Schreiberblut

Nathalee

Mitglied
Sie schluckte.
Verdammte Scheiße noch mal!
"Tschuldigung", antwortete sie sich selbst laut und fuhr mit der Hand über die Tastatur wie über ein Klavier.
Die weißen Pixel des begonnenen Dokuments schienen sie, jedes einzeln, hämisch anzulachen.
Sie löschte die sinnlose Buchstabenreihe wieder.
Alles lief verkehrt, stellte sie in Gedanken fest.
Der Cursor blinkte verächtlich herausfordernd.
Job, Freizeit, Freunde, Liebe. Nichts war, wie sie es sich wünschte.

Bisher waren solche Situationen kein Problem für sie. Es gab ja noch ihre poetische Ader, wie sie es nannte. Die war es, die sie in solchen Zeiten, in denen der Himmel auf ihre schaumfestigerreiche Frisur zu fallen schien, anritzte, wie andere Leute ihre Pulsadern mit der Rasierklinge. Dann lief mit den Gedanken alles heraus, der Schmerz, die Enttäuschung, die Wut, die Trauer. Ihr Blut.
Doch heute schien alles zu einer festen Masse geronnen, die sich nicht mit den schnellen Bewegungen ihrer Finger auf den Bildschirm übertragen und in festen Dateiformaten festpressen ließ.
Kein passendes Wort fiel ihr ein, nicht eine treffende Metapher, selbst kein trockenes Verb, was die Leere ausdrückte.

"Es reicht!" zischte sie den Monitor an, drückte brutal auf den Off-Knopf ihres Computers und eilte ins Bad. Dort kramte sie eine scharfe Rasierklinge hervor.
Wenn ihre poetische Ader schon eine Krativitätssperre hatte, dann sollte wenigstens ihr reelles Blut fließen. Sie hatte genug vom Leben.
Gerade in dem Moment, als sie das hauchdünne Metall mit zitternden Händen auf ihre weiße Haut aufsetzen wollte, klingelte es an der Haustür.
So spät noch? Sie runzelte die Stirn.
Schließlich hastete sie herunter und öffnete.
"HI Schatz, du, ich wollte mich bei dir entschuldigen. Es war falsch, was ich gestern zu dir gesagt habe. Es tut mir leid."
Es war ihr Freund, er versteckte sich mit einem schiefen Grinsen hinter einem riesigen Strauss Rosen.
Als sie nicht gleich reagierte, betrat er die Wohnung und schloss die Tür hinter sich.
"Dein Agent hat übrigens bei mir angerufen. Er sagte, er erreiche dich über deine Nummer nicht. Wahrscheinlich ist dein Akku wieder leer. Er wollte dir mitteilen, dass der Verlag dein Buch doch genommen hat. Zum vereinbarten Preis."
Sie reagierte nicht. Sie stand nur da und starrte ihn fassungslos an.
"Hey Darling. Was ist denn? Bist du immer noch sauer auf mich?"
Sie machte auf dem Absatz kehrt, wetzte an den Computer und startete ihn erneut. Als er sich endlich hochgefahren und sie ein neues Dokument begonnen hatte.

Diesmal lächelten die Pixel freundlich an und der Cursor musste nicht lange warten, bis er bewegt wurde.
Sie schrieb den Titel ihres neuen Buches nieder: "Die Bluttransfusion"


(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
Kommentare und Aufrufzähler beginnen wieder mit NULL.)
 



 
Oben Unten