Ein düsterer Tag. Dunkel die Wolken am Himmel. Mies die Stimmung.
Das Namensschild an meiner Haustür vermittelt: Herbert Pastera, Wahrsager und Hellseher. Ich wohne allein, bieder und versorgt, in einer schönen Stadt voller großer Vögel.
Die Daten-CD in die Abspielvorrichtung schiebend, schniefe ich gleichzeitig ins Taschentuch. Meine Erwartung auf ein faszinierendes Spiel ist hochgeschraubt. Der Joystick rastet ein. Der Computer baut nach wenigen Sekunden eine Illusion der Spieldramatik betreffs einem Film von HITCHCOCK auf.
Ein interessantes und spannendes Spiel. Doch heute ... HITCHCOCKs Vögel in einer modernen Fassung des Jahres. Ich versinke in den Spielablauf, schwitze und fiebere, immer mit dem Hinterkopfgedanken, es ist ja nur ein Spiel. Jedoch diesmal erschrocken über die Szenen denke ich nun an Vögel, die gar durch den Kamin kamen und die Bewohner zerfleischten bis auch nichts mehr übrig geblieben war. An Vögel, die, die Leber eines Mannes herauspickten, an Vögel die Augen ausstachen, einfach so. Oder an Vögel die ganze Stadtteile terrorisierten. Filme. Solche Horrorszenario stürzen eine Viertelstunde lang wuchernd in mein Hirn. Momente der Ratlosigkeit. Ich gerate außer Fassung. Ich werfe den Joystick von mir. Sonst ist der Ablauf ein Vergnügen für mich, heute Belastung, ja dieses Geschehen ist mir jetzt überdrüssig. Verängstigt ziehe ich den Stecker sogleich aus der Dose. Kommt etwas auf mich zu? Als Hellseher deutet man alles danach ab und sucht Antworten. Betrachtungen wollen sich anschließen.
Und ich lehne mich deshalb aus dem Schlafzimmerfenster um Sauerstoff zu schöpfen. Nachzudenken, anderes in den Kopf zu bekommen. Mich abzulenken. Mich zu zerstreuen. Die Aufzählung hat Wirkungen der Beruhigung, des seelischen Ausbaumelns. Aus dem Fensterschauen hat mehr Kraft als Yoga. Jetzt, am frühen Morgen eines gewöhnlichen Tages. Ich bin irgendwie ein seltsamer Mensch. Doch diesen Status will ich nicht wahrhaben.
Seit zwei Wochen mache ich wieder meinen Job. Eine psychotherapeutische Bearbeitung meines Selbst stoppte den Fortgang. Ich war Schuld an einem Busunglück. Der Busfahrer lenkte von der Fahrbahn an die Häuserwand ab, um mich nicht zu überrollen. Drei Menschen starben dabei. Warum hatte ich beim überqueren der Straße nur so gedöst? Es ist selbstverständlich, dass man sich große Vorwürfe macht. Und ich denke an diese drei Menschen, die mir unbekannt waren und doch Gewissensbisse hervorrufen.
Warum hatte ich nicht aufgepasst?
Beobachtend schaue ich aus dem Fenster. Große Raben sitzen auf den knorrigen schwarzen Ästen der alten Eichenbäume vorm Haus, bewegen die Köpfe aufeinander zu wie Schöffen eines Gerichts, die ihre Ansichten über einen Fall austauschen, doch nie Einigkeit bekommen. Wie Menschen, die sich freche aufregende Neuigkeiten erzählen. Vielleicht auch wie Leute, die immerfort fluchen, Gebeutelte im Abseits. Majestätisch vollführen sie Taten, die uns schrecken sollen, demonstrieren ein oder zwei Gewohnheiten der Menschen, halten uns einen Spiegel vor, plustern sich erbost auf, sprechen keine verständliche Sprache. Sie sind ja Tiere. Sie verbreiten ruhmlose Wichtigkeit ohne Können ihr eigen zu nennen. Das Können von der Täuschung uns Menschen gegenüber sei negiert. Mir kamen noch mehr so dumpfe Gedanken ins Hirn und sie sausten vor mir ab wie Soldaten im Sturm. So auch der Ausdruck: Rumpelige Leute, die geradezu aufsässig nach Erstrebtem sich durchboxen, und Ellenbogen gebrauchen gegen andere. Kraftvoll wie Bagger, die Schaufeln in den Boden rammen. Und Raben haben Marotten Aufsässiger, aufsässiger Menschen, und dies betrübt mich. Aber auch Marotten wie rachsüchtige Menschen. Das ängstigt mich.
