Schwarz - Weiß

3,00 Stern(e) 1 Stimme
Gestern erzählte uns Tanja, Betreuerin unserer Kinderspielgruppe, dass heute ein kleiner Junge neu in unsere Gruppe kommen würde. Wir sind alle sehr neugierig. Wir, das sind fünfzehn Kinder, das jüngste ist sechs und der Älteste, Jörg, ist schon zehn Jahre alt.

Wie immer zu Beginn unseres Treffens herrscht in der Gruppe ein großes Durcheinander, es ist wieder richtig was los. Die neusten Geschichten werden erzählt und Pläne für den heutigen Nachmittag gemacht.
„Hallo, Kinder“, ruft Tanja zur Begrüßung, „nun geht mal alle auf eure Plätze!“
Auch ich gehe jetzt zu meinem Tisch, übrigens, ich bin Nicole und sieben Jahre alt. Gerade als jemand von uns nach den Neuen fragt, klopft es an der Tür. Es wird mucksmäuschenstill als Tanja die Tür öffnet und den Jungen hereinlässt. Fünfzehn neugierige Kinderaugenpaare starren den kleinen Jungen an, der nun das Zimmer betritt. Wir sind alle sehr überrascht.

„Ich möchte euch Tim vorstellen, der ab heute zu unserer Gruppe gehört,“ sagt Tanja und gibt dem Jungen freundlich die Hand.
Wir Kinder sind immer noch sprachlos; noch sagt niemand ein Wort. Tanja fragt Tim:“ Wo möchtest du denn sitzen?“ Tim gibt keine Antwort. Es macht ihn unsicher, so von allen Seiten begafft zu werden. Tanja nimmt ihn an die Hand und geht mit ihm von Tisch zu Tisch.
„Dann schlage ich vor, du setzt dich mit an diesen Tisch,“ sagt Tanja zu Tim, der wohl auch etwas Angst hat.
Es ist mein Tisch, an dem ich zusammen mit zwei anderen Kindern sitze. Tim setzt sich zögerlich, lässt aber einen Stuhl zwischen uns anderen frei, so dass es aussieht, als ob er alleine sitzen würde.
Nun wird es doch wieder etwas lebhafter in unserer Gruppe; die Kinder unterhalten sich leise und schauen dabei alle auf Tim. Auch ich betrachte ihn genau. Er sitzt mir direkt gegenüber, hat schwarzes, krauses Haar, einen richtigen wuscheligen Lockenkopf, große, fast schwarze Augen; Tim ist überhaupt schwarz. ...

„Hallo, Tim“, sage ich zu ihm, „ich bin die Nicole und freue mich, dass du in unsere Gruppe gekommen bist.“
Dabei strecke ich ihm meine Hand entgegen. Nun schaut mich Tim direkt an, immer noch ängstlich. Doch dann lächelt er ein wenig, und dabei sehe ich seine blitzweißen Zähne, die wegen seiner dunklen Haut ganz besonders leuchten. Er nimmt meine Hand uns sagt leise und schüchtern:“ Hallo, Nicole.“

In den nächsten Tagen bleibt Tim aber meistens für sich allein. Wir Kinder und auch Tim selbst, wissen nicht so recht miteinander umzugehen. Manchmal, wenn Tanja uns alleine lässt, sind sogar böse Worte zu hören, sobald von Tim die Rede ist. Besonders Jörg, der Älteste, gibt dann den Ton an:“ Na, du Sarottimohr, wo kommst du eigentlich her?“ höre ich ihn zu Tim hämisch sagen. Tim gibt keine Antwort, schaut nur unsicher zur Seite.
„Sprich gefälligst mit mir!“ ruft Jörg wütend. Tim macht sich auf seinen Stuhl ganz klein und ich sehe Tränen in seinen Augen.
„Mensch, Jörg“, sage ich, „höre auf damit. Tim gehört zu uns, auch wenn er eine andere Hautfarbe hat. Ich finde das sogar sehr schön und hätte gerne eine so tolle Farbe“.
„Gut“, sagt Jörg nun ganz gemein, „wenn er mir verspricht sich bis morgen die schmutzige Farbe abgewaschen zu haben, schenke ich ihm zur Belohnung zwei, oder vielleicht sogar drei Negerküsse.“
Tim springt auf und rennt aus dem Raum. Ich kann sehen, wie er bitterlich zu weinen beginnt. Unsere ganze Gruppe läuft hinter ihm her, bis wir alle auf dem Spielhof sind.

Ich halte noch nach Tim Ausschau, als ich plötzlich neben mir ein gefährliches Knurren höre. Die Kinder laufen alle kreischend zurück ins Haus. Ich kann mich nicht mehr bewegen, starr vor Schreck sehe ich einen riesengroßen Hund, der mich böse ansieht, mit den Zähnen fletscht und langsam auf mich zukommt. In großer Angst schaue ich mich um, erkenne wie mich die Kinder durch die Fenster unseres Aufenthaltraums beobachten. Furchtbar erschrocken starren sie mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich fühle mich völlig alleine, noch nie zuvor hatte ich eine so große Angst.

