Schatzkammer

4,20 Stern(e) 13 Bewertungen

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Schatzkammer

Die Kammer steht voll Eingewecktem,
heimlich fresse ich die Birnen.
Bohnerwachsgeruch zieht um die Ecke,
wo der Müllschlucker stinkt
und Furcht erbricht.

Schwarzer Staub bedeckt das Fensterbrett
in meinem Zimmer.
Glitzernde Partikel
rieseln,
grau sind diese Tage, damals, heute.

Stunden verbringe ich am Fenster,
Eltern und Musik im Rücken, im Genick
seh nach Mädchen,
zähle Autos.

Hier schlag ich mir Zähne auf,
sie wachsen schief,
bis ich mich klammern lasse;
früher noch als alle anderen.

Das hohe Haus
verdreckt und voll zu grüßender Kollegen
birgt mich,
egal, ob man die Tür versperrt,
die zu öffnen Not nicht hat.

Seltsam,
dass es Möwen gibt und Zügerasseln.
Gleise in die Ferne
und Linienbusse,
die sich kreuzen und zu Büchern führen,
kostbar dieser Knopf für die Lektüre.

Und das Monster Schule gegenüber
lebt für immer,
etwas von mir läuft dort die Treppen,
steht vor Klassenzimmertüren klein,
allein.

Was man als Kind verwahrt,
sind selten Schätze.
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Ralf,

das Eingemachte, die bedrückende Stimmung sind spürbar gut beschrieben.

Hier ist diese Zeile, da fehlt mir klanglich eine Silbe:

Hier schlag ich mir Zähne auf
Probier mal "mir die Zähne" oder "ich meine Zähne", wenn´s Dich inhaltlich nicht verstört.

Das hohe Haus
verdreckt und voll zu grüßender Kollegen
birgt mich,
Hier ist Dir "das Bergen" darzustellen sehr gut gelungen; auch das Erkennen eigener Unzulänglichkeiten im Außen, das jenseits der sonst oft assoziierten Geborgenheit hier eher an "Hausen und Grausen" denken lässt. - Wobei mir nicht ganz klar ist, ob mit den Kollegen jetzt noch das eine erste Haus gemeint ist (das der Kindheit), oder ein gegenwärtigeres Equivalent aus der Arbeitswelt.

Grüße von Elke
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo lapis,

"Was man als Kind verwahrt,
sind selten Schätze."

eine Irrfahrt durch die Schatzkammer,
die sich als dunkle Abstellkammer entpuppt.

...oft sind es die dunklen Seiten an denen wir wachsen müssen

Mit diesem Stück roch ich auch wieder
ein paar von den " Leichen" in meinem Keller...

lg Ralf
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo lap!

Die Geister der Vergangenheit, diese "Schatzkammer", die jeder in sich trägt - das ist hier sehr treffend und mit gewaltigen oft melancholischen Bildern beschrieben.

Was man als Kind verwahrt,
sind selten Schätze.
Mit dem Schluss habe ich ein kleines Problem. Der will nicht wirklich bei mir ankommen und fällt von der Qualität her im Vergleich zum restlichen Gedicht doch ab.
Ich kanns nicht richtig in Worte fassen - aber die Aussage ist mir irgendwie zu "trivial" und lässt dein Gedicht zu flach auslaufen.

Liebe Grüße
Manfred
 
H

Heidrun D.

Gast
Hallo Lap,

schon wieder (!) ein Gedicht, das ich als sehr gelungen empfinde. Was der einen ihr November, ist dem anderen sein Januar. :D

Mir gefällt ganz besonders der Ablauf, dessen Abschnitte auch ohne Weiteres ausgetauscht werden können, wie Erinnerungfetzen, die dem nun hoffentlich Gereiften durchs Hirn schießen.

Ein paar Winzigkeiten sind vielleicht veränderungswürdig:

Die Kammer steht voll Eingewecktem,
heimlich fresse ich die Birnen.
Bohnerwachsgeruch zieht um die Ecke,
wo der Müllschlucker stinkt
und Furcht erbricht.
[blue]Ich möchte dir "sich Furcht erbricht" vorschlagen)[/blue]
Stunden verbringe ich am Fenster,
Eltern und Musik im Rücken, im Genick
seh nach Mädchen,
zähle Autos.

Hier schlag ich mir Zähne auf,
[blue](Hier schlag ich meine Zähne auf)[/blue]
sie wachsen schief,
bis ich mich klammern lasse;
früher noch als alle anderen.

Das hohe Haus
verdreckt und voll zu grüßender Kollegen
birgt mich,
egal, ob man die Tür versperrt,
[blue]die zu öffnen Not nicht hat.[/blue]
Den letzten Vers könntest du nochmal überdenken

Und das Monster Schule gegenüber
lebt für immer,
etwas von mir läuft dort die Treppen,
[blue](etwas läuft dort auf den Treppen?)[/blue]
steht vor Klassenzimmertüren klein,
allein.

Was man als Kind verwahrt,
sind selten Schätze.
Dein Fazit ist leider nur zu wahr, entgegen allen Poemen, die sich mit einer glücklichen Kindheit befassen ...

Ganz besonders schön finde ich übrigens:
Seltsam,
dass es Möwen gibt und Zügerasseln.
Gleise in die Ferne
und Linienbusse,
die sich kreuzen und zu Büchern führen,
kostbar dieser Knopf für die Lektüre.
Hier greifst du, glaube ich, eine Idee aus einem deiner älteren Gedichte auf.

