Scheinehe

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Nina Trebesi

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Scheinehe

„Aber Oma, das ist doch eine Mitzwah“, hatte Sarahs jüngster Sohn gesagt. Eine Mitzwah, eine gute Tat, wird nicht bestraft. Im Gegenteil, sie wird von Gott belohnt.
Natürlich verstand Sarah, dass Ihre Mutter aufgebracht war. Sie war gewiss ein Risiko eingegangen, als sie Luis geheiratet hatte: einen 16 Jahre jüngeren, schwulen, kubanischen Salsatänzer. Seit in Frankreich die Rechte an der Macht war und Innenminister Sarkozy mit eiserner Hand durchgriff, wurden Scheinehen besonders streng geahndet.

„Fünf Jahre Gefängnis kannst du dir einhandeln, wenn die Sache auffliegt“, hatte ihr erster Ehemann besorgt gesagt. Ihr zweiter Ex-Mann hatte damit gedroht, ihr das Sorgerecht für ihren Jüngsten streitig zu machen. Und ihre Mutter weinte jeden Tag und tröstete sich nur damit, dass der Nicht-Jude Luis als Schwuler wenigstens nicht der zukünftige Vater nur halb jüdischer Mischlings-Kinder sein würde. Sarah wollte ihrer Mutter keinen Kummer machen. Aber sie hatte keine Wahl. Was wäre denn sonst aus Luis geworden? In Frankreich war sein Visum abgelaufen, und da er die Elf-Monate-Frist überschritten hatte, konnte er auch in Kuba nicht wieder einreisen, ohne Sanktionen zu riskieren. Er hätte also nicht einmal ohne weiteres seine erkrankte Mutter besuchen können. Seine Mutter. Sarah lächelte in sich hinein. Die war gerade mal drei Jahre älter als sie. Und sie sah ihr sogar ein wenig ähnlich, fand sie. Aber sie sollte ja nicht als Luis Mutter, sondern als seine Ehefrau durchgehen.
Sie hatte sich bei einer Rechtsanwältin erkundigt. Die von der DDASS, der Familienbehörde, konnten unangemeldet bei ihr auftauchen, die Wohnung durchsuchen, intime Fragen stellen, um eine eventuelle Scheinehe aufzudecken. So war das nun mal in Frankreich.
Deshalb hatten Luis und Sarah alles perfekt inszeniert.
Gerührt betrachtete Sarah die Fotos auf der Anrichte. Sie – klein, rundlich, lebhaft lachend. Luis, groß, gut gebaut, ein sonniges, offenes Jungengesicht. Seine Finger wühlten zärtlich in Sarahs schwarzem Haar. Oder hier, komplizenhaft diskutierend. Luis und Sarah, Hände haltend. Luis, der Sarah zu Salsarhythmen führte, seine Hand sanft auf ihrer Hüfte.
Wie gut, dass Luis schwul war. Seine Homosexualität bewahrte sie davor, unangebrachte Gefühle in diese Ehe zu investieren. So waren die Dinge wenigstens klipp und klar: Einzig auf dem Papier waren sie als Gatten aneinander gebunden, „bis dass der Tod sie scheide.“

Dreimal pro Woche übernachtete Luis bei ihr, in Rubens Zimmer: Ihr ältester Sohn schlief schon regelmäßig bei seiner Freundin. Seine Sachen hatte Luis in der ganzen Wohnung… nicht verstreut, sondern liebevoll angeordnet, mit einem weiblichen Sinn für Harmonie. Genauso wie er aus jeder gemeinsamen Mahlzeit ein Festessen machte, mit gefalteten Servietten und schimmernden Kerzen. Sarahs Blick fiel auf den siebenarmigen Leuchter, den ihr ein Freund von Luis zur Hochzeit geschenkt hatte. „Auf dass Euer Eheglück ewig strahle!“ hatte er affektiert gejauchzt, und Luis hatte Sarah fürs Foto geküsst.