Eventuell habe ich zu viele Unterhaltungsgeschichten über sie gelesen, zu viele Games absolviert, so dass schon gespenstige Beeinflussung in mir existiert? Das macht mich unruhig. Doch - die Raben, zahlreich in dieser Gegend und herbstlichen Jahreszeit, sie täuschen uns sicher bewusst damit. Ich kann es nicht wegwischen: Raben haben Eigenarten vom Menschen ... und ich versinke wieder ins Grübeln.
Manch einem Zauberer, so zeigt man im Film, werden die Raben als Sinnbild des Unheimlichen, als Ratgeber, als Schicksalsbote, als ruhige aber finstere Macht auf die Schulter gesetzt. Sie schauen wie Weise von da herab. Flüstern dem Tragenden ihre Worte ein, als flüstern sie treffenden Rat. Und nehmen doch persönlich Rache für Dinge die irgendwann einmal geschehen sind. Zetteln Streit und Unbill an. In Büchern sind sie derartig erwähnt. In verschiedensten Medien sind sie sogar Gesellen des Horrors. Sie tragen wohl ihr glänzendes Federkleid als frappierendes Kennzeichen ihres mystischen Lebens? Den Glanz der Unterwelt, der uns ebenfalls umfängt, stürzen wir nur in ihre Fallgruben. Die Vögel der stillen Untaten. Man sagt unter der Hand, es seien Wiedergeborene? So steht es in den Büchern der alten Bastei, hoch oben auf dem Berg, einem Ort des Unheimlichen, obwohl das auch nur Gefasel der Nachbarn sein kann? Doch irgendwie beängstigt mich das. Wiedergeborene - dann könnten doch die Toten vom Bus auch wiedergeboren werden? Als Raben, als rachsüchtige Raben? So richtig kann ich es nicht glauben. Das ist zu fantastisch. Doch ich vergrabe mich immer tiefer in beunruhigende Gedanken. Ja, gewissermaßen bin ich abergläubisch. Ist das ein Wunder bei meinem Beruf?
Und der Tag heute beweist mir ganz nüchtern, Raben vollführen höllischen Lärm auf den Bäumen und Wegen. Sie bearbeiten scheinbar ein wichtiges Problem, nutzen eine Methode um aufzufallen. In einem nur Vögeln gegenwärtigen \"Esperanto\" schreien sie ihre Meinung heraus? Sicher dabei, das niemand sie versteht, nur die Viecher selbst kapieren die tiefen Laute. Ihre darauf folgenden Rangeleien, ihre bösen Taten - sie schaden wohl den Menschen? Vielleicht sind sie die eigentlichen Zauberer des Lebens? Schnaubend will ich an anderes denken, entwickle jedoch immer deutlicher dies Problem.
Morgens habe ich keine Aufgabe im persönlichen Plan der Arbeit, mein Tagessoll beginnt am Nachmittag. Also lese ich gern, schaue gern Filme morgens. Science Fiction und Horror sind da mein Maßstab. Solche Filme oder Bücher konsumiere ich mit Wolllust, sie sind der wahre Zeitvertreib für mich. Spannung und Gruseln. Die Videosammlung birgt viele solche Exemplare. Die Regale strotzen von solchen Büchern.
Kaum flexibel, eher flugträge, doch Lärm entfachend, verharren die Raben lange auf einer Stelle der Astplätze. Vielleicht besitzen sie Biorhythmen, schalten eine zeitlang ab, um später wieder aktiv zu werden? Gesteuertes Verhalten? Gelenkt? Gelenkt von einem Vertrauten oder Besitzer? So bevölkern meine Gedanken schmale Wissensgebiete, die ich eigentlich besser kennen müsste. Das Lexikon sagt mir: Krähen und Raben sind verwandt. Gattung Corvus. Eine groteske Vielfalt. Und das Lexikon gibt kund: Sie sind intelligenter als andere Vogelarten.
Ein Hauch von schwarzer Mystik spannt sich überm Garten, aufgrund dieses Wissens, wie ein enges schwarzes Netz - auf meine Betrachtungen hin. Sicher etwas, das ich mir nur einbilde? Ich schenke mir einen Kognak ein, proste mir selbst zu, bin daraufhin um Nuancen froher. Die Existenz solcher Gedanken ist sogleich Ursache meines jetzigen Reagierens. Ich könnte mich unter einer Decke verkriechen.
