Schostakowitsch

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Odilo Plank

Mitglied
Ich zappe: David Oistrach spielt mit dem Gewandhausorchester ein Mozart – Violinkonzert, schwarz-weiß, wohl in den 60er-Jahren. Oistrach spielt und dirigiert zugleich. Hinter ihm alte Männer mit ihrer Geige – Mozart.
Ich höre lieber Claudio Monteverdi. Ich schalte nicht um. Das ist Musik, die aus ihrer Zeit entsteht und doch unbegreiflich weit über sie hinauswächst. Ich kann nicht abschalten.
Nach jedem Satz trocknet sich der Meister Stirn und Hals. Die furchtbare Anstrengung, das kostbare Instrument, das nicht feucht werden darf.
Der Applaus von Menschen aus einer fremd gewordenen Zeit.
Ich kann nicht abschalten.
Als Zugabe spielt er etwas von Schostakowitsch. Musikkaskaden.
Es ist weit nach Mitternacht. Ich kann nicht abschalten.
Ich sehe mich als kleinen Jungen, mit meiner Geige; höre mein Gekratze von damals, höre meinen Vater: Das übst du hundertmal.
Dieser Oistrach! Er hat die alten Männer hinter ihm, er hat sogar mein Gekratze geadelt.
Ich schlage nach: Wie schreibt man Schostakowitsch?
 
K

KaGeb

Gast
Lieber Odilo,

gefällt mir sehr gut, dieser kurze Plot. Ein Remember-off an die alten Zeiten, wo man noch in Lederhose rumgeschlichen ist.

Er hat die alten Männer hinter ihm,
Vielleicht: Er hat die alten Männer hinter sich. (?)

LG und gern gelesen, Karsten
 

Odilo Plank

Mitglied
Lieber Karsten,
über Deine Antwort habe ich mich sehr gefreut. Sie motiviert mich, hier wieder fleißiger zu werden.
Zu den alten Männern.
Der Meister hat sie beim Dirigieren vor sich.
Ich sitze vor der Glotze und sehe sie hinter ihm.
Aber: Ich sitze nicht nur vor der Glotze.
Liebe Grüße! Odilo
 

Carlo Ihde

Mitglied
Jeder einzelne Name in deinem Text ist schon wieder ein ganzes Gedicht. Herrlich diese Anhäufung auf kleinstem Raum, Monteverdi und Schostakowitsch. Und es geht zusammen, es findet einen gemeinsamen Nenner im lyrischen Ich. Herrlich die Beiläufigkeit, mit der die Musik ausgeblendet wird zugunsten der (fast piefigen) Frage nach der Schreibung eines schwierigen Namens.
Gut.


PS.: Ein CD-Cover, das gerade griffbereit war, nennt ihn "Shostakovich". Seltsam. :)
 
B

bluefin

Gast
Ich zappe: David Oistrach spielt mit dem Gewandhausorchester ein [blue]Mozart–Violinkonzert[/blue], schwarz-weiß [blue]was - das stück, oistrach oder der film?, [/blue]wohl in den 60er-Jahren. Oistrach spielt und dirigiert zugleich. Hinter ihm alte Männer mit ihrer Geige [blue]nur eine einzige geige?[/blue] – Mozart [blue]heißt die geige wirklich so?[/blue].
Ich höre lieber Claudio Monteverdi. Ich schalte nicht um. Das ist Musik, die aus ihrer Zeit entsteht und doch unbegreiflich weit über sie hinauswächst [blue]welche - monteverdis oder mozarts?[/blue]. Ich kann nicht abschalten.
Nach jedem Satz trocknet sich der Meister Stirn und Hals. Die furchtbare Anstrengung [blue]geiger, die sich furchtbar anstrengen müssen, können's nicht. igors und davids schweiß ist der konzentration und der erregung geschuldet[/blue], das kostbare Instrument, das nicht feucht werden darf [blue]wenn das instrument nicht feucht werden darf, dann müsste er doch das abtrockenen[/blue].
Der Applaus von Menschen aus einer fremd gewordenen Zeit [blue]eben hieß es noch, die musik wachse über die zeit hinaus - was denn nun?[/blue]
Ich kann nicht abschalten.
Als Zugabe spielt er etwas von Schostakowitsch. Musikkaskaden.
Es ist weit nach Mitternacht. Ich kann nicht abschalten.
Ich sehe mich als kleinen Jungen, mit meiner Geige[blue](,)[/blue] höre mein Gekratze von damals, höre meinen Vater: [blue]d[/blue]as übst du hundertmal.
Dieser Oistrach! Er hat die alten Männer hinter [blue]sich[/blue], er hat sogar mein Gekratze geadelt [blue]wenn damit gemeint sein sollte, dass sich der prot damals (vergeblich) an mozart und schostsakowitsch ausprobiert hat - was hätte das jetzt mit der hohen kunst oistrachs zu tun?[/blue].
Ich schlage nach: Wie schreibt man Schostakowitsch? [blue]wie man's spricht - wer also mal noten von ihm gekratzt hat, müsste es (noch) wissen[/blue].
hallo @odilo,