Plötzlich höre ich hinter mir eine Tür quietschen. Ich traue mich etwas den Kopf zu drehen, sehe Tim langsam auf mich und den großen Hund zukommen, der nun drohend ganz nah vor mir steht, so nah, dass ich das Weiße in seinen Augen sehen kann.

„Bleib ganz ruhig, Nicole,“ höre ich jetzt die leise Stimme von Tim, „hab bitte keine Angst. Ich bin da, ich helfe dir.“
Tim stellt sich nun schützend vor mich und schaut den großen Hund dabei entschlossen an. Er tastet nach meiner Hand, hält sie ganz fest umklammert und lässt sie nicht mehr los. Dann hebt er langsam seinen rechten Arm und zeigt damit auf den großen Hund. Leise, fast schon sanft spricht Tim nun auf das Tier ein: „Du wirst meiner Freundin Nicole nichts tun, du wirst uns beiden nichts tun, wir wollen dir ja auch nichts Böses; jetzt lauf ganz schnell nach Hause“.
Der große und so gefährliche Hund sieht uns noch einmal an, dann wendet er sich ab und trottet davon.

Tim hält mich immer noch fest an der Hand und wir gehen gemeinsam ins Haus zurück zu den Anderen. ...

Jutta Rydzewski
 

coxew

Mitglied
schwarz weiss

die diskriminierung von schwarzen hat sich, zumindest in deutschland sehr verringert in den letzten jahren, denk ich mal. heute ist eher ausländerfeindlichkeit als ganzes an der tagesordnung.

vielleicht passt es eher, die gewichtung von schwarz-weiß auf eifersucht zu verlagern. jörg hat vielleicht ein problem damit, dass jetzt ein neuer mehr aufmerksamkeit und zuwendung zu bekommen zu scheint als er selbst.

ich kann mir die geschichte gut vorstellen, wenn tim als farbiges kind selbstverständlicher teil der spielgruppe wird, und sich alle auf tim freuen.

mach doch den jörg zum aussenseiter, der lernen muss, dass seine feindlichen gefühle gegenüber tim am ende unbegründet sind.

lg,
karin
 
Re: schwarz weiss

die diskriminierung von schwarzen hat sich, zumindest in deutschland sehr verringert in den letzten jahren, denk ich mal. heute ist eher ausländerfeindlichkeit als ganzes an der tagesordnung.


In der Tat, Karin, das ist leider so. Macht die Sache aber sicher nicht weniger schlimm. Ausländerfeindlichkeit, insbesondere Diffamierung und Diskriminierung anderer Kulturen und Religionen, haben in der Tat nicht nur in diesem Land sondern weltweit erschreckend zugenommen.

vielleicht passt es eher, die gewichtung von schwarz-weiß auf eifersucht zu verlagern. jörg hat vielleicht ein problem damit, dass jetzt ein neuer mehr aufmerksamkeit und zuwendung zu bekommen zu scheint als er selbst.
Meine Schwarz-Weiß-Geschichte ist sozusagen im Wesentlichen authentisch. Deshalb habe ich sie auch ganz bewusst so geschrieben. Die Gewichtung, die Intention, sollte also ganz gewollt auf der unterschiedlichen Hautfarbe liegen. Im Übrigen musst Du bedenken, es handelt sich hier um Kinder, für die eine andere Hauttfarbe "signifikanter" ist als eine andere Kultur oder Religion.

ich kann mir die geschichte gut vorstellen, wenn tim als farbiges kind selbstverständlicher teil der spielgruppe wird, und sich alle auf tim freuen.
Das geschieht ja auch dann, nachdem die Sache mit dem gefährlichen Hund passiert ist. Obwohl die Geschichte dort endet, können sich gerade Kinder sicher gut vorstellen, dass Tim nach diesem Ereignis voll in der Gruppe aufgenommen und akzeptiert wurde. So ist es auch tatsächlich geschehen.

mach doch den jörg zum aussenseiter, der lernen muss, dass seine feindlichen gefühle gegenüber tim am ende unbegründet sind.
Jörg hatte zwar seine Rolle, aber sicher nicht die Hauptrolle. Im Übrigen halte ich es grundsätzlich für problematisch, ein Kind zum Außenseiter zu machen. Außenseiter war ja der Tim bis zu dem Ereignis mit dem Hund.

Für Deine Mitwirkung bedanke ich mich, zumal ich dadurch die Intention bzw. die "Botschaft" der Geschichte noch deutlich(er) machen konnte.



FG
Jutta
 



 
Oben Unten