Schwarze Gang

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Maribu

Mitglied
Schwarze Gang

Nachdem ich die Prüfung auf der Polizeischule bestanden und mich für den Außendienst entschieden hatte, wurde ich Frank Baumann zugeteilt. Er war Leiter der neu gegründeten Gruppe, die den unterbesetzten Hamburger Zoll für die Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung unterstützen sollte. Intern nannte man sie 'Schwarze Gang'. Untergebracht war sie in einem alten Bürogebäude in Hamburg-St.Pauli.
Am zweiten Tag saß ich am Computer um Arbeitsberichte einzugeben, als er hereinkam und zu mir sagte: "Hanna, ich habe eben einen anonymen Hinweis bekommen. Sie haben doch gleich Feierabend und in den letzten Jahren genug Bürostaub geschluckt. Es wird Zeit für die Praxis! Haben Sie Lust, mich zu begleiten?"
Natürlich reizte mich das, und ich nahm in seinem schwarzen BMW Platz. Trotzdem sagte ich: "Hoffentlich schadet das nicht Ihrer Karriere!", denn erst nach drei Monaten war mir ein Einsatz in Begleitung erlaubt.
"Karriere!" Er lachte. "Jeden Cent, den ich mehr verdienen würde, müsste ich an meine Ex-Frau abführen! Außerdem bin ich ein unpolitischer Mensch. Ohne richtiges Parteibuch kann man in unserer Firma keine Karriere machen!"
Wir bogen in die Reeperbahn ein, und er zeigte mit seiner linken Hand zur anderen Straßenseite. "Das ist die Davidwache.
Sie ist die bekannteste der Welt! - Wussten Sie das?"
"Nein."
"Ach ja, Sie kommen ja von drüben!"
"'Drüben' gibt es schon lange nicht mehr!", antwortete ich verärgert.
Wir kamen in eine Seitenstraße, in der es mit den grellen Fassaden abrupt vorbei war. Bevor er auf den Bürgersteig fuhr, sagte er, überraschend weich und persönlich: "Hanna, ich wollte Sie nicht kränken! Boizenburg liegt ja wie Hamburg an der Elbe!"
Er verschloss den Wagen und sprach wieder mit der Stimme des Vorgesetzten: "Wir werden uns in diesem '-otel' mal umsehen!"
Ich hatte mich nicht verhört. Eine flackernde rote Leuchtschrift an einem zweistöckigen Gebäude. Das unbeleuchtete
'H' konnte man nur erahnen. Aus einem Zimmer im zweiten Stock fiel Licht nach außen.
Eine kleine Steintreppe führte zu einem schwach beleuchteten Schankraum. Zwei Männer, ein jüngerer und ein älterer, saßen am Tresen vor ihrem Bier. Sie musterten uns und grinsten süffisant. "Er kommt gleich zurück!", sagte der ältere.
Links von der Theke befand sich eine Tür, die auf einen Gang führte. Ungefähr in der Mitte führte eine ausgetretene Holztreppe zu den oberen Stockwerken. Hier war auch die einzige Lichtquelle. Eine nackte Glühbirne hing an einer Strippe von der Decke herab.
Ein grauhaariger Mann mit Nickelbrille, ein Tablett in der Hand, kam die knarrenden Stufen herunter.
"Guten Abend!", grüßte Baumann. Die 'Nickelbrille' nickte nur und fragte: "`n Zimmer?"
Frank sah mich unverschämt lächelnd an und wiederholte: "`n Zimmer?"
Ich spürte, wie mir schlagartig heiß wurde und das Blut ins Gesicht schoss. Damit hatte ich nicht gerechnet! Er registrierte es belustigt und antwortete, immer noch lächelnd:
"Nein,lieber nicht!"
Dann wurde er ernst, zeigte seinen Dienstausweis und sagte:
"Wir haben da einen Tipp bekommen!"
Der Gang führte, schmaler werdend, links an der Treppe vorbei zur Rückseite des Hauses. Ein roter aufgeklebter Pfeil auf der in gelber Ölfarbe getönten Wand traf das Schild 'Toiletten'.
"Was für ein Tipp?", fragte er unwirsch und folgte uns.
Die Tür zur Damentoilette stand offen. Ein Schwarzer in einem bunten Hemd und Jeans reinigte mit einem Schrubber den Boden.
Statt zu antworten fragte Baumann: "Arbeitspapiere?"
"Er hilft mir nur manchmal", entgegnete der Grauhaarige.
"Also keine Arbeitspapiere!", sagte Baumann und seine Stimme wurde schroffer. "Sie wissen doch, dass Sie sich strafbar machen!"
