Schnee

Morris

Mitglied
Schnee

Einmal im Jahr fällt Schnee auf die Erde. Nur einmal im Jahr bedeckt der weiße Schnee die Wege und Straßen. Man kann eine Straße ein ganzes Jahr über betreten, den Schnee, der die Straße bedeckt, kann man nur einmal im Jahr betreten. So will ich über den Schnee gehen, der noch am Rande der Straße liegt und nicht über den frei geräumten Streifen; das kann ich ja ein ganzes Jahr hindurch. Ich gehe über den Schnee, der jetzt nur einmal im Jahr zum Betreten bereitliegt.
Ich erweise dem Schnee eine Ehre, indem ich über ihn schreite; ich biete ihm die Aufmerksamkeit, wegen welcher er gefallen war. Der Straße mit ihrem schwarzen, deprimierenden Blick, will ich jede Beachtung verweigern. Unstrittig ist es, dass die Straße, die da zwischen den Rasenflächen liegt, aus nichts weiter gemacht ist als aus Dreck. Es ist jener Dreck, den man, in der Wohnung gefunden, sofort beseitigen würde; aber draußen zwischen den Gärten und Beeten lässt man ihn ruhig stehen um darauf zu gehen. Es ist ein sehr eigenartiger Dreck, aber es ist Dreck. Und einmal in Jahr fällt der weiße Schnee drüber um ihn zu verdecken. Einmal im Jahr ist die Möglichkeit, den Dreck nicht zu beachten; da räumen die ebenfalls eigenartigen Menschen Streifen in den weißen Schnee, als fühlten sie eine innere Zusammengehörigkeit mit dem Dreck der Straßen. Sie sehen tatsächlich die schwarze Straße lieber, als den Schnee, der sie für einen kurzen Moment im Jahr bedeckt.
Der Schnee ist geradezu göttlich; er fällt vom Himmel; er verdeckt das Schwarze; er lenkt ab vom Üblichen, und führt zu Seltenem, zu Unerwartetem und Weißem. In einem Moment im Jahr versucht Gott uns des deprimierenden Anblicks der Straße zu erlösen. Aber die Menschen streuen Salz drauf und gehen mit Schaufeln umher, wie Friedhofspersonal. Gott lässt seinen weißen Schnee rieseln und die Menschen tun ihn sofort auf die Seite, anstatt über ihn drüber zu schreiten, die Füße darin einzutauchen und Spuren darin zu setzen. Der Schnee möchte so viel für die Menschen tun, aber die menschliche Natur ist eben eine, die Schaufeln und Pflüge erfindet um sich gegen Gottes Güte zu verteidigen.
Warum fällt der Schnee auf die Erde? Ist es reiner meteorologischer Zufall? Ist es, weil Winter ist? Nein, es ist, weil einmal im Jahr der Himmel zur Erde sinkt. Einmal im Jahr macht Gott, dass die Straße, die nach des Menschen Vorbild schwarz ist und hart, zu dem Vorbild des Himmelreiches wird, das weiß ist und weich. So viel könnten die Menschen daraus lernen, doch eh auch nur ein himmlischer Gedanke den Menschen einnimmt, treibt ihm seine eigenartige Natur die Schaufel in die Hand. So zieht er los und salzt den Dreck, als sollte nichts mehr darauf gedeihen; aber mal ehrlich, es wird nie mehr was darauf gedeihen. Andersrum, was gedeiht denn schon auf Schnee? Wieso soll Schnee besser sein als gesalzener Dreck? Das ist eine sehr menschenartige Frage. Und man erkennt schon im Voraus, dass sie keinen Raum für Schönheit lässt. Dabei ist es die Schönheit, die der Schnee an sich hat (einmal im Jahr). Die Straße hat keine Schönheit (ein ganzes Jahr). Die Straße inspiriert nur selten einen Gedanken; die meiste Zeit wird sie ja nur überquert, befahren und manchmal aufgerissen. (Einmal im Jahr findet man sie sogar gesalzen.) Dagegen bringt der Schnee einmal die Schönheit der Veränderung in die schwarze harte Welt. Er macht sie weiß und weich und lässt an Schönheit denken, an Schönheit, die vom Himmel gefallen ist, für eine kurze Zeit.
Ist es nicht der Schnee, der uns das Bild der Hölle vor Augen führt? Erkennen wir denn nicht, dass der Schnee, der vom Himmel fällt, zu dem, was wir von der Hölle wissen im genauen Gegenteil steht? Die Hölle, jener Ort, wo Feuer und Flamme über Reuelose, Schänder und Mörder geblasen wird um sie zu foltern. Der Ort, an dem Hitze alles vernichtet, was an Schnee nur im Geringsten erinnern könnte. Der Himmel muss ein Ort sein, der überall von Schnee bedeckt ist.
Nur wenn wir an Schnee denken, können wir uns etwas so schönes vorstellen, wie ein blasses, in Mäntel und Schals eingesponnenes Mädchen. Ihre hochgezogenen, winzigen Schultern schütteln sich ab und zu und ihre Ellbögen sind gebogen in ihre schlanken, zitternden Handflächen gelegt. Der Anblick ihrer langen, dünnen Finger ist so kalt, dass einem eine Hitze im Herzen aufsteigt und man möchte ihre fröstelnden, zarten Hände am liebsten in diese Glut halten um sie zu wärmen. Ganz leise hängt ein kleiner, durchsichtiger Tropfen an der Spitze ihrer geröteten Nase; er schaukelt wie sich ihr neugieriger Kopf bewegt und fällt wie ein Schauer ihren zierlichen Körper durchfährt. Das Lächeln das sie blumenhaft in ihrem Gesicht aufgehen lässt, lässt einen Einblick in ihr Inneres gewähren. Es ist scheu aber durchaus ernst, als könnte sie nichts dafür, dass es sich in ihrem Gesicht zeigt. Deshalb senkt sie die Augen, löst eine Hand vom Ellbogen und lässt sie zittrig durch das Haar wandern, das sich an der Seite ihres sanften, elfenbeinfarbenen Gesichts, wie ein schöner Schmuck vom Wind verstreuen ließ. Und im selben Augenblick merkt sie auf, dass dieses Spiel ein noch scheueres und ernsteres ist und kehrt verlegen zum Lächeln zurück.