Aber wo blieb er nur? Gewöhnlich war Luis dienstags vor ihr zu Hause, hatte frische Blumen auf dem Tisch arrangiert und brutzelte in der Küche irgendwelche köstlichen, nach exotischen Gewürzen duftenden und in allen Farben leuchtenden Gerichte.
Gewöhnlich ließ sie sich dienstagabends aufs Kanapee sinken, kaum hatte sie die Wohnung betreten, und sog die würzigen Gerüche aus der Küche ein. Der Dienstag war ihr schwerster Tag. Von morgens bis abends: Sexuelle Probleme und Verfolgungswahn, Depressionen und Verlustängste. Ihre letzte Patientin an diesem Tag war eine Selbstmordkandidatin, die ihr große Sorge bereitete. Und dann musste sie zu Samuels Schule hetzen, um ihren Jüngsten abzuholen und ins Fußballstadion zu chauffieren, und gleich darauf zum Collège, denn David, ihr mittlerer Sohn, musste zur Klavierstunde gebracht werden. Danach übernachteten die beiden bei ihren jeweiligen Vätern.

Luis kam gewöhnlich dienstagabends singend aus der Küche, sobald er die Tür ins Schloss fallen hörte. Er legte dann eine Salsaplatte auf, tanzte auf das Kanapee zu, nahm ihre beiden Hände und zog sie aus den Polstern heraus sanft an sich heran. Der leichte Rhythmus trug sie mit, immer weiter, ein ewiges Kreisen, das alle Gedanken aufschüttelte und das Herz fröhlich auf und nieder hüpfen ließ.

Aber wo blieb Luis heute nur? Sie wollte schon die Taste des Anrufbeantworters drücken, da sah sie plötzlich Rubens Jacke als Knäuel in einem Sessel liegen. Ruben war zu Hause? Und das dienstags?
Als sie an seiner Zimmertür klopfte, hörte sie von drinnen leise Stimmen. Vielleicht war er mit Julie gekommen, einem reizenden Mädchen, zwar keine Jüdin, aber im Gegensatz zu ihrer Mutter dachte Sarah zuallererst an das Glück ihres Sohnes.

„Adelante!“ hörte sie zu ihrer Verwirrung Luis warme Stimme von innen rufen. Sie stieß die Tür auf. Da saßen in seltsamer Vertrautheit Luis und Ruben, zwei hoch aufgeschossene Burschen, Seite an Seite auf Rubens Sofa. Was die beiden wohl… Doch nicht… Aber nein, das war ausgeschlossen, so verliebt wie Ruben in Julie…
Luis war schon aufgesprungen, kam rasch auf sie zu, küsste sie auf den Mund. „Amor“, sagte er zärtlich… Sie hatten sich diesen Umgang angewöhnt, damit sie für den Fall einer Kontrolle Routine hatten und nicht künstlich wirkten.
„Entschuldige, Mamormita, ich habe heute noch gar nicht für meine Familie gesorgt. Heute feiern wir! Ich besorge alles! Hasta luego, amor!“

„Luis ist total verknallt“, sagte Ruben, als die Tür ins Schloss gefallen war. Er lachte komplizenhaft. „Nein, keine Sorge! Nicht in mich!“
„Ah“, Sarah entfuhr ein Ausruf der Erleichterung. Obwohl sie doch als weltoffene Psychologin fest entschlossen war, ihre Kinder zu freien Menschen heranzuziehen, deren Entscheidungen sie respektieren würde. Ob sie nun Beruf, Religion oder die Sexualität betrafen. Darum stellte sie klar: „Aber weißt du, Ruben, es ist deine Entscheidung, es ist dein Leben. Solltest du dir eines Tages darüber bewusst werden, dass...“ „Huch“, Ruben kreischte mädchenhaft und strich sich kokett eine Haarsträhne aus der Stirn. „Doch nicht ich, Mama“. Mit wiegenden Hüften tänzelte er aus dem Zimmer.

