude ich mir hatte entgehen lassen...
 



 
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