Schicksal

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Mäuschen

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Schicksal


So heruntergekommen wie der Laden aussah, so schäbig war er auch eingerichtet. Wenige wacklige Tische standen beinahe willkürlich verteilt in dem kleinen Raum herum und stellten die angebotene Ware zur Schau. Jedenfalls nur demjenigen, der sich aus Versehen hierher verirrt hatte. Ein billiger Ring reihte sich an das nächste schmutzige Armband, man hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Schmuck mit einer Glasplatte zu sichern, sie lagen einfach so in den Ausstellungskästen.
Wahrscheinlich werden hier Juweliere tagtäglich ausgeraubt, sodass sich teurer Schmuck gar nicht lohnt, denke ich bei mir und nehme einen bronzefarbenen Ring näher in Augenschein. In dieser Gegend standen Verbrechen an der Tagesordnung. Wieder einmal fragte ich mich, weshalb ich immer noch in diesem Kaff lebte.
Anneliese. Sie war der Grund, nur sie allein. Sie war Reporterin und wollte mit einer Story über dieses Kaff und seine düsteren Gestalten ganz groß rauskommen. Deshalb lebte ich hier schon einige Monate mit ihr zusammen und wartete auf ihren großen Durchbruch, der mich endlich wieder von hier wegbrachte, der aber niemals eintreten würde. Ich wusste das. Sie anscheinend nicht.
Ich griff nach einem goldfarbenen Ring und ließ ihn zwischen Daumen und Zeigefinger meiner rechten Hand hin und her tanzen. Meine Finger waren danach gelb verschmiert.
Seufzend ging ich zum nächsten Tisch, aber auch dort war die Auswahl nicht besser. Was konnte man schon von einem Laden erwarten, in dem einem aus jeder Ecke zahlreiche Spinnenfamilien entgegen grinsten und mit ihren dünnen Netzen die einzigen Verteidiger des Plunders waren. Aber ich sollte froh sein, überhaupt einen Juwelier gefunden zu haben.
Ein Verlobungsring. Danach suchte ich. Ich wollte Anneliese heiraten und mit ihr gemeinsam irgendwohin ziehen, wo die Gestalten noch menschlich waren, nicht alles aus Schatten bestand. Weg aus diesem Kaff, das einem das Leben schier aussaugte, in dem sich eine dunkle Gasse an die nächste reihte.
Es trat plötzlich noch jemand ein, ein junger Mann mit rabenschwarzen Haaren. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben stellte er sich mäßig interessiert vor einen der Tische. Ich bemerkte, dass er mir immer wieder nervöse Blicke zuwarf.
Der wird hier Sachen mitgehen lassen, schoss es mir durch den Kopf. Als hätte ich diesen Gedanken laut herausgeschrien, kam prompt der Ladenbesitzer und beobachtete uns mit Argusaugen von seiner verstaubten Theke aus. Ich zog nur unmerklich eine Augenbraue hoch. Die Spinnen hatten mich wahrlich netter begrüßt.
Nach einer weiteren Minute beharrlichen Schweigens jedes Anwesenden und nach weiteren verzweifelten Versuchen meinerseits, einen Ring von annehmbarer Qualität zu finden, wischte ich schließlich mit einer wirschen Handbewegung die Spinnweben von meinen zwei ausgewählten Schmuckstücken. Ein bronzener Ring mit einem eingelassenen weißen Stein und ein goldfarbener. Ich trug beide zur Theke und ließ mir von dem Ladenbesitzer, der mich mit so stark zusammengekniffenen Augen fixierte, als wäre ich derjenige in diesem Raum, der mit seinen zwei wertvollsten Juwelen gleich aus der Tür rennen würde, die Preise nennen.
Der Bronzene war beinahe doppelt so teuer wie der Goldene. Ich betrachtete beide nochmal genauer.
„Der ist schön, Schatz“, würde Anneliese antworten. Aber sie würde ihn nicht tragen, niemals. „Kein gutaussehender Typ würde mehr mit mir flirten!“, hatte sie mir schon oft erzählt und spaßhaft gezwinkert. Ich wusste, dass sie das ernst meinte. Sie hatte mich damals vor die Wahl gestellt: Wenn ich sie wirklich lieben würde, dann müsste ich hier bei ihr bleiben und das gemeinsam mit ihr durchstehen. Und ich liebe sie wirklich.
Ich liebe sie, sagte ich mir in Gedanken und sogar für mich klang es so, als ob ich es mir einreden würde. Kurz entschlossen griff ich nach dem bronzenen Ring.