„Auf uns“, Luis ließ den Korken knallen. „Auf wen… uns?“ fragte Sarah lachend. „Auf uns alle“, Luis dunkle Haut färbte sich ein wenig rötlich. Er blickte zu Ruben hinüber.
„Hast du’s erzählt…“
„Ja!“ verkündigte Sarah fröhlich und warf ein paar Scheiben dünn geschnittene Kochbananen in die Pfanne. Sie zischten wütend im heißen Öl. „Ich freu mich für dich, Luisito!!“ Sie strich Luis liebevoll über die Wange. „Aber warum hast du mir das denn nicht gesagt!“
„Vielleicht wollte Luis sich nicht gleich therapieren lassen, Mama.“ Ruben lehnte cool in einer Ecke der Küche und kaute Pistazien. Beide jungen Männer überragten Sarah um zwei Köpfe.
„Aber nein“, protestierte Luis. Und zu Sarah: „Amorcito, ich habe ihn doch gestern erst kennen gelernt…“
„Und schon bis über beide Ohren…“
„Mama. Genau das meinte ich eben, “ unterbrach Ruben sie.
„Ruben, jetzt spielst DU den Analytiker.“ Sie hielt Luis ihr Glas hin, er goss schäumenden Champagner ein. „Auf die Liebe!“ rief Sarah. „Jetzt sag doch endlich: ist er groß, klein, jung, alt, schön…“ „Er ist… so rührend“, Luis hatte feuchte Augen. „Unbeholfen… und zugleich so stolz… Schon wie er Salsa tanzt…“ „Er tanzt?“ Sarahs Glas klirrte, als sie es auf die Küchenablage stellte. „Ja, er ist mein Schüler… Im Montagabend-Kurs… Wo ich auch dich kennen gelernt haben, mi amor querido.“ Luis benutzte häufig spanische Ausdrücke. Er wusste, wie charmant Sarah das fand. Er fasste sie um die Hüfte wie immer dienstagabends und ließ sie rhythmisch vor dem Kühlschrank kreisen.
Doch an diesem Abend fühlte sich Sarah ein wenig steif. „Wie tanzt er denn?“ fragte sie. „Ungelenkig. Zögernd. Unsicher.“ Luis lachte. “Das Gegenteil von dir, Amor. Dabei tut er so selbstsicher. Aber beim tanzen lässt sich eben nichts verbergen.“
Sarah löste sich von Luis.
„Wann lernen wir deinen Liebsten denn mal kennen? Lade ihn doch zum Abend essen ein!“ Mit raschen Bewegungen hackte sie noch eine Kochbanane in Stücke. „Er kann auch gerne hier übernachten…“
„Spinnst du, Mama“, Ruben hatte den Mund voller Pistazien. „Und wenn die Nachbarn etwas mitkriegen!“
Er hatte ja Recht. Ihre Großzügigkeit war eben mal wieder mit ihr durchgegangen: Leben und leben lassen, war Sarahs Devise. Auch Julie war immer bei ihr willkommen. Aber Ruben machte von ihrem Angebot selten Gebrauch. Er warf ihr vor, sie wolle die ihr Nahestehenden unter Kontrolle haben. Nur deshalb gefiel es ihr, wenn sich alles in ihrem Haus abspielte. Was für ein Unsinn. Ruben war eben gerade in der Loslösungsphase und suchte den Konflikt mit ihr.
„Davon abgesehen finde ich“, sagte Ruben kauend und legte Luis lässig den Arm um die Schulter, „du solltest deiner Frau deinen neuen Liebhaber schon einmal vorstellen“.

