Schwarzarbeiter gesucht

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Erwin Grab

Mitglied
ACHTUNG! Dies ist eine wahre Geschichte und keine Satire! (Oder vielleicht doch?)

Schwarzarbeiter gesucht!

Freitag Abend

„Schatzi! Die Küche schwimmt!“
„???“
„Hast Du nicht gehört? Die Küche schwimmt!“
Nun, es gibt schwimmende Paläste, Badenixen und auch Ölteppiche, aber Küchen? Der geneigte Leser mag Verständnis für mein Unverständnis haben, aber manche Ausrufe meiner Frau versetzen mich immer wieder in Erstaunen. Jedenfalls so lange, bis die Wasserflut bereits zur Wohnzimmertür hereingeschwappt kommt.
„Was ist denn bei Dir in der Küche los?“
„Hier läuft das Wasser!“
„Warum sagst Du dann nichts?“
Während dieser Worte war ich bereits in meine Schlappen gesprungen und stürzte durch den sich auffüllenden Flur in unsere sonst sehr gemütliche Küche. Unter dem Spülschrank quoll das Wasser hervor. Mit Kennerblick hatte ich sofort die Lage diagnostiziert: Da war irgend etwas undicht! Da musste man zuerst das Wasser abstellen. Aber wo? Natürlich an dem Absperrhahn, der gut sichtbar aus der Wand über dem Spülschrank herausragt. Ich handelte, und die Flut stoppte. Erst langsam, dann aber endgültig, jedoch nicht, ohne uns mit einem letzten Gluckser seine Verachtung und Schadenfreude auszudrücken. Nach ca. dreißig Minuten und mehr als zwanzig durchnässten Badetüchern waren wir soweit Herr der Lage, um diese in Ruhe überblicken zu können. Auch konnte ich jetzt gefahrlos den Spülschrank öffnen, um die Quelle des Ungemachs zu erforschen. Sie, verehrter Leser müssen wissen, dass wir stolze Besitzer eines sogenannten Untertischboilers sind, der unser Spülbecken mit heißem Wasser versorgt, und Sie mögen mir verzeihen, wenn ich Sie jetzt mit technischen Details langweilen muss. Aber für Ihr weiteres Verständnis um die Geschehnisse, ist dies unbedingt erforderlich.

Stellen Sie sich bitte vor, Sie hätten eine Weinflasche. In den Korken bohren Sie zwei Löcher und stecken in jedes Loch einen Strohhalm. Wenn Sie dieses lehrreiche Experiment nachvollziehen wollen, achten Sie bitte darauf, dass die beiden Strohhalme in gegensätzliche Richtungen zeigen, weil Sie sonst im weiteren Verlauf unangenehm nass werden. Sie blasen jetzt in den einen Strohhalm hinein. Durch den in der Flasche entstehenden Überdruck entweicht die Flüssigkeit durch den zweiten Strohhalm (und spritzt Ihnen ins Gesicht, wenn Sie sich nicht an die Anweisungen gehalten haben). Genau so funktioniert ein sogenannter druckloser Untertischboiler. Er ist mit Wasser gefüllt, und dieses wird durch eine Heizschlange erhitzt. Öffne ich jetzt den Heißwasserhahn der Armatur, wird kaltes Wasser in den Boiler gedrückt. Das heiße Wasser entweicht durch ein immer offenes Ventil an der Armatur und erfreut den Benutzer. Diese Technik setzt eine komplizierte und teuere Armatur voraus, die auf geniale Weise dafür sorgt, dass alles funktioniert. Diese Boiler halten viel aus, aber keinen Überdruck, der bei sachgemäßer Installation und Anwendung aber auch nicht entstehen kann. Und diesen hübschen Boiler hatte es jetzt zerrissen, wie eine sofort durchgeführte Inspektion meinerseits ergab. Zerrissen ist etwas übertrieben. Es hatte sich eine unten angebrachte Kunststoffschraube gelöst, und somit der Flut den Weg geebnet. „Erstaunlich, wie schlampig so etwas zusammengeschustert wird!“ – dachte ich, während ich besagte Schraube wieder richtig auf das Gewinde aufsetzte und sie dann fest zuschraubte. Damit schien das Problem gelöst. Der Boiler wurde zusammengebaut und wieder an seinen angestammten Platz verbracht. Nachdem die entsprechenden Wasseranschlüsse ebenfalls wieder fachmännisch angebracht waren, führte ich einen Testlauf durch, der zur allgemeinen Zufriedenheit verlief.