"Er bekommt nur Essen von mir. Ich behalte sowieso immer was über und bevor ich das wegkippe..."
"Reden Sie doch keinen Scheiß, Mann! Wir können Sie zu Gefängnis oder einem hohen Strafgeld verknacken! Dafür müsste in Ihrer Absteige ganz schön oft gebumst werden!"
Mit zwei schnellen Schritten war er in der Toilette, trat gegen den Wassereimer, der sofort umkippte und auslief und herrschte den Schwarzen an: "Ausweis!"
Der war vollkommen verblüfft, schüttelte sich das Spritzwasser aus den Hosenbeinen und starrte Baumann wortlos an. Das Weiße in seinen dunklen Augen blitzte auf und erweiterte sich.
"Your passport!" brüllte Baumann.
Ich zuckte ebenso zusammen wie der schwarze Mann. Wollte Frank sich vor mir nur beweisen oder traten er und seine Truppe immer so auf? Dann passte die Bezeichnung 'Schwarze Gang'!
Ich bemerkte wie der Pächter oder Inhaber dieses Hauses dem Schwarzen zublinzelte. Der stellte den Schrubber, den er wie eine Waffe umklammert hielt, gegen die Fliesenwand, aus der schon einige Kacheln herausgebrochen waren, und sagte in einem hohen, leicht singenden Ton: "Ich muss ihn holen."
Er verschwand durch eine bis eben angelehnte Tür, in der an der linken unteren Seite ein Stromkabel eingeklemmt war, das in die Mitte eines Hofes zu einem beleuchteten Wohnwagen führte.
Der Hof war ringsherum von Altbauten umgeben, und in seiner Größe nur durch die beleuchteten Fenster zu erfassen. Er hatte auf der anderen Seite eine schmale Einfahrt, es waren Müllcontainer, eine Sandkiste, ein Klettergerüst und zwischen Pfählen gespannte Wäscheleinen zu erkennen.
Frank Baumann und ich folgten ihm. Der 'Hotelier' blieb an der Tür stehen.Es war mehr ein Wrack von einem Wohnwagen. Die Räder waren demontiert und er stand flach auf den grauen Zementplatten. Ein Fenster war mit Brettern vernagelt, die Scheiben der anderen waren schmierig und mit zerschlissenen Gardinen verhängt. Nachdem wir ihn umrundet und inspiziert hatten, öffnete sich die Tür und der Schwarze kam heraus.
Er zeigte Baumann ein Schreiben oder Dokument. Ich stellte mich neben ihn, die offene Tür im Rücken, um mitzulesen.
Plötzlich griff jemand so fest in mein Haar, dass es schmerzte, und zog mich rückwärts in den Eingang. Über meiner rechten Hüfte spürte ich den Druck eines Armes und registrierte voller Entsetzen die darüber hinausragende braune Hand mit einer Pistole, die auf Frank zielte. Mit einem Satz sprang der Schwarze von vorne auf mich zu, schob mich vollends in den Innenraum und verriegelte die Tür.
Das spielte sich alles in Sekundenschnelle ab. Ich hörte, wie Frank "Verdammte Scheiße" schrie und an der Tür rüttelte.
Ich wurde mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl genötigt.
Für einen Augenblick tauchte Franks Gesicht an einem Fenster auf, und er rief: "Bleiben Sie ruhig, Hanna! Wir holen Sie da raus!"
Voller Angst fixierte ich mein Gegenüber - zwischen uns ein schmaler Tisch - in einem Campingsessel sitzend und mich mit einem Wortschwall in einer mir unverständlichen Sprache, vermischt mit einigen englischen Wörtern, überfallend.
Das einzige Wort, das ich verstand, war 'Asyl'.
Er trug einen hellblauen Jogginganzug und schwarze Laufschuhe. Das Gesicht wirkte jung wie bei dem andern, nur schmaler. Er hatte ein Oberlippenbärtchen und seine gekräuselten schwarzen Haare waren kürzer. Die Pistole hielt er in der rechten Hand, zielte aber nicht auf mich, sondern hielt den Lauf zu Boden.
Ich hörte die bekannte hohe, singende Stimme des anderen.
Der stand links von mir, an ein Unterteil eines Küchenschranks gelehnt. Er sprach schnell und energisch auf seinen Landsmann ein, und obwohl ich ihn nicht verstand, vermeinte ich doch herauszuhören, dass er mit ihm schimpfte und diese Aktion missbilligte. Der reichte ihm wortlos die Waffe, die er hinter sich in eine Schublade warf.