Am darauf folgenden Dienstag stand Sarah erneut allein vor der Anrichte. Luis hatte schon alles vorbereitet. Der Tisch war festlich gedeckt, exotische Düfte zogen aus der Küche. Nun holte er seinen Geliebten vom Vorortbahnhof ab.
Luis hatte ein üppiges Blumengebinde vor die Fotos gestellt, die Sarah und ihn als Liebespaar auswiesen. Wollte er die Bilder verstecken, um seinen Freund nicht eifersüchtig zu machen?
Sarah holte den siebenarmigen Leuchter, ihr Hochzeitsgeschenk, hinter den Blumen hervor und stellte ihn mitten auf den Esstisch.
Eifersucht. Ein Gefühl, das Sarah fremd war. Sie kannte es lediglich durch ihre Patienten, diese litten dafür bis zum Exzess darunter. Was für ein anstrengender Tag heute wieder gewesen war: Eine Patientin hatte seit Wochen keinen Sex mehr mit ihrem Ehemann gehabt und nun den Grund herausgefunden. Sie trug sich mit Mordgelüsten herum. Eine andere wollte sich an ihrem untreuen Partner rächen und ihn der Polizei ausliefern. Ihr Partner hatte nämlich keine gültigen Papiere. Sarah seufzte. Eifersucht war wirklich ein Leiden, das man fürchten musste wie die Pest.
Sie lächelte sich im Spiegel zu. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus orangefarbener und hellgrüner Seide. Farben, die gut zu ihrem dunklen Teint und den leuchtenden schwarzen Augen passten. Sie sah gut aus. Sie war Anfang 40, konnte aber für Mitte 30 durchgehen. Sie war rundlich, und das stand ihr. Manche Männer mögen das. Besonders wenn eine Frau ihre Rundungen mit Selbstbewusstsein trägt, statt sie hinter sackartiger Kleidung zu verbergen.

Es klingelte. Luis benutzte gewöhnlich seinen eigenen Schlüssel. Doch heute kam er wohl als Gast. Wie er sie vor dem anderen wohl nennen würde? Bestimmt nicht „Amor.“
Sie öffnete die Tür. Neben Luis stand ein schlaksiger junger Mann, der ihr schlaff die Hand drückte. So ein typisches französisches Hühnerbrüstchen, würde ihre Mutter sagen.
„Sarah! Wie wundervoll du aussiehst!“, sagte Luis zu ihr. Es klang einstudiert und routiniert. Wie Schülertheater. Die Eltern sitzen auf zu kleinen Stühlen und klatschen nachsichtig Beifall.
„Sie sind Daniel, nehme ich an“, sagte Sarah überflüssigerweise zu dem jungen Hänfling.
„Hi, ich bin Ruben“, rief ihr Sohn aus dem Hintergrund. Er war gekommen, obwohl Dienstag war, um den Liebhaber seines Stiefvaters kennen zu lernen.
„Hi, ich bin Dani“, sagte der junge Mann. Für ihren Sohn und die Generation ihres Sohnes war er also Dani – und für sie Daniel, dachte sie verärgert. Dani. Du meine Güte, wie albern. „Setzen Sie sich doch, Daniel.“
Sie musste endlich aufhören, die Supermutter für alle zu spielen.
Luis nannte an diesem Abend weder sie noch Dani „Amor.“ Aber er verschlang Dani mit den Augen. Sarah gegenüber war er geradezu vorbildlich aufmerksam. Zu aufmerksam. Es war eine pflichtbewusste Aufmerksamkeit und keine, die mit einem klopfenden Herzen einherging. Er schenkte ihr immer als erste nach und reichte ihr den Brotkorb, sobald sie am letzten Bissen ihrer Brotscheibe kaute. Ansonsten saß er schweigend, mit buddhahaftem Lächeln an ihrer Seite und starrte Dani an, der sich ihm gegenüber cool in seinem Stuhl räkelte.
So wohlwollend sie auch zu sein versuchte: Dani war und blieb durch und durch platt und geistlos. Er prahlte ein wenig von irgendwelchen hochwichtigen Funktionen, die er bei irgendeiner Fernsehshow ausübte, er benutzte Ausdrücke des TV-Jargons, die keiner zu verstehen schien. Schon bald gingen die Gesprächsthemen aus.
Mitten in der schleppenden Konversation verstummte dann auch noch die Salsa-Platte. „Wollt ihr nicht tanzen?“ Sarah bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall. Sie war aufgesprungen, um eine neue Platte herauszusuchen.
„Wer mit wem?“ fragte Ruben. Diese Frage hatte Sarah sich nicht gestellt. Normalerweise tanzte eine Ehefrau doch mit ihrem Mann.
„Sarah, darf ich dir Dani anvertrauen?“ hörte sie Luis zu ihrer Überraschung sagen.
Kurz nach dem Desaster – Dani tanzte wie ein Stück Holz und sie waren zwei Lieder lang mühsam durchs Wohnzimmer geholpert – verabschiedete Dani sich.
Nun war Luis wieder ganz der Alte: Singend trug er das Geschirr in die Küche, brachte Ruben und Sarah zum Lachen, schwatzte in einem fort und nannte Sarah „die Frau seines Lebens“, während sie gemeinsam die Teller spülten.
Mit Schwung wienerte er den Herd, zart trocknete er die feinen Weingläser, ordnete sie akribisch in den Schrank, hörte nicht auf, bis alles glänzte.
Nun würde er sie - wie gewöhnlich nach getaner Arbeit - bei den Händen nehmen, sie in die immer kreisende Spirale des Salsa-Rhythmus hineinziehen…
Er legte Sarah eine Hand auf die Hüften, und sie begann schon, diese unter der Berührung kreisen zu lassen, da hörte sie Luis murmeln: „Mi Amor, macht es Dir was aus, wenn ich heute bei Dani übernachte? Er wartet auf mich.“

