Schorsch Denkmal

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Alte Männer waren wir, solche, die ihren alten Frauen aus dem Weg gingen, Rentner oder Witwer wie ich. Mich brauchte auch dort auf dem Museumsplatz wohl keiner. Nun muss ich selbstkritisch eingestehen, eher zu den unauffälligeren alten Männern zu gehören. Und eigentlich fiel auf dem Platz ohnehin nur einer wirklich auf. Georg Rossmann.
Er stand bei gutem Wetter vom späten Nachmittag bis zum frühen Abend an den Bänken neben der Telefonzelle. Groß, aufrecht, breitschultrig, knapp siebzig, immer schwarz gekleidet, winters mit einem langen Webpelz-Mantel, Stiefeln und Fellmütze, aus der seine graue Mähne hervorquoll, und sommers nur mit einem T-Shirt, dünner Stoffhose und Sandalen bekleidet. Und obwohl er mit uns wenig sprach, verwickelte er Fremde und stets bevor er den Platz verließ, immer noch schnell irgendjemanden in ein Gespräch.
Den rechten Fuß stellte er stets auf die gleiche der vier alten Bänke, deren Messingschilder verrieten, einst habe die Kreissparkasse mit diesen Sitzgelegenheiten Rentnern einen Gefallen tun wollen. Mit der rechten Hand stützte er sich auf dem rechten Oberschenkel ab. Die Blicke ließ er in die Ferne schweifen, obwohl seine zu Schlitzen verengten Augen durch das im klassizistischen Stil erbaute Museum gehindert wurden, ins Unendliche oder wenigstens bis zum Horizont zu sehen.
„Der sieht aus wie ein Denkmal!“ befand irgendwann Nicole, eine der Jugendliche, die sich hier gegen Abend mit Freundinnen und jungen Männern traf. Und als er, wie immer nach einer gewissen Zeit, den rechten Fuß von der Bank nahm und stattdessen den linken dorthin stellte, um sich mit der linken Hand auf dem linken Oberschenkel abzustützen, begann das Mädchen zu kichern und nannte ihn Herr Denkmal. Die übrigen Jugendlichen lachten mit. „Herr Denkmal. Genau. So sieht er aus, der Alte.“ Und da an dem warmen, sonnigen Junitag die Nachmittagsbesetzung des Museumsplatzes – wir Alten - noch nicht gehen wollten und die Jugendlichen und jungen Männer und Frauen der Abendbesetzung, noch warteten, um die Bänke in Besitz zu nehmen, konnten auch wir laut mitlachen.
Friedrich Wahlke, den wir Bürgermeister nannten, weil er vor Jahren eine Wahlperiode lang für die Kommunisten im Stadtrat saß, schlug ihm auf die Schulter. „Schorsch Denkmal. Klingt besser als Georg Rossmann.“ Und schweigend sah das Denkmal in die Ferne, fuhr sich mit der freien Hand durch die imposante graue dicht gewachsene Mähne und meinte mit freundlicher Bassstimme, auch wenn er etwas nach Tod klinge, gefalle ihm der Name.

