Schnulze Schema F

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Tagmond

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"Mit gerunzelter Stirn sahen die Beiden einander an. Sassen sich gegenüber und konnten nur noch zusehen, wie ihr Traum plötzlich zerbrach.
Wie aus dem Nichts heraus wurde, was sie so lange stark gemacht hatte, wertlos und leer.
Erschreckend die Indifferenz mit der sie dieses zur Kenntnis nahm. „Ich fühle nichts mehr. Nichts bleibt. Wie grausam, es war so wunderbar, was ich fühlte, so echt, tief und sanft. Wie kann es mich jetzt nur so unberührt lassen?“
Er zog die Augenbrauen zusammen, hatte Bauchschmerzen. Sie saß nur einen Meter von ihm entfernt und war doch furchtbar weit weg. Diesen Satz hatte er schon so oft gehört. Eine Floskel war er für ihn. Ein Satz aus einer Vorabendserie. Nun füllte er sich plötzlich mit Inhalt und er verstand und erschrak „ Wo willst Du denn hin, so ohne mich? “ wollte er noch rufen, doch er sah in ihrem Blick, dass es zu spät war."

Sie hatten sich auf einer Party in St-Germain-en-Laye kennen gelernt. Als sie ankam war es eigentlich das Letzte, worauf sie Lust hatte, jemanden zu treffen, sich ihm zu nähern, von sich zu erzählen, sich hinzugeben, den Anderen in sich aufzunehmen. Dieser Ablauf war in ihrem Leben mittlerweile zur Routine geworden. Sie erzählte immer die gleichen Geschichten, wenn sie jemand bat, von ihrem Leben zu erzählen. Sie wusste was schockte, was gefiel und jonglierte so mit ihren Geschichten, die genauso gut die einer anderen Person hätten sein können. Erstaunlich, dass es die Leute trotzdem interessierte. Für sie zum bekannten Schema F gewordene Kennenlern-Prozesse erfüllten sie nun nur noch mit Gleichgültigkeit. Sie hatte gerade eine Beziehung beendet, bei der sie auch schon von Anfang an wusste, dass es ihr im Grunde nicht viel bedeutete, so sehr sie sich auch bemüht hatte, ihren „Freund“ zu lieben.
Wieder eine Geschichte, die jedem anderen auch hätte passieren können.
Nun fuhr sie also nach Paris, es waren nur 90 Minuten, die sie im Zug saß und dennoch änderte sich ihr Leben radikal. Manchmal verbrachte sie Wochen, in denen sich nichts ereignete, nicht mal die Fliege in ihrer Küche starb und so oft saß sie auf dem kleinen Küchenhocker, beobachtete dieses behaarte Biest verwundert und fragte sich, warum eine Fliege mehr Durchhaltevermögen hat als sie selbst, die erfahrungsgemäß schon im nächsten Gedankengang den Vorausgehenden bereut.

Im Zug las sie ein bisschen, erwartete nichts Großartiges, einmal ausgestiegen überwältigte diese Stadt sie, wie jeden anderen Touristen auch. Menschen, Wasser, Eis, Cafés, Kultur wo sie hinsah. „Alles in Bewegung, man muss rennen, um bei dieser Geschwindigkeit mitkommen zu können. Oder man bleibt stehen und staunt. Wohin rennt und strebt ihr? Was ist Euer Ziel? Mann, ist diese Stadt stressig!“
Nach ihrem Tag in Montmartre ( „ Nein, ich will kein Portrait, auch wenn ich so aussehe als ob“ ) kam sie ziemlich erschöpft , entnervt und mit einer riesigen gläsernen Salatschüssel beim Grillabend an.
Als eine der Einzigen hier, war sie sich der außergewöhnlichen Location bewusst. Ein weißes Wohnzimmer, einziger Farbklecks ein rotes Samtsofa vor dem Grossbildschirm. Das Barbecue fand in einer umfunktionierten Troglodytenhöhle statt. Eine integrierte Galerie, die Anlage auf einem gläsernen Podest und drumherum uralte, feuchte und weiche Sandsteinwände, in denen an die zwanzig Fledermäuse hausten, die bei dem ersten Lied kreischend die Höhle verliessen. Verteilt saßen die Pariser Vorörtler in ihrem gewohnten Ambiente und unterhielten sich. Das Buffet war enorm, das einzige was fehlte die Stimmung. Sie beschloss also, sich gepflegt zu besaufen und das Beste draus zu machen. Die Stimmung kam auch nicht auf, als sie ihn das erste Mal sah. Oder doch? Irgendwie eher nicht, es war so natürlich, ihm in die Arme zu laufen. So, als hätte sie es gewusst, dass sie erst zögerlich miteinander reden, dann Würstchen auf den Gastgeber werfen , dann Judo auf dem Rasen machen würden, um die ganze Feinarbeit des armen Gärtners in Kompost zu zerlegen. Als habe sie es gewusst, dass sie sich in ihn verlieben und davor endlich keine Angst mehr haben müsste. Als hätte es ihr die Seine auf dem Hinweg ins Ohr geflüstert „Hab keine Angst, es wird gut werden “.