erschrick bitte nicht, wenn dir dein text mit diesen korrekturen und anmerkungen vorgehalten wird, aber oistrach, das gewandhausorchester, mozart und monteverdi haben's alle miteinander verdient, finde ich, dass man sie spielt, und nicht kratzt.

eigentlich müsste die gute idee, die du da hattest, wesentlich mehr hergeben als die paar banalitäten, die du uns reichst. leidet der prot noch unter der knute des vaters, die einen unbegabten zum meister machen wollte? dann passt die exegese über "zeit und musik" nicht, und "geadelt" wird erst recht niemand, sondern auf seinen platz verwiesen, von dem er's nicht mal mehr bis zum abschaltknopf schafft.

offenbar ist dem prot die musik nicht ganz gleichgültig. er müsste daher, wenn er selbst sich vordem vergeblich an ihr abgemüht hatte, ganz andere gefühle haben (oder überhaupt welche). die gehörten besser beschrieben. nur zu wiederholen, man "könne nicht abschalten", ist a bissl arg dünn.

tipp: mach was aus der idee. schreiben ist wie musik machen.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Odilo Plank

Mitglied
Hallo bluefin,
danke für Deine Antwort; ich habe sie mit großer Sympathie gelesen. Dein letzter Satz ist der schönste: Schreiben ist wie Musik machen. Wenn es so wäre - ein Trost!
Ich komme aus einer Musikerfamilie und war der einzige Versager. Mit fünfzehn Jahren wollte ich nicht mehr sechs Stunden am Tag üben, neben der Schule. Ein Trost ist auch: Ich weiß um die Anstrengung.
Also, das geht wohl aus meinem Text hervor, wenn einer gekratzt hat, dann ich.
Wenn ich Kunst erlebe, dann empfinde ich Dankbarkeit
gegenüber denen, die etwas tun, wozu ich nicht in der Lage war.
LG Odilo
 
Ich finde den Text "fabulös", denn ich kanns nachvollziehen, das mit dem "Ich will eigentlich ..., aber ich schalte nicht um."

So gings mir gerade gestern Abend mit dem Musikantenstadl auch. Ich sah das Intro, fasziniert von meinem eigenen aufschießenden Ekel, ein seltenes, eher fremdartiges Gefühl, dem ich einfach Zeit geben musste, sich in meinem Inneren zu entwickeln.
Und währenddessen entwickelte sich der tausendbunte Musikantenstadl vor meinen faszinierten Augen, massig Publikum, eine Riesenhalle gefüllt mit Menschen, die Akteure traten auf, ein verfetteter Andy Borg (heißt der? glaube ich)auf einer Original-Bierkutsche von Anno X, jeder winkte jedem, alle zwanghaft lustig, alle zwangskostümiert in Hohlwelt-Outfits - und die ausgegebene Parole war, x-fach im Stadl wiederholt, "wir feiern".
Es war nicht ersichtlich, was zu feiern gewesen wäre, außer dem zentralen Thema: Bier, Bierfassanstich, saufen.
Das unglaubliche Ritual eines öffentlich heilig-verzauberten Alkoholikerwahns.
Nach jeder Szene wollte ich eigentlich dringend abschalten, aber ich konnte nicht, denn meine Neugierde wollte ständig auch die nächste unfassbare Szene noch erleben.

Und während die feierten, grundlos dauernd klatschten, ins Leere winkten, indem sie einfach nur sich selbst beschworen zu feiern, stellte ich mir vor, es gäbe einen Musikantenstadl, in dem statt Bierfässern und Säufern, Zigarrenkisten, Zigarettenpackungen, Tabaksballen von Kettenrauchern "angestochen" und befeiert würden.