Näherten sich dem Denkmal fremde Leute, die über den Platz zum Stadtmuseum gingen, brach Rossmann sein Schweigen, begrüßte sie freundlich und wollte von ihnen wissen, ob sie bereit seien, mit ihm über alles, nur nicht über das Wetter zu reden. Im Übrigen sei er zwar neugierig, wie es ihnen wirklich gehe. Aber danach werde er sie nicht fragen. Ihn interessiere ihr Leben. Von dem wolle er leben. Im Museum seien doch nur Werke Verstorbener ausgestellt.
Die meisten gingen Kopf schüttelnd und gesenkten Blicks an ihm vorbei, bis sie außer seiner Hörweite waren, um dann zu tuscheln und sich noch einige Male verstohlen nach ihm umzusehen.
Er murmelte wütend vor sich hin, wer sie denn seien. Doch wohl auch nichts anderes als armselige Lückenbüßer, die an Stellen lebten, die ihnen andere Menschen zugewiesen hätten.
Unter uns alten Männern, die bei warmem Wetter bis in den frühen Abend hinein auf den vier Bänken saßen, galt er als Unikum, aber auch als gebildeter Philosoph, obwohl wir wussten, dass er nie studierte und vor fünf Jahren noch als Mechaniker in einer eigenen kleinen Autowerkstatt am Autofriedhof arbeitete.
Frauen gegenüber spielte er stets seinen erstaunlichen Charme aus und gestand ihnen, wie sehr er alles Weibliche verehre. Dabei lebte er, solange ich mich erinnern kann, allein am Stadtrand in einer selbst gezimmerten Holzbude in einem kleinen Obstgarten, der unmittelbar an den Schienen einer viel befahrenen Vorortbahnlinie lag. Von dort konnte er einst, wenn er über die niedrige Hecke seines Garten stieg und die Schienen überquerte, in wenigen Minuten seine Werkstatt am Autofriedhof erreichen. Inzwischen steht anstelle der Werkstatt und des Autofriedhofes das Bürohochhaus einer Versicherung.
Könne er denn eine Frau in seine Holzbude mitnehmen, fragte er, wenn er von uns Männern auf dem Museumsplatz gelegentlich gefragt wurde, ob er nicht noch Lust habe. Und schließlich waren wir, ohne es ihm zu offenbaren, irgendwann einig, er sei schwul, zumal er zu den typischen Handbewegungen neigte, und, wenn er seine Bank und den Museumsplatz verließ, mit eindeutigem Hüftschwung davonging.
Außerdem ließ er vor allem bei Gesprächen mit Frauen den Blick weiter in die Ferne schweifen. Junge Männer hingegen beäugte er durchaus wohlgefällig.
„Die Liebe sucht sich ihre Opfer. Gerade Opfer brauchen Liebe.“ Behauptete er. Und wenn wir ihn fragten, wie er das denn meine, zuckte er mit den Schultern und zeigte lachend sein erstaunlich vollzähliges Gebiss.

Die Augustsonne wärmte an jenem frühen Abend noch den Museumsplatz. Wir Alten mochten die Bänke nicht räumen, während die Jungen schon ungeduldig warteten. Schließlich rückten wir zusammen, sodass sich wenigstens einige Jugendliche zu uns setzen konnten.
Georg Rossmann unterhielt sich, wie häufig in der letzten Zeit, mit Nicole und blickte ins Weite. Sie trug ein nabelfreies enges rotes T-Shirt, stellte sich schließlich neben ihr Denkmal, legte ihm die nackten Arme um den Hals und setzte sich auf seinen Schenkel.
„Ein echtes Denkmal ist aus Stein!“ rief Bürgermeister Wahlke und hatte junge wie alte Lacher auf seiner Seite.
„Du musst das Denkmal küssen, Nicole!“ forderte grinsend ein pickelgesichtiger Jüngling, der auf den Namen Jörg hörte und dem anzusehen war, dass er am liebsten der Geküsste wäre. Die junge schlanke Frau lehnte sich mit dem Rücken an ihr Denkmal. Und ich spürte einen gewissen Neid, den ich auch in all den alten und jungen Gesichtern zu erkennen meinte.
Nicole blinzelte in die Abendsonne, die gerade noch ein paar Strahlen über das Museumsdach hinweg schickte und flüsterte mit Georg Rossmann. Der nickte, schob sie behutsam von sich und nahm seinen Fuß von der Bank. Einen Moment lang stand sie allein auf der Bank. Sofort sprang ein gut gewachsener junger Mann hinzu, den sie Tim riefen und der als Nicoles derzeitiger Freund galt. Er stellte seinen rechten Fuß auf die Bank und schlug sich auffordernd auf den Schenkel. „Setz dich!“ Nicole aber sprang von der Bank, stellte sich neben Rossmann und lehnte sich an ihn.
Der lachte Tim an, legte seinen Arm um Nicoles Schultern und sagte leise: „Musst sie dir schon holen.“
„Komm, Alter, lass sie los!“ Georg legte den anderen Arm um ihre nackten Hüften. Sie beugte sich zurück und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ohhohoh!“ Wir Alten klatschten Beifall. Rossmann schob sein rechtes Bein Nicole von hinten durch die von einem kurzen Rock kaum bedeckten Beine. Nicole lächelte. Wieder klatschten wir Alten.
Tim zog langsam seinen Fuß von der Bank zurück. Nicole nahm Georg Rossmann an die Hand und stieg wieder auf die Bank. „Komm, Denkmal. Ich brauch deinen Halt!“
Sie blieb auf dem Schenkel des Denkmals sitzen bis sich kurz darauf die Sonne hinter das Museum zurückzog.
Tim versammelte währenddessen alle männlichen Jugendlichen um sich. Sie tuschelten und sahen ab und zu hinüber zu Nicole und Rossmann.
Vor dem Museum wurde es schnell kühler. Wir Alten verließen den Platz. Georg Rossmann hob Nicole von seinem Schenkel und der Bank und, obwohl er an anderen Tagen immer noch eine Zeit bei dem jungen Volk blieb, machte er sich mit uns auf den Weg. Nicole schloss sich ihm an. Hand in Hand gingen sie hinter uns her.
„Ihr alten Lustmolche“ brüllte und Tim hinterher und erntete damit den Beifall seiner Altersgenossen.
Da Rossmann als einziger von uns Alten in der Vorstadt wohnte, verabschiedete er sich an einem Park, durch den ein schmaler Weg führte, über den er sich den Heimweg abkürzen konnte. Nicole ging mit ihm.
Am nächsten Nachmittag trafen wir Alten uns früher als sonst auf dem Museumsplatz.
Bürgermeister Wahlke fehlte und Rossmann. Wir warteten lange. Die jugendliche Abendbesetzung kam nicht. Dafür Wahlke. Er ging zu Rossmanns Bank, hob mühsam sein rechtes Bein und stellte den Fuß auf die Sitzfläche. „Sie haben ihm die Gartenbude angesteckt. War zum Glück nicht zu Hause. Wohnt jetzt erstmal bei Nicoles Mutter. Der ist doch vor zwei Jahren der Mann abgehaun.“