Bis zum erneuten Ausruf meiner Frau:
„Schatzi, die Küche schwimmt schon wieder!“
Diesmal waren wir schneller, denn es war noch alles griffbereit. Vor allem die Handtücher.
Eine weitere Demontage ersparte ich mir, denn ich bin ein intelligenter Mensch, der seine Grenzen kennt.
„Ich gehe morgen in den Baumarkt um die Ecke, und kaufe einen neuen. Kostet vielleicht 100 Euro!“ – beruhigte ich meine Frau, und sah die Angelegenheit als erledigt an.
„Du Schleimer hast SPD gewählt. Jetzt tu auch, was Dir Dein Kanzler sagt. Das Handwerk leidet Not, also rufe einen Fachmann!“
„Frau, wenn der bei uns klingelt, sind wir schon mehr Geld los, als der Boiler wert ist!“ – versuchte ich, meinen Standpunkt durchzusetzen.
„In schwierigen Zeiten muss jeder sein Scherflein beitragen. Geh ans Telefon, und bestell einen Meister!“
Diese, in der Befehlsform gesprochenen Worte duldeten keinen Widerspruch.
Der ortsansässige Fachmann für drucklose Untertischboiler wurde telefonisch kontaktiert. Nachdem ich ihm ausführlich den Schaden erläutert hatte, konnte ich ihm das Versprechen abnehmen, baldigst für Abhilfe zu sorgen, denn unsere Küche war wasserlos. Er kam schon am Dienstag. Und er brachte alles mit. Nämlich einen Spannungsprüfer. Um damit den Boiler prüfen zu können, musste er ihn ab- und demontieren. Das dazu notwendige Werkzeug erbat er von mir. Ich gab es ihm gerne, denn ich bin bestens ausgerüstet. Man kann von einem Innungsmeister auch nicht verlangen, dass er sich mit solchem Kleinkram abschleppt. Nachdem er das Gerät zerlegt hatte, teilte er mir stolz die Diagnose mit: „Den hat es da unten an der Schraube zerrissen!“ Ich glaubte ihm aufs Wort, denn ich führe selber einen Meistertitel, und weiß, dass solche Leute vertrauenswürdig sind.
„Und nun?“
„Den zu reparieren lohnt nicht. Da bauen wir einen neuen Boiler ein!“
„Einverstanden. Sie haben ja sicher einen dabei!“
„???“
„Haben Sie etwa keinen dabei?“
„Natürlich nicht. Woher sollte ich denn wissen, was kaputt ist?“
„Ich hatte es Ihnen bereits am Telefon gesagt.“
„Sind Sie Fachmann?“
„Nein!“
„Na, also!“
„Nun gut! Dann eben heute Nachmittag!“
„???“
„Gut! Meinetwegen morgen früh!“
„So schnell geht das nicht!“
„Wieso nicht?“
„Den muss ich erst bestellen!“
„Und das dauert wie lange?“
„Eine Woche! Mindestens!“
„Guter Mann, unsere Küche ist ohne Wasser. Wir müssen zum Kaffeekochen ins Badezimmer. Und außerdem gibt es in jedem Baumarkt so viele Boiler, dass man Sie damit totschmeißen kann!“
„Im Großhandel aber nicht!“
„Ihr Problem! Vorschlag zur Güte: Morgen Abend haben Sie den neuen Boiler!“
„Vielleicht!“
„Nein ganz bestimmt!“
„Ich bemühe mich!“
„Also bis morgen Abend!“

Mittwoch Abend

Nach Verrichtung meines Tagewerkes strebte ich abends ermattet meiner Heimstatt zu. In der Küche fand ich vor dem Spülschrank einen neuen Boiler. Wohlgemerkt, vor dem Spülschrank.
„Hat er gesagt, dass ich ihn selber einbauen soll?“ – befragte ich meine Frau.
„Nein, Du sollst gar nichts machen. Er hat gesagt, dass Überdruck in den Boiler gekommen ist, und das müsse an der Zuleitung zum Haus liegen. Morgen kommt der Installateur und überprüft alle Anschlüsse in Haus (Fünf Mietparteien. Anm. d. Verf.). Möglicherweise müssen die alle geändert werden. Er kommt morgen früh. Der Hauswirt weiß Bescheid!“
Erstaunlich, was so eine defekte Schraube alles anrichten kann.

Donnerstag Morgen

Um acht Uhr klingelte der Installateur. Der Meister selber! Er brachte alles mit. Nämlich eine Rohrzange. Den Rest des notwendigen Werkzeuges erbat er von mir. Ich gab es ihm gerne, denn es lag alles noch vom Vortag sauber aufgeräumt auf dem Spülschrank.
„Da kommt zu viel Druck rein. Da ist die Armatur kaputt.“
So sprach er, und zerlegte fachmännisch meine teuere Marken-Armatur.
„Genau! Da kommt zu viel Druck durch!“
„Wo genau?“
„Na hier!“
„Ich sehe nichts!“
„Sind sie Fachmann?“
„Nein!“
„Na also!“
„Und nun?“
„Da muss eine neue Armatur her!“
„Kann man die nicht reparieren? Das ist doch ein deutsches Markenfabrikat. Da muss es doch Ersatzteile geben!“
„Wie alt ist die denn?“
„Ungefähr drei Jahre!“
„Dann gibt es bestimmt keine! Aber ich werde es versuchen! Und außerdem braucht es ein Reduzierstück!“
„Das haben Sie ja sicher dabei?“
„Wo denken sie hin. Das muss ich bestellen!“
„Aber das gibt es doch in jedem Baumarkt!“
„Schon. Aber ich kaufe im Großhandel ein!“
„Und das dauert wie lange?“
„Keine Ahnung. Vielleicht eine Woche!“

