otto otter
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Schon seit langem von der Willfährigkeit Lustenbegers fasziniert, mit der dieser allen voranleuchtete, dem Lehrplan der Schule vorauseilte und den Lehrer in eine verhängnisvolle Selbstzufriedenheit versetzte, führte ihn Geisshüsler eines Tages, einer unklaren Regung folgend und ohne es geplant zu haben, in die Buurenhöhli, wie ein unweit des gemeinsamen Schulwegs gelegenes Tobel im Volksmund genannt wurde. Willig liess sich Lustenberger die Arme um den Stamm eines Baumes legen und die Hände zusammenbinden. Er nahm die Mitteilung Geisshüslers, dass er ihn nun besteigen und wie in Pferd reiten werde, so selbstverständlich wie eine Hausaufgabe entgegen, stellte sich breitbeinig hin, als sich der Geisshüsler an den Ästen emporzog und auf seine Schultern setzte. Der Geisshüsler spürte den breiten Nacken, den er, im Schulzimmer hinter dem Lustenberger sitzend, so gut kannte, immer wieder betrachtet und sich vorgestellt hatte, wie vorzüglich er unter ein Joch passen würde. Seinem Kontrahenten rhythmisch die Hacken in die Flanken stossend, nahm Geisshüsler zu seinem unfreiwilligen, doch wachsenden Interesse wahr, dass jener unablässig den Kopf hochwarf, als wollte er zum Wiehern ansetzen. Sollte es sein, dass Lustenberger daran war, sich in ein Pferd zu verwandeln, um dem Geisshüsler damit einen Gefallen zu tun, dass ihm nicht die schmerzliche Belehrung zuteil wurde, zu welcher sich der Geisshüsler, wie ihm nun zunehmend klar wurde, getrieben sah? Sollte es gar sein, dass sich Geisshüsler nicht Lustenbergers, sondern Lustenberger Geisshüslers bemächtigt hatte, dachte der Geisshüsler auf dem Lustenberger. Obschon er Lustenberger nicht länger stimulierte, sah er sich weiterhin anregend geschaukelt, begann, in eine müssige Stimmung versetzt, flüchtigen Gedanken nachzuhängen, die sich vom gewissenhaft abmühenden Lustenberger entfernten, dem Vogelgezwitscher zuwandten, das lieblich aus dem Geäst der Bäume erscholl, um dann wieder zu Lustenberger zurückzukehren. Nie würde sich der Lustenberger fragen, ob ihn der Affe lause oder der Teufel reite, denn dazu, dessen war sich der Geisshüsler jetzt sicher, war Lustenberger ein mit seinem Schicksal zu ausgesöhntes Geschöpf. Einer plötzlichen Eingebung folgend, die etwas Rührendes an sich hatte, und um Lustenberger nicht vollends zu verbiestern, begann Geisshüsler, ihn über die Namen helvetischer Flüsse und ihre verzweigten Einzugsgebiete abzufragen, womit sich die Gesichtswinkel für beide Beteiligten vervielfältigten und dem Geschehen eine Wendung ins Unverfängliche gaben. Geisshüslers Fragen waren kurz und bündig, Lustenberger respondierte überlegt und ausführlich. Er begann, den Flussläufen folgend, mit den Quellgründen, zählte eifrig Namen und Örtlichkeiten auf, und wenn er noch erwähnt hätte, dass zuerst Bächlein quellten, rieselten, murmelten, gurgelten und sprudelten, Rinnsale zusammenfänden, sich vereinigten, ergössen und plätscherten, Täler durchzögen, anschwöllen und durch Ebenen mäanderten, in Rhein oder Rhone mündeten, je nach dem, ob sie diesseits oder jenseits der Wasserscheide entsprangen, um schliesslich, salzsiech geworden, in den Meeren zu verebben, würde der Geisshüsler die Seance wohl noch lange fortgesetzt haben. So aber begann ihn das ganze an die Frag- und Antwortspiele in der Schule zu erinnern. Der Lustenberger leierte auswendig Gelerntes herunter, als läse er von einem Einkaufszettel und als wäre er noch stolz darauf, nicht irgend etwas einfliessen zu lassen, das er nicht in der Schule gelernt hat. Da war es dem Geisshüsler des längeren Verweilens auf dem Lustenberger nicht mehr. "Siehe", sprach er zu ihm, "ich bin deiner überdrüssig wie die Biene, die des gesammelten Honigs nicht froh geworden ist", und er verliess den Lustenberger und die kirchenschiffähnliche Buurenhöhli und das Gezwitscher der Vögel, die flügelschwirrend die Baumwipfel befächelten.