Dann kam mir die Vermutung, das könne alles gar nicht ernst gemeint sein, es sei eine live-Satire, vielleicht ein Sketch der Monty Pythons, und ich schaute genauer hin, die Darsteller zu erkennen.
War aber nicht, Andy Borg war tatsächlich sich selbst und die anderen waren auch nur sich selbst - jeder von denen spielte sich selbst. Die gaben sich so, wie sie waren. Dies war dieser Menschen Kernbefindlichkeit.
Und alle sprachen in fremder Zunge, Hochdeutsch-fern.

Und dann kam mir gerade das grotesk und unglaubwürdig vor, denn wie können sich Jemande öffentlich selbst spielen und dabei ausschauen wie Donald Ducks und Daisies und Goofies, und dabei diesen hohlweltlichen Slang sprechen?

Wie ichs zuletzt dann doch noch zum Abschalten schaffte?

Ich stellte mir vor, dieses vor meinen Augen und Ohren Musikantenstadelige sei, aufgrund des massenhaften Zulaufes, wahrscheinlich eine der im Alltag versteckten Kernbefindlichkeiten der meisten/ allzu vieler Deutscher - und dann musste ich abschalten und -obwohl ich gar kein Fassbier getrunken hatte- einfach nur noch kotzen gehen ...

Und wieder bestätigt mein Eindruck: Fernsehen ist Körperverletzung! Nur Masochisten und Perverse setzen sich vor die Glotze und lassen sich dann von zwanghaft-gute-Stimmung-Junkies zudröhnen.

Dasselbe bei der Vorführung von Musik "alter Meister" in TV und Alltag.
Da wird in merkwürdig altmodischen Ritualen (die Verpackung) und in altmodischen Aufzügen von autoritativen Meister-Dirigenten zwanghaft und unmotiviert "Würde" erzeugt, und in dieser Schwindelpackung findet dann die "Musik" statt. Das Ritual der Erzeugung von mindestens derselben Wichtigkeit wie die dargebotene Musik. Überwertig präsentiert, weil Publikum die Konserve mit Inhalt "Hier überwertig" erwartet, weil man es diesem generationenlang wie Skinner-Ratten behavoristisch an-suggeriert hat.
Dabei, muss mal gesagt werden, sind das dann gar nicht Bach, Haydn, Pergolesi, Vivaldi, oder gar Mozart - es sind lediglich ihre Versteinerungen, die solcherart dargeboten werden können - nichts "Lebiges" ist mehr dabei, es sind lamoryante Leichenfeiern solche Darbietungen.

ZB der Mozart, mein Gott, das war ein Genie, nicht aufgesetzt, sondern wirklich, der hat mitten in seinem immer chaotischen Alltag Musik geschrieben, wie heute irgendwer eine SMS ins Handy tippt, der hat im Stehen komponiert, auf dem Klo, im Kopfstand, beim Essen nebenbei, wenns Kauen zu lange dauerte, dem fielen beim An- und Umziehen die Melodien zu, der wäre im Wachkoma noch musikalisch-genialer gewesen als einer dieser heutigen Möchtegern-Karajans, die seine Musik nur deshalb aufführen und davon leben, weil ihnen selbst keine einfällt.
Ein Mozart hätte sich die lächerlich-altbackene Aufführung seiner Kunst in heute üblicher Manier gehörig verbeten, den Karajans den Stinkefinger gezeigt, er wäre mit seinem Können 1000mal lieber lieber auf der Agora aufgetreten, als in andächtigen Krematorien vor Blinden und Tauben.

Und "der feierliche Vivaldi"? Der ist viel weniger "feierlich", als er lebendig ist und war.
Es ist ein grauenhaft-misstönender ästhetischer Fehlgriff, seine Melodien in die Bonbonieren der befrackten, vollgefressenen Feierlichkeit abzulegen.
Wer ihm richtig zuhören kann, der hört in seiner Musik die Glut der Lebens, da ist nichts Naphtalin-Mottenstaubiges, nichts Versteinertes dran und drin. Ein in befrackten Konventionen eingefrorener Vivaldi, das ist keiner mehr.