Und das war es dann auch. Natürlich, ehrlich und lustig, mit einem dicken Tropfen Sinnlichkeit, der jedes Mal, wenn er sie ansah, sämtliche Tiefen und Winkel ihres Körpers fülle und sie erzittern ließ.
Sie redeten bis 6 Uhr morgens. Als sie einschlief und ein paar Minuten später schon wieder erwachte, saß er am Fenster und sah hinaus in den Garten. „Du weißt eigentlich gar nicht, wer ich bin. Ich erzähl Dir ein bisschen von mir.“ Und er sprach von seinen Freunden, seiner Familie, seinen fehlgeschlagenen Beziehungen, seiner Liebe zur Natur. Mit jedem Satz, der vom Fenster aus durch die leichte Sommerluft in ihr Ohr drang war sie sich sicherer „ Dies ist außergewöhnlich. Endlich meine eigene Geschichte“

Er war der erste, der ein „solides“ Leben führte, weniger Künstler war, auf den ersten Blick nicht außergewöhnlich- und doch. Als sie ihn so sitzen sah, wollte sie mehr von dieser guten Seele erfahren. In kleinen Stücken. Was für ein Privileg, dass er diesen Moment mit ihr teilte.

Ihm war komisch zumute. Woher kam es auf einmal dieses seltsame rothaarige Wesen mit dem Akzent und den grünen Augen, die zu Beginn des Abends so giftige Blicke sprühten?
Damit hätte er am Wenigsten gerechnet. In wenigen Wochen würde er in die USA fahren und das Letzte, was er nun brauchte war eine Destabilisierung seiner Gefühlslage.
Er wollte arbeiten, sich beweisen, dass die drei Jahre an der härtesten Handelsuniversität nicht umsonst gewesen waren. Eine Bank neu strukturieren. Er hatte Angst und gleichzeitig freute er sich auf dieses Neue, Unbekannte. Und da kam sie, offensichtlich schlecht gelaunt mit dieser riesigen Salatschüssel über den Rasen gestakst, setzte sich neben ihn, fragte, wo die Getränke stehen und rauchte. Er mixte sich mit guten Cocktails, schlauen Sätzen und viel Charme und Humor in ihr kleines Reich voller Gedanken. Das Alles ohne sich darüber bewusst zu sein.

Als sie ihn so ansah, wusste sie, er habe einen Platz in ihrem Herzen. Wie lange? Wer weiss? Vielleicht kommt er sie noch besuchen, sie fahren vielleicht noch in den Urlaub, schreiben sich viel. Sie ist vielleicht unendlich traurig als er endgültig fährt. Vielleicht besucht sie ihn aber auch, oder er sie. Zusammenziehen, Kinderkriegen, gemeinsame Wohnung, gemeinsames Chaos, gemeinsame Ruhe? Auf jeden Fall wird es nicht so enden, wie diese Geschichte beginnt und so viele ihrer Geschichten sonst endeten. Denn es ist endlich ist es ihre eigene Geschichte…und die Seine natürlich auch. Ohne Schema F(in).
 



 
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