Er wandte sich an mich: "Das war Panik! Er wollte Ihnen nichts tun! Ihm sind die Nerven durchgegangen!"
Das von mir herausgehörte Wort 'Asyl' hatte mich bereits sensibilisiert.
"Wir haben Angst, dass wir zurückgeschickt werden!"
Wo er von Angst sprach, spürte ich, wie sie von mir wich.
Sie waren afrikanische Flüchtlinge und voller Sorge, abgeschoben zu werden. Vielleicht flüchteten sie aus politischen, vielleicht aber aus wirtschaftlichen Gründen.
Wenn meine Eltern geflüchtet wären, hätten sie den Weg in die Bundesrepublik auch nur unter Gefahr gehen können. Mit diesem Gedanken war meine Angst vollkommen verflogen; im Gegenteil, ich spürte auf einmal sogar Sympathie und Solidarität!
Ich sagte zu dem Afrikaner, der noch immer am Schrank, die Ellenbogen jetzt aufgestützt, stand: "Da Sie so gut Deutsch sprechen, hoffe ich, dass Sie es auch so gut verstehen! Mein Kollege wird inzwischen nach Verstärkung telefoniert haben, die jeden Moment eintreffen wird. Wenn Sie mich hier weiterhin festhalten, werden sie diesen Wagen stürmen!"
Er nickte und sagte: "Sie können doch gehen!"
Ungläubig schaute ich zu seinem Leidensgenossen, der in dem Sessel zusammengesunken war und teilnahmslos an den Schuhbändern pulte. Ich warf noch einen Blick durch den Raum, der einen stickig-muffigen Gestank ausströmte, dass mir schon schlecht war. Hinter dem Campingsessel konnte ich eine Liege mit Bettzeug erkennen. Davor auf dem Fußboden eine Matte oder Matratze, die zum Teil mit Kleidungsstücken belegt war.
In dem Moment als ich aufstehen wollte, ging das Licht aus.
Meine Kollegen hatten den Strom gekappt. Grelles Scheinwerferlicht war auf uns gerichtet, das nicht nur die vorderen Scheiben, sondern sogar durch die Ritzen des zugenagelten Fensters hereindrang.
Dann die Durchsage: "Hier spricht die Polizei! Der ganze Hof ist umstellt! Lassen Sie sofort die Geisel frei!"
Ich sah meinen Gesprächspartner fragend an, und der sagte: "Gehen Sie! Verschwinden Sie doch endlich!"
"Schließen Sie die Fenster und kommen Sie nicht in den Hof! Lebensgefahr!" kam die zweite Durchsage.
Die Fenster zum Hof waren bestimmt von Neugierigen belagert. So ein Schauspiel wollte sich niemand entgehen lassen! Das war live, keines von den vielen Fernsehprogrammen konnte das übertreffen! Und irgendwo dazwischen - mit klammheimlicher Freude - glotzte der Denunziant!
Ich öffnete die Tür nur so weit, dass ich den Kopf hindurchstecken konnte. Die Scheinwerfer blendeten mich. Bestimmt lagen irgendwo schon Scharfschützen auf der Lauer!
Ich schrie in das grelle Licht: "Ich komme nur heraus, wenn eine schriftliche Asylzusage erfolgt!"
Die Antwort kam sofort: "Wie stellen die sich das vor? Das kann nur das Bundesamt entscheiden! Die sollen Sie bedingungslos freilassen!"
"Dann sollten Sie sich aber wenigstens für sie einsetzen!"
"Ja, aber nur, wenn sie Sie auf der Stelle freilassen!"
Ich stieß die Tür auf und betrat langsam den Hof. Zwei kräftige Hände, an jedem Arm eine, packten und geleiteten mich zu einem in der Auffahrt stehenden Streifenwagen. Sie gehörten zwei Polizisten. Ein dritter und Baumann in Zivil saßen im Auto.
Frank konnte ich die Erleichterung anmerken, als er fragte: "Sind Sie okay, Hanna?" Ich nickte. Dann sagte er zu den anderen: "Das Protokoll können wir uns für heute Abend ersparen. Ich werde sie nach Hause fahren."
Am nächsten Tag kam Frank sofort zu mir. "Wir wollen dich da raushalten und auf ein Protokoll verzichten!"
"Wirklich, und die Afrikaner dürfen bleiben?"
Baumann grinste. "Selbstverständlich!"
Er drückte mir ein Schreiben in die Hand. "Diese Mitteilung gaben wir heute Morgen an die Presse:

'Das Mobile Einsatzkommando stürmte gestern Abend im Stadtteil Sankt Pauli einen Wohnwagen, in dem sich zwei bereits vor acht Monaten abgelehnte und seitdem untergetauchte Asylbewerber aus Somalia aufhielten.
Mit Waffengewalt zwangen sie eine Frau zu sich in den Wagen, um die Anerkennung zu erpressen.
Sie werden als gefährliche Kriminelle vorrangig in ein Flugzeug gesetzt. Die Abschiebung erfolgt innerhalb von 24 Stunden'
 

Choricillo

Mitglied
Nun also...

Der Text war mit nur einem Stolperstein (Details weiter unten) gut lesbar. Die Geschichte an sich ist spannend erzählt, nicht unbedingt voraussehbar (was leider sehr oft der Fall ist) und das Ende prägnant.

Immer wenn ich dachte du würdest in Klischees verfallen, kommt die Überraschung (Beispiel: gewalttätiger Asylbewerber, rechtschaffender Bulle).

Womit ich mich nicht wirklich anfreunden konnte war Ton. Vielleicht weil ich das deutsche "Sie" befremdlich finde, vielleicht weil der Text aus der Erzählerperspektive wie das "inoffizielle" Protokoll klingt.


Stolperstein:
Er sprach schnell und energisch auf seinen Landsmann ein, und obwohl ich ihn nicht verstand, vermeinte ich doch herauszuhören, dass er mit ihm schimpfte und diese Aktion missbilligte. [red]Der reichte ihm wortlos die Waffe, die er hinter sich in eine Schublade warf.[/red]
 