Danach bin ich nur noch an wenigen Nachmittagen auf dem Museumsplatz gewesen. Erst starb Bürgermeister Wahlke. Wir Alten waren alle bei seiner Beerdigung, auch Rossmann mit Nicole und ihrer Mutter, die er untergehakt hatte. Von den Jungen kam ansonsten niemand.
Es blieben immer mehr Alte weg und gegen Abend tauchte auch keiner der Jugendlichen mehr auf.
Als mich zwei Frauen, die das Museum besuchen wollten, fragten, wo denn der große schwarz gekleidete Grauhaarige sei, der da immer an der Bank gestanden habe, erwiderte ich knapp. „Hat ne Frau gefunden!“
Die beiden nickten. „Kein Wunder, der hatte auch was.“
 
Alte Männer waren wir, solche, die ihren alten Frauen aus dem Weg gingen, Rentner oder Witwer wie ich. Mich brauchte auch dort auf dem Museumsplatz wohl keiner. Nun muss ich selbstkritisch eingestehen, eher zu den unauffälligeren alten Männern zu gehören. Und eigentlich fiel auf dem Platz ohnehin nur einer wirklich auf. Georg Rossmann.
Er stand bei gutem Wetter vom späten Nachmittag bis zum frühen Abend an den Bänken neben der Telefonzelle. Groß, aufrecht, breitschultrig, knapp siebzig, immer schwarz gekleidet, winters mit einem langen Webpelz-Mantel, Stiefeln und Fellmütze, aus der seine graue Mähne hervorquoll, und sommers nur mit einem T-Shirt, dünner Stoffhose und Sandalen bekleidet. Mit uns sprach er selten. Fremde hingegen verwickelte er häufig in Gespräche.
Den rechten Fuß stellte er stets auf die gleiche der vier alten Bänke, deren Messingschilder verrieten, einst habe die Kreissparkasse mit diesen Sitzgelegenheiten Rentnern einen Gefallen tun wollen. Mit der rechten Hand stützte er sich auf dem rechten Oberschenkel ab. Seine Blicke ließ er in die Ferne schweifen, obwohl das im klassizistischen Stil erbaute Museum sie hinderten, den Horizont zu erreichen.
„Der sieht aus wie ein Denkmal!“ befand irgendwann Nicole, eine der Jugendliche, die sich hier gegen Abend mit Freundinnen und jungen Männern traf. Und als er, wie immer nach einer gewissen Zeit, den rechten Fuß von der Bank nahm und stattdessen den linken dorthin stellte, um sich mit der linken Hand auf dem linken Oberschenkel abzustützen, begann das Mädchen zu kichern und nannte ihn Herr Denkmal. Die übrigen Jugendlichen lachten mit. „Herr Denkmal. Genau. So sieht er aus, der Alte.“ Und da an dem warmen, sonnigen Junitag die Nachmittagsbesetzung des Museumsplatzes – wir Alten - noch nicht gehen wollten und die Jugendlichen und jungen Männer und Frauen der Abendbesetzung, noch warteten, um die Bänke in Besitz zu nehmen, konnten auch wir laut mitlachen.
Friedrich Wahlke, den wir Bürgermeister nannten, weil er vor Jahren eine Wahlperiode lang für die Kommunisten im Stadtrat saß, schlug ihm auf die Schulter. „Schorsch Denkmal. Klingt besser als Georg Rossmann.“ Und schweigend sah das Denkmal in die Ferne, fuhr sich mit der freien Hand durch die imposante graue dicht gewachsene Mähne und meinte mit freundlicher Bassstimme, auch wenn er etwas nach Tod klinge, gefalle ihm der Name.

