Schlagzeile

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Schlagzeile

Dunkelgrau starrte der Bildschirm in den Raum. Sie starrte zurück. Nur noch 24 Stunden bis zum Abgabetermin und seit drei Tagen zermarterte sie sich das Hirn - ohne Ergebnis. Sie schüttelte den Kopf bei dem Gedanken an ihre Freude, damals vor zwei Jahren, als man ihr die wöchentliche Kolumne in der Samstagsausgabe anbot. Wie gern sie zugestimmt hatte. Endlich schreiben können, eine regelmäßige Abnahme ihrer Texte, mit Garantie sozusagen. Und nun das. Dieser Druck... es war immer schlimmer geworden. Jede Woche ein wenig mehr und nun war es soweit: er war da, der Black Out.

Sie sah von dem leeren Monitor weg zum Fenster ihres Appartements. Der Ausblick von hier oben hatte sie immer beflügelt. Doch nun war der Herbst hereingebrochen, es dämmerte bereits und die Farbe des Himmels wurde immer mehr zu der des leblosen Computerbildschirms. Bald würde sich Dunkelheit über die Kleinstadt legen, in der nie etwas geschah. Früher hatte sie darüber gelacht, auf ihre Fantasie vertraut. Wo war es geblieben, dieses Gefühl von Zuversicht? Oh ja, sie hatte viel recherchiert, kannte inzwischen die Szene genau. Kein Thema war vor ihr sicher gewesen. Kein Politiker, den sie nicht schon mit moderat spitzer Feder traktiert hatte. Keine Person des öffentlichen Lebens, die noch nicht "verarbeitet" worden war. Aber das Themenfeld war, freundlich ausgedrückt, überschaubar. Und nun war sie angekommen, am toten Punkt.

Sie spürte den beinahe unerträglichen Druck der auf ihr lastete, wie eine der weitläufigen dunklen Wolken die vor Einbruch der Dämmerung den Novemberhimmel bedeckt hatten. Sie waren auch jetzt noch da, spürbar, hinderten den beinahe vollen Mond am Durchkommen, von Sternen gar nicht zu reden. Die Nacht - ein schwarzer Sack und sie, die vielgelobte Kolumnistin, darin gefangen.
Alle Tricks hatte sie angewandt: Die Wohnung war geputzt, die Wäsche gewaschen, sogar einen Kuchen hatte sie gebacken (er würde nach Verzweiflung schmecken). Nichts hatte geholfen. Beinahe gehetzt sah sie auf ihren Schreibtisch, aber selbst hier war alles ordentlich aufgeräumt, es gab keine Ausrede mehr; jetzt hieß es schreiben.

Schon seit Tagen drehte sich ein Gedanke in ihrem Kopf. Nahm an Geschwindigkeit zu, verselbständigte sich: Wenn doch nur endlich, endlich etwas passieren würde. Irgend etwas. In diesem Provinzstädtchen – man nannte sich großspurig Kreisstadt - in das sie vor Jahren gekommen war, weil es hier eine Volontariatsstelle bei der lokalen Zeitung für sie gegeben hatte. Wieder wanderte ihr Blick zwischen Bildschirm und Nachthimmel hin und her, die allgegenwärtige Schwärze breitete sich weiter in ihrem Inneren aus. Niemals passierte hier etwas. Keine Unfälle, keine nennenswerte Kriminalität, keine Skandale die man hätte zum Thema nehmen können (natürlich gab es die, aber der Chefredakteur war Mitglied im einzigen Golfclub, wie beinahe das gesamte Stadtparlament und natürlich die "Oberen Zehntausend" - etwa vier Dutzend Seelen. Und wer wollte es sich schon mit einflussreichen Duzfreunden verderben?). Es war zum aus der Haut fahren.

Sie ging zum Sideboard und schenkte sich einen Whiskey ein. Kehrte mit dem Glas traumwandlerisch langsam zurück zu ihrem Sessel zwischen Fenster und Bildschirm. Sie setzte sich unter dem düsteren Auge des Monitors, fühlte seinen Blick auf ihrer Haut und fröstelte. Schnell nahm sie einen tiefen Schluck.