Vivaldi als Mensch/ sein Lebensgefühl:
[wikipedia erwähnts am Rande:
Vivaldi betreute (einst) das Mädchenorchester des Ospedale della Pietà, und -nota bene- zwar zunächst als Lehrer auf verschiedenen Streichinstrumenten ...] -
und so ging sein kurzes Leben auch weiter: Vivaldi und die Weiblichkeit, er als Rotschopf und gelerner Pfarrer, der seinen Job aber dann nach kurzem Antesten "aus gesundheitlichen Gründen !!!" aufgegeben hat, und welche Frau schon, wenn auch nur unbewusst, braucht keinen geistlichen und musikalischen Beistand ...
Später im Leben reist ein offenbar dann längst ge-outeter Herr Vivaldi ganz offen mit einer pubertären Göre durch die Weltgeschichte und dreht vertrockneten Zeitgenossen eine freche Nase - und was für einen Zinken der hatte!
 
B

bluefin

Gast
hallo @waldemar,

musik erklärt sich nicht durch äusserlichkeiten, wie du irrig annimmst - wer sich an denen aufhält, hat schon verloren.

ein "ritual der erzeugung", wie du fabulierst, gibt's nicht - die interpreten und ihr dirigent könnens, oder sie können's nicht. in was du deren leistung einpackst, ist denen genauso wurscht wie dem (toten) komponisten: beim proben haben die keinen anzug an und spielen genauso gut.

tipp: geh doch mal in ein heutiges philharmonisches konzert. natürlich sind (im publikum) zumeist gerontos; nur 20 prozent sind unter dreißig, davon 90 prozent weiblich. aber das war vor hundert jahren auch schon so, ob dir (uns) das passt oder nicht. was anders ist als damals: der abendanzug und das abendkleid sind passé. die leute kommen in jeans, pulli und strickkostüm.

ob komponist, interpret oder dirigent - von nix kommt nix. wer vermutet, dass ein genie dadurch zu kennzeichnen wäre, dass es alles wie nebenbei mache, irrt grausam - es sieht nur so aus. de facto verzehrt es sich auf der suche nach der vollendung, die nie zu erreichen ist. ein anspruchsvolles violinkonzert ist eine rundum schwierige sache - es dauert ein paar jahre, bis es geschrieben und dabei gereift, geübt und gekonnt ist und, vor allem, so interpretiert wird, dass sich ein publikum davon hinreißen lässt.

das war immer schon so, und das wird immer so bleiben.

sich über den "musikantenstadel" und dessen publikum zu erregen, ist ziemlich billig. es wird dabei gern übersehen, dass auch da die interpreten in aller regel könner sind, die einiges drauf haben. dass sie sich aus deiner (und meiner) sicht nicht nur an seichtestem schund verschwenden, sondern auch auf allergrausamste art präsentiert werden, liegt nicht an ihnen selbst oder dem publikum (das gewiss besseres verdient hätte), sondern an den produzenten der sendungen, deren ödematisierte gehirne und deren zwirnsfadenhorizonte keine andere mechanik mehr zulassen als jene des marschierschrittes und die abstruser weise vermuten, ihr publikum wäre ebenso deformiert.

aber das stimmt nicht. "musik" eo ipso ist nie schlecht, ganz egal, ob sie simpel ist oder kompliziert: sie wird nur schlecht gemacht oder schlecht verkauft oder beides.

mag sein, dass sie vielen nur ein geräusch ist - schon unter ludwig dem vierzehnten gabs in versailles ein "musikzimmer", in dem permanent gespielt werden musste - je nach "bedarf" wurden einfach die türen geöffnet oder geschlossen.

aber das ändert nichts daran, dass musik ebenso großartig ist wie jede andere kunstform - wer augen hat, sieht; wer ohren hat, hört; wer gefühle hat, fühlt.

wer überheblich herumkategorisiert, hat, wie eingangs gesagt, schon verloren. bei hänschen klein genauso wie bei den beatles, bei monteverdi ebenso wie bei dem (leider eben verstorbenen) ligeti.

es leben die kunst und der unterschied!

lg

bluefin
 
K

Kasper Grimm

Gast
Waldemar Hammel - Deine Antwort hat mich fast mehr angemacht als der Text, den sie kommentierte ;-)
 

Hieronymus

Mitglied
Hallo Odilo,
der Text ist handwerklich fehlerhaft, siehe die Kritik von bluefin. Das ist für einen Text über Musik besonders nachteilig.
LG Hieronymus
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Ja, der Text ist spröde und widersprüchlich, leider. Erwähnenswert: die beschriebenen Kindheitserinnerungen, die auf die merkwürdige Fähigkeit von Musik hinweisen, als eine Art Transportmittel, plastische Masse, Siegel etc. für Zeiteindrücke zu fungieren.

