Schöne Grüße

Raniero

Textablader
Schöne Grüße

Gemäß einem alten südeuropäischen Brauch galt es als nicht unschicklich, beim Ableben eines Zeitgenossen, der auf Erden einen derart unfeinen Lebenswandel pflegte, dass man zu Recht vermuten kann, er zöge deswegen ohne Umwege direkt in die Hölle, diesem Toten Grüße mitzugeben; Grüße an die ‚Lieben` in diesem Bereich des Jenseits.
So vollzog es sich auch nach dem plötzlichen Tod von Karel Lagerma, der aufgrund zu hohen Alkoholzuspruches auf einem Jahrmarkt aus einer Karussellgondel aus großer Höhe abgestürzt war.
Trotz dieses dramatischen Todessturzes weinte ihm außer den engsten Familienangehörigen kaum jemand in der Stadt eine Träne nach, denn mit zu vielen seiner ehemaligen Freunde und Bekannten hatte er es sich wegen seines aufbrausenden rechthaberischen Wesens verdorben; so auch mit Reginald Fornefax, seinem unmittelbaren Hausnachbarn.
Hatte sich zuerst, als sie zu gleicher Zeit ihre Häuser nebeneinander errichteten und gemeinsam feierlichen Einzug mit ihren Familien in ihre neuen Domizile hielten, eine dicke Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, mehr als eine gute Nachbarschaft, so entzündeten sich jedoch nach nicht allzu langer Zeit, selbst bei den geringsten Kleinigkeiten, heftige Streitereien, die einen ständigen Unfrieden, eine Art Kleinkrieg, hervorbrachten.
Das eine Mal war es die Anzahl der Gartenzwerge des einen, die dem Nachbarn und Freund auf den Magen schlugen, ein weiteres Mal die Zweige der Obstbäume, die dem anderen die schöne Sicht verunstalteten; ständig gab es Reibereien und Stänkereien, die oftmals in lautstarke Beschimpfungen und Verunglimpfungen mündeten.
Nun jedoch war er dahin geschieden, der gute Karel, und keinen freute diese Tatsache mehr, auch wenn er es nicht öffentlich zur Schau trug, als seinen einstigen ständigen Widerpart.
Man hatte Lagerma bis zum Tage seiner Beisetzung aufgebahrt, in der Kapelle des Friedhofes, wo er seine letzte Ruhestätte finden sollte, um seiner Familie und den wenigen Freunden, die er noch zu Lebzeiten hatte, die Gelegenheit zu geben, sich in würdevoller Trauer von ihm zu verabschieden.
Auch Reginald Fornefax wollte es sich nicht nehmen lassen, Abschied zu nehmen, von seinem verhassten Nachbarn; wenn auch aus einem völlig andern Grunde.
So hielt er sich auf dem Friedhof auf und wartete dort, bis sich ihm die Gelegenheit bot, allein und unbemerkt Lebewohl zu sagen. Als er den kleinen von außen zugänglichen Seitenraum der Kapelle betrat, fand er seinen alten ungeliebten Gefährten aus vergangenen Tagen dort, aufgebahrt im offenen Eichensarg, vor; bekleidet mit schwarzem Anzug und weißen Rüschenhemd, sah es so aus, als wolle der Verblichene geradewegs zu einem Tanzvergnügen aufbrechen.
„Da liegst du endlich“, herrschte Reginald Fornefax den Toten an, „es wurde auch höchste Zeit! Scher dich zum Teufel, im wahrsten Sinn des Wortes, und grüße ihn schön von mir! Fahr zur Hölle, du Lump!“
Um diesen scharfen Worten noch mehr Ausdruck zu verleihen und seinen Wunsch nach einem letzten Gruß in der Hölle zu untermauern, zog er sein Mobiltelefon aus der Tasche, auf welches er zuvor eine Kurzmitteilung vom Handy seiner Tochter gesendet hatte und steckte es dem Verstorbenen in die innere Anzugtasche.
Die Kurzmitteilung enthielt folgende Nachricht: „Nimm von deinem alten Kumpan einen besonders schönen Gruß mit in die Hölle, die Du in Kürze zweifellos kennen lernen wirst, denn da und nirgendwo anders gehörst Du hin! Grüß mir auch alle anderen dort unten, die sich so wie Du hier auf Erden so erbärmlich benommen haben, wie Du!“
Hocherfreut und mit einem schäbigen Grinsen auf den Lippen verließ Reginald nach dieser Aktion die Friedhofskapelle.
Den Verlust seines Handys konnte er verschmerzen, bereitete es ihm doch eine unbändige Freude, seinem Todfeind noch auf dessen letztem Gang eines auszuwischen.
Der Tag der Beerdigung, die auf ausdrücklichen Wunsch der Witwe Lagermas im engsten Familien- und Freundeskreis stattfand, stellte ein nicht geringes Problem für Reginald Fornefax dar.
Er hatte sich nämlich vorgenommen, der Trauerfeier und der anschließenden Beisetzung auch noch beizuwohnen, zumindest aus einem gebührendem Abstand, der für ihn keine negative Folgen aufkommen lassen sollte, denn zum engsten Freundeskreis gehörte er schon lange nicht mehr, und verhasst, wie er bei der Familie des Toten war, musste er um Leib und Leben fürchten, sollte man ihn in der Nähe der Trauerfeier vorfinden.
Er wusste selbst nicht genau, was ihn zu diesem gefährlichen Unterfangen trieb, doch es gelang ihm in der Tat, die kleine Kapelle geräuschlos und unbemerkt von den anderen Trauergästen zu betreten und in der letzten Bankreihe vorsichtig Platz zu nehmen; allzeit bereit zur eventuell erforderlichen Flucht.
Die Trauerfeier hatte bereits begonnen.
Der Sarg befand sich in der Mitte zwischen den beiden Bankreihen und war noch geöffnet; auf beiden Seiten hatten sich jeweils zwei Träger in pietätvoller Kleidung aufgestellt, bereit, den Verstorbenen zur letzten Ruhestätte zu geleiten.
Ein Pfarrer sprach der Witwe und den übrigen Trauernden mit warmen Worten sein Mitgefühl aus und sparte auch nicht damit, sei es aus Unkenntnis, sei es geleitet von dem Spruch, de mortuis nil nisi bene, das Leben und die Taten Karel Lagermas schönzureden.
Just in dem Moment, als er seine salbungsvolle Predigt beenden wollte, mit der Aufforderung an die Träger, den letzen Weg anzutreten, wurde er durch ein lautes eindringliches Klingelgeräusch unterbrochen.
Zum Entsetzen aller Anwesenden kam dieses Geräusch direkt aus dem offenen Sarg.
Mit vor Schreck geweiteten Augen blickten die Trauergäste auf den Sarg, in Erwartung des Grauenvollen, das sich da angedeutet hatte.
Keiner wagte es, zu atmen; außer Reginald Fornefax.
Er hatte das Geräusch richtig gedeutet und löste sich nun langsam von der letzten Bankreihe.
Entschlossenen Schrittes trat er auf den geöffneten Sarg zu.
Es klingelte ein zweites Mal, laut und unheimlich, aus der Ruhestatt des Toten. Reginald trat nah heran, ganz nah, an seinen toten Todfeind und riss ihm mit einem Ruck das Mobiltelefon, sozusagen aus der Brust. Wie versteinert las er die Kurznachricht auf dem kleinen Monitor des Handys:
„Grüße sind eingetroffen. Wir erwarten Dich in Kürze! Luzifer!“
Der Länge nach schlug Reginald Fornefax auf den Marmorfußboden, das Mobiltelefon flog ihm hierbei aus der Hand und landete direkt vor den Füssen des vor Grauen erstarrten Pfarrers.
Reginald war auf der Stelle tot.