Raben - typische Gesellen des Gruselfilms und ich weiß nur wenig über sie. Das neu hinzugekommene Wissen verhilft zu keiner bedeutenden Addition von neuen Eindrücken, nur eines, sie scheinen doch auch manchem Eigenbrötler auf dem Rücken zu sitzen? Schaue ich so die Leute genauer an, kommt diese Metapher, dieser Eindruck. Sie sitzen manchem auf dem Rücken - wenn auch nur symbolisch, also unsichtbar. Aber Erwin Klobtrott nebenan macht den Eindruck eines tiefgreifend Allwissenden. Er sagt oft: \"Die Bäume sind Parkplätze für solche Raben - Versammlungsorte\". Er ist ein Grüner, umweltfreundlich, mag alle kleinen Tiere, solange sie ihn nicht beißen können. Er eignet sich, ja er hat einen krummen Rücken, ein prima Platz für so ein Viech als täglicher Wegbegleiter und Ratgeber?
Ach was. Ich sehe schon das Gras wachsen, wie man so sagt. Diese Phase des Überdenkens entlockt doch Lacher bei mir, aber leise, verhalten aus meinem Hals kommend - je mehr Nervenfasern in diesem Überlegungsfieber miteifern, um so eher auch bleiben Raben für mich schwarze, unbekannte Wesen, primitive Vögel, eben Tiere. Was wissen schon Raben, was können sie schon ausrichten? Dumme harmlose Vögel. Basta. Ich falle in den Rausch einer eigenen Beruhigung, natürlicher Fakt dieser Selbstsuggestion. Mir ist ja direkt auch niemals Nachteiliges zu Ohren gekommen. Außer im Spiel, in den Büchern. Warum also, rege ich mich so auf?
Bewegung auf den Eichenbäumen, gravierende Unordnung. Noch mehr Raben. Noch mehr Lärm. In oberer Stellung auf dem sich verjüngenden Ast eine herausragend riesige Krähe. Vielleicht der Anführer?, - so keimt sofort die Idee einer simplen Vorstellung. Der Ast wackelt heftig infolge ihres Gewichts. Und Meisen und Spatzen haben sich heute vor ihnen längst aus dem Terrain verflüchtigt. Die Übeltäter weisen zu große Schnäbel auf. Mit einigem Dafürhalten kann man solchen \"Spieß\" für eine Waffe ansehen. Ein Fakt, der mich jetzt frustriert. Je mehr ich mich darüber äußere, um so kritischer werde ich wieder. In diesem Moment hallt der laute dunkel-befehlende Ruf: \"Zum Angriff!\" in die Nachbarschaft - von irgendwoher. Aber von woher? Ich erkenne keinen Rufer. Aus einem bestimmt unsichtbaren Mund. Mein Kopf summt.
Vielleicht war es die Stimme aus einer imaginären Öffnung in der Luft, einer Singularität, oder aus der Unterwelt, man kennt dies ja. Der Spiegel reflektiert mein blasses Gesicht.
Aber der Morgen ist real, kein Traum hängt an mir. Also muss doch einer sein, der gerufen hat? Und ich griene sofort wie ein Fernsehmoderator, doch mein Mund zuckt seltsam dabei, als wisse mein Körper schon mehr als der Kopf.
Jemand, hat diese Öffnung in unsere Welt geschaffen. Die Stimme hatte weit hinaus über den Garten gerufen, wie ein Kommando des vermeintlichen Besitzers dieser schwarzen Vögel. Wenn es einen gibt, und es gibt wohl einen, dieser dunklen festen Stimme nach zu urteilen? Dann bedeutet das ...
In dem Moment quirlt der Rabenhaufen. Also doch. Staunend sehe ich die riesige Krähe ganz vorn in der startenden Schar, den spitzen Schnabel waagerecht um Fleisch aufzuspießen, so scheint mir. Die Sachlage wird kritisch. Die Vorahnung aus dem Computer-Spiel scheint sich zu bestätigen?
Der Pulk fliegt heran, ein Vernichtung bringendes Geschwader mehrerer Dutzende Raben. Sie fliegen jetzt in einer pfeilartigen Formation, Schnabelspitzen todbringend gerichtet wie die, der gewaltigen fleischfressenden Hautflügler, die Pterosaurier der \"Oberen Kreidezeit\". Mir fällt das Analoga ein, da ich gestern im Naturkunde-Museum war.