Liebe Grüße
Heidrun
 

Hannah Rieth

Mitglied
Lieber Lap,

chapeau! Das gefällt mir _richtig_ gut.
Ein paar (kleine) Anmerkungen:

Schatzkammer

Die Kammer steht voll Eingewecktem,
heimlich fresse ich die Birnen.
Bohnerwachsgeruch zieht um die Ecke,
wo der Müllschlucker stinkt
und Furcht erbricht. [blue]Finde ich gut![/blue]

Schwarzer Staub bedeckt das Fensterbrett
in meinem Zimmer.
Glitzernde Partikel
rieseln,
grau sind diese Tage, damals, heute. [blue]gut![/blue]

Stunden verbringe ich am Fenster, [blue]"Stehe" statt "verbringe" gefiele mir rhythmisch besser.[/blue]
Eltern und Musik im Rücken, im Genick
seh nach Mädchen,
zähle Autos.

Hier schlag ich mir Zähne auf,
sie wachsen schief,
bis ich mich klammern lasse;
früher noch als alle anderen.

Das hohe Haus
verdreckt und voll zu grüßender Kollegen
birgt mich,
egal, ob man die Tür versperrt,
die zu öffnen Not nicht hat. [blue]Das ist mir ein bisschen zu gestelzt. Ich finde das hat der Text nicht nötig.[/blue]

Seltsam,
dass es Möwen gibt und Zügerasseln. [blue]gut![/blue]
Gleise in die Ferne
[red][strike]und[/strike][/red] Linienbusse, [blue]Rhythmus[/blue]
die sich kreuzen und zu Büchern führen,
kostbar dieser Knopf für die Lektüre.

Und das Monster Schule gegenüber
lebt für immer,
etwas von mir läuft [red][strike]dort[/strike][/red] die Treppen, [blue]Rhythmus[/blue]
steht vor Klassenzimmertüren klein,
allein. [blue]Hier würde ich überlegen, ob das "klein" nicht schon ausreicht (nach einem Umbruch), ob das nicht vielleicht viel stärker nachklingt.[/blue]

Was man als Kind verwahrt,
sind selten Schätze.

Hach, gut ...

Liebe Grüße
Hannah
 

Rhea_Gift

Mitglied
Gefällt mir gut - und kann mich den Vor-Kommentatoren auch was Änderungsideen angeht, nur deren Vorschlägen anschließen, die haben schon alles ausgegraben, wo auch ich stolpere... ;) :D

LG, Rhea
 
M

mirami

Gast
hallo lapismont,

ansehnliche fundstücke aus der kindheits-schatzkammer hast du hier ausgestellt.
„ach ja...“, möchte man einigen stellen zustimmend seufzen. vieles kann man aus der eigenen erinnerung heraus nachempfinden und wieder riechen (das gute alte bohnerwachs). auch die verbotenen raubzüge durch die speisekammer kennt wohl jedes kind.

jedenfalls verleitet dein gedicht einen gleich in seiner eigenen schatzkammer zu kramen.

ein paar zeilen gefallen mir nicht ganz so gut, aber das liegt wohl daran, dass ich nicht recht in den leserhythmus finde. ich teile zwar das resümee nicht, aber das lesen war mir ein vergnügen.


mirami
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Schatzkammer

Die Kammer steht voll Eingewecktem,
heimlich fresse ich die Birnen.
Bohnerwachsgeruch zieht um die Ecke,
wo der Müllschlucker stinkt
und Furcht erbricht.

Schwarzer Staub bedeckt das Fensterbrett
in meinem Zimmer.
Glitzernde Partikel
rieseln,
grau sind diese Tage, damals, heute.

Stunden stehe ich am Fenster,
Eltern und Musik im Rücken, im Genick,
seh nach Mädchen,
zähle Autos.

Hier schlag ich mir die Zähne auf,
sie wachsen schief,
bis ich mich klammern lasse;
früher noch als alle anderen.

Das hohe Haus
verdreckt und voll zu grüßender Kollegen
birgt mich,
egal, ob man die Tür versperrt,
die Hände auf der dunklen Plasteklinke.

Seltsam,
dass es Möwen gibt und Zügerasseln.
Gleise in die Ferne
Linienbusse,
die sich kreuzen und zu Büchern führen,
kostbar dieser Knopf für die Lektüre.

Und das Monster Schule gegenüber
lebt für immer,
etwas von mir
steigt die Treppen,
steht vor Klassenzimmertüren
klein.

Was man als Kind verwahrt,
sind selten Schätze.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo ihr fleißigen Kommentierer,

ich bin eure Anregungen kritisch durchgegangen.

Die schlimmste Stelle (das Not-Konstrukt) hab ich nun umgebogen, mir fiel nix Kurzes ein, um die Sache deutlicher und geschmeidiger auszudrücken.

Auch bei den Kollegen müsste ich zu sehr ausholen, letztlich will ich dieses Wort behalten, da es zu der Zeit gehört und heute zunehmend verschwindet. Diese ganz spezielle Melange des DDR-Kollektivs ist ein Thema für weitere Texte, das spür ich, da ist noch mehr auszuloten.

Die von Hannah mehr oder minder eingeforderten Alliterationen sind nun wieder drin, es kribbelt mir ja immer in den Fingen.
:)

Und natürlich war die Schulstrophe zu voll. Hach, da ist noch so viel Material vorhanden.

Den Schluss mag ich nicht ändern. Kann sein, dass es platt klingt, aber es ist punktgenau das, was ich sagen will. Außerdem ist es die Klammer.

Habt alle großen Dank!

cu
lap
 



 
Oben Unten