Waldemars Kommentar beschreibt sehr schön einen Teil der heutigen U-Musik-Szene, die man besser als B(löd)-Musik-Szene bezeichen sollte. Der Hinweis auf Feuer, Leidenschaft, dionysisch-orgiastische Enthemmungen, Verrücktheiten, Entartungen im Bereich klassischer Musik ist goldrichtig und müsste all den ernst-andächtigen Liebhabern sogenannter klassischer Musik ins Ohr gebrüllt werden. (Aber die sind meist eh taub für ehrliche Meinungen.)

Ich für meinen Teil halte alle Unterscheidungen mittlerweile für fragwürdig. Kategorien sind doch Krücken für (geistig) Gehbehinderte! Ich finde in Mahlers Werken ne Menge derber Ländler. Bei ACDC höre ich z.T. ein wunderbar jazziges Schlagzeug usw.

Ein weiterer Grund, gegen Schubladen anzustinken: Alle Musik entsteht aus denselben wenigen Grundbausteinen. Das Eröffnungsmotiv von Beethovens Fünfter benutzt die gleichen Notenwerte wie Hänschen klein. Den Unterschied bringt nur die Zeit. Musik ist also wesentlich gestaltete Zeit.

Im Übrigen: Es dürfte zu allen Zeiten gute und schlechte Musik (schlecht im Sinne von: undifferenziert, erkünstelt, einfallslos) gegeben haben. Das scheinbare Phänomen der Musikantenstadls ist kein neuzeitliches, ich vermute derartige Stadls auch schon in der Antike. Die Art der Musik, die wir hören (zu hören in der Lage sind) hängt vom Grad der Entwicklung unserer Hörgewohnheiten ab. Die wiederum werden durch unsere soziale Prägung wesentlich, durch körperlich/genetische Fähigkeiten/Prädispositionen teilweise, bestimmt. Sind also auch nicht unveränderlich. Die "Stadls" finden sich analog zur Musik auch in anderen Bereichen wie Literatur, Publizistik, Film...

Was einen gewissen Schluss auf ihre Notwendigkeit (im Sinne der Fähigkeit zur Befriediung kultureller Bedürfnisse bestimmter Konsumentenkreise) zulässt.

LG

P.
 
B

bluefin

Gast
was mich ein bisschen wundert, @penelopeia, ist, dass du zwar im wesentlichen das wiederholst, was @odilo und @waldemar entegengzuhalten war, dann aber doch in den gleichen fehler verfällst wie diese: publikum und verpackung mit der musik selbst zu verwechseln - als ob es der auf die zuhörerschaft ankäme. "gute" musik richtet sich an die seele, nicht an dein outfit, deinen geldbeutel oder deine elitäre gesinnung. wer mit "klassischer musik" nichts anfangen kann, ist nicht zu dumm dazu, sondern nur zu faul. sie verlangt nämlich, wie eine gut erzählte geschichte, dass du ihr zuhörst. sonst verlierst du den faden und den peil.

eine sinfonie beethoves, mahlers oder bruckners, paul mccartneys "help!", die "satisfaction" der stones, brubecks fünfvierteltakt, nonos "letze briefe" oder schönbergs "metamorphosen" auf "hänschen klein" reduzieren und behaupten zu wollen, den rest mache die zeit dazu, ist (entschuldige den ausdruck, @penelopeia) so dämlich wie die behauptung, goethes "faust", manns "buddenbrooks", millers "wendekreis des krebses" und süßkinds "parfum" wären eigentlich nur tinte und das alphabet, den rest habe "die zeit" vollbracht.

ich weiß natürlich nicht, ob du selbst musik machst oder auf andere weise besonders mit ihr verbunden bist. aber ich glaub's eher nicht, denn:
Der Hinweis auf Feuer, Leidenschaft, dionysisch-orgiastische Enthemmungen, Verrücktheiten, Entartungen im Bereich klassischer Musik ist goldrichtig und müsste all den ernst-andächtigen Liebhabern sogenannter klassischer Musik ins Ohr gebrüllt werden. (Aber die sind meist eh taub für ehrliche Meinungen.)
enthält ein maß an ptöpotenter intoleranz, die jenen fehlt, die mehr auf eine tastatur tippen können als nur "hänschen klein".