Ameisenkrabbeln rennt über meinen Rücken, wieder Zucken am Mund. Gern hätte ich jetzt ein Glas Wasser. Doch wie angenagelt am Fenster blicke ich in den Hof.
Ziel ihres Fluges scheint mein Haus? Ja, mein Haus. Mein Herz beginnt heftiger zu schlagen. Hundert Meter noch sind sie entfernt. Und ich bilde mir ein, sie streben haargenau auf mein Fenster zu.
Ich spüre plötzlich totale Gefahr, als wolle man mich töten. Blitzschnell schließe ich das Fenster mit behändem Schwung, damit ich schnell genug bin, vor ihnen fertig zu sein mit dem schließen. Schaue angeekelt hinaus. Linien von Angst im Gesicht, sie frisst sich durch den gesamten Körper, bis in die Haarwurzeln. Sie wird einen kurzen Moment zur Qual. Blass geworden zerrt mein Hirn Gedanken an das Schrott-Gewehr des Großvaters, im Schrank hervor. Erleichtert mich die Idee auch - doch ich würde es nicht mehr zeitmäßig schaffen, zu spät der Vorsatz, zu spät ...
Die Knie wurden mir weich. Gleich sind sie da. Geduckt vernehme ich schon ihren dumpfen Flügelschlag, ihr hektisches Vogelschreien, das mir höchstes Unheil verkündet, sie fliegen heran. Ich schließe die Augen, erwarte in dem Augenblick Grauenvolles.
Mein Herzschlag setzt aus. Sie sind knapp vor mir.
Plötzlich, völlig unerwartet, ziehen sie im steilen Winkel kräftig nach oben, über das Haus hinweg, im wilden gespenstischen Korso, und fliegen davon, als ob sie noch Gnade für mich in letzter Sekunde empfunden hätten?
Es folgen Minuten meines Aufatmens und Entspannens. Meine Erlösung. Und unten im Hof ganz rechts sieht man die Fußballer spielen und ihr Trainer ruft dunkel-befehlende Worte, die sich anhören wie: Zum Angriff!
Das Namensschild an meiner Haustür vermittelt: Herbert Pastera, Wahrsager und Hellseher. Ich wohne allein, bieder und versorgt, in einer schönen Stadt voller großer Vögel.
Die Daten-CD in die Abspielvorrichtung schiebend, schniefe ich gleichzeitig ins Taschentuch. Meine Erwartung auf ein faszinierendes Spiel ist hochgeschraubt. Der Joystick rastet ein. Der Computer baut nach wenigen Sekunden eine Illusion der Spieldramatik betreffs einem Film von HITCHCOCK auf.
Ein interessantes und spannendes Spiel. Doch heute ... HITCHCOCKs Vögel in einer modernen Fassung des Jahres. Ich versinke in den Spielablauf, schwitze und fiebere, immer mit dem Hinterkopfgedanken, es ist ja nur ein Spiel. Jedoch diesmal erschrocken über die Szenen denke ich nun an Vögel, die gar durch den Kamin kamen und die Bewohner zerfleischten bis auch nichts mehr übrig geblieben war. An Vögel, die, die Leber eines Mannes herauspickten, an Vögel die Augen ausstachen, einfach so. Oder an Vögel die ganze Stadtteile terrorisierten. Filme. Solche Horrorszenario stürzen eine Viertelstunde lang wuchernd in mein Hirn. Momente der Ratlosigkeit. Ich gerate außer Fassung. Ich werfe den Joystick von mir. Sonst ist der Ablauf ein Vergnügen für mich, heute Belastung, ja dieses Geschehen ist mir jetzt überdrüssig. Verängstigt ziehe ich den Stecker sogleich aus der Dose. Kommt etwas auf mich zu? Als Hellseher deutet man alles danach ab und sucht Antworten. Betrachtungen wollen sich anschließen.
Und ich lehne mich deshalb aus dem Schlafzimmerfenster um Sauerstoff zu schöpfen. Nachzudenken, anderes in den Kopf zu bekommen. Mich abzulenken. Mich zu zerstreuen. Die Aufzählung hat Wirkungen der Beruhigung, des seelischen Ausbaumelns. Aus dem Fensterschauen hat mehr Kraft als Yoga. Jetzt, am frühen Morgen eines gewöhnlichen Tages. Ich bin irgendwie ein seltsamer Mensch. Doch diesen Status will ich nicht wahrhaben.