Am nächsten Morgen klingelte es Sturm, als Sarah noch im Morgenmantel am Kaffeetisch saß. Rasch zog sie sich das Kleid vom Abend zuvor über, das nachlässig zerknüllt auf dem Fußboden gelegen hatte. Während sie zur Tür eilte, zupfte sie ihr tiefes Dekolletee zurecht.
Hinter der Tür standen eine Frau und ein Mann mit schäbigen Aktenkoffern. Die Frau, eine graue Maus mit müdem Gesicht, trug ein schlecht geschnittenes graues Kostüm und leuchtend rot gefärbte Haare, die wirkten, wie eine ungeschickte Retusche auf einem vergilbten Schwarz-Weiß-Foto. An dem Mann war alles grau bis auf eine alberne Krawatte voller gelber Entchen.
Sie hielten Sarah zwei Ausweise entgegen. Sarah kam sich vor wie in einem Kriminalfilm.
Das war sie also, die gefürchtete Kontrolle der Familienbehörde.
„Frau Levy, wir würden gerne im Rahmen einer Untersuchung der DDASS ein paar Minuten mit Ihnen und Ihrem Gatten plaudern.“ Der Beamte hatte eine unangenehm hohe Stimme.
„Mein Gatte ist bei der Arbeit. Aber kommen Sie doch herein. Nehmen Sie Platz.“
Im Hintergrund erschien Ruben im Schlafanzug.
„Was ist denn hier los“, gähnte er.
„Mein Gatte gibt zu dieser Stunde einen Salsakurs im Gymnase Center. Sie können ihn dort antreffen“, sagte Sarah laut. Der Beamte hatte sich auf Sarahs Kanapee breit gemacht, er hievte das Köfferchen auf seine Knie und öffnete es mit einem Klicken. Er beförderte mit umständlichen Bewegungen einen Notizblock zutage, notierte die Adresse des Gymnastikclubs, stemmte sich ungelenkig aus den Polstern von Sarahs Kanapee und eilte in Richtung Salsakurs davon.
Die graue Maus verteilte Unmengen von Dokumenten über Sarahs Couchtisch.
Sie stellte genau die Fragen, auf die die Rechtsanwältin sie vorbereitet hatte: Was machte Luis als erstes nach dem Aufstehen, wie viele Stück Zucker nahm er in den Kaffee, welche Kosenamen gab er ihr.
„Antworten Sie mir bitte ganz ehrlich Frau Levy“, sagte die Beamtin mit nüchterner Stimme. „Es wird Ihnen nichts passieren. Unter der Voraussetzung, dass Sie die Wahrheit sagen. Haben Sie je daran gezweifelt, dass Ihr Gatte Sie liebt, wie ein Mann eine Frau lieben sollte?“
Was verstand die graue Maus denn schon von diesen Dingen? „Ich hatte nie Zweifel an Luis Liebe“, erklärte Sarah herablassend.
„Haben Sie sich je von Ihrem Gatten ausgenutzt gefühlt?“
„Ausgenutzt?“ fragte Sarah überrascht.
Sie rückte die Blumen auf der Anrichte zur Seite und gab den Blick auf die Fotos frei.
„Sie sind also im Juni 1960 geboren, Frau Levy“, die Beamtin zeigte mit ihrem Kugelschreiber auf einen vollgetippten Bogen Papier. Sarah nickte.
„Und Ihr Gatte im Dezember 1976, ist das richtig“, die Stimme der grauen Maus klang süffisant. „Wie würden Sie reagieren, wenn Sie erfahren würden, dass Ihr Mann ein … zärtliches Verhältnis mit einer anderen Frau hätte?“ Die Mausaugen, hatte Sarah den Eindruck, begannen maliziös zu glitzern: „Mit einer Frau …in seinem Alter…“
Sarah spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Nervös suchte sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Doch es gelang ihr, sich zu beherrschen. Mit fester Stimme sagte sie: „Luis liebt mich von ganzem Herzen. Ich liebe Luis von ganzem Herzen“. Fast drohend fügte sie hinzu: „Da ist kein Platz für eine… Bettgeschichte“.
„Entschuldigen Sie… Im Rahmen unserer Untersuchung müssen wir diese Fragen stellen…“
„Sie können uns ja überwachen lassen, wenn Sie mir nicht glauben“, unterbrach Sarah die Beamtin scharf. „Sie können unser Telefon abhören lassen…“
„Aber nein, Frau Levy“, lenkte die graue Maus ein. „Nein, mit diesen Mitteln arbeiten wir nicht. Es tut mir leid, dass ich Ihnen zu nahe getreten bin. Sie haben mich nun auch überzeugt, und…“, die Beamtin war schon dabei, die Dokumente zusammenzuraffen und in das abgeschabte Köfferchen zu stopfen.
„Viel Glück in Ihrer Ehe. Wir lassen Sie nun ganz gewiss in Ruhe, Frau Levy. Und entschuldigen Sie die Störung…“
Sarah knallte die Tür hinter der rot-grauen Beamtin zu.