Näherten sich dem Denkmal fremde Leute, die über den Platz zum Stadtmuseum gingen, brach Rossmann sein Schweigen, begrüßte sie freundlich und wollte von ihnen wissen, ob sie bereit seien, mit ihm über alles, nur nicht über das Wetter zu reden. Im Übrigen sei er zwar neugierig, wie es ihnen wirklich gehe. Aber danach werde er sie nicht fragen. Ihn interessiere ihr Leben. Von dem wolle er leben. Im Museum seien doch nur Werke Verstorbener ausgestellt.
Die meisten gingen Kopf schüttelnd und gesenkten Blicks an ihm vorbei, bis sie außer seiner Hörweite waren, um dann zu tuscheln und sich noch einige Male verstohlen nach ihm umzusehen.
Er murmelte wütend vor sich hin, wer sie denn seien. Doch wohl auch nichts anderes als armselige Lückenbüßer, die an Stellen lebten, die ihnen andere Menschen zugewiesen hätten.
Unter uns alten Männern, die bei warmem Wetter bis in den frühen Abend hinein auf den vier Bänken saßen, galt er als Unikum, aber auch als gebildeter Philosoph, obwohl wir wussten, dass er nie studierte und vor fünf Jahren noch als Mechaniker in einer eigenen kleinen Autowerkstatt am Autofriedhof arbeitete.
Frauen gegenüber spielte er stets seinen erstaunlichen Charme aus und gestand ihnen, wie sehr er alles Weibliche verehre. Dabei lebte er, solange ich mich erinnern kann, allein am Stadtrand in einer selbst gezimmerten Holzbude in einem kleinen Obstgarten, der unmittelbar an den Schienen einer viel befahrenen Vorortbahnlinie lag. Von dort konnte er einst, wenn er über die niedrige Hecke seines Garten stieg und die Schienen überquerte, in wenigen Minuten seine Werkstatt am Autofriedhof erreichen. Inzwischen steht anstelle der Werkstatt und des Autofriedhofes das Bürohochhaus einer Versicherung.
Könne er denn eine Frau in seine Holzbude mitnehmen, fragte er, wenn er von uns Männern auf dem Museumsplatz gelegentlich gefragt wurde, ob er nicht noch Lust habe. Und schließlich waren wir, ohne es ihm zu offenbaren, irgendwann einig, er sei schwul, zumal er zu den typischen Handbewegungen neigte, und, wenn er seine Bank und den Museumsplatz verließ, mit eindeutigem Hüftschwung davonging.
Außerdem ließ er vor allem bei Gesprächen mit Frauen den Blick weiter in die Ferne schweifen. Junge Männer hingegen beäugte er durchaus wohlgefällig.
„Die Liebe sucht sich ihre Opfer. Gerade Opfer brauchen Liebe.“ Behauptete er. Und wenn wir ihn fragten, wie er das denn meine, zuckte er mit den Schultern und zeigte lachend sein erstaunlich vollzähliges Gebiss.