Einige Tage später fand an der gleichen Stelle die Trauerfeier für ihn statt, unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit. Da bei weitem nicht alle Neugierigen und sonstigen Trauernden in der Kapelle Platz gefunden hatten, waren zusätzlich auf dem Friedhof große Leinwandmonitore aufgestellt worden.
Den Sarg hatte man zuvor auf das Genaueste nach Mobiltelefonen abgesucht; auch waren diese Geräte auf das Strengste im Umkreis von einem Kilometer um den Friedhof an diesem Tage verboten worden.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
aber

diesmal habe auch ich den eindruck, dass du die pointe verschenkt hast. das ende ganz einfach zu flach und nichtssagend. lass doch die zwei letzten absätze weg, sie verwässern dir die geschichte.
lg
 

Raniero

Textablader
tut mir Leid, aber das sehe ich ein wenig anders.:)
Eine humorvolle Story oder eine Satire muss nicht immer mit einer knalligen Pointe enden, sondern kann auch mit leisen Schmunzeltönen ausklingen.
Wir sind doch kein Witzerzählerclub.

Speziell bei Lesungen habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese leise nachgeschobenen Sätze bei den Zuhörern gut ankamen.

Gruß Raniero
 

sweetchilly

Mitglied
Mir gefällt es gut. ich finde nicht, dass die Pointe verschenkt wurde, ich musste grinsen.
Richtig lachen nicht, aber das ist auch nicht immer notwenig.
lg
 
Diese Pointe wurde, wie man so schön sagt, "telegraphiert". Damit meine ich, dass man durch den Satz
Um diesen scharfen Worten noch mehr Ausdruck zu verleihen und seinen Wunsch nach einem letzten Gruß in der Hölle zu untermauern, zog er sein Mobiltelefon aus der Tasche, auf welches er zuvor eine Kurzmitteilung vom Handy seiner Tochter gesendet hatte und steckte es dem Verstorbenen in die innere Anzugtasche.
die Pointe bereits vorausahnen kann und sie damit einiges an Kraft verliert. (Den Teil "auf welches er zuvor eine Kurzmitteilung vom Handy seiner Tochter gesendet hatte" würde ich weglassen. Der tut doch eigentlich nichts zur Sache und verlängert ihn nur unötig.)

Im deutschen Film "Schulze gets the Blues" gibt's übrigens eine ähnliche Szene.

Marius
 



 
Oben Unten