Schicksal

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Platoya

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Schicksal

Die Seele jung, das Herz zu alt,
um etwas zu verändern
am Dasein, das an Achtung arm,
und reich an Trauerrändern.

Was nützt es, wenn die Seele nie
die Kindheit überschreitet,
indessen sich im Lebenskern
vor Verzweiflung Verfall ausbreitet.

Die Resignation, mein Schirm vor der Welt,
die mich nicht altern lässt, doch nichts vergisst,
weil sie den Körper nicht versehrt,
das Innere jedoch unaufhaltsam zerfrisst.

Das Wissen um den Lauf der Dinge
ist grausam und ein Fluch.
Trotz dass Tausende waren behaftet mit ihm,
bleibt die Erkenntnis dessen ein nie geschriebenes Buch.

Die Wiederholung stellt sich ein,
auch ohne jedes Wollen.
Sie ist für jene Unerfahrenen,
die auch was lernen sollen.

Wer sie erkennt, hat schon verlor´n,
verflucht in alle Zeit,
ist er durch einen Umstand, der
sich nennt: Empfindsamkeit.

Die Simplen stecken alles weg,
ihr Friede heißt: Vergessen,
Gemütlichkeit in stumpfer Runde,
und täglich gutes Essen.

Manchmal wünscht´ ich, ich wär´ schon weg,
weilt´ unter all den Leichen,
um manchen dran zu hindern,
mich mit euch zu vergleichen.

Nicht meine Wahl war es, zu sein
so anders als die meisten,
dafür ist dieses Los zu hart,
kaum jemand kann sich´s leisten.

War ich stets unbeugsam und stur,
und hasste Schein und Lügen;
dem Tod, vor dem mich nicht mehr bangt,
werd ich mich willig fügen.

Der Dauerzustand Zweifel
hat mich dazu gebracht,
hier nichts mehr zu erwarten,
als eine ruhige Nacht.

Der Zweifel ist ein Teufel,
der nach Gewissen sucht,
und wer davon zu viel hat,
ist allezeit verflucht.
 
Als "Gedicht", naja.
Der Text ist eine Anklage gegen das Schicksal, und es wird in Form einer Orgie mit den sog. Reflexionstermini abgerechnet:
Schicksal, Dasein, Verzweiflung, Resignation, Zweifel, Wissen, Vergessen, Tod.
Emotional kommt die Aussage klar an, und selbst das Signum am Ende passt zum Text.

Allein: Die Sache ist ein Beispiel für menschliche Hybris. Da stellt sich der scheinbar wissende "Faust" in der Protagonist/in anklagend gegen die Welt, das Leben, in der Meinung, die Welt sei objektiv "so irgendwie", und sie erlebe Welt halt nur entsprechend.
Nicht erkannt wird, daß "Welt" lediglich das sein kann, was wir in unseren Köpfen selbst als "Welt" uns zusammendenken und -fühlen. Es gibt keine "an-sich-so-seiende" Welt, es gibt nur das subjektive Bild einer Welt im Kopf.

So klagt die Protagonist/in denn letztlich sich selbst an, ihre selbst zusammengedachte Hölle, in der sie lebt. Als einzigen Ausweg bietet sich ihr der Tod an, wiederum in der irrigen Meinung, dieser sei ein Objektivum.

Der Inhalt des Textes erinnert ein wenig an G.Benn, der irgendwo sinngemäß sagte: "Schon die Höherentwicklung des Lebens zur Molluske oder zum Wurm war zuviel, denn seitdem ist Empfindungsfähigkeit und damit Leiden angesagt."

Es ist dies einfach Ausfluss der irrigen Annahme aller sog. "Realisten", es gäbe eine bewußtseinsunabhängige Realität, die man ohne eigene Beteiligung, also auch ohne eigene Verantwortung, nur zu empfinden, zu erleben brauche, um sich danach über ihr Schlechtsein herrlich beschweren zu können.

Ein brauchbares Beispiel für irrige Realismus-Annahmen ist gerade der Begriff "Schicksal".
Das scheinbar "Schicksalhafte" tritt immer dann auf, wenn von zwei Prozessebenen, die miteinander verknüpft sind, und die simultan ablaufen, für den Erlebenden nur eine dieser Ebenen "einsehbar" ist. Es läßt sich lustigerweise gerade in der Literatur gut verfolgen, wie "Schicksal", genau dieser Annahme entsprechend, von den Autoren stets mühsam konstruiert werden muß.
 