Die Augustsonne wärmte an jenem frühen Abend noch den Museumsplatz. Wir Alten mochten die Bänke nicht räumen, während die Jungen schon ungeduldig warteten. Schließlich rückten wir zusammen, sodass sich wenigstens einige Jugendliche zu uns setzen konnten.
Georg Rossmann unterhielt sich, wie häufig in der letzten Zeit, mit Nicole und blickte ins Weite. Sie trug ein nabelfreies enges rotes T-Shirt, stellte sich schließlich neben ihr Denkmal, legte ihm die nackten Arme um den Hals und setzte sich auf seinen Schenkel.
„Ein echtes Denkmal ist aus Stein!“ rief Bürgermeister Wahlke und hatte junge wie alte Lacher auf seiner Seite.
„Du musst das Denkmal küssen, Nicole!“ forderte grinsend ein pickelgesichtiger Jüngling, der auf den Namen Jörg hörte und dem anzusehen war, dass er am liebsten der Geküsste wäre. Die junge schlanke Frau lehnte sich mit dem Rücken an ihr Denkmal. Und ich spürte einen gewissen Neid, den ich auch in all den alten und jungen Gesichtern zu erkennen meinte.
Nicole blinzelte in die Abendsonne, die gerade noch ein paar Strahlen über das Museumsdach hinweg schickte und flüsterte mit Georg Rossmann. Der nickte, schob sie behutsam von sich und nahm seinen Fuß von der Bank. Einen Moment lang stand sie allein auf der Bank. Sofort sprang ein gut gewachsener junger Mann hinzu, den sie Tim riefen und der als Nicoles derzeitiger Freund galt. Er stellte seinen rechten Fuß auf die Bank und schlug sich auffordernd auf den Schenkel. „Setz dich!“ Nicole aber sprang von der Bank, stellte sich neben Rossmann und lehnte sich an ihn.
Der lachte Tim an, legte seinen Arm um Nicoles Schultern und sagte leise: „Musst sie dir schon holen.“
„Komm, Alter, lass sie los!“ Georg legte den anderen Arm um ihre nackten Hüften. Sie beugte sich zurück und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ohhohoh!“ Wir Alten klatschten Beifall. Rossmann schob sein rechtes Bein Nicole von hinten durch die von einem kurzen Rock kaum bedeckten Beine. Nicole lächelte. Wieder klatschten wir Alten.
Tim zog langsam seinen Fuß von der Bank zurück. Nicole nahm Georg Rossmann an die Hand und stieg wieder auf die Bank. „Komm, Denkmal. Ich brauch deinen Halt!“
Sie blieb auf dem Schenkel des Denkmals sitzen bis sich kurz darauf die Sonne hinter das Museum zurückzog.
Tim versammelte währenddessen alle männlichen Jugendlichen um sich. Sie tuschelten und sahen ab und zu hinüber zu Nicole und Rossmann.
Vor dem Museum wurde es schnell kühler. Wir Alten verließen den Platz. Georg Rossmann hob Nicole von seinem Schenkel und der Bank und, obwohl er an anderen Tagen immer noch eine Zeit bei dem jungen Volk blieb, machte er sich mit uns auf den Weg. Nicole schloss sich ihm an. Hand in Hand gingen sie hinter uns her.
„Ihr alten Lustmolche“ brüllte uns Tim hinterher und erntete damit den Beifall seiner Altersgenossen.
Da Rossmann als einziger von uns Alten in der Vorstadt wohnte, verabschiedete er sich an einem Park, durch den ein schmaler Weg führte, über den er sich den Heimweg abkürzen konnte. Nicole ging mit ihm.
Am nächsten Nachmittag trafen wir Alten uns früher als sonst auf dem Museumsplatz.
Bürgermeister Wahlke fehlte und Rossmann. Wir warteten lange. Die jugendliche Abendbesetzung kam nicht. Dafür Wahlke. Er ging zu Rossmanns Bank, hob mühsam sein rechtes Bein und stellte den Fuß auf die Sitzfläche. „Sie haben ihm die Gartenbude angesteckt. War zum Glück nicht zu Hause. Wohnt jetzt erstmal bei Nicoles Mutter. Der ist doch vor zwei Jahren der Mann abgehaun.“

Danach bin ich nur noch an wenigen Nachmittagen auf dem Museumsplatz gewesen. Erst starb Bürgermeister Wahlke. Wir Alten waren alle bei seiner Beerdigung, auch Rossmann mit Nicole und ihrer Mutter, die er untergehakt hatte. Von den Jungen kam ansonsten niemand.
Es blieben immer mehr Alte weg und gegen Abend tauchte auch keiner der Jugendlichen mehr auf.
Als mich zwei Frauen, die das Museum besuchen wollten, fragten, wo denn der große schwarz gekleidete Grauhaarige sei, der da immer an der Bank gestanden habe, erwiderte ich knapp. „Hat ne Frau gefunden!“
Die beiden nickten. „Kein Wunder, der hatte auch was.“
 