Seit zwei Wochen mache ich wieder meinen Job. Eine psychotherapeutische Bearbeitung meines Selbst stoppte den Fortgang. Ich war Schuld an einem Busunglück. Der Busfahrer lenkte von der Fahrbahn an die Häuserwand ab, um mich nicht zu überrollen. Drei Menschen starben dabei. Warum hatte ich beim überqueren der Straße nur so gedöst? Es ist selbstverständlich, dass man sich große Vorwürfe macht. Und ich denke an diese drei Menschen, die mir unbekannt waren und doch Gewissensbisse hervorrufen.
Warum hatte ich nicht aufgepasst?
Beobachtend schaue ich aus dem Fenster. Große Raben sitzen auf den knorrigen schwarzen Ästen der alten Eichenbäume vorm Haus, bewegen die Köpfe aufeinander zu wie Schöffen eines Gerichts, die ihre Ansichten über einen Fall austauschen, doch nie Einigkeit bekommen. Wie Menschen, die sich freche aufregende Neuigkeiten erzählen. Vielleicht auch wie Leute, die immerfort fluchen, Gebeutelte im Abseits. Majestätisch vollführen sie Taten, die uns schrecken sollen, demonstrieren ein oder zwei Gewohnheiten der Menschen, halten uns einen Spiegel vor, plustern sich erbost auf, sprechen keine verständliche Sprache. Sie sind ja Tiere. Sie verbreiten ruhmlose Wichtigkeit ohne Können ihr eigen zu nennen. Das Können von der Täuschung uns Menschen gegenüber sei negiert. Mir kamen noch mehr so dumpfe Gedanken ins Hirn und sie sausten vor mir ab wie Soldaten im Sturm. So auch der Ausdruck: Rumpelige Leute, die geradezu aufsässig nach Erstrebtem sich durchboxen, und Ellenbogen gebrauchen gegen andere. Kraftvoll wie Bagger, die Schaufeln in den Boden rammen. Und Raben haben Marotten Aufsässiger, aufsässiger Menschen, und dies betrübt mich. Aber auch Marotten wie rachsüchtige Menschen. Das ängstigt mich.
Eventuell habe ich zu viele Unterhaltungsgeschichten über sie gelesen, zu viele Games absolviert, so dass schon gespenstige Beeinflussung in mir existiert? Das macht mich unruhig. Doch - die Raben, zahlreich in dieser Gegend und herbstlichen Jahreszeit, sie täuschen uns sicher bewusst damit. Ich kann es nicht wegwischen: Raben haben Eigenarten vom Menschen ... und ich versinke wieder ins Grübeln.
Manch einem Zauberer, so zeigt man im Film, werden die Raben als Sinnbild des Unheimlichen, als Ratgeber, als Schicksalsbote, als ruhige aber finstere Macht auf die Schulter gesetzt. Sie schauen wie Weise von da herab. Flüstern dem Tragenden ihre Worte ein, als flüstern sie treffenden Rat. Und nehmen doch persönlich Rache für Dinge die irgendwann einmal geschehen sind. Zetteln Streit und Unbill an. In Büchern sind sie derartig erwähnt. In verschiedensten Medien sind sie sogar Gesellen des Horrors. Sie tragen wohl ihr glänzendes Federkleid als frappierendes Kennzeichen ihres mystischen Lebens? Den Glanz der Unterwelt, der uns ebenfalls umfängt, stürzen wir nur in ihre Fallgruben. Die Vögel der stillen Untaten. Man sagt unter der Hand, es seien Wiedergeborene? So steht es in den Büchern der alten Bastei, hoch oben auf dem Berg, einem Ort des Unheimlichen, obwohl das auch nur Gefasel der Nachbarn sein kann? Doch irgendwie beängstigt mich das. Wiedergeborene - dann könnten doch die Toten vom Bus auch wiedergeboren werden? Als Raben, als rachsüchtige Raben? So richtig kann ich es nicht glauben. Das ist zu fantastisch. Doch ich vergrabe mich immer tiefer in beunruhigende Gedanken. Ja, gewissermaßen bin ich abergläubisch. Ist das ein Wunder bei meinem Beruf?
