Schule der Nervensägen

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Schauplatz: Ein luxuriös ausgestatteter Schulungsraum. Einige Mahagonitische mit jeweils zwei Designersesseln stehen fein säuberlich in der Mitte des glänzenden Parkettbodens, am Ende des Raumes hängt eine Projektionsleinwand. Die Wände sind mit Marmor ausgekleidet, durch die breite Fensterfront hat man einen atemberaubenden Ausblick auf mehrere der architektonisch bedeutendsten Bauten Wiens. Üppigste Pflanzendekoration und sonstiger technischer Schnickschnack, wie eine Espressomaschine mit Internetanschluß, ein Schaltpult für die Lichtkomposition, oder ein wie absichtlich stehen gelassener Plastikmistkübel, runden den Klassenraum ab.

Ungefähr zwanzig Personen, ausschließlich Männer, treten emsig plaudernd und gestikulierend herein und setzen sich, nach einigem Gerangel um die besten Plätze. Alles geschieht, ohne Redeflüsse oder Gestiken zu unterbrechen.

Nach einigen Minuten tritt der in edles Tuch mit modischem Schnitt gewandete Lehrer herein. Man erkennt ihn am chromverzinkten Rohrstäbchen und der Technosonnenbrille mit integriertem Kopfhörer und Mikrophon. Es wird still in der Klasse. Der Lehrer grinst breit und beginnt eine weitausladende Geste.

„Einen herzlichen guten Morgen und willkommen in unseren bescheidenen Räumlichkeiten! Gratulation! Sie haben wohl daran getan, sich für uns zu entscheiden. Wir, das sind...“

Er wird durch ein lautes Telefonklingeln unterbrochen. Lächelnd greift der Lehrer in seine Brusttasche, fischt ein stahlbürstengebürstetes Metallhandy hervor und unter Sicherstellung, daß auch jeder der Anwesenden dieses ausgiebig bewundern kann, tupft er auf seiner Sonnenbrille einen Sensorknopf an und nimmt das Gespräch entgegen. Das alles passiert unter atemloser Anteilnahme der Schüler.

„Hallo? Servus Schatzi! Ob du mich gerade störst? Aber nein, du störst doch nie. Außerdem bin ich bei nichts Wichtigem. - Heute abend? Ja gerne, natürlich. Um 7, in der Eden. Bring die Jacqueline und Heidi auch mit. Bis dann, freu mich! Bussi, Baba!“

Eine nonchalante Geste, und das Gespräch ist beendet. Er wendet sich an die Schüler. Seine weißen Zähne strahlen hinter dem Lächeln hervor. Die ersten Kursteilnehmer beginnen zu schwitzen.

„Sie sehen? Wir haben uns doch nicht das neueste und technologisch hochstehendste Handy angeschafft, damit es sich in unseren Taschen versteckt?“, raunt er vorwurfsvoll und mit gedämpfter Stimme den angespannt Lauschenden zu. Er sieht den einzelnen Teilnehmern in die Augen. Einige schauen beschämt zu Boden, manche fangen zu schluchzen an. Eine scheinbar nicht enden wollende Pause entsteht.

„Nein! Aber nein!“ Die Schüler zucken zusammen, einem fällt sogar vor Schreck das Handy auf den Boden. Böse Blicke der anderen treffen den Handyquäler. Der Lehrer schnalzt mißbilligend sein Rohrstäbchen auf einen Tisch.

„Auch Sie“, und er deutet dabei auf den Störenfried, „werden bei mir die hohe Kunst der Performance mit dem Handy erlernen. Die richtige Stimmmodulation, die Ästhetik des ganzen Körpers beim Gespräch, die künstlerisch motivierte Auswahl des Klingeltons, das exakte Timing der Anrufannahme und Anruferzeugung!“ Er streichelt dabei liebevoll sein Handy.
„Die Kommunikation mit dem Umfeld während des Calls und den Einbezug der Umstehenden in das Gespräch, das, meine Herren...“, er lehnt sich mit verschwörerischem Ton nach vorne gebeugt an die erste Tischreihe, „das werden sie nach diesem Kurs verinnerlicht haben.“

Die Stille steht einen unendlich langen Moment im Raum, dann durchbricht ein Klingelgeräusch diese Äone der Tonlosigkeit. Zwanzig Handies beginnen gleichzeitig zum Zeichen der Begeisterung zu klingeln. »Eine kleine Nachtmusik« für zwei dutzend Handies schwappt in eine Begeisterungswelle über. Hochrufe werden laut, geiferndes Grunzen aus den hintersten Bänken tremoliert in das aufgeregte Piepsen.
Eine einzige Geste des Lehrers, und die Ruhe ist wieder eingekehrt, die Spannung ist förmlich zum Greifen.

„Bevor wir uns mit den Armtechniken beschäftigen, meine Herren, ob seitlich spitz abstehender Ellbogen oder weit ausgestreckter Kamerahandyhand, den volumsverstärkenden Stimmübungen, oder der routinierten Auswahl des am besten einsehbaren Gesprächsortes an den Bühnen des Lebens jeder Art, bevor wir das tun, werden wir uns zu einer praktischen Übung nach unten bewegen. Die erste Aufgabe besteht in der Bereicherung des automobilen Flußes durch den modernen Kommunikationsprofi. Dies gesagt, möchte ich Sie alle zu den Parkplätzen und in den Wahnsinn des Stoßverkehrs bitten.“

Geschäftigst an ihren Handies herumnestelnd stürzen die Kursteilnehmer hinter dem zügig voranschreitenden Lehrer aus dem Zimmer. Die Schritte verhallen im Stiegenhaus. Gesprächsfetzen dringen von der Straße in das verwaiste Klassenzimmer. Motoren werden gestartet, fröhliches Hupen ertönt. Die Geräusche entfernen sich. Nach kurzer Zeit hört man in einiger Entfernung lautes, blechernes Scheppern, Schreie, mehrere dunkle Rauchsäulen steigen auf. Die natürliche Auslese hat begonnen.
 



 
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