Wie ließe sich nur eine solche Begebenheit an einem schwülen, trägen Sommertag vorstellen, dessen Hitze uns nur daran erinnert, wie die Flammen der Hölle über unsere Reuelosigkeit und unsre Verbrechen gejagt wird? Mit schweren Köpfen hängen wir in flimmernden Straßencafes und das Schwarz der Straßen prasselt uns mit Sonnenbrandgefühl unsere nackten Beine voll. Das Einzige, das wir sehen ist, wie ein schwitzender, unnahbar heißer Mädchenkörper in einem gepolsterten Stuhl zusammenbricht vor Hitze. In den kleinen Falten auf ihrem hübschen Hals hat sich in einer Stunde mehr Schweiß und Dreck eingesammelt als normalerweise an einem ganzen Tag. Überall lieg der Gastank der Verwesung in der Luft und sogar die Blumen beugen ihre Köpfe nieder, um nicht die vorwurfsvollen Blicke der eigenartigen Menschen zu sehen, die in ihrer aufgesetzten Zufriedenheit Eistüten in sich hineinstecken, um zu vertuschen, dass sie die eingekehrte Hölle etwa scheußlich finden. Der Sommer ist doch die Jahreszeit, in der die Hölle auf die Erde kommt, wie das der Himmel im Winter tut. Im Sommer, in der Hitze, die keinen Schnee erlaubt, sind die Straßen immer frei sichtbar, nur in der Zeit, wo kein Schnee möglich ist, sind alle Scheußlichkeiten der Hölle auf der Erde zu sehen. Wenn Schnee fällt, kommt Himmel und Göttlichkeit über das Land und besonders über die Menschen. Nur wenn einmal im Jahr der Schnee gefallen ist, müssen wir uns die Schönheit einer Mädchengestalt selbst ausdenken, ohne Schnee wird sie uns geradezu aufgezwungen. Ohne Schnee gibt es überall hervorquellende Brüste, Schwarten und Wampen. Es gibt freie Schenkel, freie Schultern, freie Bäuche. Die innere Hitze ist außen und brennt, so dass man nicht näher kommen möchte. Man brennt schon von früh bis spät und auch in der Nacht. Im Winter braucht man zum Brennen ein wenig mehr, deshalb ist es ein schwierigerer Akt, im Winter zu brennen. Dass jener Akt zwangsläufig der reizvollere ist, lässt sich nicht bestreiten. Deshalb kehren wir wieder zurück zum winterlichen Mädchen, das jenes ist, welches uns der Schnee gegeben und uns eine Phantasie geweckt hatte.
In ihrem Lächeln hatten wir uns zuletzt verloren, das sie nicht halten konnte. Sie zieht die kalte Luft tief in ihren Körper ein, um ihre eigene Hitze zu kühlen, die nach ihrem Lächeln in ihr plötzlich rasend gewachsen war. Sie beugt ihren kopf zur Seite und träumt wie ein Engel auf einem Gemälde. Dann dreht sie sich langsam um, weil sie gemerkt hat, dass sie nicht mehr zittert, sondern vielmehr bebt.
Ihre warme Gestalt ähnelt einem Streichholz; ein wenig innerer Nähe und sie ginge in Flammen auf, dichten wir uns ein.
Nur ein Schritt näher und sie könnte wie ein Feuerwerk aufgehen.
Sie würde daliegen und der Schnee wurde um ihren bebenden Körper herum schmelzen.
Nur auf diese Weise sollte Schnee geschmolzen werden.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Das Werk missfällt mir.
Gründlich.
Nicht wegen der nicht Stolperstellen im Stil (wie die „gebogenden Ellenbogen“ oder das "in Mäntel {nicht etwa "in einen Mantel"!} eingesponnene Mädchen) oder im Bereich der Semantik (wie „den Dreck stehen lassen" oder "einen Gedanken inspirieren") – da hab ich viel öfter Schlimmeres gelesen, sogar viel öfter viel Schlimmeres. Deshalb gebe ich auch keine Wertung ab – "ausgemachter Schmus und Schmonsens" hat ja nur peripher mit "Handwerk" (, das wohl durchaus eine 5 oder 6 verdient,) zu tun.
Zum Handwerk könnte ich eventuell noch anmerken, dass die wenig abwechslungsreiche Zurordnung der Begriffe und die Wiederholung ständig gleicher Bilder (Schnee = Himmel, Straße = Dreck, Sommer = Hölle; Schnee = weich, weiß, bedeckt die Straße/den Dreck) ermüdend ist und den Eindruck, eine Predigt vor sich zu haben, kräftig unterstützt.
Das ist – für meinen Geschmack – nicht erbaulich oder stimmungsvoll, das treibt mir den „was für ein bemühter, engstirniger, verklemmt-scheinheiliger hyper- und zugleich scheinreligiöser Dummfug!"-Ärger (, der vor allem auch auf dem unten Genannten fußt) ungebremst ins Hirn. Ich weiß, das ist hart formuliert und wird möglicherweise deiner Intension nicht gerecht – aber das trifft genau das, was sich in mir beim Lesen abspielte. Trotz meiner eigenen Abneigung gegen Sommerhitze, wohlgemerkt!