Maribu

Mitglied
Schwarze Gang

Nachdem ich die Prüfung auf der Polizeischule bestanden und mich für den Außendienst entschieden hatte, wurde ich Frank Baumann zugeteilt. Er war Leiter der neu gegründeten Gruppe, die den unterbesetzten Hamburger Zoll für die Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung unterstützen sollte. Intern nannte man sie 'Schwarze Gang'. Untergebracht war sie in einem alten Bürogebäude in Hamburg-St.Pauli.
Am zweiten Tag saß ich am Computer um Arbeitsberichte einzugeben, als er hereinkam und zu mir sagte: "Hanna, ich habe eben einen anonymen Hinweis bekommen. Sie haben doch gleich Feierabend und in den letzten Jahren genug Bürostaub geschluckt. Es wird Zeit für die Praxis! Haben Sie Lust, mich zu begleiten?"
Natürlich reizte mich das, und ich nahm in seinem schwarzen BMW Platz. Trotzdem sagte ich: "Hoffentlich schadet das nicht Ihrer Karriere!", denn erst nach drei Monaten war mir ein Einsatz in Begleitung erlaubt.
"Karriere!" Er lachte. "Jeden Cent, den ich mehr verdienen würde, müsste ich an meine Ex-Frau abführen! Außerdem bin ich ein unpolitischer Mensch. Ohne richtiges Parteibuch kann man in unserer Firma keine Karriere machen!"
Wir bogen in die Reeperbahn ein, und er zeigte mit seiner linken Hand zur anderen Straßenseite. "Das ist die Davidwache.
Sie ist die bekannteste der Welt! - Wussten Sie das?"
"Nein."
"Ach ja, Sie kommen ja von drüben!"
"'Drüben' gibt es schon lange nicht mehr!", antwortete ich verärgert.
Wir kamen in eine Seitenstraße, in der es mit den grellen Fassaden abrupt vorbei war. Bevor er auf den Bürgersteig fuhr, sagte er, überraschend weich und persönlich: "Hanna, ich wollte Sie nicht kränken! Boizenburg liegt ja wie Hamburg an der Elbe!"
Er verschloss den Wagen und sprach wieder mit der Stimme des Vorgesetzten: "Wir werden uns in diesem '-otel' mal umsehen!"
Ich hatte mich nicht verhört. Eine flackernde rote Leuchtschrift an einem zweistöckigen Gebäude. Das unbeleuchtete
'H' konnte man nur erahnen. Aus einem Zimmer im zweiten Stock fiel Licht nach außen.
Eine kleine Steintreppe führte zu einem schwach beleuchteten Schankraum. Zwei Männer, ein jüngerer und ein älterer, saßen am Tresen vor ihrem Bier. Sie musterten uns und grinsten süffisant. "Er kommt gleich zurück!", sagte der ältere.
Links von der Theke befand sich eine Tür, die auf einen Gang führte. Ungefähr in der Mitte führte eine ausgetretene Holztreppe zu den oberen Stockwerken. Hier war auch die einzige Lichtquelle. Eine nackte Glühbirne hing an einer Strippe von der Decke herab.
Ein grauhaariger Mann mit Nickelbrille, ein Tablett in der Hand, kam die knarrenden Stufen herunter.
"Guten Abend!", grüßte Baumann. Die 'Nickelbrille' nickte nur und fragte: "`n Zimmer?"
Frank sah mich unverschämt lächelnd an und wiederholte: "`n Zimmer?"
Ich spürte, wie mir schlagartig heiß wurde und das Blut ins Gesicht schoss. Damit hatte ich nicht gerechnet! Er registrierte es belustigt und antwortete, immer noch lächelnd:
"Nein,lieber nicht!"
Dann wurde er ernst, zeigte seinen Dienstausweis und sagte:
"Wir haben da einen Tipp bekommen!"
Der Gang führte, schmaler werdend, links an der Treppe vorbei zur Rückseite des Hauses. Ein roter aufgeklebter Pfeil auf der in gelber Ölfarbe getönten Wand traf das Schild 'Toiletten'.
"Was für ein Tipp?", fragte er unwirsch und folgte uns.
Die Tür zur Damentoilette stand offen. Ein Schwarzer in einem bunten Hemd und Jeans reinigte mit einem Schrubber den Boden.
Statt zu antworten fragte Baumann: "Arbeitspapiere?"
"Er hilft mir nur manchmal", entgegnete der Grauhaarige.
"Also keine Arbeitspapiere!", sagte Baumann und seine Stimme wurde schroffer. "Sie wissen doch, dass Sie sich strafbar machen!"
"Er bekommt nur Essen von mir. Ich behalte sowieso immer was über und bevor ich das wegkippe..."
"Reden Sie doch keinen Scheiß, Mann! Wir können Sie zu Gefängnis oder einem hohen Strafgeld verknacken! Dafür müsste in Ihrer Absteige ganz schön oft gebumst werden!"