Und der Tag heute beweist mir ganz nüchtern, Raben vollführen höllischen Lärm auf den Bäumen und Wegen. Sie bearbeiten scheinbar ein wichtiges Problem, nutzen eine Methode um aufzufallen. In einem nur Vögeln gegenwärtigen \"Esperanto\" schreien sie ihre Meinung heraus? Sicher dabei, das niemand sie versteht, nur die Viecher selbst kapieren die tiefen Laute. Ihre darauf folgenden Rangeleien, ihre bösen Taten - sie schaden wohl den Menschen? Vielleicht sind sie die eigentlichen Zauberer des Lebens? Schnaubend will ich an anderes denken, entwickle jedoch immer deutlicher dies Problem.
Morgens habe ich keine Aufgabe im persönlichen Plan der Arbeit, mein Tagessoll beginnt am Nachmittag. Also lese ich gern, schaue gern Filme morgens. Science Fiction und Horror sind da mein Maßstab. Solche Filme oder Bücher konsumiere ich mit Wolllust, sie sind der wahre Zeitvertreib für mich. Spannung und Gruseln. Die Videosammlung birgt viele solche Exemplare. Die Regale strotzen von solchen Büchern.
Kaum flexibel, eher flugträge, doch Lärm entfachend, verharren die Raben lange auf einer Stelle der Astplätze. Vielleicht besitzen sie Biorhythmen, schalten eine zeitlang ab, um später wieder aktiv zu werden? Gesteuertes Verhalten? Gelenkt? Gelenkt von einem Vertrauten oder Besitzer? So bevölkern meine Gedanken schmale Wissensgebiete, die ich eigentlich besser kennen müsste. Das Lexikon sagt mir: Krähen und Raben sind verwandt. Gattung Corvus. Eine groteske Vielfalt. Und das Lexikon gibt kund: Sie sind intelligenter als andere Vogelarten.
Ein Hauch von schwarzer Mystik spannt sich überm Garten, aufgrund dieses Wissens, wie ein enges schwarzes Netz - auf meine Betrachtungen hin. Sicher etwas, das ich mir nur einbilde? Ich schenke mir einen Kognak ein, proste mir selbst zu, bin daraufhin um Nuancen froher. Die Existenz solcher Gedanken ist sogleich Ursache meines jetzigen Reagierens. Ich könnte mich unter einer Decke verkriechen.
Raben - typische Gesellen des Gruselfilms und ich weiß nur wenig über sie. Das neu hinzugekommene Wissen verhilft zu keiner bedeutenden Addition von neuen Eindrücken, nur eines, sie scheinen doch auch manchem Eigenbrötler auf dem Rücken zu sitzen? Schaue ich so die Leute genauer an, kommt diese Metapher, dieser Eindruck. Sie sitzen manchem auf dem Rücken - wenn auch nur symbolisch, also unsichtbar. Aber Erwin Klobtrott nebenan macht den Eindruck eines tiefgreifend Allwissenden. Er sagt oft: \"Die Bäume sind Parkplätze für solche Raben - Versammlungsorte\". Er ist ein Grüner, umweltfreundlich, mag alle kleinen Tiere, solange sie ihn nicht beißen können. Er eignet sich, ja er hat einen krummen Rücken, ein prima Platz für so ein Viech als täglicher Wegbegleiter und Ratgeber?
Ach was. Ich sehe schon das Gras wachsen, wie man so sagt. Diese Phase des Überdenkens entlockt doch Lacher bei mir, aber leise, verhalten aus meinem Hals kommend - je mehr Nervenfasern in diesem Überlegungsfieber miteifern, um so eher auch bleiben Raben für mich schwarze, unbekannte Wesen, primitive Vögel, eben Tiere. Was wissen schon Raben, was können sie schon ausrichten? Dumme harmlose Vögel. Basta. Ich falle in den Rausch einer eigenen Beruhigung, natürlicher Fakt dieser Selbstsuggestion. Mir ist ja direkt auch niemals Nachteiliges zu Ohren gekommen. Außer im Spiel, in den Büchern. Warum also, rege ich mich so auf?