Platoya

Mitglied
Hallo Waldemar,
danke für deine Beurteilung, auch wenn sie schon gleich im ersten Satz sehr abwertend ausgefallen ist. Immerhin hast du dir noch die Mühe gemacht, eine kleine wissenschaftliche Abhandlung über den Inhalt zu schreiben; wobei du auch teilweise richtig liegst mit der Einschätzung der zentralen Gestalt, denn es stimmt durchaus, dass unsere Welt nur das sein kann, was wir uns in unseren Köpfen zusammendenken. Nur eines hast du übersehen: das Los des Protagonisten wäre ja gar nicht so trostlos, wenn der Druck von außen nicht wäre, der ihm verhasst ist, diese Maßstäbe der Gesellschaft, an denen er persönlich nicht gewillt ist, sich messen zu lassen.
Was mich interessieren würde, ist folgendes: ist denn, wenn einem die Zentralfigur des Gedichtes nicht zusagt, das Gedicht als Ganzes nur mit "na ja" einzuschätzen oder liegt es an der Art, wie ich es geschrieben habe. Es mag schon sein, dass ich mit meiner Ausführung nicht auf dem neusten Stand bin, obendrein gelingt es mir nicht, ein Gedicht wie einen mathematischen Bruch zu kürzen. Aber ist denn jedes Gedicht, das aus mehr als zwanzig hingeworfenen Wörtern besteht, als gering einzuschätzen?

P.
 
@ Platoya

Nicht jedes Gedicht, dessen Hauptfigur nicht gefällt, ist deshalb schlecht. Habe ich nicht behauptet.

Dein Gedicht ist als Gedicht zu wenig ausgeformt und zuwenig verdichtet (komprimiert, symbolifiziert), es hat mehr den Charakter einer Prosa.
Du merkst selbst, daß es für das behandelte Thema viel zu lang, zu wortreich ist?

zur Aussage:
"das Los des Protagonisten wäre ja gar nicht so trostlos, wenn der Druck von außen nicht wäre, der ihm verhasst ist, diese Maßstäbe der Gesellschaft, an denen er persönlich nicht gewillt ist, sich messen zu lassen."

Den Druck von außen spüren wir alle, und da muß man irgendwann entscheiden: Anpassen oder sich-Durchsetzen, ein chronisches Leiden daran, larmoyant ausgedrückt, ist wie eine psychische Krebserkrankung.

Warum z.B. "ist das Herz zu alt, etwas zu ändern" und/oder sich durchzusetzen? Das ist Eingeständnis der Schwäche, und dann gilt: Anpassen. Entweder oder...
Nach meiner Erfahrung leiden wir alle viel zu oft unter Gespenstern, die nur solange Macht über uns haben, bis wir entschlossen NEIN sagen. Das ist wie im Kindermärchen: Man wird solange von Drachen verfolgt, bis man sich ihnen zum "Kampf" stellt.
 

Platoya

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Antwort

Ja, gut, damit magst du Recht haben, dass es nicht genug verdichtet ist und deshalb eher den Charakter von Prosa hat. Aber gibt es nicht schon immer diese Varianten von Gedichten: einmal die erzählerische, und auf der anderen Seite die des aus symbolhafter Sprache zusammengesetzten. Mir liegt halt mehr die erste; werde mir aber Mühe geben, meine Gedichte zukünftig kompakter zu gestalten.

Sicher spüren wir alle den Druck von außen, und man muss, wie du richtig sagst „irgendwann“ entscheiden „Anpassen oder sich Durchsetzen“. Die Hauptfigur befindet sich halt noch auf dem Weg dorthin.
Aus der Erkenntnis heraus ist ihre traurige Lebensbetrachtung entstanden. Das heißt aber nicht, dass sie ein hoffnungsloser Fall ist. Die Einsicht ist der erste Schritt zur Veränderung (Besserung). Unmut ist oft der Motor, der uns voranbringt. Vor jedem Hoch muss ein Tief gewesen sein.

Erst muss man etwas erkannt haben, um es verändern zu können. Aber das geht nicht von einen Tag auf den anderen. Es ist ein Lernprozess, und dieser muss durchlebt werden. Keiner wird von sich behaupten können, dass er sofort nach Erkennen seines Problems in der Lage wäre, dieses umgehend zu ändern.


Was hast du gegen Eingeständnis von Schwäche? Ich wage zu behaupten, dass viele Gedichte aus ähnlichem Antrieb oder aus dem Gefühl der Machtlosigkeit heraus entstanden sind. Genau wie Liebe, Hass, Trauer u.s.w. ist das Eingestehen von Schwäche ein Gefühl, das man beschreiben kann in einem Gedicht.

Schönen Tag noch.

P.
 



 
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