natürlich ist alles nur ein missverständnis, wirst du jetzt sagen, deine sätze relativieren und rasch ein anderes thema eröffnen.

dummer weise gibt's aber wirkungen, die sind unumkehrbar. pass auf, ich erzähl dir eine wahre geschichte:

ich war ungefähr vier jahre alt, da durfte ich mit einer tante in den zirkus (eltern hatte ich keine). in der mitte der arena war der raubtierkäfig aufgebaut, in dem tiger und löwen unter peitschnegeknalle herumposierten, währen rechts und links, außerhalb des käfigs, jongleure ihre kunststücke zeigten. diese artisten haben mich so lange hingerissen, bis mich die tante (ich glaube, sie hieß "pia") bei den haaren nahm und meine kopf zum raubtierkäfig drehte. "da schau'n wir hin!", sagte sie.

an diese geschichte musste und muss ich immer denken, wenn mir jemand von oben herab erzählt, was die richtige sicht der dinge wäre.

sowas muss bekämpft werden, findest du nicht auch?

nichts für ungut und liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Joh

Mitglied
Hallo Odilo

Was ich an Texten wie diesem schätze, ist die sparsame Sprache, die leisen Hinweise, sie lassen mir den Raum und die Zeit, in dem sich die Szenerie entfalten kann. Ich genieße gern Stück für Stück, würde mir so einen Text nur sehr ungern zerreden lassen. Für mich ein wunderbares Stück Prosa.

LG Johanna
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Lieber Bluefin,

warum sollte ich beschwichtigen, relativieren und ein neues Thema eröffnen? Was ich schrieb, meine ich genauso. Egal, wer es bereits sagte oder zu wessen Aussage es das Gegenteil darstellt.

Ich verwechsle also nicht "Publikum und Verpackung mit der Musik", ich glaube lediglich, dass sich ein bestimmtes Publikum eine bestimmte Musik sucht (oder meint zu hören und zu verstehen). Pierre Bourdieu hat das in seinem Standardwerk (Titel: "Der feine Unterschied") sehr schön gezeigt.

Da wir nunmal kein Einheitspublikum haben, sondern eine Gesellschaft, die aus sozialen Schichten mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen, Gewohnheiten, Fähigkeiten etc. besteht, differenziert sich auch die Art und Qualität der konsumierten kulturellen Produkte. Die Behauptung, wer keine klassische Musik höre, sei nur zu faul, ignoriert eine wesentliche Rolle kultureller/künstlerischer Produkte, nämlich die als Identifikationsobjekte.

Meine Behauptung, Zeit sei das wesentliche Element von Musik, ist nicht mal so eben daher geschnoddelt, diese Ansicht resultiert aus ziemlich langen Beobachtungen und Untersuchungen von Musik unter konstruktivistischen Aspekten. Ich könnte jetzt hier ne ganze Latte von Argumenten und Fakten nennen, werde mich aber zurückhalten.

Meine instrumentalen Fähigkeiten sind eher bescheiden, einverstanden; die Mahler- und Bruckner-Sinfonien habe ich nicht nur gehört, sondern - nach verschiedenen Paradigmen - versucht zu formalisieren (ist mir nicht besonders gelungen).

Mit Begriffen wie "Seele" hantiere ich höchstens noch auf der dichterischen Ebene, da unterscheiden wir uns wohl sehr.

P.
 
B

bluefin

Gast
dann, liebe @penelopeia, empfehle ich dir mal einen besuch auf dem odeonsplatz in münchen, wenn ein paar tausend "eliten" sich für zwei opernarien und die vier jahreszeiten wegschmeißen - es sind dieselben "deppen", die ein paar wochen vorher im "abba"-musical waren oder zu paul mccartney gegangen sind, als er hier war. und wenn ihnen danach ist, pilgern sie an einem freitagabend zur point am tegernsee, hören sich den schmarren von den "zillertaler schürzenjägern" an, betrinken sich dabei und stranden dann, wie geschehen, mit dem dampfer auf einer untiefe, um mitternacht und im strömenden regen. sowas nennt man hierzulande eine "gaudi".