Mit zwei schnellen Schritten war er in der Toilette, trat gegen den Wassereimer, der sofort umkippte und auslief und herrschte den Schwarzen an: "Ausweis!"
Der war vollkommen verblüfft, schüttelte sich das Spritzwasser aus den Hosenbeinen und starrte Baumann wortlos an. Das Weiße in seinen dunklen Augen blitzte auf und erweiterte sich.
"Your passport!" brüllte Baumann.
Ich zuckte ebenso zusammen wie der schwarze Mann. Wollte Frank sich vor mir nur beweisen oder traten er und seine Truppe immer so auf? Dann passte die Bezeichnung 'Schwarze Gang'!
Ich bemerkte wie der Pächter oder Inhaber dieses Hauses dem Schwarzen zublinzelte. Der stellte den Schrubber, den er wie eine Waffe umklammert hielt, gegen die Fliesenwand, aus der schon einige Kacheln herausgebrochen waren, und sagte in einem hohen, leicht singenden Ton: "Ich muss ihn holen."
Er verschwand durch eine bis eben angelehnte Tür, in der an der linken unteren Seite ein Stromkabel eingeklemmt war, das in die Mitte eines Hofes zu einem beleuchteten Wohnwagen führte.
Der Hof war ringsherum von Altbauten umgeben, und in seiner Größe nur durch die beleuchteten Fenster zu erfassen. Er hatte auf der anderen Seite eine schmale Einfahrt, es waren Müllcontainer, eine Sandkiste, ein Klettergerüst und zwischen Pfählen gespannte Wäscheleinen zu erkennen.
Frank Baumann und ich folgten ihm. Der 'Hotelier' blieb an der Tür stehen.Es war mehr ein Wrack von einem Wohnwagen. Die Räder waren demontiert und er stand flach auf den grauen Zementplatten. Ein Fenster war mit Brettern vernagelt, die Scheiben der anderen waren schmierig und mit zerschlissenen Gardinen verhängt. Nachdem wir ihn umrundet und inspiziert hatten, öffnete sich die Tür und der Schwarze kam heraus.
Er zeigte Baumann ein Schreiben oder Dokument. Ich stellte mich neben ihn, die offene Tür im Rücken, um mitzulesen.
Plötzlich griff jemand so fest in mein Haar, dass es schmerzte, und zog mich rückwärts in den Eingang. Über meiner rechten Hüfte spürte ich den Druck eines Armes und registrierte voller Entsetzen die darüber hinausragende braune Hand mit einer Pistole, die auf Frank zielte. Mit einem Satz sprang der Schwarze von vorne auf mich zu, schob mich vollends in den Innenraum und verriegelte die Tür.
Das spielte sich alles in Sekundenschnelle ab. Ich hörte, wie Frank "Verdammte Scheiße" schrie und an der Tür rüttelte.
Ich wurde mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl genötigt.
Für einen Augenblick tauchte Franks Gesicht an einem Fenster auf, und er rief: "Bleiben Sie ruhig, Hanna! Wir holen Sie da raus!"
Voller Angst fixierte ich mein Gegenüber - zwischen uns ein schmaler Tisch - in einem Campingsessel sitzend und mich mit einem Wortschwall in einer mir unverständlichen Sprache, vermischt mit einigen englischen Wörtern, überfallend.
Das einzige Wort, das ich verstand, war 'Asyl'.
Er trug einen hellblauen Jogginganzug und schwarze Laufschuhe. Das Gesicht wirkte jung wie bei dem andern, nur schmaler. Er hatte ein Oberlippenbärtchen und seine gekräuselten schwarzen Haare waren kürzer. Die Pistole hielt er in der rechten Hand, zielte aber nicht auf mich, sondern hielt den Lauf zu Boden.
Ich hörte die bekannte hohe, singende Stimme des anderen.
Der stand links von mir, an ein Unterteil eines Küchenschranks gelehnt. Er sprach schnell und energisch auf seinen Landsmann ein, und obwohl ich ihn nicht verstand, vermeinte ich doch herauszuhören, dass er mit ihm schimpfte und diese Aktion missbilligte. Der Schwarze im Jogginganzug reichte seinem Leidensgenossen wortlos die Waffe, die der hinter sich in eine Schublade legte.
Er wandte sich an mich: "Das war Panik! Er wollte Ihnen nichts tun! Ihm sind die Nerven durchgegangen!"
Das von mir herausgehörte Wort 'Asyl' hatte mich bereits sensibilisiert.
"Wir haben Angst, dass wir zurückgeschickt werden!"
Wo er von Angst sprach, spürte ich, wie sie von mir wich.