Limba

Mitglied
Hallo Karl,
Ich finde ein klarer und ordentlicher Stil, Du schreibst gut verständlich und übertreibst auch nicht in Deinen mir gefallenden Beschreibungen.
Deine Ortographie ist besser als meine, deshalb unterlasse ich lieber Korrekturversuche.
Die Geschichte allerdings...
Wenn es bei der Kernaussage geblieben wäre- Brandstifterei ist keine Lösung- Gewalt zerstört soziale Bindungen, ok. Auch die scherzhafte? eine Vaterfigur suchende? Beziehung zwischen Mädchen und altem Mann kann ich nachvollziehen und mich sogar hineinfühlen. Allerdings geht meiner Meinung nach das, ich wiederhole sinngemäß: >Durchschieben seines Knies zwischen ihre fast nackten Beine< gar nicht, dadurch bekommt Deine ansonsten gute Erzählung einen Lolita- Anstrich, den sie nicht verdient und der sogar in den Augen weniger pazifistisch denkender Menschen ein begrenzt nachvollziehbares Motiv für die Brandstifterei abgeben könnte.
MfG Limba
 
Alte Männer waren wir, solche, die ihren alten Frauen aus dem Weg gingen, Rentner oder Witwer wie ich. Mich brauchte auch dort auf dem Museumsplatz wohl keiner. Nun muss ich selbstkritisch eingestehen, eher zu den unauffälligeren alten Männern zu gehören. Und eigentlich fiel auf dem Platz ohnehin nur einer wirklich auf. Georg Rossmann.
Er stand bei gutem Wetter vom späten Nachmittag bis zum frühen Abend an den Bänken neben der Telefonzelle. Groß, aufrecht, breitschultrig, knapp siebzig, immer schwarz gekleidet, winters mit einem langen Webpelz-Mantel, Stiefeln und Fellmütze, aus der seine graue Mähne hervorquoll, und sommers nur mit einem T-Shirt, dünner Stoffhose und Sandalen bekleidet. Mit uns sprach er selten. Fremde hingegen verwickelte er häufig in Gespräche.
Den rechten Fuß stellte er stets auf die gleiche der vier alten Bänke, deren Messingschilder verrieten, einst habe die Kreissparkasse mit diesen Sitzgelegenheiten Rentnern einen Gefallen tun wollen. Mit der rechten Hand stützte er sich auf dem rechten Oberschenkel ab. Seine Blicke ließ er in die Ferne schweifen, obwohl das im klassizistischen Stil erbaute Museum sie hinderten, den Horizont zu erreichen.
„Der sieht aus wie ein Denkmal!“ befand irgendwann Nicole, eine der Jugendliche, die sich hier gegen Abend mit Freundinnen und jungen Männern traf. Und als er, wie immer nach einer gewissen Zeit, den rechten Fuß von der Bank nahm und stattdessen den linken dorthin stellte, um sich mit der linken Hand auf dem linken Oberschenkel abzustützen, begann das Mädchen zu kichern und nannte ihn Herr Denkmal. Die übrigen Jugendlichen lachten mit. „Herr Denkmal. Genau. So sieht er aus, der Alte.“ Und da an dem warmen, sonnigen Junitag die Nachmittagsbesetzung des Museumsplatzes – wir Alten - noch nicht gehen wollten und die Jugendlichen und jungen Männer und Frauen der Abendbesetzung, noch warteten, um die Bänke in Besitz zu nehmen, konnten auch wir laut mitlachen.
Friedrich Wahlke, den wir Bürgermeister nannten, weil er vor Jahren eine Wahlperiode lang für die Kommunisten im Stadtrat saß, schlug ihm auf die Schulter. „Schorsch Denkmal. Klingt besser als Georg Rossmann.“ Und schweigend sah das Denkmal in die Ferne, fuhr sich mit der freien Hand durch die imposante graue dicht gewachsene Mähne und meinte mit freundlicher Bassstimme, auch wenn er etwas nach Tod klinge, gefalle ihm der Name.