„Was ist los, Amor? Hast du etwa geweint? Es hat doch alles wunderbar geklappt!“ rief Luis und küsste Sarah auf die Nasenspitze.
Ruben hatte Luis an diesem Morgen alarmiert, und dieser war kurz vor dem Beamten im Gymnastikclub eingetroffen. Das Verhör war zufrieden stellend verlaufen.
„Sagen wir, es hat mehr oder weniger geklappt“, berichtigte Sarah mit sanfter Stimme.
„Aber wir müssen in Zukunft vorsichtiger sein, mein Herz“, sie nahm Luis Hand. „Die Hexe, die mich verhört hat, hat angedeutet, man würde uns in der nächsten Zeit überwachen. Du wohnst also ab jetzt besser ständig bei mir und vermeidest jeden Kontakt mit deinem… Liebling.“
Sie nahm wahr, dass Luis die Farbe aus dem Gesicht wich und fügte beschwichtigend hinzu: „Also keine Besuche, keine Telefonanrufe, falls wir abgehört werden…“
„Abgehört?“
„Was sehr wahrscheinlich ist… Diese Leute sind heimtückisch. Die muss man fürchten…“, sie suchte nach Worten, „wie die Pest…“
„Und… wie lange?“ stammelte Luis.
„Schätzchen, ich würde sagen, ein paar Monate… Ein halbes Jahr vielleicht…“ Sarah blickte nachdenklich auf den siebenarmigen Leuchter.
„Ein halbes Jahr“, wiederholte Luis mit tonloser Stimme.
„Es steht viel auf dem Spiel, nicht wahr? Außerdem“, sie drückte seine Hand, ohne den Blick von den sieben strahlenden Kerzen zu wenden, „können wir diese Zeit nutzen, um uns noch besser kennen zu lernen.“
 

la_gatta

Mitglied
Eine wunderschöne Geschichte! Ohne zu langatmig zu sein, ohne kitschig emotionale Gefühlsausbrüche, aber ehrlich.
Danke!
 



 
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