Ich ersparte mir den Satz mit dem „Totschmeißen“, weil ich fürchtete, er würde in das gleiche spätpubertäre Verhalten wie unsere Großindustrie verfallen, und mir mit Entlassungen von Mitarbeitern drohen. Als er gegangen war, setzte ich mich an meinen Computer und rief per Internet die Seite des Armaturenherstellers auf. Dort fand ich sehr schnell die Telefonnummer des technischen Kundendienstes, den ich anrief.
„Hat der Hahn getropft?“ – war die erste Frage nach meiner Schadensmeldung.
„Nein!“
„Dann ist die Armatur auch nicht kaputt. Verwenden Sie einen Perlator oder einen Strahlregler?“

Sie, verehrter Leser müssen sich nicht schämen. Auch ich musste erst den Unterschied erfragen. Unter Perlator versteht man die netten kleinen Dinger, die auf den Wasserhahn geschraubt werden. Sie sorgen für einen angenehmen und luftdurchfluteten Wasserstrahl, denn in ihnen sind feine Siebe, die das Wasser nicht nur angenehm fließen lassen, sondern auch feine Sandkörnchen und Kalkreste zurückhalten. Man muss sie ab und zu reinigen, sonst verstopfen sie. Ein Strahlregler hingegen ist ohne diese feinen Siebe ausgerüstet, und regelt, wie der Name sagt, nur den Wasserstrahl, der sonst unkontrolliert aus dem Hahn pläddern würde. Der wichtigste Unterschied jedoch ist, dass ein Strahlregler nicht verstopfen kann. Das darf er auch nicht, denn sonst würde sich im darunter befindlichen Boiler ein Überdruck aufbauen. Dies führt unweigerlich dazu, dass sich eine bestimmte Kunststoffschraube lösen, und somit die Wasserflut in Richtung Küche freigeben würde.

Eine sofortige Kontrolle ergab, dass sich an meinem Wasserhahn verbotenerweise ein Perlator befand, der zudem verstopft war. Zerknirscht gestand ich dem netten und versierten Kundendienstmann den Straftatbestand, aber mir wurde Absolution erteilt.
„Gut, dass Sie angerufen haben. Da haben Sie sich die Anfahrt vom Kundendienst erspart!“
„Wieso die Anfahrt?“
„Das ist doch das Erste, was ein Fachmann kontrolliert. Der wäre gekommen, hätte den Hahn angeschaut, für einen Euro fünfzig einen Strahlregler hingeschraubt und dreckig gegrinst. Der hätte nicht einmal Werkzeug gebraucht. Kaufen Sie sich im Baumarkt so ein Ding, und alles ist erledigt.“

Ich tat, wie er geheißen. Es kostete exakt einen Euro fünfzig. Meine Küche ist wieder mit heißem Wasser ausgerüstet.
Dann führte ich bei meiner Frau eine peinliche Befragung durch:
„Wenn Dein Auto stehen bleibt, einfach so. Was machst Du dann zuerst?“
„So eine blöde Frage! Ich schaue auf die Tankuhr!“
Ich bin stolz auf meine Frau. Meine beiden Meister hätten wahrscheinlich das Getriebe ausgebaut (mit meinem Werkzeug). Oder dem Kapitän eines Öltankers die Schuld gegeben.
Beim nächsten Störfall, gleich welcher Art, suche ich mir einen Schwarzarbeiter. Denn der wird nicht von der Handwerkskammer, sondern nur durch seine Leistung geschützt.


So geschehen im März 2003
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
prust, kicher, lach.

eine feine satire. jaja, wie das leben so spielt . . die geschichte haste sauber hinbekommen. ganz lieb grüßt
 

Taurec

Mitglied
WUAHAHAHAHAAAA!!!
Ich schmeiss mich gleich weg! Diese Geschichte ist einfach nur genial. Ist das ehrlich in echt so passiert?? Oh Mann.
 
M

Minotaurus

Gast
Eine bitterböse (und leider wahre) Realsatire auf die Handwerkszunft, die ja angeblich "goldenen Boden" hat.
Herrlich beschrieben!
 



 
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