Ich will sagen, warum ich das Werk allerallerhöchstens als Mittelmaß empfinde: Im Bemühen, möglichst "stimmungsvoll" zu schreiben, passiert eine Menge Unsinn in dem Text.
Zum Beipiel die wiederholte Behauptung, es schneie nur einmal im Jahr. (Von „Schnee hat nichts mit meteorologischen Phänomenen zu tun" oder "der Schnee möchte was für die Menschen tun" mal ganz zu schweigen.)
Zum Beipiel die undurchdachte Forderung, die Menschen mögen im Schnee gehen. Gut, tun wir's also mal! Und nun stell dir deinen "himmlisch weißen, weichen Schnee" nach der Rush-Hour vor! Das sieht auch der Schnee nur noch wie Dreck aus – und zwar wirklich nur noch wie Dreck.
Zum Beispiel die (wiederholte) Behauptung, Straßen bestünden aus Dreck.
Zum Beispiel die "tiefschürfende" Erkenntnis, es sei irgendwie verwerflich, Schnee zu räumen – pfeif auf Sicherheit, Pünktlichkeit und funktionierende Infrastruktur (, z.B. Energie, Abfallenstorgung, Belieferung der Geschäfte etc. pp)!
Zum Beispiel die Behauptung, im Sommer sei alle Zufriedenheit der Menschen nur aufgesetzt, „nackte" Körper verdächtig nah am Höllentreiben und "Brennen im Winter der zweifellos reizvollere Akt". Abgesehen davon, dass ich durchaus zweifle, es ergo nicht zweifel-los ist: Was bitte ist an einer frierenden Teen-Age-Nutte im Schwindsucht-Look und Rotz an der Nase (Sorry! So hört sich für mich die Passage über das "Mädchen im Schnee" an) „himmlisch"???


Um dieses Argument von vornherein auszuräumen: Ich LIEBE den Winter und Schnee finde ich schön (, nur nicht auf der Straße, wenn ich fahren muss, denn meine körperliche Unversehrtheit liebe ich dann doch noch etwas mehr). Ich mag Sommer auch nicht und sonne-schwitzende Leiber wecken auch in mir weder Lust noch andere Hochgefühle. Aber dieser Text ist – Sorry! – eher geeignet, zukünftig bei mir Grusel-Gefühle mit "weißem Schnee" zu verbinden.
 