Bewegung auf den Eichenbäumen, gravierende Unordnung. Noch mehr Raben. Noch mehr Lärm. In oberer Stellung auf dem sich verjüngenden Ast eine herausragend riesige Krähe. Vielleicht der Anführer?, - so keimt sofort die Idee einer simplen Vorstellung. Der Ast wackelt heftig infolge ihres Gewichts. Und Meisen und Spatzen haben sich heute vor ihnen längst aus dem Terrain verflüchtigt. Die Übeltäter weisen zu große Schnäbel auf. Mit einigem Dafürhalten kann man solchen \"Spieß\" für eine Waffe ansehen. Ein Fakt, der mich jetzt frustriert. Je mehr ich mich darüber äußere, um so kritischer werde ich wieder. In diesem Moment hallt der laute dunkel-befehlende Ruf: \"Zum Angriff!\" in die Nachbarschaft - von irgendwoher. Aber von woher? Ich erkenne keinen Rufer. Aus einem bestimmt unsichtbaren Mund. Mein Kopf summt.
Vielleicht war es die Stimme aus einer imaginären Öffnung in der Luft, einer Singularität, oder aus der Unterwelt, man kennt dies ja. Der Spiegel reflektiert mein blasses Gesicht.
Aber der Morgen ist real, kein Traum hängt an mir. Also muss doch einer sein, der gerufen hat? Und ich griene sofort wie ein Fernsehmoderator, doch mein Mund zuckt seltsam dabei, als wisse mein Körper schon mehr als der Kopf.
Jemand, hat diese Öffnung in unsere Welt geschaffen. Die Stimme hatte weit hinaus über den Garten gerufen, wie ein Kommando des vermeintlichen Besitzers dieser schwarzen Vögel. Wenn es einen gibt, und es gibt wohl einen, dieser dunklen festen Stimme nach zu urteilen? Dann bedeutet das ...
In dem Moment quirlt der Rabenhaufen. Also doch. Staunend sehe ich die riesige Krähe ganz vorn in der startenden Schar, den spitzen Schnabel waagerecht um Fleisch aufzuspießen, so scheint mir. Die Sachlage wird kritisch. Die Vorahnung aus dem Computer-Spiel scheint sich zu bestätigen?
Der Pulk fliegt heran, ein Vernichtung bringendes Geschwader mehrerer Dutzende Raben. Sie fliegen jetzt in einer pfeilartigen Formation, Schnabelspitzen todbringend gerichtet wie die, der gewaltigen fleischfressenden Hautflügler, die Pterosaurier der \"Oberen Kreidezeit\". Mir fällt das Analoga ein, da ich gestern im Naturkunde-Museum war.
Ameisenkrabbeln rennt über meinen Rücken, wieder Zucken am Mund. Gern hätte ich jetzt ein Glas Wasser. Doch wie angenagelt am Fenster blicke ich in den Hof.
Ziel ihres Fluges scheint mein Haus? Ja, mein Haus. Mein Herz beginnt heftiger zu schlagen. Hundert Meter noch sind sie entfernt. Und ich bilde mir ein, sie streben haargenau auf mein Fenster zu.
Ich spüre plötzlich totale Gefahr, als wolle man mich töten. Blitzschnell schließe ich das Fenster mit behändem Schwung, damit ich schnell genug bin, vor ihnen fertig zu sein mit dem schließen. Schaue angeekelt hinaus. Linien von Angst im Gesicht, sie frisst sich durch den gesamten Körper, bis in die Haarwurzeln. Sie wird einen kurzen Moment zur Qual. Blass geworden zerrt mein Hirn Gedanken an das Schrott-Gewehr des Großvaters, im Schrank hervor. Erleichtert mich die Idee auch - doch ich würde es nicht mehr zeitmäßig schaffen, zu spät der Vorsatz, zu spät ...
Die Knie wurden mir weich. Gleich sind sie da. Geduckt vernehme ich schon ihren dumpfen Flügelschlag, ihr hektisches Vogelschreien, das mir höchstes Unheil verkündet, sie fliegen heran. Ich schließe die Augen, erwarte in dem Augenblick Grauenvolles.
Mein Herzschlag setzt aus. Sie sind knapp vor mir.
Plötzlich, völlig unerwartet, ziehen sie im steilen Winkel kräftig nach oben, über das Haus hinweg, im wilden gespenstischen Korso, und fliegen davon, als ob sie noch Gnade für mich in letzter Sekunde empfunden hätten?
Es folgen Minuten meines Aufatmens und Entspannens. Meine Erlösung. Und unten im Hof ganz rechts sieht man die Fußballer spielen und ihr Trainer ruft dunkel-befehlende Worte, die sich anhören wie: Zum Angriff!