Schrei der Seele

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Schrei der Seele


Die haushohe Stichflamme, als der Kerosintank explodierte. Der brennende Helikopter. Die Erinnerungen waren in seinem Kopf gespeichert, wie auf der Festplatte seines Computers.

Julius fingerte nervös eine Benson and Hedges aus der schwarzen Packung. Seine Hand zitterte als er den Glimmstengel in den rechten Mundwinkel schob, während er mit der linken Hand suchend die Brusttasche seiner beigen Outdoorjacke abklopfte. Wenige Augenblicke später zog er ein kleines goldenes Feuerzeug Marke Zippo aus der linken Brusttasche. Er inhalierte zwei tiefe Züge, seine schweißnassen Hände legten die Zigarette behutsam, in den aus Ton geformten, Aschenbecher.
Kalte kleinperlige Schweißtropfen liefen ihm die Stirn herunter. Er fror, seine Haut war eiskalt. Julius zog die Jacke aus und warf sie auf das Bett. Das Atmen fiel ihm schwer. Er öffnete die obersten Hemdknöpfe um ein wenig freier Luft holen zu können. Die linke Handfläche legte er auf die Herzgegend, er atmete langsam und tief durch. Er spürte sein Herz rasen. Berufliche Träume schossen wie Blitze durch seinen Kopf.

Nach dem Abitur, entschied er sich für eine Militärlaufbahn. Julius träumte von einer glanzvollen und steilen Karriere als Offizier. Er fühlte sich für das Militär berufen. Er war überzeugt diese Welt mit militärischen Friedensmissionen verbessern zu können.
Jetzt drohte seiner gerade begonnenen Laufbahn das Aus.

Die letzten zwei Tage war er stundenlang von der Militärpolizei verhört worden. Sie zogen ihm sofort die Uniform aus, es zerbrach ihm das Herz. Er schämte sich.
Heute durfte er erst einmal nach Hause. Bis zur Klärung des Unglückes war Julius vom Dienst suspendiert, mit der Auflage sich täglich bei der Militärpolizei zu melden.

Julius war zusammen mit Jimmy und Holger vor drei Tagen mit dem Versorgungshubschrauber auf dem Flughafen in Hannover angekommen. Sie mussten außerhalb des Rollfeldes landen, da der Flughafen aufgrund einer Luftfahrtschau mit Flugzeugen militärischer und ziviler Art überfüllt.
Julius war aus der Maschine gestiegen und sollte den Hubschrauber zu dem vorgesehenen Platz einweisen.
Das einzige woran er sich jetzt noch erinnerte, war ein ohrenbetäubender Knall und die haushohe Stichflamme.

Er wusste nicht was aus Jimmy und Holger geworden war. Ständig fragte er sich wie schwer wohl ihre Verletzungen seien. Er wünschte nichts sehnlicher, als dass sie sich hatten retten können.
So schnell wie möglich wollte Julius mit ihnen Kontakt aufnehmen. Die Militärpolizei hatte ihn sofort nach dem Unglück festgenommen. Seinen Fragen nach den Freunden, waren sie stets ausgewichen.
Jetzt Julius hockte zusammengesunken an seinem Schreibtisch. Den Kopf auf beide Hände gestützt.
Er war allein im Haus seiner Eltern. Sie kurten eine Woche an der Nordseeküste, und würden frühestens am kommenden Abend zurück sein. Sie waren ahnungslos. Julius ängstigte sich vor der Begegnung mit ihnen. Die beklemmenden Gefühle der Angst, sie waren so plötzlich gekommen, wie dichte Nebelschwaden im Morgengrauen. Jetzt drohten sie ihm jetzt den Boden unter den Füßen weg zu ziehen.

Die Zigarette verqualmte in dem runden Aschenbecher. Ohne zu zögern zündete er die nächste an. Er inhalierte so tief, dass er anfallsartig hustete.
Die Stunden vergingen. Inzwischen war es Abend geworden. Er saß noch immer an seinem Schreibtisch. Zwei leere Packungen Benson and Hedges lagen zerknüllt vor ihm. Er sehnte sich nach etwas Alkoholischem. Ein oder zwei Gläser trinken, dann schlafen, lange schlafen. Alles vergessen können. Aufwachen, und der Albtraum ist vorüber.