Wieder das Gedankenkarussel, jetzt vom Alkohol ungut-neblig auf Touren gebracht. Wenn doch nur ENDLICH etwas geschehen würde in diesem gottserbärmlichen Nest! Bilder wirbelten in ihrem Kopf. Mitgenommen aus den Abendnachrichten vieler Monate. Ihr Glas war leer und sie füllte gedankenverloren nach. Der Inhalt schwappte ein wenig über auf dem Rückweg zu ihrem Platz. In ihrem Hinterkopf leuchtete schwach ein Alarmlämpchen. Die dazugehörige Stimme überhörte sie, ließ sie untergehen im Getöse der beschleunigten, kreiselnden Gedanken. Wieder veränderte sich etwas. Vor ihrem geistigen Auge flackerte nun der brennende Golfclub im Wechsel mit einem vom strahlenden Kronleuchter baumelnden Bürgermeister und der explodierenden Gründerzeitvilla des Chefredakteurs (er hatte seinerzeit eine reiche Frau geheiratet).

Nun war ihr heiss. Mühsam erhob sie sich, stellte das leere Glas achtlos auf dem Schreibtisch ab und näherte sich langsam, wie an einem unsichtbaren Faden behutsam gezogen, dem Fenster. Waren es die routierenden Bilder oder der Alkohol? Sie torkelte leicht. Leise erstaunt stellte sie fest, dass sie den Blick nicht von der umrahmten Schwärze abwenden konnte, selbst als sie das Klirren des umfallenden Glases hörte. Froh, sich an der Fensterbank abstützen zu können, langte sie unsicher nach dem Griff und öffnete. Die kühle Luft tat gut und sie lehnte sich ein wenig hinaus.

Die Erleichterung hielt nur kurz an. Dieser Satz in ihrem Kopf - er ließ sich nicht abschütteln. Wenn doch nur ENDLICH etwas passieren würde, etwas, das geeignet war ihre zweieinhalb Textspalten zu füllen, die zum Fass ohne Boden mutiert waren.
Sie fühlte sich gefangen. In dieser Wohnung, dieser Stadt, in ihrer eigenen Kolumne. HALT AN rief es in ihrem Kopf. Das Karussel raste weiter...
Aber stopp - da war etwas! Sie griff danach, hielt es fest. Eine Idee setzte sich fest und gewann an Boden. Sie sah die Samstagsausgabe vor sich, ihr Bild in der rechten oberen Ecke des Rahmens, der diesmal dick und schwarz war (warum nur?). DAS war DIE Lösung! Sie selbst würde für eine Schlagzeile sorgen. Es WÜRDE etwas geschehen, endlich! Beinahe glücklich fragte sie sich, wie sie so lange hatte brauchen können, um auf diese genial einfache Lösung zu kommen. Sie lächelte, als sie sich weiter vorbeugte - weiter...
Erst kurz vor dem Aufschlag kam ihr der Gedanke, dass sie diese Kolumne ja gar nicht würde schreiben können.

Am darauffolgenden Samstag gab es unerwartete Platzprobleme in der Wochenendausgabe der Provinzzeitung. Der Nachruf auf die beliebte Kolumnistin musste auf zehn Zeilen zusammengestrichen werden, damit man über den Brand im Golfclub, den völlig unerwarteten Selbstmord des Bürgermeisters und die Gasexplosion in der Villa des Chefredakteurs berichten konnte (seine Frau war trotz ihres Geldes sehr sparsam und hatte einen Bastler kommen lassen anstelle des Installateurs).
 
A

Arno1808

Gast
ironische Kurzgeschichte

Hallo ariane,

erst einmal ein herzliches Willkommen in der Lupe.

Es ist eine schöne Geschichte, die Du uns zu Deinem Einstieg hier präsentierst.
Du hast einen flüssigen, gut lesbaren Schreibstil und verstehst es, den Leser mit kleinen Spitzen, wie
Die Wohnung war geputzt, die Wäsche gewaschen, sogar einen Kuchen hatte sie gebacken (er würde nach Verzweiflung schmecken) zum Schmunzeln zu bringen.
Das gefällt mir sehr gut.
Einzig der Titel hat mir nicht so gut gefallen, der ist zu allgemein. Kann es sein, dass Du angenommen hast, bei 'Thema' das Forum eintragen zu müssen, oder wolltest Du die Geschichte tatsächlich so nennen?
Aber das nur am Rande.
Ich freue mich schon auf Dein nächstes Werk.

Gruß

Arno
 
hallo arno,

besten dank für das freundliche willkommen - und natürlich für die angenehme kritik.
was den titel angeht ("schlagzeile") so hab ich bei der eingabe bloss nicht kapiert, dass "thema" hier gleichbedeutend mit "titel" ist - anfänger halt... *g.

wenigstens hab ich inzwischen rausgefunden, wie ich auf kritiken reagieren kann ;-)

einen schönen gruss

ariane überall
 



 
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