Sie waren afrikanische Flüchtlinge und voller Sorge, abgeschoben zu werden. Vielleicht flüchteten sie aus politischen, vielleicht aber aus wirtschaftlichen Gründen.
Wenn meine Eltern geflüchtet wären, hätten sie den Weg in die Bundesrepublik auch nur unter Gefahr gehen können. Mit diesem Gedanken war meine Angst vollkommen verflogen; im Gegenteil, ich spürte auf einmal sogar Sympathie und Solidarität!
Ich sagte zu dem Afrikaner, der noch immer am Schrank, die Ellenbogen jetzt aufgestützt, stand: "Da Sie so gut Deutsch sprechen, hoffe ich, dass Sie es auch so gut verstehen! Mein Kollege wird inzwischen nach Verstärkung telefoniert haben, die jeden Moment eintreffen wird. Wenn Sie mich hier weiterhin festhalten, werden sie diesen Wagen stürmen!"
Er nickte und sagte: "Sie können doch gehen!"
Ungläubig schaute ich zu dem anderen, der in dem Sessel zusammengesunken war und teilnahmslos an den Schuhbändern pulte. Ich warf noch einen Blick durch den Raum, der einen stickig-muffigen Gestank ausströmte, dass mir schon schlecht war. Hinter dem Campingsessel konnte ich eine Liege mit Bettzeug erkennen. Davor auf dem Fußboden eine Matte oder Matratze, die zum Teil mit Kleidungsstücken belegt war.
In dem Moment als ich aufstehen wollte, ging das Licht aus.
Meine Kollegen hatten den Strom gekappt. Grelles Scheinwerferlicht war auf uns gerichtet, das nicht nur die vorderen Scheiben, sondern sogar durch die Ritzen des zugenagelten Fensters hereindrang.
Dann die Durchsage: "Hier spricht die Polizei! Der ganze Hof ist umstellt! Lassen Sie sofort die Geisel frei!"
Ich sah meinen Gesprächspartner fragend an, und der sagte: "Gehen Sie! Verschwinden Sie doch endlich!"
"Schließen Sie die Fenster und kommen Sie nicht in den Hof! Lebensgefahr!" kam die zweite Durchsage.
Die Fenster zum Hof waren bestimmt von Neugierigen belagert. So ein Schauspiel wollte sich niemand entgehen lassen! Das war live, keines von den vielen Fernsehprogrammen konnte das übertreffen! Und irgendwo dazwischen - mit klammheimlicher Freude - glotzte der Denunziant!
Ich öffnete die Tür nur so weit, dass ich den Kopf hindurchstecken konnte. Die Scheinwerfer blendeten mich. Bestimmt lagen irgendwo schon Scharfschützen auf der Lauer!
Ich schrie in das grelle Licht: "Ich komme nur heraus, wenn eine schriftliche Asylzusage erfolgt!"
Die Antwort kam sofort: "Wie stellen die sich das vor? Das kann nur das Bundesamt entscheiden! Die sollen Sie bedingungslos freilassen!"
"Dann sollten Sie sich aber wenigstens für sie einsetzen!"
"Ja, aber nur, wenn sie Sie auf der Stelle freilassen!"
Ich stieß die Tür auf und betrat langsam den Hof. Zwei kräftige Hände, an jedem Arm eine, packten und geleiteten mich zu einem in der Auffahrt stehenden Streifenwagen. Sie gehörten zwei Polizisten. Ein dritter und Baumann in Zivil saßen im Auto.
Frank konnte ich die Erleichterung anmerken, als er fragte: "Sind Sie okay, Hanna?" Ich nickte. Dann sagte er zu den anderen: "Das Protokoll können wir uns für heute Abend ersparen. Ich werde sie nach Hause fahren."
Am nächsten Tag kam Frank sofort zu mir. "Wir wollen dich da raushalten und auf ein Protokoll verzichten!"
"Wirklich, und die Afrikaner dürfen bleiben?"
Baumann grinste. "Selbstverständlich!"
Er drückte mir ein Schreiben in die Hand. "Diese Mitteilung gaben wir heute Morgen an die Presse:

'Das Mobile Einsatzkommando stürmte gestern Abend im Stadtteil Sankt Pauli einen Wohnwagen, in dem sich zwei bereits vor acht Monaten abgelehnte und seitdem untergetauchte Asylbewerber aus Somalia aufhielten.
Mit Waffengewalt zwangen sie eine Frau zu sich in den Wagen, um die Anerkennung zu erpressen.
Sie werden als gefährliche Kriminelle vorrangig in ein Flugzeug gesetzt. Die Abschiebung erfolgt innerhalb von 24 Stunden'
 

jon

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Teammitglied
Ich sperre diesen Thread, da Maribu ihn wiederholt zu mit Lügen verbundenen Angriffen auf Redakteursentscheidungen benutzt hat.
 
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