verwechselst du das 21. jahrhundert nicht noch ein bisschen mit dem wilhelminischen zeitalter? glaub mir: es ist passé, und es ist niemand mehr scharf drauf, dass er von irgendeinem kulturbolschewiken ins ohr gebrüllt kriegt, dass er auf die falschen töne hört und die falschen klamotten anhat.

wer anderen erklären will, wie sie musik zu verstehen haben, hat schon verloren, hab ich ganz zu anfang dieser lustigen debatte bereits gesagt. jetzt wiederhol ich's nochmal: nimm dein "standardwerk" zum blumenpressen, @penelopeia, aber nicht, um dich drauf zu stellen und über die simpel zu erheben, die ganz einfach glauben, musik sei etwas zum lieb haben. alle kinder zum beispiel sind so. denen hat man noch keine "standardwerke" auf den kopf gehauen - die fahren auf die oberkrainer genauso ab wie auf "peter und der wolf" oder respighis "pini di roma"-kitsch: da hört man bei den "pinien auf dem janiculum-hügel" sogar eine waschechte nachtigall zwitschern. geil!

hat dein dramatischer nick etwas mit dem altgriechischen zu tun, und bist du dessen gar mächtig?

liebe grüße aus dem orchestergraben

bluefin

p. s.: bei der "ptöpotenz" in vorherigen posting hab ich den falschen fingersatz verwendet. sorry. es muss natürlich "präpotenz" heißen.
 

gareth

Mitglied
Was mich angeht, odilo plank, empfehle ich,

und zwar allen, außer waldemar hammel selbstverständlich :eek:), sich daran zu erinnern, dass es eigentlich um einen text geht.

Und ich muss sagen, dass mir die gefühlsintensität dieses textes einfach zu arg ist.

Nach jedem Satz trocknet sich der Meister Stirn und Hals. Die furchtbare Anstrengung, das kostbare Instrument, das nicht feucht werden darf.

Es ist warm und anstrengend. ja. man wischt sich den schweiß ab. ja. aber dann kommt noch die furchtbare verantwortung für das entsetzlich kostbare Instrument und weil es ja nicht feucht werden darf.

Also, ich weiß nicht, odilo plank.

Aber du weißt sicher, was ich damit sagen will.

Dann das publikum aus einer fremd gewordenene zeit und der erzähler kann drei mal nicht abschalten. eigentlich will er überhaupt nicht abschalten (weder das gerät noch seine aufmerksamkeit). Eigentlich will und kann er sich einfach nicht lösen von dem was er da sieht und hört. Aber das sagt er nicht.

Und wenn mir, lieber odilo plank, im angesicht und unter dem ungeheuren eindruck der hochklassigen Interpretation tatsächlich mein kratzen auf der geige vor ewigen zeiten einfällt (mir schiene das eher ein Hinweis auf eine geringe Konzentration auf das eigentlich wesentliche d.h. ein abgelenktsein, hinzudeuten), dann ist es umso unglaubwürdiger, dass ich mich unmittelbar danach mit der schreibweise eines russischen namens befasse, den ich zu allem überfluss gerade kurz vorher bereits einmal in der üblichen deutschen Art, also landläufig gesagt: richtig hingeschrieben habe.

Nicht ganz vergessen sein sollen auch die von bluefin bereits zusammengetragenen grammatikalischen schwächen.

Nur meine Meinung.
gareth
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Lieber Bluefin,

wenn ich mal nach München komme, latsch ich über den Odeonsplatz, versprochen. Allerdings gibts in der Republik viele Plätze mit ähnlich deppertem Publikum, das sich zu dämlichen (musikalischen u.a.) Veranstaltungen einfindet. Schwerin wäre hier die nächste Stadt mit irgendwelchen Verdi-Freiluftmonströsitäten...

Jemandem ins Ohr zu brüllen liegt mir nicht, ich kann ja gar nicht brüllen. Und wenn ichs könnte und vom Sinn irgendeiner Belehrung überzeugt wäre, so müsste ich einen solch brutalen Akt immer noch gegen mein Wissen realisieren, dass ja mein Gegenüber eh taub ist, ich schrieb das, glaube ich, schon.

Ich stimme Dir also aus ganzem Herzen zu, wenn Du schreibst, man habe bereits verloren im Versuch, jemandem (seinen/einen) Geschmack erklären zu wollen. Kann man nicht; sowenig, wie man die eigenen Schmerzen erklären kann...