Näherten sich dem Denkmal fremde Leute, die über den Platz zum Stadtmuseum gingen, brach Rossmann sein Schweigen, begrüßte sie freundlich und wollte von ihnen wissen, ob sie bereit seien, mit ihm über alles, nur nicht über das Wetter zu reden. Im Übrigen sei er zwar neugierig, wie es ihnen wirklich gehe. Aber danach werde er sie nicht fragen. Ihn interessiere ihr Leben. Von dem wolle er leben. Im Museum seien doch nur Werke Verstorbener ausgestellt.
Die meisten gingen Kopf schüttelnd und gesenkten Blicks an ihm vorbei, bis sie außer seiner Hörweite waren, um dann zu tuscheln und sich noch einige Male verstohlen nach ihm umzusehen.
Er murmelte wütend vor sich hin, wer sie denn seien. Doch wohl auch nichts anderes als armselige Lückenbüßer, die an Stellen lebten, die ihnen andere Menschen zugewiesen hätten.
Unter uns alten Männern, die bei warmem Wetter bis in den frühen Abend hinein auf den vier Bänken saßen, galt er als Unikum, aber auch als gebildeter Philosoph, obwohl wir wussten, dass er nie studierte und vor fünf Jahren noch als Mechaniker in einer eigenen kleinen Autowerkstatt am Autofriedhof arbeitete.
Frauen gegenüber spielte er stets seinen erstaunlichen Charme aus und gestand ihnen, wie sehr er alles Weibliche verehre. Dabei lebte er, solange ich mich erinnern kann, allein am Stadtrand in einer selbst gezimmerten Holzbude in einem kleinen Obstgarten, der unmittelbar an den Schienen einer viel befahrenen Vorortbahnlinie lag. Von dort konnte er einst, wenn er über die niedrige Hecke seines Garten stieg und die Schienen überquerte, in wenigen Minuten seine Werkstatt am Autofriedhof erreichen. Inzwischen steht anstelle der Werkstatt und des Autofriedhofes das Bürohochhaus einer Versicherung.
Könne er denn eine Frau in seine Holzbude mitnehmen, fragte er, wenn er von uns Männern auf dem Museumsplatz gelegentlich gefragt wurde, ob er nicht noch Lust habe. Und schließlich waren wir, ohne es ihm zu offenbaren, irgendwann einig, er sei schwul, zumal er zu den typischen Handbewegungen neigte, und, wenn er seine Bank und den Museumsplatz verließ, mit eindeutigem Hüftschwung davonging.
Außerdem ließ er vor allem bei Gesprächen mit Frauen den Blick weiter in die Ferne schweifen. Junge Männer hingegen beäugte er durchaus wohlgefällig.
„Die Liebe sucht sich ihre Opfer. Gerade Opfer brauchen Liebe.“ Behauptete er. Und wenn wir ihn fragten, wie er das denn meine, zuckte er mit den Schultern und zeigte lachend sein erstaunlich vollzähliges Gebiss.