Morris

Mitglied
Hallo jon,

verzeihen Sie mir bitte, dass ich erst jetzt antworte, aber ein Internetbesuch ist für mich an viele Neurosen gebunden, so dass ich nur zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Internet gehen kann.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass das, was ich da geschrieben hatte, der reinste Müll ist. Und es tut mir sehr Leid, Ihrem brillianten Intellekt eine solche Beleidigung aufgezwungen zu haben. Sie haben natürlich Recht, wenn Sie meine Fehler so deutlich aufzeigen, aber wenn ich ehrlich sein soll, muss ich gestehen, dass ich den Scheiß, den ich so veröffentliche, niemals ein zweites Mal durchsehe (das ist auch auf einige Neurosen zurückzuführen). Ich wollte in Ihnen also diese Empörung nicht mit irgendeiner Absicht hochkommen lassen; wissen Sie, ich bin ein Niemand, das hier ist eher Spaß und exhibitionistisches Vergnügen für mich (ich befürchte allerdings, dass, wenn ich es jedesmal zugäbe, mir die Mitgliedschaft irgendwann verwährt würde, ich habe nur einen flüchtigen Blick über diesen endlosen Netiquette Aufsatz gamacht, ich stehe da auf sehr dünnem Eis, muss ich zugeben, aber zum Glück entwickelte sich da keine Neurose bei mir). Desweiteren verstehe ich nichts von den fachlichen Normen und Ausdrücken, die man als jemand mit Ihrem Profil besitzt und zum Schreiben beachtet und verwendet. Mein kümmerliches Stückchen Verstand kommt Ihrem Geiste mit Seiner Lebenserfahrung mit Sicherheit nicht nahe, in diesem Zusammenhang ist Ihr Interesse und Ihre Meinung durchaus sehr lehrreich für mich, wofür ich mich gleich bedanken möchte. Danke. Natürlich bedeutet es nicht so viel für mich, dass ich irgendwas an dem Schund zu ändern bereit wäre. Glauben Sie mir bitte, ich habe keine Ahnung vom Schreiben, dafür (oder deswegen) um so mehr davon Entsetzen auszulösen, das ich selbst nicht wollte. Ich fühle mich auch wirklich schon ziemlich klein und dumm, dass ich Ihnen keine angemessenere Antwort bieten kann und ich höre auch gleich auf. Aber noch will ich behaupten, dass in meinem katastrophalen Dingsbums nichts positiv gemeint ist, weder der Schnee, noch der Sommer, noch der Himmel mit seinen Herrlichkeiten oder gar die Teen-Age-Nutte im Schwindsucht-Look, denn es ist doch trotz allem eine Tatsache, dass der Schnee irgendwann taut und was er hinterlässt, ist ebenfalls nicht positiv. Was mir also bleibt ist, sich das Positive am Schnee, am Dreck, an Sommerhitze, am Himmelreich und an all den schwindsüchtigen Teenie-Nutten selbst einzubilden. Ich weiß, es ist garade das, dass ich es nicht gaschafft habe den weiterführenden Gedanken anzubringen, welcher gerade ins Bewusstsein rufen würde, dass der Schnee, eine so schwindsüchtige Sache, eben den Dreck der Straße nicht mit Ehrlichkeit abdeckt, sondern, wie Sie sagten, nur noch mehr Dreck schafft, wenn man darüber läuft (von den Alltagsgefahren ganz zu schweigen), was ihnen an dem Mist so sehr missfällt und meine Unfähigkeit zum Vorschein bringt und ich bitte Sie wieder vielmals um Verzeihung dafür, dass Sie sich so entsetzen mussten, wo doch alles eigentlich ohne Bedeutung und wertloser, neurosenfreier Nachmittagsabfall ist.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Entschuldigen Sie bitte, dass Ihr Text bei mir etwas auslöste. Entschuldigen Sie bitte, dass dies keine Euphorie war. Und entschuldige Sie bitte, dass ich durch Kundgabe dieser Eindrücke inkl. Erklärungsversuch, woran es wohl gelegen haben mag, Minderwertigkeitsgefühle bei Ihnen auslöste – nichts liegt mir ferner als das. Verzeihen Sie, dass ich annahm, Sie hätten Interesse an Leserreaktionen. Zu meiner Verteidigung kann ich nur anführen, dass ich mich nicht einem Selbsthilfeforum, das kreativen Eruptionen als Entspannungstherapie zur Neurosen-Linderung Raum bietet, wähnte. Ich werde Sie künftig unbehelligt eruptieren (gibt's das Wort? Wenn nicht, ist es hiermit erfunden) lassen …
 



 
Oben Unten