Auch wenn es nix mehr mit dem Text, der Auslöser unserer rüden Debatte ist, zu tun hat: wirkliches Nachdenken über Musik führt, auch ohne jeden konstruktivistischen Ansatz, immer auf die Zeitfrage zurück. Lies einmal die Texte von Rudolf Frisius, der hat allerlei über das Wesen der Zeit in der seriellen Musik geschrieben. Leider ging er von der klassischen Auffassung des Zeitbegriffs aus, die von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, von einem „Fließen der Zeit“, einer „zwangsläufig vergehenden Zeit“ und ähnlichen Dingen schwafelt. Wenn man diesen Zeitbegriff ersetzt durch neuere Modelle und als Paradigma benutzt für eine Analyse von Musik, ergeben sich andere Gesichtspunkte...

Ich habe mir noch die Mühe gemacht, und habe die Stichworte „Musik“, „gestaltet“, "Zeit" und „wiki“ in eine Suchmaschine gekloppt. Heraus kam, z.B., dieser Text:

Aus wiki: "Musik ist gestaltete Zeit (im Gegensatz etwa zur bildenden Kunst, die Raum gestaltet). Musik kann nur als Ablauf in der Zeit erlebt werden. Aus diesem Grund setzt Musik beinahe begriffsnotwendig eine rhythmische Ordnung ihres Rohmaterials (Geräusche, Töne, Klänge) voraus. Außer durch Rhythmus kann musikalisches Material durch Melodie (die Abfolge verschiedener Tonhöhen) und Harmonie (die Gleichzeitigkeit bestimmter Tonhöhen) organisiert sein."

Zuletzt: Des Altgriechischen bin ich in keinster Weise mächtig, dafür besitze ich bescheidene Kenntnisse in einer anderen alten Sprache.

LG

P.
 

gareth

Mitglied
...genau.

Ich wusste es.
Es hatte noch etwas gefehlt in der Debatte um Odilo Planks Text. Nur wollte mir um alles in der Welt nicht einfallen, was es war.

Jetzt ist es ausgesprochen. Von Penelopeia.
Danke. Danke für das:

...Leider ging er von der klassischen Auffassung des Zeitbegriffs aus, die von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, von einem „Fließen der Zeit“, einer „zwangsläufig vergehenden Zeit“ und ähnlichen Dingen schwafelt. Wenn man diesen Zeitbegriff ersetzt durch neuere Modelle und als Paradigma benutzt für eine Analyse von Musik, ergeben sich andere Gesichtspunkte...

Genau das war es, was die intellektuelle Bearbeitung des Themas abrunden musste:
Das neuere Modell des Zeitbegriffs als Paradigma - für eine Analyse von Musik -!

Unglaublich :eek:)

findet jedenfalls von Herzen
gareth
 
B

bluefin

Gast
sei mir nicht böse, @penelopeia, aber bevor ich mich mit herrn frisius' geschwafel über rhythmus und zeit beschäftige oder, wie du, nach irgendwelchen begriffen google, geh ich lieber zu bryan adams in die olympiahalle (vorgestern) und träum mich bei "everything i do" in die milchstraße http://www.youtube.com/watch?v=1kpRqufhTuo. die schnulze dauert genau 3 minuten und 59 sekunden; sie könnte auch nur eine minute dauern oder fünf, egal - wichtig sind nur bryans erdige stimme, die harmonien, das arrangement und das, was im publikum sofort abgeht. vor allem auf das kommt's an, @penelopeia. davon weiß dein mr. frisius leider gar nix, und googlen danach kann man auch nicht.

ich brauch diesen kitsch, ab und zu, weil ich sonst die ödnis der täglichen überei nicht so leicht ertragen könnte. und üben muss ich, sonst kann ich mit meinen jungs keine musik für die "deppen" ebenso wie für die "eliten" machen.

unser nächstes konzert ist am 12. oktober. wenn du interesse an klassischer musik haben solltest: schick mir eine pn, dann lade ich dich ein.

liebe grüße aus münchen

bluefin

p. s.: "rüde" heißt in meinem sprachspiel grob, ungeschlacht, verletzend. ich finde, unsere diskussion war bisher nur witzig. es gibt keinerlei grund, beleidigt zu sein.
 



 
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