Irgendwann, verließ er seine Wohnung. Benommen schlich er die Treppe hinunter. Langsam, Stufe für Stufe.
Direkt vor dem Haus befand sich einer kleiner gutsortierter Kiosk, der täglich bis dreiundzwanzig Uhr geöffnet war.
Julius kannte Paul, den Besitzer, oberflächlich.
„Hey Paul.“ Julius, beide Hände zu Fäusten geballt, versteckt in den Hosentaschen stand er vor dem Tresen. Er war der einzige Kunde im Moment.
„Na, wie ist die Lage, geht’s, gut?“ ,fragte Julius kaum hörbar.
„Immer prima.“ Paul schaute über ihn den Brillenrand hinweg an.
„Äh, has noch ne Flasche Barcardi?“ Julius Stimme bebte leicht. Ihm war schwindelig.
„Jetzt um diese Zeit?“.
„Du siehst blass aus Junge, geht es Dir nicht gut?“ Paul schaute ihn sorgenvoll an.
„Dooch, alles o.k.“ Er wischte sich mit dem linken Hemdärmel die Schweißtropfen von der Stirn.
„Wa wohl bisschen viel Arbeit in letzter Zeit?“ Paul schaute ihn fragend an.
„Joo.“ Julius trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
„Na denn, hier, „ Paul reichte ihm die Flasche rüber. „Kriegst wohl noch Besuch hä.“ Paul lachte und zwinkerte dabei mit dem rechten Auge.
„Das macht denn 9 Euro.“
Julius schweißnasse zitternde Hände reichten ihm einen zehn Euro Schein.
„Hast du schon von dem Hubschrauber Absturz gehört, vor ein paar Tagen? Schlimme Sache.“ Paul hing mit dem Kopf über der Kasse und suchte das Wechselgeld.
„Was war denn?“ ,fragte Julius leise.
„Stand doch in allen Zeitungen.“ , sagte Paul.
„Ist viel passiert?“ Julius Körper zitterte wie Espenlaub.

„Soweit ich weiß, alle tot, haben sie gleich in die Uni-Klinik gebracht. Wa wohl aber schon zu spät. Der, der den Heli eingewiesen hat, soll Schuld sein, tut mir echt leid.
Was mit dem ist weiß ich nich, möchte aber nich in seiner Haut stecken. Hat wohl den Heli falsch eingewiesen, und nun zwei Menschenleben auf dem Gewissen.“ Paul reichte ihm die ein Euro Münze über den Tresen.
„Bei Dir wirklich alles O.k.?“, fragte Paul noch mal nach.
„Alles o.k. sagte Julius und steckte die Münze in die rechte Hosentasche. Die Flasche klemmte er sich unter den Arm.
„Tschüss dann, bis morgen dann.“
„Jo“, antwortete Paul.
Paul schaute ihm nach und schüttelte den Kopf. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm murmelte er vor sich hin.

Julius schlich zurück in die Wohnung.
Jetzt schlafen dachte Julius. Aufwachen und alles ist anders dachte Julius. Er goß ein Wasserglas randvoll mit Barcardi und trank es in einem Zug aus.
Benebelt wankte er ins Bad. Er schaute in den Spiegel und sah ein müdes blasses und unrasiertes Gesicht. Seine Augen wiesen tiefe dunkle Ränder auf und wirkten stark eingefallen.
Plötzlich fiel ihm der Medikamentenschrank auf. Julius öffnete ihn. Er wusste seine Mutter lagerte hier ihre Schlaftabletten die sie hin und wieder mal einnahm. Eine Tablette,
nur ein paar Stunden schlafen, dachte er. Einfach schlafen und an nichts denken müssen.
Mit zittrigen Händen öffnete er die eckig lasierte Holztür.
Er konnte das Packung nicht finden. Offensichtlich hat Mutter sie mitgenommen, ging es durch seinen Kopf, er als ihm eine knallgelbe Schachtel ins Auge stach.
Mechanisch nahm er sie heraus, es war als würde seine Hand geführt werden.
Julius nahm sie an sich und wankte zurück in sein Zimmer. Er schenkte sich ein weiteres Glas Barcardi ein.
Die kleinen gelben Tabletten gab er zuerst eine, dann zwei, anfangs zögernd dann immer schneller werdend, in den Barcardi, eine nach der anderen. Sie lösten sich sofort auf.
Alles egal dachte Julius. Er fühlte sie in einem Tunnel stehend, einem langen dunklen Tunnel, an dessen Ende kein Licht zu erkennen war. Tiefe Finsternis umgab ihn.
Die Motorengeräusche der am Haus vorbeifahrenden Autos nahm, er nur gedämpft wahr. Ihm war, als würde er in einem riesigen schwarzen Wattebausch sitzen.
In Trance kippte er die widerlich schmeckende Brühe, in einem Zug herunter.

Seine Eltern fanden ihn am nächsten Abend.
Auf einem abgerissenen Zettel waren die gekritzelten Worte, bitte verzeiht mir, verschwommen lesbar.
Zwei Tage nach seiner Beerdigung war in den Zeitungen zu lesen, dass der Unglückfall geklärt werden konnte. Der Helikopter hängte sich mit den hinteren Rotorblättern an einem Ein- und Ausstiegsschlauch des Flughafengebäudes auf. Als der Hubschrauber herunterkrachte, explodierte der Kerosintank. Den einweisenden Soldaten traf keine Schuld. Der erfahrene Pilot war, nach den Ermittlungsergebnissen, der Einweisung des jungen Offiziersanwärters nicht gefolgt.
 



 
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