Die Augustsonne wärmte an jenem frühen Abend noch den Museumsplatz. Wir Alten mochten die Bänke nicht räumen, während die Jungen schon ungeduldig warteten. Schließlich rückten wir zusammen, sodass sich wenigstens einige Jugendliche zu uns setzen konnten.
Georg Rossmann unterhielt sich, wie häufig in der letzten Zeit, mit Nicole und blickte ins Weite. Sie trug ein nabelfreies enges rotes T-Shirt, stellte sich schließlich neben ihr Denkmal, legte ihm die nackten Arme um den Hals und setzte sich auf seinen Schenkel.
„Ein echtes Denkmal ist aus Stein!“ rief Bürgermeister Wahlke und hatte junge wie alte Lacher auf seiner Seite.
„Du musst das Denkmal küssen, Nicole!“ forderte grinsend ein pickelgesichtiger Jüngling, der auf den Namen Jörg hörte und dem anzusehen war, dass er am liebsten der Geküsste wäre. Die junge schlanke Frau lehnte sich mit dem Rücken an ihr Denkmal. Und ich spürte einen gewissen Neid, den ich auch in all den alten und jungen Gesichtern zu erkennen meinte.
Nicole blinzelte in die Abendsonne, die gerade noch ein paar Strahlen über das Museumsdach hinweg schickte und flüsterte mit Georg Rossmann. Der nickte, schob sie behutsam von sich und nahm seinen Fuß von der Bank. Einen Moment lang stand sie allein auf der Bank. Sofort sprang ein gut gewachsener junger Mann hinzu, den sie Tim riefen und der als Nicoles derzeitiger Freund galt. Er stellte seinen rechten Fuß auf die Bank und schlug sich auffordernd auf den Schenkel. „Setz dich!“ Nicole aber sprang von der Bank, stellte sich neben Rossmann und lehnte sich an ihn.
Der lachte Tim an, legte seinen Arm um Nicoles Schultern und sagte leise: „Musst sie dir schon holen.“
„Komm, Alter, lass sie los!“ Georg legte den anderen Arm um ihre nackten Hüften. Sie beugte sich zurück und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Ohhohoh!“ Wir Alten klatschten Beifall. Nicole lächelte.
Tim zog langsam seinen Fuß von der Bank zurück. Nicole nahm Georg Rossmann an die Hand und stieg wieder auf die Bank. „Komm, Denkmal. Ich brauch deinen Halt!“
Sie setzte sich auf den Schenkel des Denkmals und blieb dort sitzen, bis sich kurz darauf die Sonne hinter das Museum zurückzog.
Tim versammelte währenddessen alle männlichen Jugendlichen um sich. Sie tuschelten und sahen ab und zu hinüber zu Nicole und Rossmann.
Vor dem Museum wurde es schnell kühler. Wir Alten verließen den Platz. Georg Rossmann hob Nicole von seinem Schenkel und der Bank und, obwohl er an anderen Tagen immer noch eine Zeit bei dem jungen Volk blieb, machte er sich mit uns auf den Weg. Nicole schloss sich ihm an. Hand in Hand gingen sie hinter uns her.
„Ihr alten Lustmolche“ brüllte uns Tim hinterher und erntete damit den Beifall seiner Altersgenossen.
Da Rossmann als einziger von uns Alten in der Vorstadt wohnte, verabschiedete er sich an einem Park, durch den ein schmaler Weg führte, über den er sich den Heimweg abkürzen konnte. Nicole ging mit ihm.
Am nächsten Nachmittag trafen wir Alten uns früher als sonst auf dem Museumsplatz.
Bürgermeister Wahlke fehlte und Rossmann. Wir warteten lange. Die jugendliche Abendbesetzung kam nicht. Dafür Wahlke. Er ging zu Rossmanns Bank, hob mühsam sein rechtes Bein und stellte den Fuß auf die Sitzfläche. „Sie haben ihm die Gartenbude angesteckt. War zum Glück nicht zu Hause. Wohnt jetzt erstmal bei Nicoles Mutter. Der ist doch vor zwei Jahren der Mann abgehaun.“

Danach bin ich nur noch an wenigen Nachmittagen auf dem Museumsplatz gewesen. Erst starb Bürgermeister Wahlke. Wir Alten waren alle bei seiner Beerdigung, auch Rossmann mit Nicole und ihrer Mutter, die er untergehakt hatte. Von den Jungen kam ansonsten niemand.
Es blieben immer mehr Alte weg und gegen Abend tauchte auch keiner der Jugendlichen mehr auf.
Als mich zwei Frauen, die das Museum besuchen wollten, fragten, wo denn der große schwarz gekleidete Grauhaarige sei, der da immer an der Bank gestanden habe, erwiderte ich knapp. „Hat ne Frau gefunden!“
Die beiden nickten. „Kein Wunder, der hatte auch was.“
 
Liebe/r Limba,

danke für deine Kritik. Ich habe darüber nachgedacht. Es geht mir in der Erzählung tatsächlich weniger um den "Lolita"-Effekt sondern mehr um den Konflikt zwischen Jungen und Alten und um deren jeweiligen eigenen und gemeinsamen Lebensraum.
Ich habe daher jene "Lolita"-Szene "entschärft".
Ich hoffe, dass sie so auch deine Zustimmung findet.
Herzliche Grüße
Karl
 

Limba

Mitglied
Hallo Karl,
Zustimmung wird hiermit erteilt!
Spass beiseite, es ist doch immer wieder schön, wenn gut gemeinte Kritik ebenso aufgenommen wird, noch besser ist es natürlich, wenn man den gleichen Nerv trifft.
Bis bald, mfG Limba
 



 
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