Nachdem ich einen unverschämt hohen Preis für diese miese Qualität bezahlt hatte (in meiner Heimatstadt hätte ich dennoch bestimmt das Zehnfache hinblättern müssen), verließ ich den Juwelier mit einem unguten Gefühl. Ich dachte, die bedrückende Enge des Ladens würde meine Stimmung in ein dunkles Loch ziehen, aber auch während ich durch die verwinkelten Gassen zu unserer gemeinsamen Wohnung eilte, ließ mich das ungute Gefühl nicht los.
Ich hatte den Ring in meine linke Jackentasche gesteckt und tastete immer wieder nervös danach, als ob er sich irgendwann in Luft auflösen würde. Ich hatte nun schon so viel Zeit in dieser Gegend verbracht, dass ich mich kaum mehr verlief. Auch jetzt wusste ich genau, dass ich an der nächsten Weggabelung nach links musste, um zur Wohnung zu gelangen, geradeaus, um in noch düsteres Viertel zu kommen und nach rechts, wenn ich zum Bahnhof wollte.
Der Bahnhof war mein absoluter Lieblingsort. Nicht wegen der zwielichtigen Gestalten, die dort herumlungerten, oder der Schmierereien an den Wänden. Nein, das bestimmt nicht. Dieser Ort symbolisierte für mich den einzigen Ausweg von hier, er würde mich eines Tages in mein altes Leben zurückbringen.
Ich war an der Weggabelung angekommen und während ich noch überlegte, wie ich Anneliese davon überzeugen könnte, den Ring doch zu tragen, spürte ich plötzlich jemanden hinter mir und eine leise Stimme flüsterte „Wertsachen her, aber schnell!“ in mein linkes Ohr.
Ich drehte mich langsam um. Eine Person stand vor mir, eine schwarze Mütze mit Augenschlitzen über das Gesicht gezogen und ein bedrohliches Messer in der Hand, das direkt auf mich zeigte.
Ich bezweifelte stark, dass er den Mumm gehabt hätte, zuzustechen, aber ich wollte es auch nicht darauf ankommen lassen. „Schon gut, schon gut“, sagte ich, griff in meine rechte hintere Hosentasche und beförderte meinen Geldbeutel zu Tage, den er mit zitternden Fingern an sich nahm, als ich ihn ihm hinhielt.
Da ich keinesfalls naiv war, hatte ich meine ganzen Ausweise und Kreditkarten in der Wohnung gelassen. Es war auch (für meine Verhältnisse) nicht viel Geld im Geldbeutel, daher machte mir dieser kleine Verlust weitaus weniger zu schaffen als die Tatsache, dass meinem Heiratsantrag eine Moralpredigt folgen würde. Es war nämlich Annelieses Geldbeutel, den ich mir für heute geliehen hatte.
Während ich innerlich noch mit meinem schlechten Timing haderte, sah mich mein Gegenüber nur stumm an und entlockte mir damit ein gereiztes „War’s das dann?“ Ich war inzwischen wirklich genervt. Da wurde man ausgeraubt (ein Ereignis, auf das ich mich schon seit meiner Ankunft hier vorbereitet hatte) und dann lief es so unprofessionell ab, dass es schon beinahe wieder peinlich war.
„Ich will alle Wertsachen!“, entgegnete der Dieb barsch und die Messerspitze zuckte nervös.
Ich hatte plötzlich einen leisen Verdacht und beschloss, es darauf ankommen zu lassen.
„Das waren alle“, log ich.
„Dreck erzählst du! Gib mir den Ring!“, forderte er und das Messer in seiner Hand zitterte immer stärker.
Wie ich es mir gedacht hatte. Der andere Kunde aus dem Laden. Warum hatte er nicht einfach was aus dem Laden mitgehen lassen können? Wahrscheinlich war er gut Freund mit dem Ladenbesitzer.
Trottel, dachte ich nach dieser eindeutigen Feststellung. Jetzt hat er sich verraten, ich könnte ihn bei der Polizei genau beschreiben. Von einem Anfänger ausgeraubt. Ich ärgerte mich zu Tode.
Hätte er mich in einer anderen Stimmung erwischt, hätte ich mit ihm geredet, ihn überzeugt, dass das falsch war, was er da tat. Oder ich hätte ihm einfach das Messer aus seiner zitternden Hand gerissen und hätte ihn nach Hause gescheucht. Aber jetzt war mir alles egal.
Ich griff in meine linke Jackentasche und holte den Ring heraus. Nachdenklich rieb ich ihn zwischen den Fingern. Die Farbe ging tatsächlich schon ab. Ich würde Anneliese einfach den anderen Ring kaufen, den billigeren. Was tat es schon zur Sache? Sie würde ihn ohnehin nicht tragen.
Ich warf meinem Dieb den Ring zu. Er fing ihn, blickte mich noch einmal beunruhigt an und rannte dann ohne ein weiteres Wort davon, Richtung „noch düsteres Viertel.“
Ich drehte mich um, blieb dann aber stehen. Ich hätte zurückgehen können zu dem schäbigen Laden, hätte mit dem restlichen Geld in meinen Hosentaschen den anderen Ring kaufen können. Oder ich hätte zur Wohnung zurückkehren und Anneliese ein andermal den Antrag machen können.
Aber ich tat es nicht.
Einer plötzlichen Eingebung folgend sah ich meinem Dieb hinterher, wie er langsam in der Dunkelheit der Ferne verschwand.
„Danke!“, rief ich ihm spontan nach und ein großes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
Warum hätte ich mich gegen so ein eindeutiges Zeichen wehren sollen?
Ich ging nach rechts.
 

Mäuschen

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Danke dir schön =)

Nur schade, dass hier das kursiv Geschriebene nicht übernommen wird. So wird es ziemlich unübersichlich, wenn man Gedanken nicht sofort erkennen kann...


Liebe Grüße,
Mauserl
 



 
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